Litzenbrüder

Zum Betriebe des Reihefuhramts gehörten jetzt auch schon vier besondere Auflader - die geschworenen "Litzenbrüder" -, die das Heranschaffen und Aufbinden des Reisegepäcks zu besorgen hatten; sie erhielten für jede Dienstleistung 4 ßl., für die Herbeischaffung von Reisegepäck aus dem St. Marien-Kirchsspiel aber nur 2 ßl. Gleiche Entlohnung stand ihnen für das Abladen und Abbringen der Sachen zu. Jeder Reisende konnte auch durch sein Gesinde seine Koffer zum Wagen bringen lassen, mußte es aber durch die Litzenbrüder auf- und abbinden lassen, "auf welchen Fall die Litzenbrüder kein Trinkgeld von den Reisenden fordern, viel weniger sich mit trotzigen Worten zu ihnen nöthigen sollen bei ernster willkürlicher Strafe; wobei aber auch in Acht zu nehmen, daß solche Laden zuvörderst dem Kutscher selber, so da fahren wird, geliefert werden, und derselbe, im Fall davon unterwegs etwas verloren würde, dafür gehalten und solches den Leuten hinwieder zu erstatten schuldig sein soll." Uebrigens hatten sich die Kutscher, deren Knechte und die Litzenbrüder alles Fluchens und Schwörens, auch Zankens und Schlagens bei Strafe des Gefängnisses gänzlich zu enthalten.

In einer zu der Ordnung im Jahre 1663 aufgestellten Rolle 2) sind genannt 8 Rostocker, 4 Lübecker und 3 Wismarsche Kutscher. In Lübeck verlieh der Rath 1658 dem dortigen Fuhramte eine ähnliche Fuhrordnung mit gleichem Inhalt für die Personenfahrt nach Rostock.


Nur kurze Zeit konnte das Rostocker Fuhramt sich des ungestörten Besitzes seines Privilegs erfreuen. Unter den Aufgaben der Landesherrschaft zur Hebung von Wohlstand und Verkehr kamen zu Ende des 17. Jahrhunderts verkehrspolitische Bestrebungen in Aufnahme, die natürlich Sonderrechte, welche den Verkehr zu Gunsten Einzelner und zum Nachtheil der Gesammtheit leiten sollten und den Maßnahmen der Regierung zur Hebung des daniederliegenden Verkehrs zuwiderliefen, einzuschränken und möglichst zu beseitigen suchen mußten. Es war die Zeit des Aufkommens staatlicher Posten, die in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens Frachtanstalten im wahrsten Sinne des Worts waren und neben Personen, Briefen und Geldern auch Güter jeden Umfangs beförderten, also in wirksamster Weise den Wettbewerb mit dem Fuhrgewerbe begannen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Interessen der herzoglichen Staatspost und des Rostocker Fuhramts bald an einander geriethen. In Rostock war ein herzogliches Postamt eingerichtet worden, das, gestützt auf herzogliche Verordnungen, für sich allein die Brief- und Personenbeförderung beanspruchte und jede Konkurrenz des Fuhramts auf diesem Gebiete zu unterdrücken suchte; auch Frachtsachen jedes Umfangs nahm das Postamt zur Beförderung mit den Posten an. Das Alles bedeutete allerdings einen Eingriff in hundertjährige, wohlerworbene Vorrechte, den das Fuhramt mit größter Erbitterung zurückwies. Der Rath zu Rostock nahm sich des städtischen Fuhramts mit Nachdruck an. Er machte die private Sache des Amts zu seiner eigenen und richtete im Interesse desselben eine eindringliche Vorstellung an die Regierung in Schwerin. Er hätte, heißt es in derselben, der Einrichtung des Postamts in Rostock zwecks Beförderung von Briefen ruhig zugesehen. "Wie aber aus den Rechten bekannt ist, daß das eigentliche Postregale mit dem Fuhrwerk des reisenden Mannes keine Gemeinschaft hat, sondern bloßer Dinge auf die Briefe gerichtet ist, so will zumal höchstpräjudicirlich fallen, wenn der hiesige Postverwalter sub praetextu des Postwesens im Fuhrwerk ein monopolium einführen und den reisenden Mann necessitiren könnte, an einen gewissen Wagen sich zu verdingen, damit er sein unbilliges lucrum desto höher treiben möge." Wenn dem Postverwalter freistände, einen Fuhrmann für die Postfahrten "allein zu beneficiren und ihm die Abfuhr der Leute zuzuschanzen", so wäre das Schlimmste zu gewärtigen, "da solches der wohlhergebrachten Fuhrordnung, so mit den Städten Wismar und Lübeck beliebet, ausdrücklich entgegenlaufet, da denn unsere Fuhrleute gar übel daran sein würden, weil sie schon von dem Güstrow'schen Fuhrwerk durch die Post daselbsten contra libertatem commerciorum abgestoßen sind, daß sie auch nach Wismar und Pommern nichts abführen dürfen, weil auf solche Manier das ganze Fuhrwerk zu der trafiquen größtem Schaden und dieser Stadt höchstem Präjudiz ganz niedergelegt werden muß, da doch die Fortschaffung des reisenden Mannes weit besser durch gesammte Fuhrleute nach ihrer gemachten Vereinigung kann befördert werden, als wenn einem Fuhrmann allein solche Abfuhr unter die Hände gegeben wird, weil allemal praesumirlich, daß viele Interessenten ihre Pferde und Wagenzeug besser im Stande halten können als ein Kerl allein, insonderheit da die Fuhrleute bei Tag und Nacht parat sein und, es finden sich viele oder wenige Personen ein, dennoch um den gesetzten Preis fahren müssen, zu geschweigen der nothwendigen Beibehaltung und Vermehrung des Fuhrwerkes, als welches bei ereignenden Feuersbrünsten, dann auch bei Kriegeszeiten und Ausfällen sehr nutzbar in Darstellung einer guten Anzahl der Pferde zu halten, welches aber nicht conserviret werden mag, wenn man den Leuten alle Mittel nimmt, ihre Hantirung zu treiben."

Auch die Vermittlung der Stadt hatte für den Augenblick keinen Erfolg. Die Regierung verhängte mehrfach empfindliche Strafen gegen die Fuhramtsgenossen, die gegen das Postregal verstießen. Trotzdem blieb der Wettbewerb des Fuhramtes in der Personen-, Brief- und Sachbeförderung ruhig im Schwange, denn die Ueberwachung der Frachtfahrer unterwegs war unter damaligen Verhältnissen schwer durchzuführen. Das einzige Zugeständniß, zu dem die Regierung sich nach Verlauf einiger Zeit herbeiließ, bestand darin, daß den Postämtern untersagt wurde, große Frachtsachen und schweres Kaufmannsgut mit den Postwagen befördern zu lassen.

Bei den trüben politischen Verhältnissen, die zu Ende des 17. Jahrhunderts in Meklenburg herrschten, hatten die jungen Postanlagen eine schwere Krisis zu bestehen, die das Fuhramt zu Rostock benutzte, um das Verlorene wieder zu gewinnen. Im Jahre 1691 ließ es sich zu dem Zweck vom Rath für die Beförderung von Personen auf der Straße nach Hamburg eine neue Ordnung verleihen, die mit der Ordnung von 1652 im Wesentlichen gleichlautend war. Die Höchstzahl der mit einem Wagen zu befördernden Personen, früher 8, wurde jetzt auf 6 beschränkt. Die den Lübecker Fuhrleuten gewährten Vorrechte wurden auch auf die Hamburger ausgedehnt, unter der Voraussetzung allerdings, daß den Rostocker Fuhrleuten in Lübeck und Hamburg gleiche Rechte eingeräumt würden. Von Wismarschen ist nicht mehr die Rede. Die Frachtsätze waren unverändert geblieben. Fuhrleute mit schlechten Pferden und Wagen sollten in der Rolle gestrichen werden. Um den ganzen Betrieb noch mehr unter Aufsicht zu stellen und Nebenfuhren zu verhindern, mußten die Wagen eine Stunde vor der Abfahrt am Neuen Hause sich einstellen; es war den Fuhrleuten besonders verboten, Reisende vor den Herbergen, Thoren und bei den eigenen Häusern aufzunehmen. Das Güterfrachtgeschäft gehörte nach wie vor zum Monopol des Fuhramts, unterlag aber nicht den Bestimmungen der Reihefahrt.
Auf der neuen Grundlage betrieb das Fuhramt die Personenbeförderung ungestört weiter, obgleich seit einiger Zeit zwischen Rostock und Hamburg neben den herzoglich meklenburgischen Postanlagen auch noch hamburgische und schwedisch-dänische Postkurse eingerichtet worden waren, die nicht bloß die Beförderung von Personen und Briefen, sondern auch von Frachtsachen betrieben. Um das Fuhrgewerbe war es somit schlecht bestellt, da von Gewalt gegenüber den Staatsposten keine Rede sein konnte, wenn nicht der Bestand des Fuhramts überhaupt gefährdet werden sollte.




1) Vornehmlich auf der Elbe und ihren Nebenflüssen. (Vergl. Töche-Mittler, Der Friedrich-Wilhelmskanal und die Berlin-Hamburger Flußschifffahrt, Leipzig 1891.)
2) Sie war auf Pergament in Fraktur geschrieben und auf einer hölzernen Tafel, 1 1/2 Ellen lang und 1/2 Elle breit, befestigt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Amt der Fuhrleute zu Rostock