Viertes Capitel. - Beisammensein, Gewohnheit, Haushaltsangelegenheiten, Collegia, Verheiratung, Gesellschaften. Mißstimmung, Geselligkeit, Conversation, Thorheiten, Zufriedenheit, Regsamkeit, Zurückgezogenheit, Gesellschafterin, Bereitwilligkeit, Leidenschaftlichkeit, Selbstsucht,

Der Hochzeitstag, die Feste nach demselben waren schon eine geraume Zeit vorüber, das Beisammensein war für die beiden Eheleute zu einer ruhigen Gewohnheit geworden. Meining war ungemein beschäftigt, seine Kranken, seine Collegia, ein größeres Werk, das er zu schreiben begonnen, und das während des Brautstandes liegen geblieben war, nahmen seine ganze Zeit in Anspruch; während Clementine eigentlich ohne alle wirkliche Beschäftigung war und es ihr selbst an jenen wohlthätigen Zerstreuungen fehlte, die der Umgang mit Freunden sonst zu bieten pflegte. Ihre Haushaltsangelegenheiten ließen sich in einer Stunde abthun; Meining war den ganzen Morgen außer dem Hause in Anspruch genommen; kehrte er Mittags zurück, so hatte ihn die große, angreifende Praxis müde gemacht, er mußte nothwendig eine Stunde der Ruhe haben, um sich für die Geschäfte des Nachmittages zu stärken, und waren auch diese endlich beendet, dann ging es an ein so eifriges Arbeiten und Studiren, daß sogar Clementinens Vorschläge zu kleinen Ausflügen, zu denen die reizende Lage Heidelbergs so sehr verlockt, fast immer abgewiesen werden mußten. Führte das Abendessen sie endlich doch zusammen, so war Meining so zerstreut, innerlich so sehr beschäftigt und so abgespannt, daß er oft um Entschuldigung bat und seinen Beruf verwünschte, der ihn ganz und gar verlange, und ihm den ruhigen Genuß seiner Häuslichkeit unmöglich mache. Vor seiner Verheirathung hatte der Geheimrath oft mit Clementinen den Plan besprochen, sich von den größeren Gesellschaften fern zu halten, in denen er bisher fast jeden Abend zugebracht und deren er überdrüssig geworden war, und sie war das gern zufrieden gewesen. Statt dessen wollten sie einen kleinen Kreis gewählter Freunde, wenigstens einmal in der Woche, bei sich versammeln, von deren traulichem Umgange sich beide Eheleute viel Genuß versprachen, und den sie am Anfange des Winters wirklich mehrmals eingeladen hatten. Grade an solchen Abenden war dann Meining aber zufällig abgerufen worden, nach einer Stunde zerstreut von dem Bette eines schwer Erkrankten wiedergekehrt, und eine nicht zu beschreibende Mißstimmung hatte sich dadurch der kleinen Gesellschaft bemächtigt, die der Wirthin freundlichste Aufmerksamkeit kaum zu bannen vermochte. Es wurde also auch dieser Versuch bald aufgegeben, denn Meining selbst schien keine Lust daran zu finden. Er erklärte offen, diese Art von Geselligkeit dünke ihn noch viel unbequemer, als die großen Zirkel, in denen man ungestört plaudern und unbeachtet schweigen könne; ja er fühle entschieden, daß er jetzt, wo er seine Clementine bei sich habe, erst die Sphäre gefunden, in der ihm nach der Arbeit wohl und behaglich werde. Glaube mir, pflegte er zu seiner Frau zu sagen, für mich beginnt in Dir ein neues Leben; ich arbeite zehnmal mehr und besser als früher, denn ich arbeite nicht für mich allein; und ich finde nach der Arbeit hier bei Dir mehr Freude und Genuß, als mir jemals die Gesellschaften geboten haben, in denen ich stundenlang im Frack, den Hut in der Hand, Conversation machen und wahre Thorheiten anhören mußte. Wenn Du mir beistimmst, leben wir Beide nur für uns allein.

Clementine willigte ein. Ihre geselligen Verbindungen lösten sich fast ganz auf, sie sah es ziemlich gleichgültig an, weil Meining’s Zufriedenheit ihr letztes Ziel war, und sie selbst in der Ehe mehr und Anderes gesucht hatte, als ein glänzendes Leben in der Gesellschaft. Ihre ungewöhnliche geistige Regsamkeit, die Meining an dem Mädchen so interessant gefunden, war in der Zurückgezogenheit, in der sie lebten, doppelt groß geworden; der Kreis ihrer Gedanken hatte sich in den neuen Verhältnissen erweitert; sie fühlte sich berechtigt und werth, auch das geistige Leben ihres Mannes zu theilen und zu verschönen, und sehnte oft den Abend herbei, um mit Meining ein paar Stunden plaudern zu können, weil sie hoffte, er würde, wie als Bräutigam, Lust daran finden, er würde ihr die Ereignisse des Tages mit jener sicheren Klarheit, die ihm so eigenthümlich war, erzählen, ihr seine Gedanken darüber mittheilen, ihre Ansichten hören und berichtigen – mit einem Worte, er würde sie wie einen Freund betrachten, wie den vertrautesten Freund, dem jeder Gedanke enthüllt werden muß, weil er ihn versteht, weil er ihn liebt, um des Freundes willen, der ihn gedacht hat. Dazu kam es aber nur sehr selten. Clementine schmerzte das. Sie konnte sich des Gedankens nicht entschlagen, daß Meining ihre geistigen Eigenschaften jetzt weit weniger als früher schätze, daß er diese an seiner Gattin leicht entbehren, vielleicht gar nicht einmal vermissen würde. Er bedurfte nur einer sorglichen Frau, einer freundlichen Gesellschafterin, mit der er sich, wenn er nicht zu müde war, über unbedeutende Dinge heiter unterhielt, die er wirklich sehr lieb hatte und der er gern viel Freude bereitet haben würde, hätte er vor übergroßer Beschäftigung nur die Zeit gefunden, an Das zu denken, was sie freuen könnte. Vor Allem aber fühlte er sich sehr froh, ein so behagliches Haus und eine Frau zu besitzen, die jedem seiner Wünsche mit der größten Bereitwilligkeit zuvorkam. Er pries sich glücklich, grade diese Frau gewählt zu haben, er zweifelte nicht, daß sie sich zufrieden fühlte, weil er es war und es noch immer mehr wurde, je länger sie mit einander lebten.
Ganz anders sah es aber nach Jahresfrist in der Seele seiner Frau aus. Sie konnte nie jenen Sonnenaufgang an ihrem Hochzeitstage vergessen; und es schmerzte sie tief, daß trotz der Treue, mit welcher sie das Versprechen jener Stunde gehalten, ihr das Glück nicht zu Theil geworden war, das sie sich damals erhofft. Es schmerzte sie, daß das Leben, ohne unsre Schuld, so weit zurückbleibt hinter Dem, was es sein könnte, daß es uns nicht vergönnt ist, Das zu werden, wozu die Fähigkeit in uns liegt. Sie konnte den Wunsch nicht aufgeben, mehr von der Seele und dem Herzen ihres Mannes zu besitzen, als jene ruhige Neigung, die er für sie hegte. Es war zuerst ihr Aeußeres gewesen, das ihn angezogen; er hatte dann ihren guten Willen, ihr wohlwollendes Herz und einen sittlichen, zuverlässigen Charakter in ihr erkannt, und diese Eigenschaften schätzte er an ihr. Aber jener Schätze von Liebe und Hingebung, deren sie sich bewußt war, bedurfte der ruhige, ältere Mann nicht. Er war kein leidenschaftlicher Liebhaber, wie Robert, der heute die Geliebte kränkte und ihre Nachsicht erforderte, während seine Liebe morgen ihre Thränen trocknete und eine Versöhnung herbeiführte, die durch den gehabten Schmerz nicht zu theuer erkauft wird. Es verstimmte sie, daß Meining ihre Theilnahme an seinem geistigen Leben kaum zu begehren schien, und obgleich sie sich ihm aus Ueberzeugung freudig unterordnete, hätte sie es doch gern gesehen, daß er, der sich sonst an ihrem Geiste stets erfreut, sie auch in der Beziehung neben sich mehr hätte gelten lassen. Sie vermißte es oft auch schmerzlich, daß er sie in ihrem Enthusiasmus für das Schöne und Große zwar gewähren ließ, daß er ihn aber nicht mit ihr zu theilen schien; und sie bedachte nicht, daß sie von dem bejahrten Manne nicht die Leidenschaftlichkeit fordern könne, die ihr angeboren und durch ihre Liebe zu dem enthusiastischen Robert nur gesteigert worden war.


Mag immerhin Selbstsucht in dem Gefühle liegen, Andere auf die Art und Weise beglücken zu wollen, die uns die beglückendste scheint, ohne zu fragen, ob es eben auch die Weise ist, die man von uns begehrt, es ist eine Selbstsucht, von welcher nur wenige Menschen ganz frei sein möchten, und sie quälte Clementine um so mehr, weil sie sich nicht zufriedengestellt fühlte und weil sie nicht so glücklich zu machen glaubte, als sie es gewünscht hatte. Sie wollte ihrem Manne einen wahren Himmel bereiten, und er begehrte nur ein ganz gewöhnliches Erdenglück, und in besonders traurigen Stunden war ihr eben deshalb häufig der demüthigende Gedanke gekommen, daß jede tüchtige, gutmüthige Haushälterin sie ihrem Manne ersetzen, ihm das Glück gewähren könne, das er in ihr finde. Sie that ihm und sich damit zu nahe, und dennoch lag etwas Wahres auch darin. Sie hatte an sich die Erfahrung zu machen, die sich täglich im Leben wiederholt, daß Altersverschiedenheit für das Glück der Ehe gefährlicher wird, als man gewöhnlich glaubt; auch selbst in dem Falle, wenn der Mann der bedeutend Aeltere ist. Das Mädchen, wenngleich nicht mehr jung, bekommt durch die Ehe eine zweite Jugend, während der ältere Mann, den man bis dahin noch immer einen Mann in den besten Jahren, einen Heirathscandidaten nannte, plötzlich vom geselligen Schauplatz abgetreten, durch die Ehe zu einem alten Manne wird, sobald die ruhige Häuslichkeit ihn von der Mühe, jung und glänzend zu scheinen, befreit. Der ältere Mann, der sich verheirathet, will gewöhnlich ausruhen vom Leben; das ältere Mädchen, deren Gefühl nicht so durch das Leben verbraucht ist, wie das der Männer, will nun erst zu leben beginnen, und es kann dabei an Täuschungen und Enttäuschungen nicht fehlen.
So gewöhnte sich auch Clementine in einer Art stummer Entsagung allmählich neben ihrem Manne wieder an das stille Innenleben, zu dem sie sehr geneigt war und das sie Jahre hindurch als Mädchen geführt hatte. Sie erfüllte auf’s Strengste ihre Pflichten, suchte nach Beschäftigung umher, ergriff, der Billigung Meining’s gewiß, bald dies bald jenes und fühlte sich immer unglücklicher, je länger dieses Suchen währte. Gar oft sehnte sie sich in jene Zeit zurück, in der sie einsam da gestanden und ungestört das Recht besessen hatte zu leiden, weil Niemand da war, der mit ihr und durch sie litt. Jetzt war das vorüber. Was sollte Meining denken, wenn er sie traurig, oder gar wenn er sie weinend fände? Hieße es nicht mit Undank seine ruhige, immer gleiche Güte lohnen, wenn er sie nicht zufrieden sähe? Sie zwang sich zufrieden und glücklich zu scheinen, weil die Vernunft es forderte, aber ihr Herz wußte nichts davon, und ihr Körper litt unter dem Zwang, den sie sich auferlegte. Eine krankhafte Abspannung bemächtigte sich ihrer, und wurde dem Auge ihres Gatten endlich sichtbar. Auf sein ängstliches Befragen erklärte sie aber, sie sei durchaus gesund, er sähe ja selbst, daß sie keine Schmerzen habe; es müsse ein zufälliges Unbehagen sein, das sich gewiß bald geben würde. Seinen Vorschlag, mit ihrer Schwester und mit deren Kindern das nahe Baden zu besuchen, schlug sie ab, weil sie sich weder Heilung noch eine Zerstreuung davon versprach, und vor Allem weil sie Meining, der sich schnell an sie gewöhnt hatte und sie nur ungern vermißte, nicht verlassen wollte. Er wenigstens sollte Nichts entbehren. Sie nahm sich vor, mehr als je über sich zu wachen, sie schien auch wieder heiterer zu werden und neue Kraft zu gewinnen, Meining beruhigte sich über ihren Zustand, und es blieb Alles so, wie es gewesen war.

Wie konnte es auch anders sein! Clementine, auf gewachsen unter der warmen Sonne der Liebe, hatte sich plötzlich in die gemäßigte, wenn auch noch milde Zone ruhiger Vernunft verpflanzt gefunden, in welcher ihr Herz nicht die Nahrung fand, wie sie dieselbe bedurfte, und nicht freudig leben und treiben, sondern nur kränkelnd fortvegetiren konnte, ohne Farbe, ohne Blüthe, durch die eigene angeborne Kraft.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine