Daheim und Draußen: bunte Bilder

Autor: Lessing, Hermann, Erscheinungsjahr: 1865

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Berlin, Hauptstadt, Residenzstadt, Deutschland, Preußen, Friedrich der Große, Friedrich II., Friedrich Wilhelm, Architektur, Geschichte, Denkmale, Spree, Moabit, Schöneberg, Tiergarten, Berliner, Reichsstadt, Börse, Börsenschwindler, Norddeutschland, Bewohner, Haushaltungen, Schlafstellen, Lichtseite, Schattenseite, Tradition, Sitten, Bräuche, Anekdoten, Charakter, Lebensgefühl,
Vorwort.

Man sollte eine Vorrede lieber eine Fürsprache nennen, da sie vorzugsweise eine captatio benevolentiae ist, die den Zweck hat, den Leser auf den ersten Blick zu gewinnen, bevor er den zweiten getan und zu blättern begonnen. Und dieser Appellation an die Nachsicht, dieser passiven Liebeserklärung bedürfen die nachfolgenden Blätter, da sie schon einmal das Leben in den Spalten verschiedener Zeitungen genossen und nun vergessen, verloren, verwelkt sind. Man soll von den Toten nur Gutes sprechen; wer weiß aber was sie zu hören bekämen, wenn sie durch einen wunderbaren Prozess wieder lebendig werden und in die alten Verhältnisse eintreten? Bedenken wir aber, dass es ein Vorzug des Menschen vor den Tieren ist, seine Kinder auch dann noch zu lieben, wenn sie nicht mehr der elterlichen Pflege bedürfen und den verlorenen Sohn grade am meisten, soll da nicht der geistige Vater dieselben Empfindungen haben wie der leibliche? Und wenn es ihm gelingt, mit Hilfe eines Verlegers einen großen Teil seiner Familie, die an verschiedenen Orten daheim und draußen zerstreut war, um sich zu versammeln und durch den schützenden Einband ein Band um alle Genossen zu schlingen und er doch dem Leser das Heft in Händen lässt, damit er richte über die Toten und die Lebendigen, so kann er nach dem Sprichwort, dass eine Liebe der andern wert sei, auf die eine oder die andre Liebe rechnen.

Auch hat unser aufgeklärtes Zeitalter nicht mehr den Glauben der Pythagoräer, dass wenn die Toten eine Volksversammlung hielten, sofort ein Erdbeben entstünde; im Gegenteil, wir zerreißen den Schleier der Nacht, wir machen die Nacht zum Tage und lieben nichts mehr als die Öffentlichkeit. Der Geist der Zeitungen aber, der um Mitternacht in der Druckerei erscheint, er neigt zum Obskurantismus und stirbt oft schon am nächsten Tage in den dunklen Wegen des Papierkorbs. Wer ihn daran hindert, ihn wieder zum Leben zitiert, selbst auf die Gefahr hin bei veränderter Sachlage, wenn die Nebel geschwunden, leicht missverstanden zu werden, handelt doch mit der Zeit im Einklang, die in zahlreichen Versicherungsgesellschaften den Kampf gegen die Vergänglichkeit aufgenommen. Schrieb doch schon Varnhagen einem seiner Schützlinge, dass, wenn man einen Aufsatz für immer begraben will, der Abdruck in einer Zeitung das beste Mittel sei. Soll aber dies geheimnisvolle Leichenbegängnis vermittelst des tötenden Buchstabens der Beruf der Presse sein? Oder hatte nicht Achill Recht, wenn er es vorzog ein Knecht im Reiche der Lebendigen, als ein König im Reiche der Schatten zu sein?

Aus allen diesen Gründen bedarf der Verfasser keiner Befürwortung, um die Auferstehung dieser Blätter zu rechtfertigen, die von den Wellen der Spree, der Seine und der Themse einen erfrischenden Hauch empfangen haben. Das Wasser ist lebendig, drum wirft es die Toten aus. Aber noch ein gewichtiges Argument bietet sich dem Autor an. Einzelne dieser Aufsätze mussten sich dem kargen Format der Zeitungen anbequemen, in einzelne Nummern ihre Glieder zerreißen lassen. Sie blickten mit dem Kopf eines schönen Morgens in die Welt und bekamen erst einige Tage später ihre Füße. Zum ersten mal aus dem Prokustesbett*) entlassen, zeigen sie sich in ihrer ganzen Gestalt und gleichen hierdurch den Helden der Walhalla, die sich des Morgens in Stücke hauen ließen und des Mittags gesund zu Tische setzten.

Möge der Leser, ohne den Tantalusdurst**) zu empfinden, diesen umgekehrten Pelopiden wenn auch nicht sein tragisches Mitleid, doch seine liebevolle Nachsicht zu Teil werden lassen!
                Berlin, im September 1864.

*) Das Bett des Prokrustes ist eine griechische Legende. Prokrustes war ein Riese aus der griechischen Mythologie. Prokrustes betrieb eine Herberge, zu der gelegentlich Fremde kamen, um zu übernachten. Von der Reise müde, legten sich die Wanderer schlafen.
Prokrustes sah es als das Beste an, wenn alle gleich sind. So hackte er denen die überstehenden Glieder ab, die zu groß waren und reckte und streckte jene mit Gewalt, die zu klein waren. Am Ende waren alle verstümmelt. Das störte Prokrustes wenig, schließlich war sein Bett das Maß der Dinge. Pallas Athene war darob entsetzt. "Aber sie sind doch gleich", erwiderte Prokrustes.
Prokrustesbett wird im übertragenen Sinn ein Schema genannt, in das etwas gewaltsam hineingezwängt wird, auch wenn es gar nicht in das Schema passen will.

**) Tantalos war ein mächtiger und unermesslich reicher lydischer oder phrygischer König, der am Gebirge Sipylos seine Burg hatte. Er frevelte gegen die Götter und zog damit ihren Fluch auf sein Haus, das über fünf Generationen hinweg von innerfamilieren Morden beherrscht sein sollte.



                        Inhalt.

                Von den Ufern der Spree.


Die Lichtseite der Residenz
Berliner Schattenseiten
Das Ministerium der kalten Tage
Das häusliche Leben des Deputierten
Ein politisches Ballett
Auf der Staatseisenbahn
Der Jockey-Club
Ein Schmerzensschrei der kleinen Herren
Bilder aus der Gegenwart
Anarchische Bewegungen
Ein Völkerkongress
Die Wahrheit auf dem Katheder
II y a des juges à Berlin!
Die letzten Stunden des Gewerberats
Die Trinkhallen und ihre soziale Bedeutung
Die neue Ära der Küche
Eine tugendhafte Näherin
Industrie, Poesie und Moabit
Zur Philosophie der Feiertage
Zur Philosophie der Zweckessen
Die Montagsgäste
Eine Silvesternacht in zwei Theatern
Die Akklimatisation der Geister
Lesefrüchte
Die rechten Namen
Offizieller Stil
Die sprachliche Anarchie
Die telegraphische Beredsamkeit
Moderne Stenographie
Zur Signatur der Gegenwart
Eisen und Baumwolle
Der Mikrokosmus der Gegenwart
Alte Neuigkeiten
Eine glückliche Familie
Ein Königliches Testament
Ein hoher Reisender
Goethe und Napoleon I.
Ein Geist im Zimmer
Die unnatürlichen Grenzen
Italien in Berlin
Garibaldi im Tiergarten
Neujahrswünsche
Unbezahlte Rechnungen
Die höhere Arithmetik
Lasterhafte Tugenden
Plus IX. und ein Kurfürst
Kurhessische Kunst und Polizei
Animalische Visionen
Casanova und die Ägypter
Ein deutscher Elefant
Germanische und romanische Tiere

                Aus der Fremde.

Das Kaiserliche Paris und seine Götter
Englische Charakterstudien
Loyale Poeten

Brandenburger-Tor um 1850

Brandenburger-Tor um 1850

Sittenbild, Berlin, Ausflügler am Pfingstmontag

Sittenbild, Berlin, Ausflügler am Pfingstmontag

Sittenbild, Berlin, Krolls Garten

Sittenbild, Berlin, Krolls Garten

Weihnachten, Berliner Straßenleben zur Weihnachtszeit

Weihnachten, Berliner Straßenleben zur Weihnachtszeit

Der Zahlmoment auf der Berlin-Charlottenburger Pferde-Eisenbahn

Der Zahlmoment auf der Berlin-Charlottenburger Pferde-Eisenbahn

Quadriga auf dem Brandenburger Tor von Johann Gottried Schadow 1793

Quadriga auf dem Brandenburger Tor von Johann Gottried Schadow 1793

Berlin, Der neue berliner Straßenpostwagen

Berlin, Der neue berliner Straßenpostwagen

Berlin, Eine Milchprüfung

Berlin, Eine Milchprüfung

Berlin, Faschingsball in einem Verbrecherlokal

Berlin, Faschingsball in einem Verbrecherlokal

Berlin, Herbstmittag im Tiergarten (2)

Berlin, Herbstmittag im Tiergarten (2)

Berlin, Maienverkauf am Magdeburger Platz

Berlin, Maienverkauf am Magdeburger Platz

Berlin, Maitag im Tiergarten

Berlin, Maitag im Tiergarten

Berlin, Musikalische Abend-Unterhaltung in einem Kellerlokal

Berlin, Musikalische Abend-Unterhaltung in einem Kellerlokal

Berlin, Polizeigewahrsam

Berlin, Polizeigewahrsam

Berlin, Rennbahn

Berlin, Rennbahn

Berlin, Renntag in Charlottenburg (2)

Berlin, Renntag in Charlottenburg (2)

Berlin, Zentralmarkthalle 1897 (4)

Berlin, Zentralmarkthalle 1897 (4)