Das Amt der Fuhrleute zu Rostock

Autor: Postinspektor Karl Moeller in Frankfurt (Oder)
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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Zünfte, Ämter, Fuhrleute, Rostocker Handel, Mittelalter, Seestadt, Rostocker Kaufmann, Einfluss des Hansebundes, Fuhrgewerbe, Kulturleben der Ostseeküste, Hansestädte, Hamburg, Lübeck, Wismar, Danzig, Brügge, mittelalterliche Stadtwirtschaft
Erster Abschnitt

Unter den Zünften und Aemtern, die früher in Rostock bestanden haben, nimmt das ehemalige Amt der Fuhrleute, spätere Reihefuhramt, insofern eine eigenartige Stellung ein, als seine Wirksamkeit sich nicht auf das Weichbild der Stadt beschränkt hat, sondern auch außerhalb der Stadtmauern, soweit wie der Rostocker Handel zu Lande Beziehungen unterhielt, in die Erscheinung getreten ist. Es hat länger als fünf Jahrhunderte bestanden, ausgestattet mit zahlreichen Gerechtsamen, die ihm eine sichere, aber auch für das Verkehrsleben von Stadt und Land verhängnißvolle Stellung verliehen; seine Aufhebung gelang erst in der Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts, als seine veraltete Verfassung mit ihren zahlreichen Fesseln für den kräftig aufblühenden Verkehr den Anforderungen der neuen Zeit nicht mehr entsprach.

In Rostock waren schon bald nach der Gründung der Stadt Fuhrleute (aurigae, vectores) ansässig. Ihr Betrieb beschränkte sich in ältester Zeit auf das Weichbild der Stadt, namentlich den Verkehr mit dem Strande, höchstens besuchte der Fuhrmann nahe gelegene Orte, die in ihren Bedürfnissen auf die aufblühende Seestadt angewiesen waren. In die Ferne zog der Rostocker Kaufmann als Eigenthümer des Frachtgutes noch selbst, um den Verkauf zu besorgen, Güter einzutauschen und in Rückfracht heimzubringen. Als aber am Ende des 13. und im 14. Jahrhundert unter dem fördernden Einflusse des Hansebundes Handel und Verkehr kräftig aufblühten und die Beziehungen nach auswärts sich lebhafter gestalteten, erhielt auch das Fuhrgewerbe erhöhte Bedeutung für Handel und Handwerk. Die Zahl der Genossen mehrte sich, ihr Selbstgefühl hob sich, und wie die übrigen Erwerbskreise Zünfte und Aemter bildeten, um ein Amt oder Handwerk gemeinsam zu betreiben, so schlossen sich auch die Angehörigen des Fuhrgewerbes im 14. Jahrhundert zu einer Genossenschaft, dem Fuhramte, zusammen. Das Jahr der Gründung ist nicht bekannt. Die Verfassung des Amtes war zunftartig gestaltet.

Wie bei den Zünften sollte das Amt zunächst nicht ein Monopol der Genossen bilden; es war lediglich eine wirthschaftliche Vereinigung, der alle Personen angehören mußten, welche das Fuhrwesen gewerbsmäßig betreiben wollten. Der Zutritt stand jedem Fuhrmann frei, sobald er das Rostocker Bürgerrecht erworben hatte und gut beleumundet war. Sonst bestanden für die Ausübung des Gewerbes keine Beschränkungen. Im 15. Jahrhundert hatte das Amt zur Vertheidigung der Stadt vier Bewaffnete zu stellen, allerdings eine geringe Zahl, man muß aber berücksichtigen, daß die Fuhrleute mit ihren Knechten häufig auf Reisen abwesend waren. Ueber die Mitgliederzahl des Amtes geben die Quellen keine Auskunft, auch nicht über die Zahl der Knechte, die dem Fuhrgewerbe angehörten.

Mit der fortschreitenden Ausbreitung des Verkehrs zu Lande und damit im Zusammenhange mit der wachsenden Verbesserung und Sicherheit der Landstraßen nahm der Geschäftskreis des Fuhramts allmählich an Umfang zu. Die Reisen des Kaufmanns zur Begleitung seines Gutes wurden immer seltener; an seine Stelle trat endlich ganz der Fuhrmann mit festen Aufträgen für Hin- und Rückfracht. Auch der Reiseverkehr mittels Frachtwagens begann aufzublühen, ein ungewöhnlicher Fortschritt im Kulturleben der Ostseeküste.

Schon im 15. Jahrhundert hatte der Fracht- und Reiseverkehr mittels Frachtwagens so große Bedeutung erlangt, daß die Hansestädte zu seiner Regelung besondere Ordnungen verabredeten in der zwiefachen Absicht, die pünktliche und schnelle Beförderung der Reisenden und Güter sicher zu stellen und das heimische Fuhrgewerbe vor dem fremden Wettbewerbe zu schützen. Die Städte Rostock, Wismar und Lübeck hatten vereinbart, daß die Fortschaffung der Reisenden und Güter in bestimmter Ordnung von einer Stadt zur anderen stattfinden sollte, dergestalt, daß die Fuhrleute der einzelnen Städte einer um den andern täglich mit ihren Wagen von einer Stadt zur anderen hin- und herfahren sollten, damit Jedermann an seiner Reise und sonst an Ueberführung der Kaufmannsgüter nicht verabsäumt werde. Rostocker Fuhrleute sollten zwischen Rostock und Wismar, Wismarsche zwischen hier und Lübeck den Frachtverkehr besorgen; Lübeck besorgte wahrscheinlich den Verkehr westlich auf Hamburg zu. Vermuthlich bildete diese Theilung nur Abschnitte für den Handelsverkehr auf der großen Straße von Danzig nach Brügge, und alle Anzeichen sprechen dafür, daß die ganze Strecke in gleicher Weise unter die anliegenden Städte vertheilt war. Es bestand also schon jetzt aus den Landstraßen eine Art Reihefahrt, die im Landverkehr erst erheblich später in größerem Umfange in Aufnahme kam. Wenn die Rostocker Fuhrleute in Wismar angekommen waren, wurden ihre Wagen entladen, und Wismarsche Fuhrleute besorgten die Weiterbeförderung nach Lübeck. Die Rostocker Fuhrleute nahmen die in Wismar angesammelte Fracht an Reisenden und Gütern mit zurück. Dieser Umladezwang, ein Merkmal der mittelalterlichen Stadtwirtschaft, war für den Verkehr zwar lästig und störend, bildete aber ein werthvolles städtisches Vorrecht, das eifersüchtig von den betheiligten Städten und vor allen Dingen von dem Fuhrgewerbe dieser Städte gehütet wurde. Auch landeinwärts zog der Rostocker Fuhrmann, nach Mittel- und Süddeutschland, besonders nach Frankfurt (Main); von einer Wegtheilung auf dieser Straße melden die Akten nichts. Für die gute Regelung des Fuhrwesens der Hansestädte spricht auch eine gelegentliche Aktennachricht, in der von einer festen Lieferungsfrist die Rede ist, ein Beweis dafür, daß schon zu damaliger Zeit der Kaufmann bis auf wenige Tage genau berechnen konnte, wann er sein Gut verfrachten mußte, um es rechtzeitig zur Messe in Frankfurt zur Stelle zu haben.

Im Frachtverkehr des Rostocker Fuhramts handelte es sich hauptsächlich um die Beförderung der Rohprodukte, die zu Schiff nach Rostock gekommen waren, die Rückfracht bestand in Industrieerzeugnissen. Nebenbei besorgte der Fuhrmann Briefe, Gelder und Aufträge oder trieb für eigene Rechnung einträglichen Hausirhandel. Die Frachtwagen waren, wie es alte Bilder zeigen, plump und roh gearbeitet, große, schwere Holzlatten auf ungefüger Achse, aber den schlechten Straßen in ihrer soliden Bauart angepaßt. Die Bespannung bildeten in der Regel vier kräftige Pferde. Frühmorgens, wenn die Stadtthore geöffnet waren, begann die Fahrt; vor Einbruch der Dämmerung, wenn es gelang, den nächsten Ort vor Thorschluß zu erreichen, wurde die Reise unterbrochen. In der Nacht ruhte die Fahrt. Der Weg, den der Fuhrmann zu nehmen hatte, war durch Gesetz und Herkommen von altersher fest bestimmt. Eigenmächtiges Verlassen der uralten Landstraße, die verbotwidrige Benutzung von Nebenwegen war streng verboten und für den Fuhrmann mit Gefahr für sich und sein Gespann verbunden, wie es manches Mal die Rostocker Fuhrleute zu ihrem Leidwesen erfahren mußten. So abwechslungsreich der Beruf des Rostocker Fuhrmanns auch war, so gefährlich und schwierig war er auch, denn unterwegs traten manche Ansprüche an den Fuhrmann und seine Ladung heran, deren Abwehr Muth und Umsicht, eine harte und zähe Natur erforderten.

Die Strecke von Rostock nach Wismar, rund 6 Meilen, wurde im Sommer in einem Tage, d. h. in einer Tagesfahrt von 12-14 Stunden, im Winter in 1 1/2 Tagen, oder 18-20 Stunden, zurückgelegt eine Meile also in 2-3 Stunden. Die Zugkraft eines Pferdes schätzte man auf 3-4 Schiffspfund (zu 3 Ctr.), also 9-12 Ctr., bei 4 Pferden hatte eine Wagenladung ein Gewicht von rund 40 Ctr. Die Fracht betrug von Rostock nach Wismar für 40 Ctr. 6 Thaler, für 1 Meile 1 Thaler; zu diesen Kosten traten aber noch zahlreiche Abgaben hinzu, an den Stadtthoren für Ein- und Durchfuhr, unterwegs an Zollstellen - zwischen Rostock und Wismar lagen zwei herzogliche Zollstellen -, Brückengeld u. s. w. Der Landtransport war daher verhältnißmäßig kostspielig, sodaß auf weite Entfernungen nur werthvolle Fracht die Versendung auf dem Landwege lohnte. Der Wochenverdienst von einem Pferde betrug nach einer Aktennachricht aus späterer Zeit 3 Thaler; diese Schätzung, der ein unfreiwilliges Stilllager eines Rostocker Fuhrmanns in Wismar zu Grunde liegt, mag übertrieben sein, immerhin kann man den Reinverdienst von einem Gespann zu 4 Pferden ziemlich richtig auf 3-400 Thaler jährlich annehmen, wenn kein Verlust an Pferden oder Haftleistung für beschädigtes oder verlorenes Gut den Verdienst schmälerte. Das Fuhrgewerbe war mithin recht einträglich, und es ist begreiflich, wenn aus diesem Grunde schon die Theilhaberschaft an dem Rostocker Fuhramte in einer Familie von Geschlecht zu Geschlecht forterbte.

Weigel, Martin Ansicht von Rostock, 2. Hälfte 16. Jh.

Weigel, Martin Ansicht von Rostock, 2. Hälfte 16. Jh.

Rostock, Marktplatz mit Marienkirche und Blutstraße

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Rostock, Hansestadt, Petrikirche und Petritor

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