Dreizehntes Capitel. - Warme Frühlingssonne, blauer Himmel, kalter Schauer, grauer Nebel, Schrecken am Morgen.

Mit dem Gefühle der vollkommensten Stumpfheit erwachte sie am nächsten Morgen. Tag oder Nacht, Leben, Sterben, ihr war Alles gleichgültig. Ein grauer Nebel schien ihr über die Welt gebreitet, die warme Frühlingssonne schien ihr kalt, der blaue Himmel farblos. Was konnte der Tag ihr noch bringen, so unabsehbar lang er sich auch vor ihr ausbreitete. Was sollte sie denken den ganzen Tag hindurch, was erwarten? Wie sollte sie das Leben ertragen?

Fröstelnd bog sie sich in die Kissen zurück und wollte nochmals zu schlafen versuchen. Ach! im Schlafe hatte Robert’s Bild vor ihrer Seele gestanden, und im Wachen an ihn zu denken, war ihr Sünde. Da öffnete Meining leise ihre Thüre und fragte: Bist Du schon wach, mein Kind? Ich muß um acht Uhr fort, komme erst spät zurück und wollte sehen, wie es Dir nach dem Balle geht?


Clementine richtete sich empor; der rothe Schein der seidenen Vorhänge fiel auf ihr Gesicht, und sie sah dadurch so frisch, so rosig aus, daß Meining nicht aufhören konnte, ihr zu sagen, wie hübsch sie sei, sie zu küssen und zu preisen, während Nichts in ihrem Herzen seiner Zärtlichkeit entsprach. Jetzt stand sie nach ihrem Empfinden so tief, als jene Frauen, die ihr immer den entschiedensten Abscheu eingeflößt hatten; sie mußte die Liebkosungen eines Mannes dulden, und ihre ganze Seele gehörte einem Andern. Ein kalter Schauer flog durch ihre Glieder, das Herz krampfte sich ihr zusammen, ein ohnmächtiger Schwindel erfaßte sie. Meining schellte nach der Kammerfrau, holte selbst Essenzen herbei und befragte, als Clementine sich erholt und er sie verlassen hatte, die alte Dienerin, ob die Frau sich früher schon beklagt, ob irgend Etwas vorgefallen wäre? Das Mädchen wußte nichts zu sagen. Die gnädige Frau hätte gestern Abend sehr angestrengt geschienen, meinte sie, und hätte ihr befohlen, sie so schnell als möglich zu entkleiden und gleich das Licht zu löschen, da sie nicht mehr lesen werde. Aber, fügte sie hinzu, krank muß unsre gnädige Frau wol sein, wenn sie’s auch nicht wahr haben will. Sie kann seit vielen Wochen, Tage hindurch, wenn sie allein ist, aufgestützt sitzen und weinen, oder mit gefalteten Händen starr auf einen Fleck sehen; das war sonst niemals ihre Art, und das dauert, bis der Herr Geheimrath nach Hause kommen. Dann ist’s mit einemmal vorüber, sie ist frisch und munter, aber es hält eben nur nicht lange vor.

Dieser Bericht trug nicht dazu bei, Meining’s Besorgniß zu beruhigen. Eine körperliche Störung war in der Gesundheit seiner Frau nicht vorhanden; aller dings hatte sie immer reizbare Nerven gehabt, aber ihre Energie hatte diese Reizbarkeit sonst glücklich und schnell überwunden. Auf mehrfach wiederholte Fragen deshalb hatte sie immer eine ausweichende oder ganz verneinende Antwort gegeben, und es blieb ihm daher nur die Vermuthung, daß irgend ein Seelenleiden seinen nachtheiligen Einfluß auf Clementine äußere. Vergebens aber sann er, was es sein könne. Er war es sich bewußt, seine Frau mit der herzlichsten Liebe umgeben zu haben, sie besaß Alles, was das Leben angenehm machen, es verschönen konnte; sie schien frei von Leidenschaften, die das Glück stören. Er wußte keinen Grund für das plötzliche Schwinden der Gesundheit aufzufinden und beschloß, unter der Hand bei Marianne nachzuhören, ob er vielleicht durch diese auf die rechte Spur geleitet werden könne.

Aber auch bei dieser fand er keinen Aufschluß für die befremdliche Erscheinung. Sehen Sie, bester Geheimrath, meinte sie, Ihre Frau war immer vernünftiger und besser als wir Andern, und nun als Frau ist sie auch wieder nicht wie wir. Sie hat gewiß die richtigsten Grundsätze, aber sie übertreibt sie, sie macht sich alt noch vor der Zeit. Daß sie nicht tanzt, weil sie verheirathet ist, daß sie neulich nicht mit uns fuhr, als wir eine Schlittenpartie machten, und wir Alle, Thalberg an der Spitze, sie darum baten, nur darum nicht mitfuhr, weil Sie nicht daran Theil nehmen konnten, das sind Alles Uebertreibungen, mit denen sie uns Andre tadelt; und wir müßten es ihr übel nehmen, wäre sie nicht so zuvorkommend und so gut, daß es ganz unmöglich ist, nicht für sie eingenommen zu sein, und das sind wir denn auch Alle, mein Mann und Thalberg nicht am Wenigsten. Sie ist ja auch das Muster einer Frau, denn „Meining wünscht oder Meining möchte nicht gern“ das sind ihre entscheidenden Gründe. Machen Sie nur, daß sie sich erholt, denn Sie haben Recht, man sieht es, daß sie leidet.

O! und heute ist sie leidender, als ich sie je gesehen! bemerkte Meining. Hätte sie nur den verdammten Ball aufgeschoben, wozu ich selbst vor ein paar Tagen rieth. Aber da war kein Halten, kein Abreden, der Ball mußte durchaus gegeben werden, weil die Vorbereitungen einmal getroffen waren. Nun haben wir die Folgen.

Marianne lächelte. Mit dem Ball, sagte sie, hatte es eine eigne Bewandtniß, und da hat Clementine Ihnen einmal nicht die Wahrheit gesagt, wenn sie behauptete, die Einrichtungen wären nicht mehr zu ändern. Thalberg war nur länger nicht zu halten; sonst hätte sie den Ball wohl aufgeschoben, da sie sich, wie sie selbst mir sagte, wirklich unwohl fühlte. Der Ball galt ja Thalberg ganz allein.

Er galt Thalberg? Was soll das heißen? fragte Meining sehr verwundert.

Sehen Sie, lieber Geheimrath! das rathe ich so, denn bestimmt weiß ich es nicht – aber ich pflegte mich in solchen Sachen nicht zu irren! Als ich neulich bei Clementinen vorfuhr, wurde ich abgewiesen; es hieß, die Staatsräthin sei bei ihr. Was konnte sie mit dieser Geheimes zu berathen haben? Nachher des Abends, als zuletzt die Partie bei Ihnen war, kam Thalberg, der erwartet wurde, nicht. Clementine sagte uns, er sei vorher bei ihr gewesen, sie hätte eine Weile mit ihm geplaudert und sie gestand mir, es sei die Rede von einer Verheirathung für ihn gewesen. Dabei war sie in bester Laune, also mußte er eingewilligt haben. Nun kommt Ihr Ball. Die kleine Johanne mußte die Tochter vom Hause machen, ich sah selbst, wie Thalberg ihr von Clementinen vorgestellt wurde, und – sie lachte – nun die Sache ist eben abgemacht.

Ich glaube, Sie täuschen sich trotzdem, denn Thalberg ist abgereist, oder wird noch heute reisen, sagte Meining.

Unmöglich! rief Marianne mit ihrer ganzen Zuversicht, und es lag Meining nicht daran, sie eines Andern zu überführen. Befreiteren Sinnes sagte er ihr Lebewohl.

Die Unterhaltung, bei der Marianne auch nicht im Entferntesten den Gedanken zu hegen geschienen, daß Clementine sich unglücklich oder nur unzufrieden fühle, war für Meining eine Beruhigung gewesen. Er ging rüstig seinen Tagesgeschäften nach und fand, als er zum Mittage nach Hause kam, seine Frau heiter und freundlich seiner wartend. Sie hatte, weil er ihr die größte Stille empfohlen, in ihrer Stube das Essen auftragen lassen; sie war bemüht, den Schreck, den sie ihrem Manne am Morgen verursacht, so viel als möglich vergessen zu machen, und er verlangte es nicht besser, als ihrer Versicherung zu glauben, daß er Nichts für sie zu fürchten habe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine