Achtes Capitel. - Hauptmann v. Feld, 1839, Burgfrau, Schloß Hochberg, Teufelszeug, Soldatenwort, Winterwetter, Weltfahrten, Entenjagd, Nimrod, Sturm- und Drangperiode.

Robert Thalberg
an den Hauptmann v. Feld.

Berlin, den 5. December 1839.


Seit vier Tagen bin ich hier, habe meine kleine Angelegenheit mit den Behörden abgemacht und die wenigen alten Bekannten, die ich noch gefunden, wieder einmal begrüßt. Es ist ein Unrecht von Dir, daß Du Deine langweilige Garnison nicht verläßt und die zwanzig Meilen nicht herüberfährst, damit wir in Berlin, dem Schauplatz unsrer raschen Jugend, endlich noch einmal ein paar Tage zusammenleben. Mir ist hier Vieles fremd geworden in den drei Jahren meiner Abwesenheit, und ich könnte ganz ernsthafte Betrachtungen machen über das Leben und die Vergänglichkeit und Eile desselben, wenn ich sehe, wie eine ganze Generation, die ich früher gekannt, bereits gestorben, und eine neue, junge Welt herangewachsen, die mir fremd ist. Schade nur, daß diese Bemerkung, in der sich so viel Schmerzliches verbirgt, für Alle eben so alt, als für den Einzelnen immer neu ist. Für mich liegt darin jedesmal die dringende Aufforderung, das Leben intensiv so schnell und viel zu genießen, als ich es vermag, und Andern zu nützen, so gut es geht.

Augenblicklich unterhält mich das Stadtleben wieder vortrefflich, und doch weiß ich, daß ich mich nach wenig Tagen zurücksehnen werde nach meinem lieben Hochberg, daß mir die schöne Welt fade, die Stadt eng vorkommen wird, und daß ich mit doppelter Lust zu meinen wintergrünen Wäldern, zu meinen gefrornen Seen zurückeilen werde. Auch habe ich, für den Fall, daß diese Lust mich plötzlich anwandelt, meine Einrichtungen getroffen. Meine Einkäufe sind besorgt, und ich glaube fast, länger als acht Tage halte ich es nicht aus, mich so geflissentlich zu amüsiren, es sei denn, Du träfest währenddessen hier ein.

Denke Dir, welch eine Begegnung ich hier gehabt habe! Du erinnerst Dich wohl der schönen Clementine Frei, der ich Dich zuerst auf einem Brühl’schen Balle vorstellte, und der Du bald, wie wir Alle, huldigtest, bis Du zufällig bemerktest, daß mich ein lebhafteres Interesse an sie fesselte. Damals war ich fest entschlossen, sie zu meiner Frau zu machen, denn ich liebte sie oder glaubte es wenigstens, und unsre Verbindung war eine zwischen uns und den beiden Familien stillschweigend abgemachte Sache. Wie das aber manchmal geht, Zeit, Entfernung und neue Eindrücke verdrängten ihr Bild aus meiner Seele und – doch Du kennst jene Vergangenheit mit ihren stürmischen Erinnerungen. Genug also! ich habe Clementine in diesen Tagen hier ganz unerwartet als Geheimräthin von Meining wiedergesehen und sie sehr verändert gefunden. Es ist, so scheint mir, nur noch die Spur von ihrer Schönheit vorhanden. Sie sieht leidend aus und älter, als sie ist; eine wehmüthige Ruhe, ein melancholischer Ausdruck der Augen, der durch die lieblichen Züge um den Mund nicht gemildert wird, lassen mich vermuthen, daß sie viel gelitten hat. Ihr Mann ist bedeutend älter, fast ein Greis. Er ist offenbar sehr eingenommen von dem Wesen seiner Frau, die hier wieder sehr gefeiert wird; übrigens ein angenehmer, geistreicher Mann, der mich für den heutigen Abend eingeladen hat. Mein Name und ich waren ihm fremd. Wie ich Clementine kannte, wundert mich das eigentlich.

Ich schreibe Dir nur so flüchtig, weil ich bestimmt voraussetze, Dich hier wiederzusehen. Laß mich bald von Dir hören, damit ich meinen Aufenthalt danach einrichte.

Derselbe an Denselben.

Den 8. December.

Also bleibst Du wirklich Deinem Vorsatze treu, alter Freund! und wir sehen uns erst wieder, wenn die Entenjagd Dich, Du Nimrod, zu mir führt? Es ist eine Thorheit, daß Du jetzt nicht kommst; aber lange nicht so thöricht, als Dein Vorschlag, daß ich länger in Berlin bleiben und mir unter den Töchtern des Landes eine Burgfrau für Schloß Hochberg suchen solle. Ich denke, über den Punkt kennst Du meine Gesinnungen. Nach der Täuschung, die ich erfahren, nach jener tollen Leidenschaft, mit der ich an Brigitte hing, bin ich mit der Liebe fertig, und eine bloße Haushälterin – dazu bedarf ich keiner Frau, die ich behalten muß, wenn sich der geliebte, schönselige Engel in eine anspruchsvolle, launenhafte Frau verwandelt hat. Mit aller Weisheit lernt man seine Braut erst kennen, wenn sie zur Frau geworden ist; und mögen dann die Charaktere noch so elend zusammenpassen, man ist an einander gefesselt und schleppt die hemmende Last mit sich, wie der Gefangene die Kette. Ich kenne das! – Ueberlege es Dir selbst, wie viele von unsern früheren Bekannten glücklich oder innerlich gefördert worden sind durch die Ehe, die ich übrigens nicht angreifen will. Sie paßt nur nicht für Jeden, und ich glaube, ich würde mich jetzt darin ausnehmen, als wenn ich mir die Kleider anzöge, die ich zu meinem Confirmationstage trug. Hätte ich zu sechsundzwanzig Jahren geheirathet, ich wäre nun vielleicht ein solider Hausvater, der seinen Kohl baut, die Frau Gemahlin Sonntags in die Kirche führt und die Jungen buchstabiren lehrt. Jetzt möchte das mir nicht mehr anstehn. Nimm selbst den Fall, ich fände ein Weib, wie ich es wünschen müßte, das Wort und Probe hielte – wo wäre die Gewißheit, daß ich für sie paßte? In der Ehe wird gar zu oft nur Einer von den Gatten glücklich, und das scheint mir auch zwischen dem Geheimrath von Meining und seiner Frau der Fall zu sein, bei denen ich neulich einen Abend zugebracht habe. Er ist, das sieht man, mit seinem Loos durchaus zufrieden; ob sie es ist? Ich zweifle. Auch ist sie in Wahrheit zu jung für ihren Mann, den Jeder für ihren Vater halten muß. Sie kann wirklich noch recht schön sein, gradezu noch schön. Obgleich sie mir, als ich sie zuerst wiedersah, gewaltig verändert schien, finde ich mich jetzt in den bekannten Zügen zurück, erfreue mich an dem feinen Ausdruck ihres Gesichts und namentlich an ihrer schönen Farbe, wenn sie lebhaft spricht. Es ist nicht jenes plumpe Roth, das heißes Blut und die Sinne in die Wangen treiben, sondern der lichte, zarte Wiederschein einer warm empfindenden Natur und ganz etwas Eigenthümliches an ihr. Sie ist noch immer eine interessante Frau.

Heute Abend will ich noch einen Ball mitmachen, morgen noch ein paar Besuche, und dann geht’s in den Wald zurück.

Der Hauptmann v. Feld an Robert Thalberg.

Den 11. December.

Ich kenne Dich zu lange, um nicht zu wissen, daß ich diesen Brief in Gottes Namen nach Berlin richten kann, und daß er Dich dort finden wird. Fährst Du nicht wirklich sehr bald ab, liebster Freund, so bleibst Du lange dort; und willst Du wissen, was Dich festhalten wird? die Geheimräthin von Meining. Ich habe immer die Ueberzeugung gehabt, daß Dir Clementine weit mehr war, als Du nachher in Deiner Sturm- und Drangperiode selbst geglaubt hast; wo Du von Freundschaft, herzlicher Anerkennung und allem Teufelszeuge fabeltest, während eine ganz gesunde, innige Liebe Dir im Herzen saß, bis jene unglückselige, aber freilich reizende Brigitte, wie ein Komet an Deinem Horizonte erschien, und Dich in ihren Weltfahrten und Wirbeln mit sich fortriß. Es war eine tolle Zeit. Du bist übrigens mit den Frauen lange nicht so fertig, als Du glaubst, und wenn Du Dir nicht bald eine vernünftige Frau nimmst, stehe ich für Nichts. Sei gescheut und mache aus Großmuth und Reue, „aus herzlicher Anerkennung und Freundschaft“, keine dummen Streiche.

Das ist ein ehrlich Soldatenwort – kurz und bündig, wie ich es liebe.

Aus Clementinens Papieren.

Den 6. December. Gott sei Dank! Der Abend ist vorüber. Der Mensch kann doch gewaltig viel über sich gewinnen. Nach dem Eindruck, nach dem Entzücken und der bangen Scheu, mit der ich Robert gestern wiedersah, hätte ich es nicht für möglich gehalten, den heutigen Abend so ruhig mit ihm verleben zu können. Wie schlug mir das Herz, als er in unser Wohnzimmer trat, als ich ihn hier erblickte, wo ich einst an seinem Herzen die bittersten Thränen des Abschiedes weinte, und doch einen Himmel von Hoffnungen in der Brust trug. Auch ihn schien es zu bewegen, als er in die alte, ihm einst so bekannte Wohnung trat, die ihm doch fremd geworden sein muß, in den neuen Anordnungen, wie ich selbst es ihm geworden bin. Seine Stimme klang mir gestern so weich, so mild, es lag die Versöhnung einer langen Vergangenheit darin – oder trog mich nur mein Wunsch? Er ist noch ganz der Alte, mir noch derselbe, der er mir immer war; auch Meining schien ihn sehr anziehend zu finden. Er hat ihn dringend zur Wiederkehr geladen, die ich aber nicht wünschen kann und darf. Es ist so schwer, gegen Jemand den gleichgültigen Ton der Gesellschaft zu finden, der uns einst so nahe stand, dessen Stimme das Echo in unsrer Seele erweckt. Aber was man ernstlich will, das soll man ja erreichen können; und Robert fährt bald wieder fort, und Alles bleibt wie es bis jetzt gewesen. Er muß viel gedacht, viel erlebt haben, seit ich ihn nicht gesehen. Es klingt so Vieles aus seinen Reden hervor, was er nicht ausspricht und was ich dennoch höre und verstehe. Wenn ich nur Herr wäre über mich; aber mein Herz klopft und meine Nerven beben, wenn er kommt. Ich wollte, er wäre nicht mehr hier.

Den 8. December. Es ist fast zwei Uhr in der Nacht; ich komme von Mariannens Ball zurück, und ich bin munter und frisch wie in der Jugendzeit. Es ist mir noch nicht möglich, mich zur Ruhe zu legen. Das erste klare Winterwetter hat immer einen so belebenden Einfluß auf mich ausgeübt. Sogar schreibelustig bin ich; habe ich doch vorgestern und heute meinen alten Vertrauten, das Tagebuch, vorgenommen, das mir seit Jahren fremd geworden ist. Mariannens Fest war aber auch ganz reizend, Meining wünscht, ich möchte es mir zum Maßstab nehmen für das unsere. Das Leben in diesen Kreisen ist eigentlich doch interessanter, als es mir seit lange schien; und heute, wo ich alle jungen Frauen meiner Bekanntschaft tanzen sah, hat es mir fast leid gethan, daß ich seit meiner Verheirathung darauf verzichtet habe. Thalberg bat mich dringend, nur einmal zu walzen; er tanze sonst auch nicht mehr, wir müßten zusammen eine Ausnahme machen; ich mochte aber nicht. Als ich mich entschloß, Meining’s Frau zu werden, habe ich durch die Verbindung mit einem so viel älteren Manne dergleichen Genüssen entsagt, indeß habe ich das nie bereut. Marianne fragte mich heute, als ich, während die Andern tanzten, hinter Meining’s Stuhl stehend, dem Whist zusah und Thalberg neben mir war, ob wir nicht sehr glücklich wären, einander wieder zu sehen? Wir müßten doch alte Bekannte und Jugendfreunde sein. Robert antwortete: Ich bin es gewiß und wünsche nur, daß Frau von Meining mich nicht ungern wieder sieht. Ach! rief Marianne, welche Frau sieht einen alten Anbeter nicht gerne wieder, so lange sie noch jung und schön ist; und von der Seite ist Frau von Meining sicher ohne Sorgen. Mir war die ganze Unterhaltung höchst zuwider, ich schämte mich und fürchtete, mein Mann könnte sie hören; der war aber so in sein Spiel vertieft, daß er des Geschwätzes gar nicht inne ward. Endlich ging ich zu den alten Damen in das Nebenzimmer, aber auch dahin kam mir Marianne neckend nach, lachte, that geheimnißvoll und sagte: Also den Hof hast Du Dir doch machen lassen, so gut wie wir, und der schöne Thalberg hat das nicht vergessen. Denn als ich ihn heute etwas ins Gebet nahm, war er Deines Lobes voll und in Bewunderung Deiner Schönheit. Und darin hat er so unrecht nicht: denn heute, wo Du einmal trotz Deiner Einfachheit Dich stylvoll angekleidet hast, siehst Du wirklich so eigenartig aus, daß es jeder Einzelne bemerkt. Du hast immer etwas Besonderes, das man fühlt und sieht, aber nicht nachmachen kann – heute indeß bist Du ganz reizend! – Ah! da kommt er wieder! Nun ich will nicht stören, car l’on revient toujours à ses premiers amours! und damit ging sie, die Melodie des Liedes trällernd, leichtsinnig wie ein Kind davon. Ich war in der peinlichsten Verlegenheit, Thalberg aber gleichmäßig und freundlich. Wir sprachen von Mariannens wunderlichen Eigenheiten. Thalberg meinte, sie gliche auffallend einem Kupferstiche, den er in diesen Tagen angekauft, und den er mir zur Ansicht schicken wolle. Dann hatte Meining grade seine Partie beendet, und wir fuhren fort, als man zu Tische ging.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Clementine