Fünfzehntes Capitel. - Sonntagabend, Dienerschaft, Adel und Großmuth, auf den Trümmern des Glücks, Selbstsucht, zügellose Schöpfung der Phantasie und des Herzens.

Es war ein schwüler, heißer Sonntagabend, ein Gewitter lag in der Luft und drückte Clementinen’s jetzt doppelt reizbare Nerven nieder. Ein Theil der Dienerschaft hatte die Erlaubniß, den Sonntag auswärts zuzubringen, benutzt; die Uebrigen hielten sich in dem entlegenen Dienerzimmer auf, da die Geheimräthin erklärt hatte, ihrer nicht zu bedürfen. Alles um sie her war still und einsam, sie saß lange in Nachdenken versunken allein. Der Himmel wurde trüber und trüber, wie ihre Stimmung; ihr Herz war unruhig und furchtsam, wie die Schwalben, die ängstlich hin und her flatterten. Eine Spinne hatte ihr Netz in einer Ecke aufgeschlagen und spann und spann den langen, gleichen Faden unermüdlich fort, so oft er abriß, ihn auf’s Neue knüpfend – kein Laut in der Natur, außer dem heimlichen Flüstern der Bäume, die nicht aufzuathmen und sich zu regen wagten, bei der glühenden Luft. Die Wolken sanken immer tiefer zur Erde nieder. Es war ihr, als müßten sie sie erdrücken, wenn es so fortging. Sie hielt es nicht länger in den dumpfen Zimmern aus, sie hoffte frei aufzuathmen im Freien, sich selbst zu entfliehen, und ging eilig hinab in die breiten Alleen des Gartens. Aber auch hier fand sie weder die Kühlung, noch die Beruhigung, deren sie bedurfte; sie wollte Bewegung, Leben, Menschen um sich sehen. Es trieb sie mit ungewohnter Hast durch die schattigen Partien des Gartens, nach den offneren, freien Plätzen; sie näherte sich dabei der Straße und sah den Briefträger dem Thore zuschreiten, der ihr einen Brief des Geheimraths brachte.

Es war fast zu dunkel geworden, ihn im Freien zu lesen und, da sie sich nicht entschließen konnte, in das Haus zurückzukehren, ging sie in den Pavillon, wo sie für den Abend zu bleiben dachte, zündete selbst die Lichter an und setzte sich zum Lesen nieder. Je länger sie las, je bewegter schien sie zu werden; endlich legte sie den Brief fort und lehnte sich in den Divan zurück, das Gesicht in den Händen verbergend. Meining’s liebevoll sehnsüchtiger Brief that ihr mehr wehe, als die härtesten Vorwürfe es vermocht hätten. Es fiel ihr schwer, Lob zu ertragen, das sie nicht verdiente, Liebe zu empfangen, die sie nicht erwiderte, und ein Vertrauen zu genießen, das sie nicht vergelten konnte. Es wäre ihr nicht möglich gewesen, in dieser Stimmung den Brief zu Ende zu lesen, es schien ihr, als wäre er nicht an sie gerichtet. Er galt der Clementine, die Meining’s würdig war, die Anspruch hatte auf seine Achtung – das war sie nicht mehr. Hatte sie doch gestern noch Robert auf das Lebhafteste herbeigewünscht; wozu nützte der Kampf einzelner Stunden, wenn der Geliebte immer als Sieger aus demselben hervorging? Sie warf sich vor, unredlich gegen sich selbst zu sein und – auch diesmal hafteten ihre Gedanken wieder an dem Namen des Geliebten, bis sie in jenen Zustand versank, der, eben so fern vom Schlummer, als vom Wachen, nervöse Menschen nach starker, geistiger Aufregung oft befällt. Alle ihre Gedanken flossen und verschwammen in einander, bis die ganze Welt wie ein nebelgraues, unbestimmtes Etwas, das ihr fremd und vollkommen gleichgültig dünkte, vor ihrem getrübten Blicke dalag.


Da öffnet sich plötzlich die Thüre des Gartenhauses, die hohe Gestalt eines Mannes erscheint in der Thüre. Er ruft sie an mit ihrem Namen, er breitet ihr seine Arme entgegen und, widerstandlos zu ihm hingezogen, fliegt sie mit einem Ausruf des Entzückens ihm entgegen und sinkt ihm an das Herz.

Unter den Küssen des Geliebten erwacht sie an seiner Brust, und die zärtlichsten Worte der Liebe, die süßesten Thränen sagen ihm, wie warm das Herz ihm schlägt, das an dem seinen klopft.

Er bat sie nicht um ihre Liebe, er gelobte ihr die seine nicht, und doch floß das Geständniß ihrer Liebe von Clementinen’s Munde, doch hörte Robert nicht auf, der Geliebten zu sagen, wie glücklich er sei. Er ruhte zu ihren Füßen, er küßte ihre Hände, beugte ihr Haupt zu sich hernieder, und sie barg wieder wie in ihrem Traume ihr Angesicht in seinem dunkeln Haar, das sie spielend durch die feinen Finger gleiten ließ. Worte, die dem Himmel angehörten, wechselten mit kindischem Spiele, wie nur die wahre Liebe es schuldlos kennt.

Draußen war es fast Nacht geworden. Ein heftiger Regen fiel in großen, rauschenden Tropfen hernieder; fern leuchtende Blitze zuckten durch die buntgemalten Fenster und warfen sonderbares Streiflicht in das kleine Gemach. Die ängstliche Clementine suchte Robert’s Hand, wie Schutz erbittend, und er fand die zaghafte Frau lieblicher als je in dieser Schwäche.

Sieh, Geliebte! sprach er, so will ich Dich immer behüten, immer suche Zuflucht bei mir. Wie liebe ich Dich in dieser Bangigkeit, wie froh macht mich das Gefühl meiner Kraft, Dir, Du Zarte, Schwache! gegenüber. Glaube mir, alle Eure Gewalt liegt in Eurer Hülflosigkeit; werde nie muthig, nie stark, meine Geliebte! Niemals könnte ich, wie Meining, Deiner süßen Furchtsamkeit lachen; und jedes Gewitter, das über uns aufzieht, soll mir ein liebes Erinnern an diese Stunde sein. Ich will es segnen, wenn es Dich, mein Leben, künftig in den kühlen Gemächern unsres Hauses, nach Schutz verlangend, in meine Arme führt.

Und abermals wollte er Clementine an sein Herz ziehen, aber plötzlich aufschreckend machte sie sich aus den Armen des Geliebten los. Meining’s Name hatte Alles um sie her verwandelt, das Paradies ihrer Wonne versank, und die Wirklichkeit machte ihre Rechte wieder geltend. In dem Rausch der Ueberraschung, in welche das unverhoffte Wiedersehen des Geliebten sie versetzt, hatte sie Alles vergessen, hatte Nichts gedacht, als das unaussprechliche Glück, das sie ihr Leben hindurch ersehnt, von des Geliebten Munde das Geständniß seiner Liebe zu hören und ihm zu sagen, wie er ihre Welt, ihr Schicksal, ihr Alles gewesen sei von ihrer Jugend an. Nun kam das niederschmetternde Bewußtsein über sie, daß diese erste Stunde des Glückes auch sicher die einzige und letzte für sie sein werde und müsse. Aber das Verlangen ihres Herzens war befriedigt, ihre lang verschwiegene heiße Liebe war, wenn auch nur für einen Augenblick, frei und schön zur hellen Flamme emporgelodert; der tief verborgene Keim war zum Lichte durchgedrungen und hatte geblüht, zur Freude des Geliebten. Das konnte, das mußte ihr genügen, jetzt und immerdar.

Verlasse mich, gehe! bat sie plötzlich und schlang doch ihre Arme fesselnd um seinen Hals. Es ist vorbei, vorbei für immer! Er verstand sie nicht.

Ich soll Dich lassen? und in dieser Stunde? fragte er.

Kann es denn anders sein? klagte sie. Du selbst hast mit dem Namen meines Gatten mich an ihn erinnert, den ich so treulos verrathe, der es nicht ahnt, in liebendem Vertrauen, daß sein Weib Dich liebt und ihn und sich selbst in Deinen Armen, an Deinem Herzen beweint. Gehe, gehe, Geliebter, wenn Du mich liebst! rief sie noch einmal und ihre glühenden Thränen flossen auf seine Brust.

Nein! ich gehe nicht! versetzte er. Liebst Du mich denn nicht? Mußt Du nicht mein sein, weil Du mir gestanden, daß Du nur mich allein geliebt? Ich will nicht mehr leben ohne Dich, ich will es nicht, Du sollst nicht hinsterben in fruchtlosen Kämpfen. Leben sollst Du für mich, für mich allein. Denkst Du wohl jenes Abends, als Dein müdes Haupt in den Blättern der Cala sich barg, wie hart ich war, wie ungerecht der Zweifel an Dir mich damals machte? Jetzt, da ich Deiner sicher bin, jetzt, da ich Meining und den Adel seines Sinnes kenne –

Nicht weiter, ich beschwöre Dich, flehte Clementine, Meining liebt mich, ich weiß es und ich kenne seine Großmuth – aber dringe nicht in mich, jetzt nicht. Verlasse mich nur jetzt, nur heute, morgen hörst Du von mir – gewiß, nur jetzt laß mich allein.

Ich höre von Dir? und werde ich Dich nicht sehen? Kannst Du Dich mir nach so langem Entbehren, nach so kurzem Glücke so schnell entziehen? Glaubst Du, daß ich einwilligen werde, mir auch nur einen Augenblick die Wonne Deiner Gegenwart rauben zu lassen, jetzt da Du wieder mein bist? Nein, morgen in aller Frühe bin ich wieder hier, morgen und alle Tage will ich’s in Deinen Augen lesen und an Deinem Herzen empfinden, daß die Welt die Mühe des Lebens vergelten, überreich vergelten kann, in einem Herzschlag. Nur in der Hoffnung gehe ich. Und so gute Nacht, mein schönes, holdes Glück. Denke auch im Traume an mich – ist es mir doch selber wie ein schöner Traum, daß ich Dich wieder gefunden habe, daß Du mir wieder leuchtest, Du lieber Stern aus meiner Jugendzeit; nun gehe mir niemals, niemals wieder unter. Und nun lebe wohl und ruhe sanft, Du holdes, süßes Weib!

Noch einmal sanken sie einander in die Arme, noch einmal hob er die Geliebte zu sich empor, und ruhten Herz an Herz und Mund an Mund. Noch ein langer Kuß, in den sie alle Gluth, alle Liebe ihres Lebens preßte, noch ein kurzer Augenblick voll Wonne, und Clementine war allein – allein mit der Ueberzeugung, auf dem Gipfel ihres Lebens gestanden zu haben, entschlossen, den Weg, der ihr zu machen blieb, unerschütterlich fest fortzuwandeln, reich durch das Andenken an diese Eine nun entschwundene Stunde.

Schlaflos verging ihr die Nacht, sie rang vergebens nach einem Entschlusse. Bald hielt sie es für nöthig, ihrem Manne Alles zu bekennen, seine Vergebung zu erflehen und ihr Schicksal in seine Hände zu legen, dann wieder schien es ihr eine heilige Pflicht, ihm Alles zu verschweigen wie bisher. Robert baute seine Hoffnungen auf ihre Trennung von ihrem Manne, und wider ihren Willen sah sie sich in Hochberg neben und mit ihm wirken. Sie empfing ihn, wenn er Abends zurückkehrte, sie theilte seine Leiden, seine Freuden, sie sah ihn glücklich an ihrer Seite, sich selber glücklich neben ihm – aber konnte sie jemals glücklich werden? Konnte sie sich losreißen von dem Manne, von dessen Leben sie seit Jahren ein Theil gewesen war? Er war ihr Gatte, hatte ihr in all den Zeiten, die sie mit einander verlebt, mit sorglicher Liebe angehangen; sie war seine Freude, sein Glück, er hatte sie geehrt mit vollem Vertrauen! Sollte er sie verachten müssen? Sollte er einsam und allein in seinem Alter bleiben, weil sie mit kalter Selbstsucht auf den Trümmern seines Glückes ihr Haus gebaut? Es war eine lange dunkle Nacht, die sie durchwachte, aber der Tag brach endlich an, und mit ihm traten die Vernunft und das Gefühl der Pflicht, die Herrschaft über die zügellosen Schöpfungen der Phantasie und des Herzens wieder an. Als sie sich am Morgen von dem Lager erhob, war sie mit sich einig.

Der frühe Morgen brachte ihr von dem Geliebten Kunde.

Ich kann die Zeit nicht erwarten, Du Theure, schrieb er ihr, in der ich Dich wiedersehen darf, ich muß Dein denken, mit Dir sprechen, um sie zu verkürzen. Jene Besorgniß, die uns überfällt, jene Unruhe, die uns aufregt, wenn wir nach langer Abwesenheit in die Heimath kehren und die bekannten Thürme der Vaterstadt uns sichtbar werden – dieser Unruhe kann ich jetzt nicht Herr werden, da ich mich endlich dem Ziele meines Lebens, der Erfüllung meiner sehnlichsten Hoffnungen, der geliebten Heimath meines Herzens nähere. Ich möchte bei Dir sein, Deine Hand in der meinen halten und in dem warmen Lichte Deiner Blicke die schöne Gewißheit Deines Besitzes fühlen. Als ich gestern tief in Deine Augen blickte und mein Bild so klein und beweglich sich darin wiederspiegeln sah, bin ich eifersüchtig geworden bei dem Gedanken, so klein und flüchtig könne mein Andenken in Deinem Herzen sein; nun aber verstehe ich das besser. So gewiß, so klar und so deutlich mein Bild, in vollkommner Gleichheit mit mir selbst, mich aus Deinem Auge verschönert anblickt, so wird jeder Gedanke, jedes Gefühl meines Daseins, mir, vollkommen verstanden, gleich gefühlt und doch unendlich schöner wiedergegeben, wenn es durch die läuternde Atmosphäre Deines Herzens, Deines Geistes gegangen ist. Ja! mein theures Herz! unsre beiden Seelen sind nur Eine, nur zusammen können wir das höchste Ziel erreichen, das uns zu erreichen möglich ist. Und wie froh, wie frei macht mich das Gefühl, daß ich in Dir den schönsten Preis des Lebens, Dich, Dein Herz, Deine Liebe wieder errungen habe, die nun mein sind für ewig. Wie kann ich Dir danken, wie Dich die Jahre von Schmerz und Kummer vergessen machen, die ich in unglücklicher Verblendung über Dich verhängt hatte? Nur das beruhigt mich, daß eine Liebe, wahr und stark wie meine, Alles ausgleicht, daß es kein Opfer gibt, keines, meine Clementine! das ich Dir nicht mit Freuden zu bringen im Stande wäre, wenn Dein Glück es erheischt.

Und nicht wahr? Du hast vergeben, Du denkst nur mit Liebe an mich? Glaube mir, jetzt ist Alles gut. Ich fühlte es gestern, als Du in meinen Armen ruhtest, als Dein Haupt auf meine Schulter sank: die Nacht des Leidens ist vorüber, und eine schöne Zeit wird uns werden. Nun erst werde ich mein Land lieben, ganz anders lieben, weil es den heimischen Herd enthält, an dem Du waltest; mit ganz anderm Sinne werde ich für die Zukunft säen und wirken für ein Geschlecht, das nach uns lebt – o! eine schöne Zeit wird uns jetzt werden. Möge sie Dir mit dem heutigen Tage beginnen. Wirf Alles von Dir, was Dich ängstigt und quält, Geliebteste! Die Hindernisse irdischer Verhältnisse müssen vor der Gewalt unsrer Liebe schwinden. Noch wenig Tage vielleicht, und wir sind unzertrennlich vereint. – Fühlst Du wie ich die Wonne dieses Gedankens? An die Zeit denke, wenn wir uns heute wieder sehen, meine Clementine! und wünsche sie so sehnlich herbei als ich, der nach Dir verlangt mit aller Gluth und Liebe, welcher ein Menschenherz fähig ist. Ich möchte ein Gott sein, wenn Götter stärker zu lieben vermögen, als wir, um Dich so glücklich zu machen durch meine Liebe, als ich es wünsche, um Dir das Geschenk Deines Herzens zu danken. Auf baldiges, seliges Wiedersehen, Geliebte! Noch zwei Stunden, ehe ich Dich sehe – wie lange ist das noch, und doch wie kurz gegen die lange Zeit, die ich Dich entbehrte. Ganz und immer Dein.

Ruhig, wie ein abgeschiedener Geist auf die Erde blicken mag, sah Clementine auf diesen Brief; sie war unwandelbar entschlossen. Sie hatte eine Stunde des höchsten Glücks empfunden, nun fühlte sie die Kraft zu entsagen.

Die Worte Deiner Liebe, schrieb sie, haben mir unbeschreiblich wohl gethan und den reinsten Wiederhall in meiner Brust gefunden. Fest, wie an das Dasein Gottes glaube ich an Deine Liebe und in diesem Vertrauen fordre ich von Dir das Opfer, das mich das schwerste dünkt. Wir dürfen uns nicht wieder sehen, mein Freund! weil wir nicht für einander leben dürfen.

Höre mich ruhig an, Du Geliebter! Mehr als ich es Dir sagen könnte, muß Dich gestern die Freude, welche mir Dein Wiedersehen bereitet, von meiner heißen Liebe überzeugt haben. Kein trüber Gedanke hat mir die Seligkeit gestört, das Geständniß Deiner Liebe von Deinem Munde zu hören, mein höchstes Glück in Deiner Freude zu genießen. Was der sehnlichste, einzige Wunsch des Mädchenherzens war, Deine Liebe, Du hast sie der Frau gewährt, die sie Dir nicht lohnen darf. In den Jahren, die unsrer Trennung folgten, von Zweifeln an Dir gequält, von Dir entfernt und mich selbst aufgebend, habe ich Tage des herbsten Schmerzes verbracht, die nun alle ausgetilgt sind aus meinem Leben durch eine Stunde des Glückes, und diese Stunde werde ich Dir ewig danken; wie in dieser Stunde soll mir Dein geliebtes Bild gegenwärtig bleiben.

Die Deine aber werde ich nie. Ich darf mein Glück nicht auf Kosten der Ruhe und Ehre eines Mannes erkaufen, der mir sein Glück und seine Ehre anvertraut, mir seinen unbefleckten Namen gegeben hat. Kann ich die Liebe, die er für mich hegt, gewaltsam seinem Herzen rauben? Darf ich, die Jahre hindurch seine Gefährtin war, ihn verlassen, da das Alter sich ihm naht? Soll ich ihn dem Gespötte preisgeben, das grausam jeden verrathenen Ehemann verfolgt? Soll die Welt ihn verlachen, weil er großmüthig mir vertraute, obgleich er durch mich selbst wußte, daß mein Herz nicht ihm allein gehören könne? Du weißt es nicht, wie zart, wie schonend er mich behandelt, wie vollkommen er meine Achtung, meinen Dank verdient hat. Ob er mir verzeihen wird? ich weiß es nicht – nur das fühle ich, daß ich mit mir gerungen habe, Tag und Nacht, mit festem Willen, um Dich aus meinem Herzen zu reißen, daß ich vor Gott mich schuldlos fühlen darf und selbst die Stunden nicht bereue, die ich gestern mit Dir verlebt, und die mich über eine freudlose Vergangenheit trösten, für eine schwere Zukunft entschädigen sollen.

Ich lege mein Loos in Meining’s Hände; er mag mir vergeben, mich von sich weisen – Dein werde ich nie, auch dann nicht, wenn es mir beschieden wäre, meinen Gatten zu überleben. Sieh darin keine Schwärmerei, keine Ueberspannung: ich halte die Ehe, Du weißt es, für ein unauflösliches, ewig bindendes Band. Das Weib ist kein todter Besitz, der heute aus den Händen des Einen in die des Andern übergeht; ganz, ungetheilt, frei und frisch an Geist und Leib muß sie dem Manne gehören. Daß ich mit getheiltem Herzen Meining’s Frau wurde, das ist das Unrecht, welches mein Leben zerstört und alle meine Leiden und auch jetzt die Deinen hervorgerufen hat. Ich that es, weil man mich überredete, es sei Pflicht; weil ich glaubte, ich könne Dein vergessen und frei werden.

Noch einmal einen gleichen Schritt zu thun, die gleiche Sünde gegen Dich zu begehen, bewahre mich Gott. Eben so wenig, als ich es vermocht, Dich zu vergessen, so wenig würde das Andenken an Meining je für mich aufhören. Könntest Du eine Frau lieben, die ihres Gatten zu vergessen im Stande wäre? Willst Du ein Weib, das selbst in Deinen Armen an den Verrath denken würde, den es begangen hat? dem die Ruhe an Deinem Herzen durch Gewissensbisse vergällt wäre?

Täusche Dich nicht, Geliebter! so würde es sein. Ich, gequält von inneren Vorwürfen, Meining einsam und verhöhnt, sein Name, für dessen Ruhm er Jahre lang gearbeitet, den selbst Neid und Bosheit nicht anzutasten wagten, entehrt durch seine Frau – und Du? Ich fühle, was ich Dir einst hätte sein können, kann und wird Dir keine Andre werden – was ich Dir jetzt noch werden könnte? Mein Herz zieht sich zusammen bei dem Gedanken, daß ich selbst mich um das Glück gebracht, Dich so zu beglücken, als ich es gehofft. Jetzt wäre ich zweifach elend, denn ich würde Dich unglücklich sehen durch mich, und auch Deine Ehre wäre verloren. Oder ertrügest Du es ruhig, zu hören: das ist Thalberg, wegen dessen sich Meining von der Frau geschieden, die Thalberg jetzt geheirathet hat. Und die lächelnden Blicke, welche solche Worte begleiten – o! es wäre ein Fluch, der über uns schwebte, gegen den wir keinen Schutz, auch nicht in unsern Herzen fänden.

Traure um mich, Geliebter! wie ich Dich beweinen werde. Heute sterben wir für einander, und nur wie man der theuren Todten gedenkt, laß uns an einander denken. Die Thränen auf diesem Blatte zeigen Dir, ob ich das Opfer fühle, das ich bringe, das ich verlange. Es sind die letzten Augenblicke, die ich mit Dir verlebe. Ich möchte mein ganzes Herz Dir zeigen, wie es Dein ist und Dein war; Du weißt es und fühlst es, wie schwer es mir wird, zu scheiden. Ich habe Dich so unaussprechlich geliebt.

Lebe denn wohl Geliebter, mein Leben, mein Glück! – Ich nehme Dich bei dem Worte, daß kein Opfer Dir zu schwer sei für mich. – Versuche es nicht, mich zu überreden; es gelingt Dir nicht. Ich rechne darauf, daß Du noch heute die Stadt verläßest, daß Du es nicht versuchst mich wiederzusehen, weil Du mich liebst.

Und nun Gottes schönster Segen über Dich! Möge eine reiche Zukunft Dich für den Schmerz dieses Scheidens entschädigen. Denke mein oft, wie einer Schwester, der Dein Glück tiefstes Bedürfniß ist; mögest Du das Glück finden, das Du von mir erwartet hast! Lebe wohl, und denke ohne Sorge an mich. Jetzt werde ich Ruhe haben. Ich habe das schönste Glück empfunden, ich konnte es besitzen und opfre es meiner Ueberzeugung, das wird mir Frieden geben. Gott sei mit Dir auf allen Deinen Wegen, mein Geliebter, mein Freund! und nun lebe wohl.

Mit bebenden Händen wurde das Blatt gesiegelt und dem Diener übergeben. Es war geschehen. Tief athmend ging Clementine auf und nieder, und ein Friede, wie sie ihn lange nicht gekannt hatte, machte sie das, was sie für Pflicht erachtet, leichter tragen. Jetzt wollte sie Alles beenden, sie wollte sich vor ihrem Manne demüthigen, wie es ihr gebührte, er sollte sie nicht für fehlerloser halten, als sie war, und wie sie sich selber kannte, sollte er sie kennen, und entscheiden über sie.

Ich habe gestern Deinen Brief erhalten, schrieb sie ihm, und er hat mich gerührt und beschämt, denn ich habe mich vor Dir anzuklagen. Ich habe es nie vermocht, meine Fehler zu beschönigen, und so will ich auch vor Dir, vor meinem Manne, nicht besser scheinen, als ich es bin.

Du weißt, als Du mir Deine Hand angetragen, zögerte ich sie anzunehmen, nicht aus Mißtrauen gegen Dich, sondern gegen mich selbst. Ich habe Dir es nicht verborgen, daß ich einen Andern geliebt, daß sein Andenken mir noch sehr theuer war – aber ich hatte Dir versprochen, dagegen zu kämpfen, und das habe ich redlich gethan. Trotz Deiner Liebe, trotz meines festen Willens, ist diese Leidenschaft nicht erstorben, sie ist neu erwacht, als ich den Gegenstand derselben, den ich kaum zu nennen brauche, wieder gesehen habe. Vielmals hat das bekennende Wort auf meinen Lippen geschwebt, ich habe Dich um Schutz gegen mich anflehen wollen; aber Dein ausdrückliches Verbot, Dein Widerwillen gegen solches Vertrauen hat mich zurückgehalten, und mehr noch, daß ich Dich, den ich von Grund der Seele ehre und achte, nicht betrüben wollte. Deine Zufriedenheit, Dein Glück waren der Zweck meines Lebens geworden, und ich mochte Dir nicht Schmerz bereiten, weil ich hoffte, allein den Sieg zu gewinnen.

Seit acht Tagen ist Thalberg zurückgekehrt und hat täglich versucht, mich zu sprechen, was ich ihm nur verweigerte, weil ich es mußte. Gestern ist er unerwartet zu mir gekommen; ich habe das Geständniß seiner Liebe gehört, ich habe ihm gesagt, daß ich ihn liebe, und ich bekenne Dir das offen, weil ich mich frei vor Gott und vor Dir fühle. Daß ich nicht willig dieser Leidenschaft gefröhnt, daß ich mit aller Gewalt mich zu befreien gestrebt, dafür bürgt Dir Deine Kenntniß meines Herzens, meine Achtung vor unsrer Ehe und meine gebrochene Gesundheit. Du hast ein Recht die Wankelmüthige von Dir zu weisen, mir Deine Liebe zu entziehen, aber Du mußt mir Deine Achtung erhalten; denn jetzt habe ich entsagt und für immer. Halte das nicht für leere Worte, welche Dich bestechen sollen; erst jetzt bin ich ganz frei, erst jetzt bin ich mit reinem Bewußtsein Dein, während am Tage unsrer Hochzeit das Andenken an Thalberg störend zwischen Dir und mir stand. Ich fühle mich unzertrennlich an Dich gebunden und würde mich noch als zu Dir gehörig betrachten, wenn Dein gekränkter Stolz mich verstieße. Dein Herz kann es nicht. Du kannst mich Das nicht wie ein Verbrechen büßen lassen, was ich gegen meinen Willen empfand; Du kannst mir Dein Vertrauen nicht entziehen, weil ich mich dessen nicht unwürdig fühle.

Und nun, mein Freund! mein guter, milder Freund! kennst und weißt Du Alles; gewähre mir Mitleid mit meiner Schwäche und erhalte mir, wenn Du es vermagst, Deine Liebe. Ich sage Dir nicht Alles, was ich für Dich fühle, nur als Bittende wende ich mich an Dich, und ich wünsche und hoffe, Du werdest Deinem Weibe kein strengerer Richter werden, als Du es sonst dem Menschenherzen zu sein pflegtest. Eine schwere Krankheit hat lange in mir gelegen, die Krisis ist vorüber, und ich werde genesen, ich fühle es. Du, der mit der Kranken so viel Nachsicht gehabt, Du wirst die Genesende nicht verlassen, die gesund werden will und wird, um für Dich zu leben.

Vergib mir und sage mir bald, daß ich Dir noch werth sei, daß Du meine Stütze und mein Freund bleiben willst. Schreibe mir bald, ich verlange sehr nach diesem Briefe, und vergib mir, was ich, wissentlich oder nicht, Unrecht an Dir that. Vergib es mir, weil ich mir selbst vergeben möchte, und laß mich Deine Clementine bleiben.

Auch diesen Brief wollte sie sofort befördern, doch fand es sich, daß die Post nach J.... erst am folgenden Tage abgehe und daß er also noch liegen bleiben müsse. Dadurch gewann sie Zeit, an den Eindruck zu denken, den ihr Schreiben auf Meining hervorbringen würde, auf ihn, der vollkommen arglos an sie und ihre Liebe glaubte. Wie würde es ihn betrüben, wie unglücklich würde es ihn machen! Sie hatte ihm ihr Herz enthüllt, um sich selbst genug zu thun; jetzt empfand sie, daß in dieser Handlung weit mehr Selbstsucht als Tugend läge. Um sich zu beruhigen, um ihr Gewissen zu besänftigen, raubte sie Meining, von dessen Vergebung sie überzeugt sein konnte, die sie mit Recht zu verdienen glaubte, seine Ruhe. Was konnte die Folge von diesem Briefe sein? Sie nahm ihrem Gatten seine Zuversicht, sie zwang ihn zu einem Argwohn, der ihn selber demüthigen mußte, und stellte sich ihm als ein Opfer, als ein Muster von Entsagung gegenüber, nachdem sie eben nur ihre Pflicht gethan hatte. Und sie war bereits mit sich darüber einig, schweigend, wie sie gegen ihren Mann gefehlt, auch zu ihm zurückzukehren. In dem Augenblick brachte man ihr noch einen Brief von dem Geliebten.

So sei es! weil Du es willst! hieß es in demselben. Ich scheide von Dir, weil Du’s gebietest. Du hast Recht, jetzt ist’s zu spät. Ich habe unser Glück einst freventlich vernichtet und vermag nicht mehr, es uns auf’s Neue zu bereiten, obgleich ich Dich mehr liebe, stärker, heißer als je. Wie sehr liebe ich Dich! – Und muß ich erst nun, da die schwere Stunde solcher Trennung vor uns steht, es erkennen, daß Du noch viel reiner und größer bist, als ich selbst in den begeistertsten Augenblicken es für möglich hielt? Warum, schöner Stern, stiegst Du noch einmal in aller Pracht Deines Glanzes an meinem Lebenshorizont empor, wenn Du mir untergehen mußt für immer? Doch nein! Du bleibst! Du bleibst das klare Licht, auf das mein Auge blickt, das seine leuchtenden Strahlen in meine Seele wirft, wenn ich im Gewühl der Welt den Glauben an die Menschen je verlieren könnte. Du bist! – und wer darf zweifeln an der Göttlichkeit des Menschen.

Ich scheide von Dir! Du fühlst wie ich, was dieses Wort bedeutet; was es heißt: zu entsagen. Darum soll kein Wort der Klage die heilige Stunde unsers Abschiedes entweihen. Wie jene selige Insel, die nur einmal in Jahrtausenden aus dem Meere taucht und deren Anblick dem Auserwählten Paradieses-Wonne bereitet, dem sie zu schauen vergönnt ward, so taucht das Andenken an die Stunden, die ich gestern mit Dir verlebt, ewig beseligend aus dem Meere meines Lebens empor. Du hast mich reich gemacht, Geliebte! reich für immer, denn wer vermag zu lieben wie Du! – Weh mir, daß ich selbst unsre Welt zerstört!

Lebe denn wohl, Geliebte! laß mich Dir danken für die Gunst Deiner Liebe, für das kurze und doch so unvergeßliche Glück. Unvergeßlich und doch so flüchtig, gleicht es jener stolzen Blume, die nur eine Stunde blüht, weil diese eine Stunde vollendeter Schönheit herrlicher ist, als das ganze, matte Leben aller andern Blumen. Lebe wohl, schöne, hohe Königin der Nacht, Geliebte meiner Jugend, Sehnsucht aller meiner Tage. Laß uns fortgehen auf der Bahn, die Du für uns gewählt hast und die ich gleich Dir betrete. Wir haben die reinste Freude des Lebens gekannt – laß uns in Anderem das Glück suchen, das wir freiwillig opfern. O! nur noch einmal laß es mich sagen, nur noch dies eine Mal höre es an, daß ich Dich liebe, wie nur je ein Weib geliebt ward, Dich, meine Clementine! Und damit nun für immer Lebe wohl!

Stumm drückte Clementine den Brief gegen ihr Herz, aber keine Thräne kam in ihre Augen. Sie hatte sich selber wiedergefunden, ein Werk der Befreiung geübt an sich und an den beiden Männern, zwischen denen ihr Schicksal sie gestellt.

Sie war wie zu neuem Leben geboren. Sie konnte an Thalberg denken ohne die stürmische Unruhe der Leidenschaft, ohne die peinigenden Vorwürfe des Gewissens, ohne die Sehnsucht, die ihn herbeiwünschte und sich deshalb verdammte; und selbst auf Meining’s Rückkehr sah sie mit Zuversicht, weil sie sich seiner wieder würdig fühlte. Es war ihr feierlich zu Sinne, als sie Robert’s Briefe und den, welchen sie für ihren Mann geschrieben, zusammen in die Lade ihres Schreibtisches verbarg. Dort sollten sie unberührt liegen, wie jene Dokumente, die man unter dem Grundstein eines neuen Baues birgt, denn auch sie fing an zu bauen für die Zukunft, mit dem frömmsten Sinne, und mit der Hoffnung auf die Dauer dessen, was sie schaffen wollte.

Am andern Tage, als sie, nicht ohne Wehmuth, den Gartensaal betrat, fand sie noch Meining’s Brief dort liegen, den sie in der Aufregung jenes Abends nicht zu Ende gelesen und dort vergessen hatte. Mit welch andern Empfindungen las sie ihn jetzt! Ja, selbst die Nachricht, daß er früher wiederkehren würde, daß sie ihn in vierzehn Tagen erwarten könne, war ihr lieb, und sie fing an, Alles für seine Heimkehr herzurichten, wie die Erlebnisse der letzten Tage auch noch in ihr nachhallten.

Der wiedergewonnene Seelenfriede verfehlte nicht, seinen wohlthätigen Einfluß auf Clementine zu äußern. Er brachte ihren Nächten Schlaf und ihren Nerven Ruhe, so daß ihr Gatte, als sie ihm bei seiner Heimkehr freundlich, wenn auch mit klopfendem Herzen, entgegenkam und ihm dann weinend um den Hals fiel, sie weit wohler fand, als an dem Tage, an dem er sie verlassen hatte. Er war froh sie wieder zu sehen, und nur das verdroß ihn, daß sie von Zeit zu Zeit seine Hand, die in der ihren ruhte, mit Innigkeit an ihre Lippen drückte, statt seine Umarmung zu erwidern.

Als dann im Sommer Frau von Alven anlangte und das gute Einverständniß der Eheleute sah, konnte sie sich nicht enthalten, ihrer Nichte im engsten Vertrauen zu bemerken, es käme immer und überall nur darauf an, daß Mann und Frau sich wirklich verständigen wollten, denn eine glückliche Ehe zu führen, das habe jede Frau in ihrer Hand. Du wärst mit keinem Manne so glücklich geworden, als mit Meining, sagte sie, selbst mit Thalberg nicht, der Dir bei Deiner Verheirathung doch noch sehr am Herzen lag.

Clementine entgegnete Nichts darauf. Sie hatte ihre eigenen Erfahrungen für sich. Ein paar Jahre später erlangte der Einfluß des Geheimraths die Berufung seines Schwagers nach Berlin, und als Marie die Schwester wiedersah und das gegenseitige Fragen und Erzählen erst im Zuge war, rief Marie mit einem Male: Die neueste Neuigkeit bringe ich aus Wiesbaden mit. Ich habe dort Thalberg wieder gesehen. Was für ein schöner Mann ist der geworden! Auch seine Braut ist frisch und läßt Dich vielmals grüßen. Sie sagt mir, Du hättest sie mit Thalberg bekannt gemacht. Sie werden gleich nach der Hochzeit für Jahr und Tag auf Reisen gehen, weil Thalberg es so will. Aber Clementine, sagte sie, sich unterbrechend: wie Du ernsthaft wirst! Wir Frauen sind doch närrische Geschöpfe! Ich glaube, lieber Meining! meine Schwester wundert sich noch heute, daß Thalberg, der in frühster Jugend eine Neigung für sie hatte, die sie theilte, sich nach zehn, zwölf Jahren endlich entschließen kann, eine Andere zur Frau zu nehmen. Sage einmal selber, Schwester, ist’s nicht so?

Clementine schwieg, aber Meining drückte ihre Hand und sagte, als sie später allein waren, sehr bewegt: Treues Herz! jetzt weiß ich, woran Du vor zwei Jahren erkranktest und woran Du littest. Wohl uns, daß Du genesen bist!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine