Zwölftes Capitel. - Heirathskandidaten, Intriguen, Rinaldo in Armidens Gärten, Staatsräthin, Neid und Bitterkeit, Vorliebe für das Landleben, Gutsbesitzer, Jagd.

Fast in jedem Winter sind es nur eine kleine Anzahl von Personen, welche zum Mittelpunkte der Gesellschaft werden und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehen, Frauen sowol als Männer; und sind diese Letzteren jung und liebenswürdig, so kann es nicht fehlen, daß sich die Augen der Mütter liebreich auf sie richten und die der Töchter sich schmachtend niederschlagen. Die Stellung eines reichen Heirathskandidaten wird dadurch zu einer sehr unterhaltenden, wenn sein Herz frei und er in der Laune ist, die kleinen Intriguen zu beobachten, die gesponnen werden, um ihn zu fesseln. Freundlichere Augen, süßeres Lächeln sah aber selbst Rinaldo nicht in Armiden’s Gärten, als sie jeden Abend Thalberg erblickte, wohin er trat.

Seine Erscheinung hatte in dem Kreise ein gewisses Aufsehen gemacht; und seine Equipage, seine schönen Pferde hatten nicht dazu beigetragen, das Interesse zu vermindern, welches er eingeflößt hatte. Leider schien es aber, als ob für seine mächtigen klaren Augen die jungen Mädchen gar nicht vorhanden wären. Kalt und höflich bewegte er sich in ihrer Mitte, ohne irgend eine der Schönen auszuzeichnen, so daß endlich eine der älteren Damen, welche eine einzige Tochter hatte, sich entschloß, ihre Wünsche der Geheimräthin unter dem Siegel der Verschwiegenheit zu enthüllen.


Die Staatsräthin war reich, ihre Johanna, eine hübsche, frische Blondine, von der klugen Mutter auf das Sorgfältigste erzogen und mit einem Worte „eine vortreffliche Partie“. Die Staatsräthin sah, daß Thalberg viel im Meining’schen Hause und anscheinend mit Clementinen befreundet war; sie entdeckte ihr also, nach einer langen und vorsichtigen Einleitung, daß sie lebhaft wünsche, ihre Johanna, die nun neunzehn Jahre alt sei, zu verheirathen. Sie ist, wenn ich einmal sterbe, sagte sie, ganz verwaist, und ich brauche Sie nicht zu versichern, daß mich dieser Gedanke oft beunruhigt. Nun gestehe ich Ihnen, daß mich Thalberg in jeder Beziehung anspricht; sein feines, geistreiches Wesen ist zutrauenerweckend, und grade Das, was manchen Frauen an Thalberg mißfällt, das kalte Betragen gegen junge Mädchen, ist mir ein Beweis mehr, daß er ein sehr guter Ehemann und seiner Frau sehr ergeben sein würde. Sehen Sie, Liebste! wenn Sie Thalberg gelegentlich meiner Johanna vorstellten, sie vielleicht einmal zusammen einladen möchten – damit sie einander doch kennen lernten – das verpflichtet ja zu Nichts, Thalberg selbst braucht es gar nicht zu wissen; und gelingt es, so haben wir einem Paar lieber Menschen zu ihrem Glück verholfen, und ich, liebste Freundin! bin Ihre Schuldnerin für immer.

Sie hätte noch lange fortsprechen können, ohne von Clementinen unterbrochen zu werden, so erschrocken war diese anfangs vor der Aussicht, Robert verheirathet zu denken. Bald aber siegte ihre edlere Natur. Es schien ihr, als zeige ihr der Himmel selber eine Möglichkeit, sich und Robert zu erretten, und so schwer es ihr auch fiel, ging sie bereitwillig auf den Gedanken dieser Verbindung ein, und versprach, so weit es in ihrer Macht stände, die nöthigen Schritte dafür zu thun.

Als aber die Staatsräthin sich entfernt hatte, warf sich Clementine mit heißen Thränen auf das Sopha. Sie selbst sollte Robert eine Frau geben, sie sollte ihn veranlassen, ihrer zu vergessen, eine Andere zu lieben! Sie sollte ihn dann nicht mehr sehen – denn sicher würde er mit der jungen Frau gleich nach der Hochzeit nach Hochberg gehen. Wie konnte sie das auch nur wünschen? Eine lebhafte Eifersucht zuckte in ihr auf. Sie sah im Geiste Johanna schon in Hochberg walten, sie sah, wie Robert glücklich war mit der jungen, von ihm geliebten Frau, und ein Gefühl von Neid und Bitterkeit, wie sie es nie gekannt hatte, regte sich in ihr bei dem Gedanken, daß eine Andere das einzige Glück besitzen würde, nach dem sie selber sich ihr Leben hindurch vergeblich gesehnt hatte, daß eine Fremde ihm das Glück bereiten würde, das er einst in ihr zu finden gehofft – und wie glücklich mußte ein Mann mit seinem Herzen sein können!

An dem Gedanken raffte sie sich empor. Des Geliebten Glück! das war ja Alles, was sie wollte. Sie selbst konnte ihm fortan nur Schmerz und keine reine Freude mehr bereiten; so sollte er denn glücklich werden, durch ein Mädchen, das sie ihm gewählt. Dann würde er freilich fortziehen, sie würde ihn entbehren und wie schwer entbehren! Aber er würde glücklich sein, und sie selbst mußte es versuchen, in dem Bewußtsein des Unabänderlichen ruhig zu werden, und durch die größte Hingebung das Unrecht gegen Meining zu sühnen trachten, das sie ihm wider ihren Willen angethan hatte.

An dem Gelingen ihres Planes zweifelte sie keinen Augenblick. Ihre Eifersucht ließ sie in Johannen plötzlich eine unwiderstehliche Schönheit erblicken, sie fand sich selbst verblüht und alt, sie malte es sich aus, wie Robert überrascht sein würde durch Johannen’s jugendliche Reize; wie schnell er sie selber darüber wieder vergessen würde. Das aber sollte ihre gerechte Buße sein. Sie selbst wollte Johanna an sich ziehen und, so weit sie es vermöchte, zu deren Ausbildung beitragen, damit Thalberg in seiner künftigen Frau all’ das Glück fände, das Clementine ihm wünschte. So war in wenig Minuten aus einem jungen, fremden Mädchen, aus einem halben Kinde, das Nichts davon ahnte, ein Gegenstand der Abneigung für Clementine geworden, dessen sie einen Augenblick später schon wieder mit einer fast mütterlichen Rührung gedachte und an deren Zukunft sie mit den edelsten Gefühlen ihrer Seele hing.

Eine Freude, wie nach guter That, belohnte sie für den Kampf dieser Stunde; sie fühlte sich ihrem Manne gegenüber durch ihr redliches Streben gerechtfertigt. Sie hatte Muth, ihm frei in das Auge zu sehen, und dachte mit weicher Ruhe an Robert, dessen Besuch sie an dem Abende erwartete, an welchem ihr Mann seine gewohnte Partie in seinem Hause zu machen dachte, und auch Marianne und Frau von Stein sich bei ihr einstellen sollten.

Man war schon am Ende des Februar; die Luft war mild, die Tage länger geworden. In dem Wohnzimmer der Geheimräthin waren die Fenster geöffnet, der leichte Abendwind bewegte die Blumen vor demselben auf und nieder und beugte die Blüthen einer mächtigen Cala, die in grünem Kübel neben dem Lehnstuhl stand, auf Clementinens schönes Haar. Ihre Nerven hatten durch die leidenschaftliche, unterdrückte Aufregung der letzten Zeit gelitten; sie fühlte sich sehr matt und ruhte in ihrem Sessel, damit ihre Gäste später Nichts von ihrer Schwäche gewahr würden. Sinnend blickte sie in den Kelch der weißen Blume und kühlte ihr Gesicht mit den großen, träumerischen Blättern. So mag wol die Lotosblume blühen, dachte sie, und sehnte sich hin nach den stillen Thälern einer fernen Welt, fort aus der Gesellschaft und aus Verhältnissen, die ihr zur Pein geworden waren, in eine Welt voll Frieden, voll Schönheit und voll Ruhe. Da wurde ihr Robert gemeldet, der, um sie wenigstens einen Augenblick allein zu sprechen, früher gekommen war, als sich die Gesellschaft in ihrem Hause zu versammeln pflegte. Sie hatten sich einige Tage hindurch nicht gesehen, Robert fand sie bleicher als sonst und fragte nach ihrem Befinden. Sie klagte über Ermüdung, drückte aber die Hoffnung aus, die gute Jahreszeit werde sie herstellen, wenn sie erst ihre Sommerwohnung bezogen haben würde. Nur noch wenig Wochen, sagte sie, und wir wandern Alle aus und die Stadt wird leer; auch Sie gehen ja nun vermuthlich bald auf’s Land hinaus?

Ich weiß es selbst noch nicht, gnädige Frau, erwiderte er, Berlin ist mir wieder so werth, so sehr zu einer lieben Gewohnheit geworden, daß sich meine bisherige Vorliebe für das Landleben für den Augenblick verringert hat. Es ist also wol möglich, daß ich nur für eine Zeit nach Hochberg gehe, dort eine kleine Inspektion zu halten, und dann zurückkehre. Hochberg ist mir zu todt, zu still ...

Das finde ich begreiflich, entgegnete Clementine, der das Herz heftig schlug, in dem Gedanken an ihren Plan, das finde ich begreiflich, weil Sie dort so ganz allein sind. Sie sollten es aber deshalb nicht aufgeben und werden es auch nicht, bei den hohen Begriffen, die sie von dem Beruf des Gutsbesitzers in unsrer Zeit haben. Ihre Besitzungen haben ein Recht an Sie, Sie haben eine Pflicht gegen Ihre Leute und dürfen, denke ich, eben so wenig dauernd von Ihren Gütern ferne bleiben, als ein König seine Krone zu seinem Vergnügen niederlegen dürfte. Aber Sie sollten sich das Leben auf Hochberg angenehmer zu machen suchen, Sie sollten ...

Gäste einladen? Wer kommt zu mir Einsamen? Freunde, welche die Jagd zu mir lockt, und dergleichen Gäste mehr. Ja, gnädige Frau! wenn ich Sie einmal dort sehen könnte, wenn Sie nur wenige Tage dort verweilen wollten! Sie glauben nicht, wie schön, wie sehr schön es bei mir in Hochberg ist! Aber Sie werden nicht kommen.

Doch! antwortete Clementine leise und mit einer Eile, die ihr fremd war, so eilig wie Jemand eine schwere Last, die ihn gedrückt hat, von sich wirft, – doch! Sie müssen nur vorher eine Frau nehmen; das wollte ich Ihnen überhaupt schon lange rathen.

Sie! rief Thalberg, als traue er seinen Sinnen nicht, Sie wollten mir das rathen! Wie konnten Sie auf den Gedanken kommen? Wie können Sie glauben –

Ich meinte, sagte Clementine, die in ihrer tiefen Bewegung mühsam nach Fassung rang und sie durchaus gewinnen wollte, ich meinte, lieber Freund, daß Sie sich glücklich fühlen und glücklich machen sollen. Sie haben so oft gegen mich den Werth der Häuslichkeit gerühmt; warum wollen Sie also einsam Ihr Leben verbringen? Und, rief sie, sich zu einem scherzenden Tone zwingend, von dem ihre Empfindung weit entfernt war, damit Sie wissen, was ich im Sinne trage, ich selbst habe Ihnen eine Frau ausgesucht. Achten Sie auf das erste Mädchen, dem ich Sie heute über acht Tage auf meinem Balle vorstellen werde.

Robert wollte sie mehrmals unterbrechen, sie ließ ihn aber nicht dazu kommen. Er war aufgestanden und ging heftig im Zimmer auf und ab. Beide schwiegen, es war eine bange Pause.
Ja! sagte er endlich und lächelte höhnisch, Sie haben Recht, ich bin ein leidenschaftlicher Thor, ein unbequemer Gast, den man um jeden Preis von sich entfernen muß; auch wenn es mein einziges, letztes Glück zerstörte. Sie haben Recht, und es soll anders werden. Ich bin neugierig auf Ihre Wahl, meine Gnädige! ich sehne mich, die Auserkorene kennen zu lernen, denn ich bin grade in der rechten Stimmung, einen liebenswürdigen Gatten zu machen. Aber freilich, eine Frau, die so viel Glück in der Ehe gefunden hat, als die Geheimräthin von Meining, will es Andern auch bereiten. O! über die großmüthigen Frauen!

Wie ungerecht sind Sie! das war Alles, was Clementine den stürmischen, unwürdigen Worten entgegnete, aber ein paar große Thränen zitterten in ihren Augen.

Plötzlich blieb Robert vor ihr stehen, er war blaß geworden, und auch sein Auge war von Thränen feucht. Er sah sie lange unverwandt an, faßte ihre Hände und sprach: Sei es so! Sie haben Recht, ich werde gehen und zwar bald, weil Sie es wünschen. O! Sie sind rein und licht wie der Kelch dieser Blume; tief wie in ihn, sehe ich in Ihr heiliges Herz. Machen Sie mit mir, was Sie wollen, ich habe keinen Willen als den Ihren. – Damit bog er sich zu ihr nieder, daß er fast vor ihr kniete, küßte ihre Hände und ging eilig hinaus.

Clementine schlug ihre Hände, wie im Gebet, zusammen und blieb in schwermüthigem Hinbrüten, bis Marianne und die übrigen Gäste kamen. Dann, weil sie sich innerlich Gewalt anthat, verfiel sie in eine überreizte Laune, welche Frau von Stein und Marianne allerliebst und höchst unterhaltend fanden, und bei welcher ihr selber das Herz brechen wollte und alle Nerven bebten. Auch war sie in den nächsten Tagen kaum im Stande, die nöthigen Einladungen und Besorgungen für ihren Ball zu machen. Sie fühlte sich krank und bestand doch, trotz Meining’s Abreden, darauf, den Ball am bestimmten Tage zu geben. Sie ließ Robert, der gekommen war nach ihr zu fragen, wie alle übrigen Besuche, abweisen und bat den Geheimrath, er möge ihr, da das gesellige Treiben sie wirklich angreife, nur ein paar Tage vollkommener Ruhe gönnen, deren sie bedürfe, um zu dem Balle frisch und gesund zu sein.

Der verhängnißvolle Abend kam denn auch heran. Die ganze Wohnung war glänzend geschmückt, alle Zimmer geöffnet, Blumen und Kerzen überall. Große Spiegel und glänzende Vergoldungen strahlten die Gasflammen und Kerzen fröhlich wieder. Der Geheimrath war in der besten Laune, als er Alles so festlich und heiter um sich her sah; aber in Clementinens Seele war es nicht so hell. Und dennoch sah sie schön aus in ihrem schwarzen Kleide mit der weißen Perlenschnur um ihren stolzen Nacken. Ihr Haar, einst Robert’s Entzücken, war glatt gescheitelt, ohne Blumen, ohne Schmuck. Weshalb sollte sie sich auch wohl schmücken? Sie hatte den ganzen Tag gebangt vor dem Gedanken an den Abend, sie hatte unaufhörlich mit sich selbst gekämpft. Nun war sie ruhig, aber müde; müde, wie ein Sieger nach der Schlacht.

Allmälig versammelte sich die Gesellschaft und die Staatsräthin mit ihrer Tochter war unter den ersten Gästen, die sich einstellten. Clementine ging ihnen ein paar Schritte entgegen und ein herbes Weh fuhr durch ihre Brust, als sie das frische, junge Mädchen erblickte, das in dem rosenfarbenen Kleide mit dem Strauße von Rosen in den blonden Locken wie ein Bild der Jugend und des Lebens aussah. Wie segnend küßte sie das blühende Kind auf die Stirne. Bleiben Sie bei mir, sagte sie, und helfen Sie mir die Wirthin machen. Ihnen übergebe ich die junge, tanzlustige Welt, Sie müssen dafür sorgen, daß sie sich gut unterhält. Die fröhliche Johanna verlangte es nicht besser. Sie fiel der Geheimräthin um den Hals, nannte sie die beste, liebenswürdigste Frau der Erde, einen wahren Engel und war noch an ihrer Seite, als Thalberg endlich eintrat.

Seit jenem Abende hatte er Clementine nicht mehr gesehen. Er ging schnell auf sie zu, um sie womöglich gleich zu sprechen, um sie zu versöhnen; denn er wußte, daß er ihr unrecht, daß er ihr wehe gethan, und mehr noch, als sie selbst, hatte er in dieser Zeit gelitten. Kaum hatte er sie aber begrüßt, als sie, um es zu keiner besondern Unterredung kommen zu lassen, ihm ihren kleinen Schützling vorstellte. Er sah sie betroffen an, verbeugte sich kalt gegen Johanna und zog sich, da die Geheimräthin als Wirthin in Anspruch genommen war, mit einigen Herren plaudernd zurück. Vergebens versuchte er, sie einen Moment allein zu treffen, immer fand er andere Männer und Frauen an ihrer Seite, die nicht weichen wollten und bald ihn, bald sie mit sich von dannen zogen. Das peinigte ihn mehr und mehr. Die ganze Gesellschaft stimmte in der Bewunderung ihrer Schönheit überein, und einer der anwesenden Künstler fragte ihn, ob er das prächtige Tableau bemerkt habe, das die ernste Schönheit der Geheimräthin und die liebliche Johanna gebildet, als sie am Anfange des Abends einmal neben einander gestanden hätten. Er hatte es wohl bemerkt; aber es hatte ihm eine traurige Bedeutung gehabt. – Es dünkte ihm, als wolle dieser Ball kein Ende nehmen. Immer auf das Neue jubelten die Walzer durch den Saal, Frohsinn und Eleganz herrschten allerwegen, Johanna, die Schönheit des Festes, strahlte vor kindlicher Lust; nur zwei Herzen in den weiten Sälen theilten die Festes-Freude nicht.

Um einen Augenblick zu ruhen, lehnte Clementine in der Brüstung eines Fensters und ließ theilnahmlos die Huldigungen und Erzählungen eines älteren Hausfreundes an ihrem Ohr vorübergleiten, während ihr Auge Robert und Johanna suchte. Da, als der Sprechende sie endlich verließ, trat Robert eilig zu ihr. Sie sind krank gewesen, sagte er. Sie haben gelitten, ich sehe es, warum haben Sie mich bis heute verbannt? warum mir nicht gegönnt, Sie zu sehen, Ihnen zu sagen, wie mich das Unrecht geschmerzt, das ich gegen Sie begangen habe? Wenn Sie wüßten, wie ich verlangte, Sie zu sprechen, Sie zu versöhnen, Sie würden mir längst vergeben haben.

Denken Sie nicht mehr daran, antwortete sie, ich hatte Nichts zu vergeben. Dann, nach kurzer Pause, meinte sie: Sehen Sie das schöne fröhliche Leben um uns her. Sehen Sie wie heiter mein hübscher Schützling ist.

Robert antwortete ihr nicht darauf, und erst nach einer Weile sagte er sehr ernsthaft: ja! Fräulein Johanna ist ein schönes, und gewiß ein harmlos glückliches Geschöpf; soll sie aufhören das zu sein? soll sie unglücklich werden wie ... so Mancher?

Clementine wagte nicht ihn anzusehen, und er fuhr fort: Ich habe Sie verstanden, gnädige Frau! aber soll solch ein fröhlich schuldloses Kind zum Opfer gebracht werden um meinetwillen? Ein Opfer muß gebracht werden, das fühle ich; so will ich es bringen, indem ich Sie verlasse. Morgen schon gehe ich nach Hochberg; ich habe es bereits meinen hiesigen Bekannten gesagt, auch der Geheimrath weiß es. Morgen schon werde ich gehen und nur, um Sie noch einmal zu sehen, um Ihnen Lebewohl zu sagen, bin ich heute noch einmal gekommen. Erlauben Sie denn, daß ich schon jetzt von Ihnen scheide; und haben Sie Dank, innigen Dank für das Glück, das ich in Ihrer Nähe noch einmal gefunden habe. Leben Sie wohl, wiederholte er, und noch einmal ruhten Auge in Auge. Dann sah sie Thalberg’s edle, hohe Gestalt sich durch die Menge bewegen und im Nebenzimmer verschwinden; und wie hell die Töne der Musik auch klangen, wie hell die Kerzen in dem Saal auch glänzten, es war kalt und Nacht geworden für ihr Herz.

Kaum aber hatte Thalberg sich entfernt, als die Staatsräthin herbeikam. Neugierig fragte sie nach allem Möglichen und erfuhr von Clementine, die den Zweck dieser Fragen wohl kannte, daß Thalberg ihre Johanna sehr hübsch, sehr anziehend gefunden, daß er aber zunächst Geschäfte halber auf seine Güter gehe. Das genügte der erfreuten Mutter für das Erste. Andre Gäste folgten preisend, scherzend, Abschied nehmend, Clementine vermochte nur mechanisch zu antworten. Es war ihr, als ob in wüstem Traume Larven und Masken in entsetzlichem Gewühl an ihr vorüberschwebten und mit Allgewalt auf sie einstürmten. Sie athmete erst auf, als die Zimmer leer wurden, als Meining sie ebenfalls verließ, als sie sich für einen Augenblick allein fand. Sie sah zerstreut um sich her – auf die matter brennenden Kerzen, auf die von der Wärme welkenden Blumen, die die Köpfe sinken ließen – und so wie diese, gebrochen an Körper und Geist, zog sie sich endlich zurück, und ein tiefer, lethargischer Schlaf sank endlich wohlthätig auf ihre Augen nieder.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine