Zweites Capitel. - Schattenspiel, Überspannung, Beglückenderes, Vollkommenheit, Individualität, Reinheit, Prostitution, Kaufpreis, Sinnestaumel, Leidenschaft, Wankelmuth.

Sinnend stand Clementine am Fenster, als sie in ihr Zimmer getreten war; die Gedanken zogen, wie Bilder eines Schattenspieles, schnell an ihrer Seele vorüber; sie wollte dem Zureden ein Ende machen und mit der Tante dabei beginnen. So setzte sie sich denn nieder und schrieb:

Dein Brief hat mir wehe gethan, liebe Tante! Traust Du mir bei meinen Handlungen keine anderen Beweggründe, als Ueberspannung oder Eigensinn zu? Hältst Du mich denn für ein Kind, das die Verhältnisse des Lebens verkennt? So gut als Ihr Alle weiß ich, daß nach den Begriffen der Welt die Stellung einer verheiratheten Frau der eines Mädchens vorzuziehen ist. Glaubt mir aber, daß es eine tiefe Nothwendigkeit ist, die mich abhält, den Schritt zu thun, zu dem Ihr Alle mich überreden möchtet.
Ich hasse die Ehe nicht; im Gegentheil, ich halte sie so hoch, daß ich sie und zugleich mich zu erniedrigen fürchte, wenn ich dies heilige Band knüpfte, ohne daß mein Gefühl Theil daran hätte. Was kann es Beglückenderes geben, als mit einem geliebten Manne sein Leben hinzubringen? Für ihn zu sorgen, seine Freuden und Leiden zu theilen; zu wissen: Alles, was mein Herz bewegt, Alles, was mich berührt, theilt und fühlt mein bester Freund mit mir? Beide leben dann ein doppeltes Leben. O! ich habe mir das oft sehr schön gedacht, ich habe es heiß gewünscht, und ich halte heute noch die Ehe für den einzigen Weg, der den Menschen zu der größten Vollkommenheit führt, die seiner Individualität möglich ist. Darum aber kann ich den Gedanken an eine gleichgültige Ehe nicht ertragen, weil sie für mich eine unglückliche wäre; und ich habe es nie begreifen können, wie in der Ehe irgend Etwas die Menschen an einander kettet, als ihr Herz. Die Ehe ist in ihrer Reinheit die keuscheste, heiligste Verbindung, die gedacht werden kann; rein, wie ein Engel des Lichts, geht das Weib aus den Armen ihres geliebten Gatten hervor, und wenn man mir, nach dem katholischen Ritus, die Madonna, die reine Mutter Gottes nannte, hat für mich ein rührend tiefer Sinn darin gelegen, ein ganz anderer Gedanke, als die Kirche ihn will. Ja! die Ehe ist rein! und aus der Umarmung liebender Gatten kann ein göttlicher Mensch, ein Retter der Welt entstehen.
Aber was hat man aus der Ehe gemacht? Ein Ding, bei dessen Nennung wohlerzogene Mädchen die Augen niederschlagen, über das Männer witzeln und Frauen sich heimlich lächelnd ansehen. Die Ehen, die ich täglich vor meinen Augen schließen sehe, sind schlimmer als Prostitution. Erschrick nicht vor dem Worte, da Du mich zu der That überreden möchtest. Ist es nicht gleich, ob ein leichtfertiges, sittlich verwahrlostes Mädchen sich für eitlen Putz dem Manne hingibt, oder ob Eltern ihr Kind für Millionen opfern? Der Kaufpreis ändert die Sache nicht; und ich gestehe Dir, ich würde das Weib, das augenblickliche Leidenschaft und heißer Sinnentaumel hinreißt, groß finden, gegen Diejenige, die das Bild eines geliebten Mannes im Herzen sich dem Ungeliebten ergibt, für den Preis seines Ranges und Namens. – Könnte ich glauben, der priesterliche Segen hätte Kraft zu binden und zu lösen, könnte das „Ja“, das ich spräche, eine ganze Vergangenheit aus meiner Seele tilgen, wer weiß, was ich thäte. So aber! – Ich liebe nun einmal einen Mann, der mich verschmäht, dem meine ganze, ungetheilte, anbetende Liebe kein Glück zu bieten vermochte, als ich jung und schön war; und ich sollte einen Ehrenmann, der von mir die Freude seines Lebens erwartet, mit einem heiligen Eide betrügen? Ich sollte ihm ein Weib werden, das die Achtung vor sich selbst verloren hat? Das könnt Ihr nicht meinen, das kannst Du nicht wollen. Ich denke mit Ruhe an Robert, so lange ich mir selbst lebe; tritt aber der Gedanke, einem Anderen gehören zu sollen, vor mein Auge, dann sehe ich, daß ich nur in Robert lebe und daß mir der Traum der Vergangenheit mehr ist, als irgend eine Zukunft mir bieten könnte. Laß mir die Ruhe meines Bewußtseins.
Clementine.


Der Geheimrath v. Meining an Clementine Frei.

Mein theures Fräulein! Seit längerer Zeit erwarte ich Ihre Antwort auf eine Frage, die über meine Zukunft entscheiden soll. Sie wissen, wie werth Sie mir sind, lassen Sie mich offen sagen, wie warm und innig ich Sie liebe, wenn gleich es einem Manne reiferen Alters nicht anstehen mag, eine Leidenschaft zu bekennen, die der Jugend angehört. Ich habe in meinem Berufe Frauen in allen Verhältnissen kennen lernen, und ich achte das Weib; ich achte und liebe in Ihnen das Weib, das klar über sich selbst und das Leben, zu dem Gefühl seiner Würde gekommen ist. Ich bin nicht jung genug, Theuerste! Ihnen schwärmerische Schwüre zu leisten, aber ich biete Ihnen meine Hand mit offenem Herzen. Was ein besorgter Gatte, ein zärtlicher Freund Ihnen sein könnte, das schwöre ich, das sollen Sie in mir finden, und dadurch allein will ich Sie gewinnen; nur aus freier Neigung sollen Sie die Meine werden.
Ich verlasse Heidelberg auf kurze Zeit: Sie sollen Ruhe haben, einen Entschluß zu fassen. Möge er zu meinen Gunsten sein! Der Ihrige.
v. Meining.

Frau v. Alven an Clementine.

Ich ehre Dein Gefühl, mein Kind! wenn gleich ich es nicht unbedingt richtig heißen kann, und es liegt mehr Selbstsucht darin, als Du zu glauben scheinst. Du gefällst Dir darin, Dich als die Leidende, die Reine zu betrachten, und Du bist Beides. Ich weiß, was Du geduldet hast, kenne ganz Dein reines Herz; Du bist unglücklich geworden durch Deine Liebe und durch Robert’s Wankelmuth, bist gegen Deinen Willen sein Opfer geworden: das entbindet Dich nicht von der Pflicht, Dich mit Bewußtsein, aus freier Wahl für das Wohl Anderer zu opfern. Das Weib ist geschaffen, sich liebend hinzugeben und zu beglücken; thust Du das? Du glaubst Dich mit Deiner Pflicht abgefunden, wenn Du Marien Dein Leben widmest, ihr den Haushalt erleichterst, obgleich sie dessen nicht bedarf. Du nimmst Dich der Kinder an, wenn Du Neigung dazu hast, glaubst sie zu erziehen, und der Menschheit, die an jeden von uns Rechte hat, damit Deine Schuld zu zahlen.
Belüge Dich nicht selbst, mein Kind! Du, vor Vielen dazu berufen, einem Manne das Leben zu verschönen, mit dem unerschöpflichen Reichthum an Liebe und Nachsicht, Du willst das nicht, weil es Dir zu schwer scheint, ernst gegen eine Neigung anzukämpfen, deren Gegenstand diese Liebe gewiß nicht einmal wünscht und Deiner nicht mehr denkt. Und wenn Mariens Kinder, die Du so sehr liebst, heranwachsen, wenn Marie und die Kinder Deiner nicht mehr bedürfen werden, was wird dann die unvermeidliche Leere Deines Herzens ausfüllen? –
Ich habe das Glück, Mutter zu sein, nur wenige Tage gekannt, und doch wirft das Andenken daran ein verschönendes Licht über mein ganzes Leben; magst Du noch so scharf und richtig denken, noch so lebhaft fühlen, das Glück kannst Du nicht begreifen, nicht ermessen, bis Du es gekannt hast. Ich selbst habe Alven ohne alle Neigung geheirathet, komme ich Dir deshalb wie eine Verworfene vor? Das aber schwöre ich Dir, so lieb mir Dein Glück ist, ich habe den Vater meines Kindes von Grund der Seele geliebt; wir haben uns in guten und bösen Stunden treu zur Seite gestanden, und ich habe nach seinem Tode mich nie entschließen können, zu einer zweiten Ehe zu schreiten, obgleich ich sehr jung war und es mir, wie Du weißt, an Bewerbern nicht fehlte.
Ich mag Dir hart scheinen, aber ich bekenne es, ich werde irre an Dir. Du hältst so viel darauf, die Achtung vor Dir selbst nicht zu verlieren, weil Dir das leichter wird, als die unsere zu verdienen. Du achtest Dich, wenn Du Deiner Liebe treu bleibst, das ist bequem und leicht – wir aber würden Dich achten, wenn Du dem Glücke eines Anderen, eines braven Mannes, Deine Neigungen zu opfern im Stande wärest. Zwingen kann man Dich nicht, Du bist reich und unabhängig in jeder Beziehung; aber ich wende mich an Dein richtiges Urtheil, an Deine Wahrheitsliebe und an Dein Herz. Täusche Dich nicht selbst; täusche nicht die Erwartungen Deiner mütterlichen Freundin.

Clementine an den Geheimrath v. Meining.

Der Mann, der mir mit so ehrendem Vertrauen entgegenkommt, der mir seine Zukunft weihen will, muß wissen, an wen er sich gewandt hat; und wahr, wie gegen mich selbst, will ich gegen Sie sein.
Eine tiefe, leidenschaftliche Liebe hat seit meiner frühesten Jugend mein Herz erfüllt; diese Liebe ist nur flüchtig erwidert worden, sie hat mein Herz gebrochen. Einsam, mit meinem Schmerz nach innen gewiesen, sind mir Jahre des Leidens vergangen; ich habe mich gewöhnt allein zu stehen, ich habe es versucht, die Erinnerung an meine Liebe zu bekämpfen – es ist mir nicht gelungen; und so konnte es mir nie einfallen, den Bewerbungen, mit denen man mich ehrte, Folge zu leisten, besonders da die Mehrzahl jener Bewerber mir vollkommen gleichgültig, und ich ihnen fast ganz fremd war.
Sie kennen mich lange und gut, und ich gestehe Ihnen gern, daß Ihre Freundschaft mir werth, daß mir an Ihrer Achtung gelegen ist; aber niemals die Ihre zu werden, war noch vor wenig Tagen mein fester Entschluß. Ich wollte mich nicht verheirathen. Nicht das Zureden meiner Schwester macht mich in meiner Gesinnung schwanken, sondern die ernsten Vorstellungen meiner Tante, die mich sehr ergriffen haben. Ich habe schwer mit mir gekämpft, und ich will die Ihre werden, wenn ich Ihnen nach diesen Geständnissen genüge. Ich erkenne vollkommen und freudig Ihren Werth an, darum aber zweifle ich, daß ein gebrochenes Herz Ihrer würdig sei.
Glauben Sie dennoch, daß ich zu Ihrem Glücke beitragen könne, so thue ich es von Herzen, und will streng über mich wachen, das Glück zu verdienen, das einer Frau an Ihrer Seite werden kann. Mit innigster Achtung.
Clementine.

Der Geheimrath v. Meining an Clementine.

Haben Sie Dank! wir werden glücklich sein. Theure, holde Geliebte! Ist es denn nicht die Pflicht des Arztes, zu heilen und zu lindern? Wie gern will ich Dich schonen, meine Clementine! wie sorgsam werde ich die wunde Seele meines kranken Weibes hüten und heilen! Wirf die Vergangenheit von Dir, insofern sie Dich schmerzt, bewahre jedes Andenken, das Dir werth ist; nur Eines versprich mir und nimm es als Beweis meines vollen Vertrauens – nenne mir nie den Namen des Mannes, der Dich leiden machte, niemals, Geliebte! Ich kenne Dich und traue Dir unbedingt. In drei Tagen kehre ich zurück; möge die Hoffnung auf dies Wiedersehen, meine holde, meine theure Braut! Dich so beglücken, als mich. Auf Wiedersehen denn, Geliebte! Der Deine.
Meining.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine