Elftes Capitel. - Tagebuch, Weihnachtsabend, Hausgenossen, Winterfreuden, Herzens-Tante, Grillen und Klagen.

Aus Clementinens Tagebuch.

Am zweiten Weihnachtsabend. Gott im Himmel! womit habe ich mein Loos verschuldet? Wie wage ich es noch, Meining in das Auge zu sehen, mich auf seinen Arm zu stützen, während mein Herz Nichts mehr kennt, als jene unglückselige Liebe? Ach, ich hätte mich so gern getäuscht; ich wollte mich überreden, daß ich ihn jetzt mit Ruhe sehen, daß er mir ein Freund werden, daß er mein armes, einsames Leben verschönen könne. Und ein Kind mit seiner Einfalt muß mir die Falschheit meines Herzens aufdecken. Arme, kleine Emma! was kannst Du dafür?


Ich wollte ihn nicht mehr sehen; aber wie soll ich das machen, ohne Meining’s Aufmerksamkeit zu erregen? So muß ich ihm täglich begegnen, mich verstellen, lügen und kalt scheinen, während die heißeste Liebe mich zu ihm zieht, während ich fühle, wie er mich liebt. Und ich habe keine Wahl! Ich muß fortschreiten auf dem Wege des Trugs! Meining’s Frieden, seine Ruhe müssen erhalten werden, Robert darf es nie erfahren, wie ich ihn liebe, wie ich meine Pflicht verletze. Ein Weib, die Frau eines so edlen Mannes, die einen Andern liebt! Wer mir das je als möglich vorgestellt hätte! – Und wie soll es enden!

Den 28. Dezember. Der Wind tobt durch die Straßen und peitscht den Schnee vor sich her. Es ist so todt und kalt in der Luft; auch mir ist es fröstelnd und bang. Meining ist nicht zu Hause; ich wollte, er käme zurück und bliebe bei mir, denn ich fürchte mich allein vor mir selbst. Ich wollte lesen und vermochte es nicht; die Kinder, die ich holen ließ, sprachen von Onkel Thalberg, von dem mein Herz ohnehin schon laut genug spricht. Dann wollte ich mich zerstreuen und sah auf die Straße hinaus; eine arme Frau ging vorüber, starr und weinend vor Kälte. Ich ließ sie hereinholen, wärmen, speisen und kleiden – wohl ihr, daß man ihr helfen kann. Mir kann Niemand helfen!

Den 2. Januar. Mir träumte die ganze Nacht von Dir. Ich saß mit Dir und den Kindern, und wir sahen aus den Fenstern auf das Meer, das auf- und niederwogte, und Du wickeltest mein Haar zu Locken um Deine Hand, immer neue bildend und die frühern zerstörend. Darauf erzähltest Du von Deinen Reisen und Deinem Leben und sagtest: wir sind uns schon früher begegnet, da haben wir uns geliebt, und Du liebst mich noch, Clementine. Nun fing ich bitterlich an zu weinen. Du aber küßtest mein Haar und führtest mich hinab an’s Meer. Schweigend und ruhend auf Deinem Arme, wandelte ich auf und ab mit Dir, und Du zogst lange, weiße Perlenschnüre aus den Wellen, und schmücktest mein Haar, daß mir die vollen Perlenreihen bis an das Herz niederreichten. Da wurde mir entsetzlich bange, und ich sagte: aber Perlen bedeuten ja Angst und Thränen? und Du lächeltest trübe und sprachst: erwartest Du es anders?

Ich wachte auf, in Thränen gebadet. Gott selbst wollte mich warnen im Traume. Was soll ich thun?

Clementine an Frau v. Alven.

Berlin, den 3. Januar 1840.

Glück auf zum neuen Jahre, meine gute Tante! und möge es uns nichts Uebles bringen. Hast Du mich denn ganz vergessen, daß auch kein Wort mehr von Dir zu hören ist? Ich sprach noch gestern mit Meining davon, der Dich leider noch immer nicht kennt; und wir überlegten, ob es nicht möglich wäre, daß Du jetzt für einige Zeit zu uns kämest. Mir geschähe der größte Gefallen damit, denn ich habe seit Jahren Nichts so sehnlich gewünscht, als wieder mit Dir, Du treue Freundin, zusammen zu sein. Auch weiß ich eigentlich nicht, was Dich davon abhalten könnte, recht bald zu kommen, damit Du noch einen Theil der Winterfreuden und das beginnende Frühjahr mit uns genießen könntest.

Du hast es mir immer abgeschlagen, uns in Heidelberg zu besuchen, unter dem doppelten Vorwande, die Reise sei zu weit, und Eheleute müßten erst Jahr und Tag allein mitsammen leben, ehe sie an einen Hausgenossen denken dürften. Beide Rücksichten fallen jetzt weg, und ich fange getrost an, Deine Wohnung bei uns einzurichten. Du sollst die Zimmer haben, die Du früher bewohntest; Alles soll an der alten Stelle stehen, und Deine Clementine hat auch die alte Liebe für Dich.

Komm Herzens-Tante! ich bin so viel allein, ich habe Grillen, die ich nicht bannen kann; ich muß Dir Vieles sagen, ich bedarf dringend Deines Rathes, also laß Dich nicht vergebens bitten und erwarten.

In acht Tagen könntest Du hier sein, wenn Du noch die gute, flinke Tante wärest. Meining, der immer sehr gütig gegen mich ist, bittet mit mir um Deinen Besuch und empfiehlt sich Dir bestens; so auch die Generalin und alle Deine übrigen Freunde, die sich ein Fest daraus machen, Dich wiederzusehen. Schreibe mir, welchen Tag Du einzutreffen denkst, gute Tante! Wir kommen Dir, wenn es Meining’s Geschäfte erlauben, bis zur ersten Station entgegen oder schicken Dir mindestens unsern Wagen und Diener. Aber komme bald, denn ich bedarf Deiner in der That.

Frau v. Alven an die Geheimräthin v. Meining.

St...., den 12. Januar 1840.

Mein liebes Kind! ich wünsche gewiß ebenso sehr als Du, daß es uns vergönnt würde, eine Zeit mit einander zu verleben; leider müssen wir aber den Plan noch für eine Weile hinausschieben, da ich nicht wohl genug bin, jetzt an eine Reise zu denken. Indeß will ich mich so rüsten, daß ich bei der nächsten gelinden Witterung mich auf den Weg mache, und so wollen wir Beide um einen milden Winter bitten.

Was Du mir von Grillen und Klagen schreibst, das kann ich nach diesen unbestimmten Ausdrücken nicht verstehen; will es auch nicht, falls irgend etwas Deinen häuslichen Frieden gestört hätte. Dergleichen kommt wol in jeder Ehe vor, und man muß sich nur hüten, ein Wort davon, auch gegen die beste Freundin, laut werden zu lassen. Der Frieden stellt sich oft gar leicht wieder her; das ausgesprochene Wort kann aber nie zurückgenommen werden und ist nur zu oft eine Saat, die böse Früchte trägt. Meining ist, wie Du mir selbst sagst, gut und brav und liebt Dich. Mußt Du Dich also aussprechen, ist es Dir Bedürfniß, so sei es gegen ihn. Suche mit ihm und Dir selbst in’s Reine zu kommen, und – wenn Du dulden mußt, dulde schweigend. Das ist der einzige Rath, den ich für verheirathete Frauen habe.

Im Frühjahr sehen wir uns, wie ich hoffe, wieder; mögen dann mit dem Winter auch Deine Grillen verschwunden sein. Du warst ein kluges, kräftiges Mädchen; halte Dich, wie eine brave Frau soll, und schweige, mein Kind! damit Du in den Himmel kommst. Gott erhalte Dich, und gebe uns ein frohes Wiedersehen, wie es herzlichst wünscht Deine treue Tante.

Dieser Brief verursachte Clementinen die lebhafteste Betrübniß. Sie hatte in der Verwirrung ihrer Seele keinen andern Ausweg gewußt, als die Tante zu ihrem Beistande herbeizurufen. Robert gänzlich zu vermeiden, war in ihren Verhältnissen unmöglich, ohne daß Meining es bemerkte; fast täglich traf sie mit dem Geliebten zusammen und litt unsäglich, wenn sie ihren Gatten so freundlich gegen Thalberg sah. Sie hätte Meining Alles bekennen mögen, ihn bitten, mit ihr fortzugehen, damit sie dieses Elends ledig würde. Je mehr ihr Herz an Robert hing, je mehr Liebe sie dadurch ihrem Manne entzog, je mehr fühlte sie das Bedürfniß, demselben dienstbar zu sein, sich vor ihm zu demüthigen, und ihn durch jede mögliche Aufmerksamkeit für die entzogene Liebe zu entschädigen. Wenn dann Meining erfreut und dankbar für so viel Zuvorkommenheit und Güte, sie in seine Arme schloß oder sie küßte, hätte sie vor Scham vergehen mögen; besonders wenn sie bemerkte, wie dann Robert’s Auge auf ihr ruhte, wie er die Farbe wechselte, und düster wurde und nicht Ruhe fand, bis Meining sich entfernte.

Auf die Tante war ihre letzte Hoffnung gerichtet. Dieser ruhigen Frau ihr Leiden zu klagen, schien ihr der einzige Trost, und da Frau von Alven nur wenig ausging, hoffte Clementine darin eine Entschuldigung zu finden, wenn sie selbst sich in ihre Häuslichkeit zurückzöge. Aber Frau von Alven verweigerte für’s erste den Besuch, Clementine blieb mit ihrem Kummer allein, und wußte Nichts zu thun, als die Kreise, in denen sie Robert zu begegnen glaubte, so wenig als möglich zu besuchen.

Anfänglich schien Thalberg das zu billigen, und nur die unverkennbare Freude, mit der er sie jedesmal wiedersah, verrieth ihr, wie schwer er sie vermißt hatte. Grade das Entbehren aber reizte und steigerte seine Leidenschaft auf das Höchste, und bald versuchte er ebenso eifrig Clementinen zu begegnen, als sie ihn zu vermeiden strebte. Wo er sie nur irgend vermuthen konnte, fehlte er niemals, und wenn sie sich nur für einen Augenblick im Theater oder auf der Promenade zeigte, war er sicher an ihrer Seite. Gelang es ihm, trotz alle Dem, ein paar Tage hindurch nicht, sie zu sehen und zu sprechen, hatte sie seine häufiger werdenden Besuche nicht angenommen, so wußte er sich durch den Geheimrath selbst eine Einladung zu verschaffen, und Clementine hatte nicht den Muth, ihm deshalb zu grollen. War er doch so glücklich in ihrer Nähe! Sie hätte ihm mit Freuden ihr Leben geopfert und wagte nicht ihm einen Blick oder ein freundliches Wort zu gönnen, weil sie, unaufhörlich gegen ihr Herz kämpfend, den Glauben in sich zu erhalten suchte, sie werde Robert’s mit Ruhe gedenken, wenn sie ihn nicht mehr sähe, und es werde ihr gelingen, sich ihrem Manne zu erhalten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine