Drittes Capitel. - Rückkehr, Willkomm, Charakter der Frauen, Meldungsbriefe, Hochzeitstag, Polterabend, Sonnenaufgang, Neckarthal, Neckargemünd.
Die Tage bis zur Rückkehr des Geheimraths vergingen Clementinen in der heftigsten Aufregung. Der Brief ihrer Tante, die Bitten und Vorstellungen Reich’s und ihrer Schwester, hatten sie zu einem Entschlusse gebracht, dessen sie sich nie fähig gehalten hätte. Meining war ihr mit so edlem Vertrauen entgegengekommen; es hob sie in ihren eigenen Augen, daß sie, deren Herz seine Jugend eingebüßt hatte, noch einen so bedeutenden Mann, als Meining, fesseln und beglücken könne; sie wollte ein neues Leben beginnen, weil sie es nun einmal gelobt, ihre Vergangenheit zu opfern; und bei all’ diesen Entwürfen zitterte sie vor dem Gedanken an Meining’s Ankunft.
Während der letzten Nacht, die sie schlaflos verbrachte, fiel ihr plötzlich ein, sie müsse eigentlich noch einmal an Robert schreiben, ihm ihre Verlobung anzeigen und ihm befehlen, sie ganz wie eine Fremde zu betrachten, wenn sie jemals sich begegnen sollten. Aber Robert schreiben? durfte das Meining’s Braut! – ihm befehlen, sie zu meiden, hieße ja, ihm bekennen, daß er ihr theuer und gefährlich sei, und befehlen? – ihm befehlen, dessen Auge ihr Leitstern, dessen leisester Wunsch ihr unumstößlichstes Gesetz gewesen war? – Alle ihre alten Qualen, alle ihre Gewissensbisse bestürmten sie aufs Neue, sie wollte für Meining leben und dachte nur an Robert. In wirren Fieberträumen verging der letzte Theil der Nacht, der Morgen sah hell und klar in ihr Fenster, als sie die schweren, müden Augenlider aufschlug. Sie war vollkommen ermattet, ließ sich theilnahmlos ankleiden und sah kalt wie eine Fremde den Anstalten zu, die Marie mit unruhiger Freude für die Ankunft des Geheimraths traf.
Endlich erschien er. Clementine, die in entscheidenden Momenten eine große Gewalt über sich besaß, ging ihm bis zur Thüre entgegen und bot ihm ihre Hand zum Willkomm; er schloß sie herzlich in seine Arme, küßte ihre Stirne und der Bund war geschlossen.
Es liegt im Charakter der Frauen, sich in unabwendbare Verhältnisse leichter zu fügen, als man es nach der Unruhe, die sie vor der Entscheidung peinigt, für möglich halten sollte. So war denn auch die neue Braut plötzlich zu einer Ruhe und Klarheit gekommen, die Meining entzückte, und ihrer Familie die Ueberzeugung gab, daß sie Recht gethan hätte, auf diese Verbindung zu dringen. Es war im Beginne des Frühjahres, und schon im Juni sollte die Hochzeit gefeiert werden. Clementine traf selbst die nöthigen Anstalten für den neuen Haushalt, hatte eine Menge Meldungsbriefe an entfernte Freunde zu schreiben, Glück wünsche zu beantworten und blieb dadurch in einer fortwährenden Thätigkeit, die ihr wenig Zeit zum Nachdenken übrig ließ. Ihr Bräutigam brachte jeden Abend und jede Stunde, die sein Beruf ihm frei ließ, in ihrer Gesellschaft zu und hatte, aufgeregt durch die neuen Verhältnisse, eine Jugendlichkeit wieder gewonnen, die er längst verloren, und deren er sich nicht mehr fähig geglaubt hatte. So war sie ihm von Herzen gut geworden, da sie mit jedem Tage seinen gebildeten, klaren Geist und seinen liebenswürdigen Charakter mehr kennen lernte, der sich freilich grade jetzt in seinem günstigsten Lichte zeigte, und darum Clementine die Hoffnung auf eine beglückende Zukunft gab.
Indessen rückte endlich der Hochzeitstag heran, dessen Vorabend in einer befreundeten Familie, nach alter, deutscher Art, mit Poltern zugebracht werden sollte. Dem Brautpaare selbst war das nichts weniger als angenehm; man konnte sich aber dem wohlgemeinten Anerbieten der Freunde nicht füglich entziehen, und Meining äußerte lachend, am Ende sei auch eine ganze glückliche Zukunft mit ein paar lästigen Stunden nicht zu schwer erkauft. Sie fuhren zum Polterabende hin und Clementine fühlte sich auf das Unangenehmste berührt von dem widrigen Wechsel possenhafter Scherze und ganz ernsthafter Gedanken, weil sie selbst so ernst, so feierlich gestimmt war, daß jeder Scherz sie verletzen mußte. Meining hingegen nannte das Ganze nur eine langweilige Einrichtung, die man aber leicht aushalten könne, und mußte über manchen Einfall von Herzen lachen, obgleich er eben so froh war als seine Braut, als die Gesellschaft sich endlich trennte, da die Mitternacht lange vorüber war. Nachdem er Clementine vor ihrem Hause aus dem Wagen gehoben hatte, und sie, einen Augenblick vor der Thür weilend, sich nach dem Schlosse wendete, fielen die letzten matten Strahlen des Mondes zitternd darüber hin, und es schien ihr unmöglich, sich jetzt, mit dem übervollen Herzen, in die engen Räume eines Zimmers zu sperren.
Lieber Freund! bat sie, wenn Sie nicht zu müde sind, geben Sie heute noch einem, vielleicht überspannten Einfalle nach; ich will dafür auch von morgen ab eine grundvernünftige Frau werden. Lassen Sie uns hinauf gehen auf’s Schloß, es ist kaum eine Stunde bis Sonnenaufgang; wir wollen heute, an dem Tage, an dem uns Beiden ein neues Leben beginnt, auch den Tag beginnen sehen.
Der Geheimrath war es gern zufrieden; die Nacht war schön und mild. Schweigend stiegen sie den Weg hinan, der von der Hirschgasse aufwärts führt. Eine Reihe wechselnder Gedanken zogen durch Clementinens Brust, sie sah Meining an, und auch vor seinem geistigen Auge schien sein früheres Leben, schien ihre Zukunft vorüberzugehen. Es war ein feierlicher Gottesdienst in ihrem Herzen. Oben auf der Höhe angelangt, sah man nichts, als einen dichten, weißen Nebel, der die ganze Gegend verdeckte; die Luft wehte kühl und Meining zog besorgt die wärmende Hülle um die schlanke Gestalt seiner Braut. Gedankenvoll ließen sie sich auf der Bank vor dem Weingärtchen nieder. Da plötzlich schmettert ein tausendstimmiger Lerchenchor gen Himmel, der Nebel zerreißt vor dem ersten Lichtblick der Sonne, und wie von unsichtbaren Geisterhänden fortgezogen, schwindet der dichte, weiße Schleier und das Neckarthal liegt vor den trunkenen Augen der Entzückten. Drüben das kleine Weinheim mit seinen in Laub versteckten, weißen Häusern; vor ihnen der lachende, jugendmuthige Strom mit Kähnen, die von Neckargemünd daherzogen, um sie her die Wipfel der Bäume, die am Fuße des Berges wurzeln, mit dem berauschenden Dufte der ganzen reichen Vegetation, und zu ihren Füßen das kleine schlummernde Heidelberg. Clementine war sehr ergriffen von der Herrlichkeit des Augenblicks. Das reinste, heiligste Gefühl zog ihr Herz zu den Menschen, die Gott einer solchen Welt werth gehalten, und mit Thränen der Begeisterung warf sie sich an Meining’s Brust und sprach: Ach, laß uns schön sein, wie diese Welt, wahr und rein, wie dies Licht. Jetzt, jetzt bin ich Dein und mehr als irgend ein Eid morgen am Altare, bindet mich diese Stunde an Dich. Ja, wir wollen glücklich, wir wollen dieser Welt werth sein! Sieh, Guter! ich habe jetzt nichts, nichts mehr auf der Welt als Dich. Sei Du meine Welt, stehe mir bei, wenn ich wanke, und verlasse mich nie!
Sie war während des Sonnenaufgangs plötzlich aufgestanden, in heftiger Bewegung vor Meining auf die Kniee hingesunken und badete seine Hände in Thränen. Er zog sie, gerührt und erschreckt durch ihre Leidenschaftlichkeit, empor, preßte sie fest an seine Brust, und der innige Druck seiner Hand, der Ton seiner Stimme hatten noch mehr Beruhigendes, als die Worte: Mein theures, theures Weib! ich werde Dir nie fehlen, Du bist mein und nichts soll uns jemals trennen. – Eine Weile hielt er sie noch schweigend in den Armen, dann trieb er zum Aufbruch, denn Clementine schauerte in der leichten Kleidung; und um sie allmälig zu beruhigen, sagte er scherzend: komm, komm, mein Herz! daß uns die guten Heidelberger nicht zurückkehren sehen; was würden die von ihrem Arzte denken, wenn sie wüßten, daß er seine Braut dem ungesunden Morgennebel preis gibt. – So, unter freundlichen Gesprächen, führte er die leidenschaftlich Bewegte den Berg hinab zu ihrem Hause.
Während der letzten Nacht, die sie schlaflos verbrachte, fiel ihr plötzlich ein, sie müsse eigentlich noch einmal an Robert schreiben, ihm ihre Verlobung anzeigen und ihm befehlen, sie ganz wie eine Fremde zu betrachten, wenn sie jemals sich begegnen sollten. Aber Robert schreiben? durfte das Meining’s Braut! – ihm befehlen, sie zu meiden, hieße ja, ihm bekennen, daß er ihr theuer und gefährlich sei, und befehlen? – ihm befehlen, dessen Auge ihr Leitstern, dessen leisester Wunsch ihr unumstößlichstes Gesetz gewesen war? – Alle ihre alten Qualen, alle ihre Gewissensbisse bestürmten sie aufs Neue, sie wollte für Meining leben und dachte nur an Robert. In wirren Fieberträumen verging der letzte Theil der Nacht, der Morgen sah hell und klar in ihr Fenster, als sie die schweren, müden Augenlider aufschlug. Sie war vollkommen ermattet, ließ sich theilnahmlos ankleiden und sah kalt wie eine Fremde den Anstalten zu, die Marie mit unruhiger Freude für die Ankunft des Geheimraths traf.
Endlich erschien er. Clementine, die in entscheidenden Momenten eine große Gewalt über sich besaß, ging ihm bis zur Thüre entgegen und bot ihm ihre Hand zum Willkomm; er schloß sie herzlich in seine Arme, küßte ihre Stirne und der Bund war geschlossen.
Es liegt im Charakter der Frauen, sich in unabwendbare Verhältnisse leichter zu fügen, als man es nach der Unruhe, die sie vor der Entscheidung peinigt, für möglich halten sollte. So war denn auch die neue Braut plötzlich zu einer Ruhe und Klarheit gekommen, die Meining entzückte, und ihrer Familie die Ueberzeugung gab, daß sie Recht gethan hätte, auf diese Verbindung zu dringen. Es war im Beginne des Frühjahres, und schon im Juni sollte die Hochzeit gefeiert werden. Clementine traf selbst die nöthigen Anstalten für den neuen Haushalt, hatte eine Menge Meldungsbriefe an entfernte Freunde zu schreiben, Glück wünsche zu beantworten und blieb dadurch in einer fortwährenden Thätigkeit, die ihr wenig Zeit zum Nachdenken übrig ließ. Ihr Bräutigam brachte jeden Abend und jede Stunde, die sein Beruf ihm frei ließ, in ihrer Gesellschaft zu und hatte, aufgeregt durch die neuen Verhältnisse, eine Jugendlichkeit wieder gewonnen, die er längst verloren, und deren er sich nicht mehr fähig geglaubt hatte. So war sie ihm von Herzen gut geworden, da sie mit jedem Tage seinen gebildeten, klaren Geist und seinen liebenswürdigen Charakter mehr kennen lernte, der sich freilich grade jetzt in seinem günstigsten Lichte zeigte, und darum Clementine die Hoffnung auf eine beglückende Zukunft gab.
Indessen rückte endlich der Hochzeitstag heran, dessen Vorabend in einer befreundeten Familie, nach alter, deutscher Art, mit Poltern zugebracht werden sollte. Dem Brautpaare selbst war das nichts weniger als angenehm; man konnte sich aber dem wohlgemeinten Anerbieten der Freunde nicht füglich entziehen, und Meining äußerte lachend, am Ende sei auch eine ganze glückliche Zukunft mit ein paar lästigen Stunden nicht zu schwer erkauft. Sie fuhren zum Polterabende hin und Clementine fühlte sich auf das Unangenehmste berührt von dem widrigen Wechsel possenhafter Scherze und ganz ernsthafter Gedanken, weil sie selbst so ernst, so feierlich gestimmt war, daß jeder Scherz sie verletzen mußte. Meining hingegen nannte das Ganze nur eine langweilige Einrichtung, die man aber leicht aushalten könne, und mußte über manchen Einfall von Herzen lachen, obgleich er eben so froh war als seine Braut, als die Gesellschaft sich endlich trennte, da die Mitternacht lange vorüber war. Nachdem er Clementine vor ihrem Hause aus dem Wagen gehoben hatte, und sie, einen Augenblick vor der Thür weilend, sich nach dem Schlosse wendete, fielen die letzten matten Strahlen des Mondes zitternd darüber hin, und es schien ihr unmöglich, sich jetzt, mit dem übervollen Herzen, in die engen Räume eines Zimmers zu sperren.
Lieber Freund! bat sie, wenn Sie nicht zu müde sind, geben Sie heute noch einem, vielleicht überspannten Einfalle nach; ich will dafür auch von morgen ab eine grundvernünftige Frau werden. Lassen Sie uns hinauf gehen auf’s Schloß, es ist kaum eine Stunde bis Sonnenaufgang; wir wollen heute, an dem Tage, an dem uns Beiden ein neues Leben beginnt, auch den Tag beginnen sehen.
Der Geheimrath war es gern zufrieden; die Nacht war schön und mild. Schweigend stiegen sie den Weg hinan, der von der Hirschgasse aufwärts führt. Eine Reihe wechselnder Gedanken zogen durch Clementinens Brust, sie sah Meining an, und auch vor seinem geistigen Auge schien sein früheres Leben, schien ihre Zukunft vorüberzugehen. Es war ein feierlicher Gottesdienst in ihrem Herzen. Oben auf der Höhe angelangt, sah man nichts, als einen dichten, weißen Nebel, der die ganze Gegend verdeckte; die Luft wehte kühl und Meining zog besorgt die wärmende Hülle um die schlanke Gestalt seiner Braut. Gedankenvoll ließen sie sich auf der Bank vor dem Weingärtchen nieder. Da plötzlich schmettert ein tausendstimmiger Lerchenchor gen Himmel, der Nebel zerreißt vor dem ersten Lichtblick der Sonne, und wie von unsichtbaren Geisterhänden fortgezogen, schwindet der dichte, weiße Schleier und das Neckarthal liegt vor den trunkenen Augen der Entzückten. Drüben das kleine Weinheim mit seinen in Laub versteckten, weißen Häusern; vor ihnen der lachende, jugendmuthige Strom mit Kähnen, die von Neckargemünd daherzogen, um sie her die Wipfel der Bäume, die am Fuße des Berges wurzeln, mit dem berauschenden Dufte der ganzen reichen Vegetation, und zu ihren Füßen das kleine schlummernde Heidelberg. Clementine war sehr ergriffen von der Herrlichkeit des Augenblicks. Das reinste, heiligste Gefühl zog ihr Herz zu den Menschen, die Gott einer solchen Welt werth gehalten, und mit Thränen der Begeisterung warf sie sich an Meining’s Brust und sprach: Ach, laß uns schön sein, wie diese Welt, wahr und rein, wie dies Licht. Jetzt, jetzt bin ich Dein und mehr als irgend ein Eid morgen am Altare, bindet mich diese Stunde an Dich. Ja, wir wollen glücklich, wir wollen dieser Welt werth sein! Sieh, Guter! ich habe jetzt nichts, nichts mehr auf der Welt als Dich. Sei Du meine Welt, stehe mir bei, wenn ich wanke, und verlasse mich nie!
Sie war während des Sonnenaufgangs plötzlich aufgestanden, in heftiger Bewegung vor Meining auf die Kniee hingesunken und badete seine Hände in Thränen. Er zog sie, gerührt und erschreckt durch ihre Leidenschaftlichkeit, empor, preßte sie fest an seine Brust, und der innige Druck seiner Hand, der Ton seiner Stimme hatten noch mehr Beruhigendes, als die Worte: Mein theures, theures Weib! ich werde Dir nie fehlen, Du bist mein und nichts soll uns jemals trennen. – Eine Weile hielt er sie noch schweigend in den Armen, dann trieb er zum Aufbruch, denn Clementine schauerte in der leichten Kleidung; und um sie allmälig zu beruhigen, sagte er scherzend: komm, komm, mein Herz! daß uns die guten Heidelberger nicht zurückkehren sehen; was würden die von ihrem Arzte denken, wenn sie wüßten, daß er seine Braut dem ungesunden Morgennebel preis gibt. – So, unter freundlichen Gesprächen, führte er die leidenschaftlich Bewegte den Berg hinab zu ihrem Hause.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine