Fuhrgewerbe - Fuhrordnung

Mit dem Niedergange des Erwerbslebens der Ostseestädte am Anfange des 16. Jahrhunderts begann für das Fuhrgewerbe, das bisher aus dem blühenden Handel Reichliche Nahrung gezogen hatte, eine allmähliche Abnahme von Arbeit und Verdienst sich fühlbar zu machen. In gleicher Weise wie die Handwerkerzünfte schon lange vorher zu den nachtheiligen Wirkungen der veränderten Wirthschaftslage Stellung genommen hatten, so suchte man nun auch im Fuhramte mit künstlichen Mitteln, Gesetzen und verschärftem Zwange den sich stetig mindernden Gewinn wieder einzubringen. Das Fuhrgewerbe durfte fortan nicht länger als bloßes Amt gelten, sondern als ein Privileg, dessen Nutznießung allein den Angehörigen des Fuhramts vorbehalten bleiben müsse. Diese Bestrebungen wurden bald zur That, indem das Fuhramt im 16. Jahrhundert von Bürgermeister und Rath geschriebene Satzungen, die sogen. Fuhrordnung, erwirkte. Diese älteste Ordnung ist nicht erhalten geblieben. Dagegen findet sich im Rostocker Rollenbuche eine Fuhrordnung von 1611, die in niederdeutscher Mundart abgefaßt ist und auf die ältere Ordnung mit den Eingangsworten Bezug nimmt, "dat mit Erloffnis der Herren der Gewette de Olderlude und Amtbroder der Fohrlude tho Rostock datjenige, wat darsulvest von oldershero in ehren Ambte gebrücklik gewesen vnd se in ehrer olden Rulle, de ehre Vorfahren verfattet gehat, wedderumb up Papier bringen tho loten erlangt ond wolgemelten Herren avergewen".

Wie bei den Zünften standen zwei vom Rathe erwählte Aelterleute an der Spitze des Fuhramts. Sie führten jährlich abwechselnd bei den Versammlungen des Amtes das Wort und mußten am Schlusse ihres Amtsjahres über ihre Amtsführung berichten und über die Einnahmen und Ausgaben des Fuhramts Rechnung ablegen. Die Schriften des Amtes wurden in einer mit zwei Schlössern versehenen Lade verwahrt, die der wortführende Aeltermann im Hause hatte; den einen Schlüssel führte der andere Aeltermann, den zweiten Schlüssel ein Amtsbruder. Das jüngste Mitglied war Bote des Amtes. Jeder Genosse, der zu Hause war und sonst keine erhebliche Entschuldigung hatte, mußte auf die Ladung des Boten zur Versammlung des Amtes erscheinen bei 4 ßl. lüb. Strafe. Die Genossen mußten den Weisungen der Aelterleute in Amtssachen Gehorsam leisten bei 10 ßl. Strafe. Alles Fluchen, Schwören und Schelten war den Amtsbrüdern verboten; bei Streit sollten die Aelterleute vermitteln oder die Streitenden an das Gewett verweisen.


Ueber das Fuhrprivileg bestimmte die Ordnung, daß der Fuhrverkehr innerhalb der Stadt und mit dem Strande allein den Fuhramtsgenossen vorbehalten sei, "also dat nemandt buten ehren Ambte ebnen Impass dorin dohn schall vnd moth by straff der Herren Indracht vnd dem Ambte eine Tonne Beers". Den Frachtverkehr nach auswärts berührte die Ordnung nicht; er fiel aber gleichfalls unter das Monopol, da ja ohnehin jede Konkurrenz im Fuhrgewerbe innerhalb der Stadt und auf dem flachen Lande fehlte oder rücksichtslos niedergehalten wurde. Während die Fuhramtsmitglieder aber früher bei Ausübung ihres Gewerbes völlig freie Hand hatten und durch beschränkende Amtsbestimmungen nicht gehindert waren, legte die Ordnung den Mitgliedern mannigfache Beschränkungen in ihrem Gewerbe auf. Jeder Genosse durfte, damit keiner ohne Verdienst blieb, zur Zeit nur einen, Wagen an den Strand schicken, wo die einlaufenden Schiffe anlegten, besonders wenn hier nicht viel zu thun war. Erst wenn die Arbeit drängte, konnten zwei Wagen geschickt werden, aber auch nur deshalb, damit die Bürgerschaft nicht gezwungen war, fremde Fuhrleute aus anderen Hanseorten zu dingen. Die Aelterleute mußten für angemessene Vertheilung der Arbeit sorgen, sodaß der Emsige nicht mehr Fuhren erhielt als der Lässige. Angenommene Fuhren mußten ausgeführt werden. Niemand durfte einen Genossen aus einer bestellten Fuhre ausstechen oder sich in eine Bestellung eindrängen. Ein Genosse, der vom Böttcheramte zum Holzfahren angenommen war, durfte nur mit zwei Wagen anfahren; bei Mehrbedarf an Wagen mußten von den Aelterleuten andere Amtsangehörige herangezogen werden.

Da der Nutzen der einzelnen Mitglieder aus dem Fuhrprivileg um so geringer war, je mehr Berechtigte an ihm theil hatten, so wurde die Aufnahme neuer Genossen möglichst erschwert. Beim Tode eines Genossen durfte kein Fuhrmann, der anderswo ansässig war, in seine Stelle einrücken. Wer Mitglied werden wollte, mußte das Rostocker Bürgerrecht erwerben und gut beleumdet sein. Bei der Aufnahme mußte der Neuling jedem Aeltermann 8 ßl. lüb. "tho verdrinken" und an das Amt 33 Thaler geben, zahlbar in drei Jahresraten zu 11 Thalern. Eine Wittwe durfte das Amt Jahr und Tag nach dem Tode ihres Mannes behalten; wenn sie keinen Sohn hatte, so mußte sie das Amt nach Ablauf der Frist aufgeben. Falls ihr Sohn aber eintreten wollte, so mußte sie das Amt für ihn neu gewinnen und durfte es für ihn so lange ausüben, bis er sich verheirathete und selbst das Amt nutzen wollte. Die Amtsgenossen hatten also Mittel genug, die Mitgliederzahl nach Belieben zu beschränken. Thatsächlich gehörten dem Amte jahrzehntelang nur 8 Fuhrleute an.

Uebrigens hatten die Amtsgenossen auch einzelne Pflichten zum allgemeinen Besten zu übernehmen. Sie mußten in Feuersnoth Wasser und Leitern heranschaffen. Geldpreise waren für die Fuhrleute ausgesetzt, die zuerst zur Stelle waren (der erste erhielt 2 Thaler). Ferner mußten die Genossen bei feindlichem Angriff die städtischen Geschütze nach dem Walle schaffen und zur Ausbesserung des Strandes und der schlechten Wege vor der Stadt unentgeltlich Sand- und Schuttfuhren leisten.

Es muß billig bezweifelt werden, ob diese dem starren Zunftzwang entspringende Amtsordnung die Wünsche und Hoffnungen der Genossen in Erfüllung gebracht hat. Jeder Wettbewerb fehlte allerdings, und die Zahl der Amtsangehörigen wurde in engen Grenzen gehalten, sodaß Arbeit und Verdienst unter Wenigen zur Theilung kam, dabei wurde aber übersehen, daß mit der neuen Ordnung jedem Mitgliede eine Fessel angelegt war, die niemand abstreifen durfte, wenn er nicht der Mitgliedschaft am Amte und damit am Gewerbe verlustig gehen wollte. Diese Fessel lähmte auch jede Unternehmungslust, Fleiß und emsiger Eifer verloren an Geltung, denn jeder Fuhrmann fand bei der neuen Einrichtung Verdienst, mochte dieser auch gering sein; der Gedanke, daß es dem Nachbarn nicht besser erging, machte dem Einzelnen Pflicht und Zwang erträglicher.

Je mehr im Laufe der Zeiten der Handel der Ostseestädte abnahm, um so geringer wurde auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das bisher die Städte verbunden hatte; die Noth der Zeit lehrte jede Stadt, selbst auf Kosten der anderen mehr an den eigenen Vortheil zu denken und die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen; für die kleineren Städte begannen schlechte Zeiten, da sie bei dem Wettbewerb mit den größeren Städten unterliegen mußten. Auch im Fuhrgewerbe trat dieser Wettbewerb zu Tage. Bisher hatten die Fuhrgewerbetreibenden von Rostock, Wismar und Lübeck auf der Straße nach Danzig und Hamburg getreu den alten Ueberlieferungen das Fuhrgewerbe ausgeübt. Aber zu Anfang des 16. Jahrhunderts begann man schon in Rostock und Lübeck, die Rechte der Wismarschen Fuhrleute zu schädigen. Im Jahre 1534 wurden, wie aus einem Schreiben des Lübecker Rathes vom 1. Februar nach Wismar erhellt, die regelmäßigen Fahrten zwischen Rostock, Wismar und Lübeck nicht mehr in verabredeter Weise ausgeführt. Die Fuhrleute hielten sich nicht mehr an die herkömmliche Ordonnanz; sie fuhren auch nicht täglich, sondern über den andern, dritten und vierten Tag, d. h. sie warteten jedesmal, bis sie volle Ladung hatten, was denn männiglich zum merklichen Hinderniß und Schaden gereichte.

Der Rath verlangte deshalb, daß man in Wismar die Fuhrleute anhalten möchte, täglich mit ihren Wagen wie von altersher gebräuchlich zu fahren, damit der gemeine reisende Mann in seinem Gewerbe und Geschäft unversäumt bleiben möchte. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war die ganze Verabredung schon in Vergessenheit gerathen. Jeder Fuhrmann nahm Frachten, wo er sie fand, und fuhr wie und wann es ihm beliebte. Die Rostocker Fuhrleute fuhren über Wismar hinaus auf Lübeck, erhoben aber gleichzeitig laute Klage beim Rathe, als die Wismarschen Fuhrleute nun auch auf der Straße nach Rostock Frachten besorgten. Der Streit war gewissermaßen eine Lebensfrage für das Fuhrgewerbe, denn der um diese Zeit gerade aufblühende Reiseverkehr bot dem Fuhrgewerbe eine neue erwünschte Einnahmequelle und annehmbaren Ersatz für den Verlust beim Frachtgeschäft. Das Rostocker Fuhramt strebte mit allen Kräften danach, den Reiseverkehr von und nach Rostock allein in seiner Hand zu behalten. Es mußte die Rostocker Fuhrleute daher aufs Höchste verdrießen, als im Jahre 1594 eines Tages Wismarsche Fuhrleute Reisende und Frachtsachen nach Rostock brachten auf sogen. "Kutschen", leichten, mit Verdeck gebauten, in Riemen hängenden Wagen, deren Gebrauch aus Westdeutschland übernommen war, während in Rostock noch die alten Frachtwagen, die sogen. Vorwagen, Verwendung fanden.

Die Rostocker Fuhrleute wandten sich mit einer Bittschrift an den Rath. Dieser vermittelte für sie in Wismar (9. April 1594). Von altersher seien die Wismarschen Fuhrleute - der Aeltermann Niebuhr und seine Konsorten - auf der Straße von Wismar nach Rostock nicht gefahren, sondern nur nach Lübeck; auch hatten sie keine Kutschen sondern nur große Vorwagen gehalten. Wenn Rostocker Fuhrleute helfende nach Wismar gebracht hätten, so wären die Reisenden hier auf Wismarsche Wagen umgeladen worden. Diesem alten Gebrauche handelten die Wismarschen nun zuwider; sie führen auch auf der Straße nach Rostock und hätten sogar verlauten lassen, daß sie Kutschen genug halten wollten, davor die Rostocker sich verkriechen könnten, sodaß man nicht wissen sollte, wo sie geblieben. Es wurde deshalb gebeten, die Angelegenheit durch einen Vergleich beider Städte zu ordnen.

Von Wismar kam in wenigen Tagen Antwort. Die Wismarschen Fuhrleute hätten nach Ausweis der Stadtzeugenbücher seit 50 und mehr Jahren die Straße nach Rostock benutzt. Jederzeit seien zwei Wagen von Wismar nach Rostock und Lübeck gefahren, ebenso sei den Rostocker Fuhrleuten gestattet worden, in Wismar Reisende und Fracht zu laden. Noch kürzlich hätte ein Rostocker Fuhrmann in Wismar 5 Personen aufgenommen und nach Rostock befördert. Immerhin war in Wismar Geneigtheit, die Sache mündlich zu verhandeln. Ein Erfolg wurde aber nicht erzielt. Augenscheinlich suchten die Rostocker Fuhrleute mit aller Kraft den Wettbewerb der Wismarschen "Kutscher", wie die Fuhrleute seit dieser Zeit in den Akten genannt werden, niederzudrücken. Jedes Mittel, auch Gewalt war ihnen recht. Zahlreiche Klagen der Wismarschen Fuhrleute beim Rath der Städte und bei der Regierung in Schwerin über ihre Beeinträchtigung durch die Rostocker füllen fortan die Akten: stets drehte sich die Klage aber um den Reiseverkehr, während des Frachtgeschäfts immer nur nebenbei gedacht wurde. Auch in Lübeck suchte man den Wettbewerb der Wismarschen Fuhrleute zu beschränken, während die Lübecker und Rostocker Fuhrleute einander Hand in Hand arbeiteten. Im Jahre 1619 war den Wismarschen Fuhrleuten wohl noch gestattet, Reisende nach Lübeck zu bringen, sie mußten dann aber sofort leer von Lübeck zurückfahren. Ausdrücklich wurde ihnen vom Lübecker Rath verboten, in Lübeck auf Ladung zu warten oder gar von Lübeck Reisende nach Travemünde, Lüneburg, Frankfurt (Main), Hamburg, Wismar oder Rostock aufzunehmen, wenn Lübecker Fuhrleute anwesend waren, eine bequeme Handhabe für das Lübecker Gewerbe, jede Konkurrenz der Wismarschen Kutscher abzuschütteln. Einige Jahre später (1623) war es auch in Rostock mit Wissen, auch aus Vergünstigung und Anlaß der Obrigkeit unter den Rostocker Fuhrleuten Gebrauch, daß kein fremder Kutscher, der Reisende nach Rostock gebracht hatte, länger als eine Nacht in Rostock stillliegen, auch kein Volk, weder Einheimische noch Fremde, weiterfahren durfte, sofern einheimische Kutscher anwesend waren, "so in Rostock gewöhnet und daselbst Feuer und Rauch gehalten, auch das Bürgerrecht besitzen, allerwege auch ihre Wagen auf dem Markte Tag und Nacht in Bereitschaft halten." Die Rostocker Fuhrleute hätten ebenso wie die einheimischen in Lübeck, Hamburg und Wismar den Vorzug, zuerst und vor den Fremden Leute zu fahren und dürften an jenen Orten auch nur eine Nacht stillliegen. Diese Maßregel war natürlich gegen die Wismarschen Fuhrleute gerichtet, die angeblich oft mit leeren Wagen nach Rostock gekommen waren und unter einander verabredet hatten, daß der zuerst Angekommene auch zuerst wieder abfahren sollte, "dadurch, wie die Rostocker klagten, also jahraus jahrein fremde Kutscher in den Herbergen liegen und der Haber uns vor dem Maule weggekaufet und vertheuert wird."

Wenn die Rostocker Fuhrleute mit diesen Klagen auch stark aufgetragen haben mochten, um ihre Absichten gegen die Wismarsche Konkurrenz destomehr zu verdecken, so hatten sie doch Erfolg, denn der Rath verlieh ihnen zu ihrem Schutze eine besondere Ordonnanz. Nun begann der Kampf gegen die Wismarschen Fuhrleute mit verstärkter Kraft; denn diese wandten sich im Jahre 1624 um Hülfe in ihrer Noth an die Regierung. Sie verwehrten, hieß es in der Vorstellung, keinem Hamburger, Lübecker und Rostocker Kutscher, Reisende nach Wismar zu bringen und wieder wegzufahren, dürften aber dafür bei 10 Thlr. Strafe nur eine Nacht in Rostock liegen und müßten anderen Tages wieder leer zurückfahren. Die Rostocker nähmen ihnen mit gewehrter Hand Leute und Sachen vom Wagen und schreckten auch nicht vor einem Ueberfall zurück. Obendrein sei ihnen die Möglichkeit genommen, die Rostocker in Wismar mit gleicher Münze zu zahlen, denn jene hätten auf einen derartigen Versuch der Wismarschen hin die Straße über Wismar verlassen und einen Nebenweg an Wismar vorbei eingeschlagen, "und also uns, die wir zur Wismar gleich sie zu Rostock das jus civitatis haben vnd die onera tragen helfen, in unserm eigen Vaterland das Brot summa injuria für dem Maule intercipiren." Sie hätten sich schon an den Rath zu Wismar gewandt, dieser hätte aber auf sein Schreiben an den Rostocker Rath nur ein bloßes Recepisse zurückbekommen. Von einem alten Gebrauche, wie die Rostocker vorgäben, sei ihnen nichts bekannt, und wenn auch dieser vorhanden sei, so dürfe er nicht bestehen bleiben, "nam rei non bonae consuetudo pessima est". Die Bitte ging dahin, die freie Fahrt auf der alten Heerstraße zu schützen, "damit von keinem Theile der reisende Mann übersetzet, den Commercien gewehret, andere Abwege gemachet, die uralte Landstraße gehindert und die Krüge, so an der alten Landstraße liegen und darauf sich eingerichtet und das Ihre spendiret haben, herunterkommen und verarmen."

Uebergriffe, wie sie Rostocker Fuhrleute gegen andere Landesangehörige sich erlaubten, konnte die Regierung nicht dulden; sie ordnete unter dem 10. Juli 1624 an, daß Gleichheit gehalten werden solle, denn "was den Rostockern zu Wismar Recht, möge den Wismarschen zu Rostock nicht Unrecht sein." Die herzoglichen Beamten hatten streng darauf zu halten, daß die Rostocker Fuhrleute bei Verlust ihrer Wagen und Pferde die rechte Landstraße über Wismar benutzten.

Auch jetzt ließen die Rostocker von ihrem Beginnen nicht ab. Es wurde deshalb auf die erneuten Klagen der Wismarschen Fuhrleute im Jahre 1634 die herzogliche Verordnung von 1624 erneuert, aber ohne Erfolg. Die Rostocker benutzten ruhig die an Wismar vorbeiführende Landstraße weiter, obgleich an derselben vier herzogliche Zollstellen lagen, die von jedem Wagen Abgaben erhoben. Trotz der andauernden Klagen aus Wismar trat keine Aenderung ein, denn bei dem herrschenden Kriegselend konnte Niemand helfen. Am Ende des Krieges, im Jahre 1648, kamen wieder Klagen: Die Rostocker erdächten immer Neues, um die Wismarschen Fuhrleute zu schädigen; "es ist zum Erbarmen, daß sie uns so feindselig sind und dagegen den Stralsunder, Lübecker und Hamburger Fuhrleuten alle Hülfe thun, und wenn wir Leute fahren, müssen wir für jeden 2 Thlr. Strafe geben." Jetzt nahmen sich die herzoglichen Beamten ihrer an und ließen wiederholt Rostocker Fuhrleute mit ihren Wagen und Gütern festnehmen. Dessenungeachtet trieben es die Rostocker nur noch ärger, ja, sie beschwerten sich obendrein bei der Regierung über die Wismarschen, die angeblich schon auf die Krone Schweden pochten und im Vertrauen auf deren Schutz sich allerlei Uebergriffe zum Nachtheil des Rostocker Fuhramts herausnähmen. Dieser Einwand hatte die Wirkung, daß den Rostocker Fuhrleuten die Straße wieder freigegeben wurde. Bis zur endgültigen Regelung der Angelegenheit sollte zwecks Beförderung der Kommerzien überall die Durchfahrt frei und ungehindert bleiben. Als die Wismarschen Fuhrleute diese Verordnung nicht beachteten und Rostocker Wagen in Wismar anhielten, verfügte die Regierung, "daß sie solche mutwillige Contemption ihrer zur Erhaltung der Commercien und Landstraßen Freiheit gereichenden und wohlgemeinten mandata ungeahndet nicht hinpassiren lassen könne; wenn die Wismarschen Fuhrleute nicht von ihren Gewaltthätigkeiten abließen, sollten ihnen die Landstraßen ganz verboten werden."

Diese Drohung hatte keinen Erfolg. Einige Tage nach Veröffentlichung der Verordnung traf ein Wismarscher Wagen mit 14 Reisenden (darunter 3 schwedischen Offizieren) in Rostock ein. Er durfte nicht weiterfahren; die Rostocker Kutscher ließen auf Geheiß des Gewetts Alles vom Wagen reißen, Personen und Güter; nur die Offiziere durften weiterreisen. Der Regierung kam die Angelegenheit aus politischen Gründen sehr ungelegen, denn sie fürchtete, daß durch den Zank der Fuhrgewerbe "den Schwedischen allerhand ombrage gegeben werde, daß man jetzt der Stadt Wismar nehmen wolle, was man ihr 1624 gegeben." Man entschied sich jetzt dafür, lieber alles beim Stande von 1624 zu lassen, wodurch den Schwedischen auch keine offension geschähe und die Freiheit, durchs Land zu reisen, beibehalten, auch der reisende Mann damit befördert würde." Gleichzeitig wurden die streitenden Parteien nach Schwerin zur Verhandlung geladen. Sie zeigten sich aber bei dieser Gelegenheit auf einander so erbittert, daß in Güte nichts zu erreichen war, weil Niemand nachgeben wollte. Die Streitsache wurde daher von der Regierung unter dem 1. Mai 1648 durch einen bündigen Machtspruch geregelt, da zu befürchten stand, daß, wenn die Sache länger unentschieden blieb, leicht Mord und Todtschlag daraus erfolgen könnte. Künftig sollte jedem Wismarschen Fuhrmann freistehen, mit Gütern und Personen nicht bloß auf Rostock, sondern auch durch Rostock nach Stralsund, Greifswald und Stettin und weiter zu fahren, auch von diesen Orten Personen und Güter zurückzubringen und durch Rostock auf Lübeck und weiter zu befördern. In gleicher Weise durften Rostocker Fuhrleute in der Dichtung auf Lübeck über Wismar und zurück verkehren. Wismarsche und umgekehrt Rostocker Fuhrleute durften 1 1/2 Tage nach der Ankunft in Wismar und Rostock verweilen und Personen und Güter sammeln. In einer Tabelle war genau nach Zeit und Stunde festgesetzt, wann die Kutscher nach ihrem Eintreffen wieder weiterfahren mußten. Es war aber verboten, daß z. B. die Rostocker Kutscher leer nach Wismar fuhren, um hier Ladung zu suchen und umgekehrt. Wer gegen diese Verordnung verfließ, hatte ernstliche, willkürliche, auch nach Befinden Leibes- und Lebensstrafe zu befürchten.

Die Maßregel half nur auf kurze Zeit; bald war der alte Streit wieder im Gange. Auf einlaufende Klagen wies die Regierung nur auf den Abschied von 1648 hin, ohne etwas zu erreichen, denn aus Wismar kamen in den folgenden Jahren noch mehrfach bewegliche Klagen. Inzwischen war aber Wismar schwedisch geworden; deshalb hatte die Regierung auch wohl kein rechtes Interesse mehr an der Sache, zumal da die schwedische Regierung noch im Mai 1649 den Rostocker Kutschern verboten hatte, überhaupt durch Wismar zu fahren.

Durch den langen Krieg hatte der Handel der Ostseestädte schwere Einbuße erlitten. Um das Geschäft nach Möglichkeit zusammenzuhalten, erwirkte das Rostocker Fuhramt im Jahre 1652 vom Rath für die Fahrt nach Wismar, Lübeck und Hamburg eine neue Ordnung. Diese war im Einvernehmen mit dem Lübecker Rath zu Stande gekommen. In dieser waren die einzelnen Bestimmungen über das Fuhrmonopol noch schärfer als früher gefaßt. Die Ordnung berücksichtigte indessen nur die Personenbeförderung, während das Güterfrachtgeschäft vom Fuhramte nach alten Grundsätzen betrieben wurde. Künftig sollte jeder auf die neue Ordnung angenommene Kutscher einen überdeckten Wagen und einen kleinen Nebenwagen, beide mit Stühlen und Bänken bequem eingerichtet, sowie die nöthige Zahl guter Pferde halten. Fuhrleute, die nicht zum Amte gehörten, hatten an dem Personentransport keinen Antheil, es sei denn, daß Jemand im eigenen Wagen fuhr, oder daß die ordentlichen Kutscher, denen es aber vorher angeboten sein mußte, ablehnen würden, zu fahren. Kein Kutscher durfte Personen und Güter zusammen auf einem Wagen befördern; auf Personenwagen durften nur Reisende mit ihren Koffern und Laden aufgenommen werden. Der einzelne Reisende hatte bis 5 Liespfund Gewicht frei. Die Beförderung schwereren Gepäcks wurde besonders bezahlt. Auf einem Güterfrachtwagen durfte nur der Eigenthümer des Gutes mitfahren, oder arme Leute, die das Reisegeld auf den Personenwagen nicht erschwingen konnten. Zwecks besserer Kontrolle des ganzen Fuhrbetriebes und der einzelnen Fuhramtsmitglieder wurde ein besonderer Wagenmeister bestellt, der von jedem Reisenden 3 ßl. Schreibgeld erhielt. Der Kutscher bekam für einen großen Wagen 12 ßl., für einen kleinen 6 ßl. Die Reise nach Lübeck mußte im Sommer in 2, im Winter in 3 Tagen, nach Hamburg in 3 bezw. 4 Tagen zurückgelegt werden. Sie begann im Sommer früh 6 Uhr, im Winter um 10 Uhr. Wenn Personen, die sich zur Reise angemeldet hatten, bei der Abfahrt nicht pünktlich zur Stelle waren, sollte der Wagen ohne sie abfahren, und das vorausbezahlte Reisegeld verfiel. Wer sich nicht vorher beim Wagenmeister angemeldet hatte, durfte von den Kutschern nicht mitgenommen werden. Ein kleiner Wagen zu 1-2 Personen nach Lübeck kostete 7, zu 3-4 Personen 9, zu 5-6 Personen 12 Thaler, nach Wismar die Hälfte dieser Sätze, nach Hamburg 9, 14 bezw. 20 Thaler. Der Preis für die Meile schwankte je nach der Zahl der Personen zwischen 1/2 und 1 Thaler. Mehr als 8 Personen durften auf einem Wagen nicht befördert werden.

Außer einheimischen Fuhrleuten konnten auf die Ordnung auch fremde Kutscher, wenn sie für die Personenbeförderung ordentlich eingerichtet waren, und wenn Rostocker Kutscher an deren Heimathsort ebenso behandelt wurden, angenommen werden. Unter fremden Kutschern wurden nur hansestädtische, nicht etwa Fuhrleute aus umliegenden Städten und Dörfern des Landes verstanden, denn diese galten nicht als ordentliche Fuhrleute und durften in Rostock das Fuhrgewerbe nicht treiben. Die Namen aller Betheiligten wurden auf ein Verzeichniß gesetzt; diese Reihenfolge mußte von den Fuhrleuten bei ihren Fahrten pünktlich eingehalten werden. Der Kutscher, der an der Reihe war zu fahren, mußte Wagen und Pferde stets bereit halten. Wenn ein Rostocker Fuhrmann weggefahren war, folgte ein Lübecker und Hamburger, falls diese anwesend waren, sonst trat der nächstfolgende Rostocker ein. Ein Kutscher, der wohl an der Reihe war, aber sich nicht zur Abfahrt einstellte, ging der Reise verlustig, und der Folgende sprang vor.

Damit war die Reihefahrt, die vorübergehend im Frachtverkehr der Hansestädte schon im 15. und 16. Jahrhundert bestanden hatte und die in der Flußschifffahrt 1) noch früher in Aufnahme gekommen war, endgültig im Landverkehr eingeführt, alterdings nur für die Personenbeförderung. Das Rostocker Fuhramt hieß fortan das Reihefuhramt, seine Angehörigen Reihefuhrleute.

Die neue Einrichtung hatte manche Vortheile, zunächst für das Publikum, das jetzt den Vorzug einer täglichen Reisegelegenheit besaß und nicht mehr nöthig hatte, mit dem Aussuchen eines Fuhrmannes und dem üblichen Feilschen um Reise- und Zehrgeld nutzlos Zeit und Mühe zu opfern. Auch die Fuhramtsmitglieder zogen Nutzen aus der neuen Einrichtung. Jeder Fuhrmann hatte einen gleichen Antheil an der Personenbeförderung. Er fand zu festgesetzter Zeit ohne eigene Bemühungen Arbeit und Verdienst. Der freie Wettbewerb hätte vielleicht bewirkt, daß sich gleichzeitig mehrere Fuhrleute für die Reise angeboten hätten, und daß in Folge dessen wahrscheinlich die Frachtgebühren auf geringe Sätze heruntergedrückt worden wären; zum Ausgleich des entstehenden Verlustes hätte jeder Fuhrmann möglichst viele Reisende für seinen Wagen aufsprechen müssen, naturgemäß auf Kosten der Schnelligkeit der Beförderung und zum Schaden des Publikums. Diese Nachtheile fielen jetzt allerdings fort, dafür legte die Ordnung der Thatkraft und Unternehmungsluft der Fuhrleute schwere Fesseln an. Der emsige und umsichtige Fuhrmann hatte vor dem lässigen und sorglosen keinen Vortheil mehr. Im sicheren Bewußtsein, Ladung zu erhalten, brauchte er die pflichtgetreue Erfüllung seiner Obliegenheiten nicht zu sehr zu beherzigen und den Klagen der Reisenden, die gezwungen waren, dem gerade in der Reihe liegenden Fuhrmann sich anzuvertrauen, gleichviel, ob er als unzuverlässig bekannt war, kein Gehör zu schenken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Das Amt der Fuhrleute zu Rostock
Rostock, Hansestadt, Petrikirche und Petritor

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