Siebentes Capitel. - Concerte, Partie Whist, Reichthum, Eifersucht, Liebesbedürfniß, Mittagbrod, Kabinet, Landleute, Galanterie, Güter in Mecklenburg, Staatsdienst.

Das gesellige Leben bewegte sich rasch und bunt; Gesellschaften, Theater, Bälle und Concerte wechselten fast täglich mit einander ab, Meining fand, wie er es selbst vorausgesehen, eine große Freude an der Gesellschaft, die ehrenvolle und höchst schmeichelhafte Art, mit der ihm von allen Seiten begegnet ward, freute ihn und regte ihn an; dazu kam, daß er sich von seinen nähern Bekannten hatte überreden lassen, Karte spielen zu lernen, und er fand darin eine so angenehme Zerstreuung, ein so geistreiches Ausruhen nach der Arbeit, daß ihm schon darum die Gesellschaft lieb wurde, weil er sicher war, dort seine Partie Whist oder L’hombre nicht zu entbehren. Dadurch sah sich auch Clementine aus der abgeschlossensten Einförmigkeit schnell in eine ganz entgegengesetzte Sphäre versetzt. Der Name ihres Mannes, sein Rang und Reichthum und ihre eigne Liebenswürdigkeit zogen die Blicke auf sie. Man bemühte sich, sie in den Zirkeln zu haben, und der Nachsatz: „kommen Sie, Frau von Meining ist bei uns“, wurde mancher Einladung hinzugefügt. Clementine lächelte oft selbst, wenn sie bedachte, wie sie gar Nichts dazu thue, den Ruf der Liebenswürdigkeit und des anmuthigsten Geistes zu verdienen. Sie gefiel, weil sie einen Jeden gewähren ließ, sie sprach im Ganzen wenig und ruhig, hörte mit Verstand zu, konnte aber doch bisweilen, wenn ihr Gefühl angeregt wurde, zu lebhaftem Gespräche hingerissen werden oder einen Streit durch eine geschickte Wendung beenden. Das nahm die Männer für sie ein. Und obgleich sie nach jener Unterhaltung mit Marianne mehr Sorgfalt als bisher auf ihre Kleidung wendete, um nicht wieder zu ähnlichen Bemerkungen Anlaß zu geben, machte ihr gänzliches Verzichten auf jene Bewunderung, die durch eigene Schönheit und durch Pracht der Kleidung hervorgerufen wird, den Neid und die Eifersucht der Frauen schweigen. Meining’s zärtliche Eitelkeit auf seine Frau fand hier in dem größern Kreise die reichlichste Nahrung, und er gefiel sich darin, sie mit Schmuck und Luxus zu umgeben, um den Edelstein, den er in ihr besaß, auch in der glänzendsten Fassung zu zeigen. Hatte er sie früher geachtet und werth gehalten, so war er nun recht eigentlich verliebt in sie. Sie war ihm die treue Gefährtin von früher und doch eine ganz neue Erscheinung, und er hatte Nichts lieber, als wenn man ihn um des Besitzes dieser Frau willen glücklich pries. Dann unterließ er nie, ihre häuslichen Tugenden, von deren Ausübung jetzt gar nicht mehr die Rede war, auf das Eifrigste zu rühmen und hinzuzufügen, wie thöricht es sei, zu einer glücklichen Ehe Gleichheit des Alters als wesentliche Bedingung zu betrachten, er sei fast noch einmal so alt, als seine Frau, und doch vollkommen glücklich.

Und in der That, die Ehe des Geheimraths konnte man für ein Muster von Zufriedenheit betrachten. Denn daß Clementine unter den Spitzen und Perlen ihr Herz leer und sich mitten in der größten Gesellschaft häufig verlassen fühlte, das konnte die Welt nicht wissen. Sie sehnte sich, da ihre Ehe kinderlos zu bleiben schien, nach Mariens Kindern, sie hätte viel darum gegeben, wenn Marie ihr eines derselben anvertraut hätte, aber weder Marie noch der Geheimrath, der das unruhige, kindliche Treiben nicht mehr liebte, zeigten dazu Neigung, so daß sie auch diesen Wunsch bald aufgeben mußte, und das Liebebedürfniß in ihrer Seele blieb unbefriedigt. Sie fühlte sich alt werden und arm in all’ dem Reichthum, der sie umgab, und die Ueberzeugung, in ihrem Leben könne keine Freude mehr erblühen, wurzelte immer tiefer in ihrem Herzen. Dazu kam, daß die neue Lebensweise sie aufregte und angriff, und, was sie sich selbst kaum zu gestehen wagte, das Bild des einst Geliebten trat hier, wo sie die schönste Zeit ihres Lebens mit ihm verlebt hatte, unaufhörlich vor ihr inneres Auge.


Wenn sie bisweilen einsam und abgespannt in ihrem Mädchenstübchen saß, das sie sich jetzt zum Arbeitszimmer eingerichtet hatte, gedachte sie mit inniger Wehmuth an die Stunden, die sie hier in Robert’s Andenken verträumt, und ein Gefühl von Trostlosigkeit bemächtigte sich ihrer, ohne daß sie selbst sich dessen deutlich bewußt war.
In dieser Stimmung traf sie in den ersten Tagen des Decembers folgendes Billet von einer Frau, die für einige Zeit ihren Wohnsitz in Berlin aufgeschlagen hatte, um sich von dem Geheimrath berathen zu lassen, wodurch auch Clementine mit ihr bekannt geworden war.

Werthe Frau! hieß es in demselben, der Geheimrath verläßt mich eben, mit dem Versprechen, heute Mittag bei mir auf gut Glück ein Mittagbrod einzunehmen, wenn Sie ihn begleiten wollen. Und wollen müssen Sie diesmal; wäre es nur, um einen meiner geistreichsten Bekannten kennen zu lernen, der mich heute besuchte, und den ich eingeladen habe. Ich, die Fremde, habe ihm, der nur für wenige Tage hier ist, alles Schöne seiner Vaterstadt versprochen und ihm zugesagt, daß er die liebenswürdigste der hiesigen Frauen bei mir finden solle.

Machen Sie, daß ich mein Versprechen halten kann. Der Geheimrath läßt Ihnen durch mich sagen, er werde Sie abholen kommen. Auf Wiedersehen also!

Clementine war um vier Uhr bereits fertig, als der Geheimrath nach Hause kam, um mit ihr zu dem Diner zu fahren. Sie fanden die aus wenig Personen bestehende Gesellschaft schon beisammen: Frau von Stein mit einer Dame im ersten Zimmer, die Männer in der Nebenstube, die eben angekommenen Zeitungen durchblätternd. Auch Meining ging in das Kabinet und kehrte nach einiger Zeit mit einem Manne zurück, den Clementine, da sie mit dem Rücken gegen die Thür gesessen hatte, erst erblickte, als der Geheimrath ihn zu ihr führte. Herr Thalberg, sagte er, der, wie ich eben höre, ein Freund Deines väterlichen Hauses war.

Clementine war keines Wortes mächtig. Ein furchtbarer Schmerz durchzuckte ihre Brust, ihr Herz schlug so heftig, daß es sie betäubte, und ihre Aufregung wäre sicher Niemandem entgangen, wenn nicht Frau von Stein in komischem Verdrusse ausgerufen hätte: Also Sie kennen einander? O! das ist ein himmelschreiendes Unrecht! Das ist ja der interessante Fremde, den ich Ihnen angekündigt hatte, und nun ist es ein ganz alter Bekannter Ihrer Familie, den Sie besser kennen, als ich selbst!

Clementine erwiederte den Scherz mit einem erzwungenen Lächeln und Robert entgegnete: Für mich, gnädige Frau! ist die Ueberraschung, die Sie mir zugedacht, um so größer, da ich Frau von Meining noch in Heidelberg vermuthete. In Wahrheit, wir Landleute werden so fremd in der großen Welt, daß wir auch von den glänzendsten Gestirnen an ihrem Horizonte wenig mehr erfahren.

Diese künstliche, kalte Galanterie brachte Clementine wieder zu sich. Es gelang ihr, eine gleichgültige höfliche Antwort zu geben. Sie fragte, ob Thalberg viel auf dem Lande lebe, und erfuhr, daß er, nach dem Tode eines Verwandten, dessen große Güter an der Mecklenburger Grenze geerbt und dort seinen Wohnort gewählt habe, da ihm das Landleben und die damit verbundene Thätigkeit sehr zusage. Nur dann und wann, schloß er, verlasse ich meine Einsamkeit, um etwa wie im vorigen Jahre das Marienbad, oder wie jetzt, um meine Vaterstadt einmal wieder zu besuchen. Doch denke ich höchstens ein paar Wochen hier zu verweilen.
Ein Diener meldete, daß angerichtet sei, und die Gesellschaft begab sich zur Tafel. Man setzte sich nieder, man plauderte. Clementine war es, als erlebte sie das Alles nur im Traume, aber in einem Traume, aus dem sie zu erwachen fürchtete. Sie sah Robert wieder! Das war die stolze, hohe Gestalt, das befehlende Auge, die siegesgewisse Stirne; das war der Mund, der so kalt und eisig spotten und so unwiderstehlich sein konnte, wenn er sich zur Bitte öffnete; das war das schöne, dunkle Haar mit der Fülle seiner reichen Locken, das bei ihrem Abschiede sich auf ihre Stirn gedrückt hatte. Jeder Laut seiner Stimme war ihr bekannt, aus jedem Worte sprach sie eine beseligende Erinnerung an. Neues Leben schien für sie zu beginnen, ihr Gesicht glühte, ihr Herz schlug frei, es war ihr, als würde sie nach langem Leiden und hoffnungsloser Krankheit aus winterlicher Nacht plötzlich gesund in den belebenden Strahl der Sonne geführt, und sähe rings umher den Frühling blühen. Nicht der Vergangenheit, nicht der Zukunft gedachte sie, sie war glücklich im Moment.
Während Clementine diesem sie bewältigenden Zauber nachgab, war die Unterhaltung bei Tisch lebhaft geworden. Der Geheimrath sprach sich anerkennend über die ganze Richtung aus, die er in der preußischen Verwaltung gefunden, und die es ihm doppelt lieb mache, seine jetzige Stellung angenommen zu haben. Er wunderte sich, daß Robert, der von seiner Familie für den Staatsdienst bestimmt worden war, und die ersten Schritte dazu mit Neigung gethan hatte, sich plötzlich aus der Carrière zurückgezogen habe, und fragte ihn, was ihn dazu bewogen hätte.

Vor allen Dingen, entgegnete dieser, der Wunsch nach Unabhängigkeit. Man kann im Grunde den Staatsdienst doch nur von zwei Gesichtspunkten aus betrachten; einmal, als ein Mittel zu ehrenvoller, segensreicher Wirksamkeit, oder als ein Mittel zum Erwerb. Von beiden Seiten aber bot er mir keine Befriedigung.

Und ich hätte grade geglaubt, daß der Wunsch nach Wirksamkeit in der Verwaltung, der Sie sich gewidmet hatten, volle Genüge finden müsse, sagte Meining.
Nicht im Geringsten! versetzte Robert. Der Dienst bei der Verwaltung ist ein reines Maschinenwesen, und die niedern Beamten gleichen einer Uhr, die gehen muß, wenn sie aufgezogen wird. Glücklich genug, wenn der Uhrmacher sein Fach versteht und die Räder nicht zum Gehen zwingen will,
nachdem er die Feder zerbrochen hat.

Mich dünkt aber, daß es in Preußen an einsichtsvollen Dirigenten nicht fehle; dafür bürgt das allgemeine Fortschreiten des Staates. Wenigstens können Sie nicht leugnen, daß überall der beste Wille vorhanden ist! fuhr der Geheimrath fort.

Das leugne ich auch nicht! entgegnete Robert. Die Frage für den Staatsdiener, der sich nicht zur Maschine hergeben will, ist aber die, ob seine Ansichten von Menschenglück, von Fortschritt mit denen übereinstimmen, die ihm zu verbreiten befohlen werden. Das war nun leider nicht mein Fall. Ich sah und erkannte manches Gute, das gefördert wurde; aber mir blieb überall das drückende Gefühl eines geflissentlich gehemmten Fortschritts, und diese Halbheit machte mir meinen Beruf zur Last. Ich mochte nicht für Halbheiten mein ganzes Wirken opfern.

Das Gespräch nahm mehr und mehr eine politische Wendung, die ganze kleine Gesellschaft nahm allmälig Theil daran; selbst die Damen mischten hin und her eine Bemerkung ein, und es fiel deshalb der Hausfrau auf, daß Clementine stiller als gewöhnlich war. Auf ihr Befragen entgegnete diese, daß ihr mit dem Wiedersehen des früheren Lebensgenossen das Andenken an ihre Jugend, an Entfernte und Gestorbene erwacht sei und sie bewege. Frau von Stein fand das natürlich, aber auch der Geheimrath, der bisher sich fast ausschließlich mit Thalberg unterhalten, bemerkte, als man sich vom Tische erhob, gegen seine Frau, daß ihn ihr Schweigen überrasche. Hast Du das Sprechen heut verschworen? scherzte er – oder wärest Du unwohl, Liebe? Deine Hand ist in der That sehr kalt! fügte er schnell besorgt hinzu.

Keines von Beidem! antwortete sie, Du weißt, ich habe manchmal meine stillen Tage, an denen das Hören mir ein doppelter Genuß ist.

Nun, der soll Dir wieder werden, meine Liebe! Ich habe Herrn Thalberg eben aufgefordert, morgen den Abend mit uns Beiden zuzubringen, und ich denke, er schlägt es uns nicht ab, sagte Meining.

Im Gegentheil! ich nehme es mit Freuden an, wenn ich nicht fürchten muß zu stören! meinte Robert.
Sie werden uns sehr willkommen sein, brachte Clementine scheu hervor, und nach einer kurzen und ganz oberflächlichen Unterhaltung trennte man sich für den Abend.
Meining fuhr gegen seine Gewohnheit gleich mit seiner Frau nach Hause und drang mit einem gewissen Eifer in sie, ihm den Grund ihrer auffallenden Zerstreutheit und Theilnahmlosigkeit zu sagen. Sie entschuldigte sich wie gegen Frau von Stein und er ließ es gelten. Einen Augenblick aber hatte sie geschwankt, ob sie ihrem Manne nicht sagen solle: nimm die Einladung zurück, ich kann diesen Mann nicht wiedersehen! Dann aber fiel ihr die Unterredung ein, die sie einst mit Meining über unzweckmäßiges Vertrauen gehabt hatte, sie bedachte, daß Thalberg nur wenige Tage in Berlin bleiben, daß sie ihn, außer an dem nächsten Abende, wahrscheinlich nicht mehr sehen werde, und das beschwichtigte ihre Zweifel. Sie beschäftigte sich, um sich zu zerstreuen, den Rest des Abends mit all den kleinen Dingen, die ihrem Manne angenehm sein konnten, und erhielt sich dadurch in einer Art Heiterkeit, die auch ihn erheiterte und ihn völlig sorglos machte.

Und doch schlief sie mit dem traurigen Bewußtsein ein, ihren Mann zum erstenmale absichtlich getäuscht zu haben, und des Geliebten Bild begleitete sie auch noch in dem Traum der Nacht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine