Handelsgrenzen

Diese Grenzen wurden nicht selten überschritten, wie denn im Jahre 1710 bestimmt wurde, daß nicht die Wismarschen, sondern die Rostocker Zinngießer das Recht hätten, den Bernittschen Markt zu versorgen. Wegen des Besuches von Gabebusch war im Jahre 1667 zwischen Lübeck und Wismar ein Streit ausgebrochen.

Neben der Erledigung solcher Streitigkeiten wurden Fälle von Uebertretungen der Rollen zur Sprache gebracht. So hatte sich im Jahre 1719 ein Meister aus Wismar zu verantworten, weil er der Bestimmung sich mit einer Meisterswittwe oder Meisterstochter zu vermählen, nicht nachgekommen war. In solchen Fällen wurden Geldstrafen verhängt.


Endlich wurden manche neue Zusätze und Beliebungen zu den alten Rollen erörtert und beschlossen. Man baute das geltende Recht aus, zwar in dem Sinne der auf die Dauer engherzigen Zunftpolitik, fand immer neue Einschränkungen und Fesseln, ordnete aber dazwischen auch Treffliches und Gutes an. Zu den Neuerungen der ersteren Art gehörte z. B. der 1678 gefaßte Beschluß, daß ein Meister oder Geselle, der freien wollte, für seine Frau den Beweis ihrer ehelichen Geburt beibringen mußte, der im Jahre 1710 dahin vervollständigt wurde, daß ein angehender Meister sich stets nur mit einer Meisterswittwe oder-Tochter verheirathen dürfe. Zu den letzteren dagegen möchten sich die Anordnungen, daß die Aelterleute 5 Mal im Jahre durch Umgang in den Werkstätten sich von der Richtigkeit der Probe überzeugen sollten, daß die Verfertiger falscher Wein- und Biermaaße stets strenger Strafe unterworfen würden, die mancherlei Verfügungen über die Behandlung der Gesellen - zu rechnen sein.

Eine zu große Vorstellung darf man sich allerdings von dieser Ergänzung und Vervollständigung der Statuten nicht machen. Im Allgemeinen war der Gewerbetreibende ein conservativer Mann und sah darauf, „dass alle vorige ertheilte undt geschlossene Beliebungen in ihrem Vigore undt Kräften verbleiben undt gehalten werden.“ Auf den Versammlungen von 1710, 1719 und 1729 wurden daher größtentheils die alten Beschlüsse nur durchgesehen und mit relativ geringen Veränderungen bestätigt. Große Lebhaftigkeit sprach sich in den neuen Zuthaten nicht aus. Von diesen Verhältnissen auf die Zustände im Handwerk überhaupt zu schließen, wäre vielleicht insofern nicht ganz richtig, als wir in dem Zinngießer-Gewerbe des vorigen Jahrhunderts ein allmählicher Auflösung entgegengehendes Handwerk vor uns haben.

Nahe genug liegt die Frage, mit einem wie zahlreichen Amte man es bei den Zinngießern zu thun hat. Leider läßt sich das für die ältere Zeit nicht ermitteln. In Nürnberg lebten im Jahre 1363 14 Kanelgießer neben einer gewissen Zahl Zinngießer; in Frankfurt a. M. lassen sich für das Jahr 1387 nur 5 Kannengießer nachweisen, für das Jahr 1440 nur 7. Gewinnt man hieraus den Eindruck, daß es ein nur schwach besetztes Gewerbe war, so wird dieser bestätigt durch die Nachrichten, die uns über Rostock seit dem Ausgange des 16. Jahrhunderts zur Verfügung stehen. Nach dem ältesten Protokollbuch gab es im Jahre 1575 zehn Meister; aber schon 20 Jahre später nach dem Ausscheiden der Grapengießer - 1597 - werden nur 4 Amtsbrüder namhaft gemacht. Im Jahre 1627 zählte das Amt 7, im Jahre 1633 5, im Jahre 1722 ebenfalls 5 Mitglieder. Auf einem undatirten Blatte, das nach der Handschrift in das Ende des vorigen Jahrhunderts zu setzen wäre, sind 4 Meister namhaft gemacht. Im 19. Jahrhundert scheinen nicht mehr als 3 Meister gleichzeitig neben einander gewirkt zu haben. Viele Jahre hindurch bestand das Amt nur aus einem Meister und mit dem Tode des letzten, Friedrich Carl Wulkop, im Jahre 1880, ging es ein. Mögen diese Angaben, die verschiedenen gelegentlichen Aufzeichnungen in der Lade des Zinngießer-Amts entnommen sind, mitunter ungenau sein - soviel ist sicher, um ein großes und ansehnliches Amt hat es sich in Rostock nicht gehandelt. Es ist dies um so auffälliger, als Jahrhunderte hindurch Zinngeschirre außerordentlich verbreitet waren. Die kleine Zahl der Gewerbetreibenden mag mit der großen Dauerhaftigkeit der Gefäße zusammenhängen. Das Zinngeschirr wurde bei der Begründung des Hausstandes fürs Leben, oft genug auch für die Nachkommenschaft eingekauft.

Höchstens verlangte die Mode oder die Abnutzung von Zeit zu Zeit einen Umguß des veralteten oder schadhaft gewordenen Geräthes 50) oder gestattete spätere Behäbigkeit die allmähliche Vervollständigung des Vorraths fürs Haus. Erwägt man nun noch den Import von englischen Zinnsachen, 51) so begreift man, daß eine geringe Zahl dieser Gewerbetreibenden in der Lage war, das einheimische Bedürfniß zu befriedigen, das in unserer Zeit bekanntlich überhaupt ganz aufhörte.

Eine Zusammenstellung der in die Protokollbücher eingetragenen Meister-Namen nach den Jahren, in welchen das Amt die betreffenden Männer zu Meistern aufnahm, ergiebt, daß in dem langen Zeitraum von nahezu 300 Jahren von 1590 bis 1862 nur 45 Zinngießer in Rostock Meister wurden, die sich den Jahren nach, wie folgt, vertheilen. Es wurden in den Jahren

Tabelle 1

Vielleicht enthalten die Eintragungen aus dem 17. Jahrhundert Lücken; sie vertragen sich indeß mit den landläufigen Vorstellungen über das Darniederliegen des Gewerbes während der Dauer des 30jährigen Krieges. Charakteristisch ist die Fortpflanzung des Handwerks vom Vater auf den Sohn. Die Schlüter, Voß und Gottespfenning sind derartige Familien, in denen von Generation zu Generation die Geschicklichkeit sich fortpflanzt. Die Westfals und Blawkogels aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mögen gleichfalls dazu zu rechnen sein. Ein Michel Westpfall kommt schon unter den Amtsgenossen im Jahre 1575 vor, freilich ohne daß sich der Zusammenhang mit den späteren Westfals nachweisen läßt.




50) So wird für den Bedarf des Großkomthurs von der Königsberger Großschäfferei ein halbes Schiffpfund Zinn jedes zweite Jahr angesetzt. Sattler, Handelsrechnungen
51) In Danzig bereits im Jahre 1422 nachgewiesen. Hanse-Recesse 2. Abth. Bd. 1, Nr. 381 § 19. Vergl. m. Aufsatz „Hansische Vereinbarungen über städtisches Gewerbe“ in Hansische Geschichtsblätter. Jahrg. 1886.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Amt der Zinngießer in Rostock