Clementine
Autor: Lewald, Fanny (1811-1889), Erscheinungsjahr: 1843
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
- Erstes Capitel. - Professor Reich, Geheimrath von Meinig, Robert Thalberg, Frau von Alven,
Myrthenkrone, Confirmation, Heidelberg, Berlin, Studierstube, Demüthigung, Neckar, Hagestplz, Phönix. - Zweites Capitel. - Schattenspiel, Überspannung, Beglückenderes, Vollkommenheit, Individualität, Reinheit, Prostitution, Kaufpreis, Sinnestaumel, Leidenschaft, Wankelmuth.
- Drittes Capitel. - Rückkehr, Willkomm, Charakter der Frauen, Meldungsbriefe, Hochzeitstag, Polterabend, Sonnenaufgang, Neckarthal, Neckargemünd.
- Viertes Capitel. - Beisammensein, Gewohnheit, Haushaltsangelegenheiten, Collegia, Verheiratung, Gesellschaften. Mißstimmung, Geselligkeit, Conversation, Thorheiten, Zufriedenheit, Regsamkeit, Zurückgezogenheit, Gesellschafterin, Bereitwilligkeit, Leidenschaftlichkeit, Selbstsucht,
- Fünftes Capitel. - Jahrestag, Briefwechsel, Mißmuth, Hochzeitstag, Consilium, Praxis, Klinik, Honneurs, Häuslichkeit, Einsamkeit, Zurückgezogenheit, Abwechselung, Gesetz der Schwere, Freidenspfeife, Geschmacklosigkeit.
- Sechstes Capitel. - Collegen, Wehmuth, Spielzeug, Blumenverkäuferin, Strickstrumpf, Wachtelhündchen.
- Siebentes Capitel. - Concerte, Partie Whist, Reichthum, Eifersucht, Liebesbedürfniß, Mittagbrod, Kabinet, Landleute, Galanterie, Güter in Mecklenburg, Staatsdienst.
- Achtes Capitel. - Hauptmann v. Feld, 1839, Burgfrau, Schloß Hochberg, Teufelszeug, Soldatenwort, Winterwetter, Weltfahrten, Entenjagd, Nimrod, Sturm- und Drangperiode.
- Neuntes Capitel. - Thiergarten, Kupferstich, Promenade, Obrist, Süpha, Buch der Lieder von Heine, Schwermuth, Elenore Prohaska, das Mädchen von Saragossa, Kosmopoliten, Weltfreiheitsideen, Emancipation.
- Zehntes Capitel. - Schlittenpferde, Coupee, Schlittenbahn, Weihnachtsbaum, Corallenschnüren, Lauscherposten, Weihnachtslichter, Strudel des Lebens, Titanennatur, Sittenreinheit.
- Elftes Capitel. - Tagebuch, Weihnachtsabend, Hausgenossen, Winterfreuden, Herzens-Tante, Grillen und Klagen.
- Zwölftes Capitel. - Heirathskandidaten, Intriguen, Rinaldo in Armidens Gärten, Staatsräthin, Neid und Bitterkeit, Vorliebe für das Landleben, Gutsbesitzer, Jagd.
- Dreizehntes Capitel. - Warme Frühlingssonne, blauer Himmel, kalter Schauer, grauer Nebel, Schrecken am Morgen.
- Vierzehntes Capitel. - Lohn der Arbeit, Landhaus, Jugendzeit, Cur (Kur), Pulsschläge, Demuth, Hingebung, Selbstverläugnung, Gunst des Wiedersehens.
- Fünfzehntes Capitel. - Sonntagabend, Dienerschaft, Adel und Großmuth, auf den Trümmern des Glücks, Selbstsucht, zügellose Schöpfung der Phantasie und des Herzens.
Leseprobe: Erstes Capitel:
Also weil der Herr Geheimrath mich gestern geistreich gefunden hat, soll und muß ich ihn heirathen? fragte Clementine und sah dabei lachend ihre jüngere Schwester, die Frau des Professors Reich, an, die ganz erhitzt auf dem Sopha ihres Wohnzimmers saß.
Darum allein nicht, entgegnete diese, aber Du darfst diese Verbindung nicht ausschlagen, wie alle andern, die sich Dir boten. Der Geheimrath von Meining ist ein sehr geachteter, gebildeter und reicher Mann; er ist freilich fünfzig Jahre alt, Du bist aber schon siebenundzwanzig, was kann denn passender sein? Du hast mir selbst gesagt, daß Du an Dein früheres Verhältniß zu Robert Thalberg mit vollkommener Ruhe dächtest; warum also wieder ein Glück, ein wahrhaftes Glück von Dir weisen, das sich Dir vielleicht nie wieder bietet? Mein Mann wünscht diese Verbindung, die Tante, Deine letzte Instanz, dringt darauf, Meining erwartet das Glück seines Lebens davon und Du selbst hältst Meining nicht nur für einen liebenswürdigen, sondern auch für einen ehrenwerthen Mann; was willst Du denn eigentlich, Clementine?
Ich will nicht lügen, Marie! Ich will, ich kann es nicht, und je achtungswerther mir der Geheimrath er scheint, um so weniger möchte ich ihn täuschen; ich kann nicht heirathen, quäle mich nicht.
Beide Damen gingen fast erzürnt von einander; die kleine, rosige Professorin in die Arbeitsstube ihres Mannes, um ihm das vermuthliche Mislingen ihres Planes mitzutheilen; die ernste, schlanke Clementine auf ihr Zimmer, um den Sturm, den diese Unterhaltung in ihr erregt hatte, ruhig austoben zu lassen.
Clementine und Marie Frei waren die Töchter eines hochgestellten preußischen Beamten. Sie hatten früh ihre Mutter verloren und eine Tante, Frau von Alven, eine kluge, feinfühlende Frau, die Witwe, und deren einziges Kind früh gestorben war, hatte die Erziehung der beiden Mädchen im Frei’schen Hause übernommen. Nichts konnte aber verschiedener sein, als der Charakter dieser beiden Schwestern: Clementine, heftig, geistreich und zu tiefem Fühlen geneigt, wurde schnell von plötzlichen Eindrücken gefesselt, die sich dauernd ihrer Seele einprägten; was sie einmal ergriffen hatte, was ihr lieb geworden war, das konnte keine Macht ihr entreißen, das hielt sie fest für’s Leben. Aus diesem Gefühl entsprangen die treue Anhänglichkeit für Frau von Alven, die innige Liebe für ihren Vater und die fast mütterliche Zärtlichkeit für die um sechs Jahre jüngere Marie; aber zugleich auch eine leidenschaftliche, unwandelbare Liebe für Robert Thalberg, einen jungen Mann, mit dem sie in ihrer ersten Jugend in allen befreundeten Familien zusammengetroffen war...
Also weil der Herr Geheimrath mich gestern geistreich gefunden hat, soll und muß ich ihn heirathen? fragte Clementine und sah dabei lachend ihre jüngere Schwester, die Frau des Professors Reich, an, die ganz erhitzt auf dem Sopha ihres Wohnzimmers saß.
Darum allein nicht, entgegnete diese, aber Du darfst diese Verbindung nicht ausschlagen, wie alle andern, die sich Dir boten. Der Geheimrath von Meining ist ein sehr geachteter, gebildeter und reicher Mann; er ist freilich fünfzig Jahre alt, Du bist aber schon siebenundzwanzig, was kann denn passender sein? Du hast mir selbst gesagt, daß Du an Dein früheres Verhältniß zu Robert Thalberg mit vollkommener Ruhe dächtest; warum also wieder ein Glück, ein wahrhaftes Glück von Dir weisen, das sich Dir vielleicht nie wieder bietet? Mein Mann wünscht diese Verbindung, die Tante, Deine letzte Instanz, dringt darauf, Meining erwartet das Glück seines Lebens davon und Du selbst hältst Meining nicht nur für einen liebenswürdigen, sondern auch für einen ehrenwerthen Mann; was willst Du denn eigentlich, Clementine?
Ich will nicht lügen, Marie! Ich will, ich kann es nicht, und je achtungswerther mir der Geheimrath er scheint, um so weniger möchte ich ihn täuschen; ich kann nicht heirathen, quäle mich nicht.
Beide Damen gingen fast erzürnt von einander; die kleine, rosige Professorin in die Arbeitsstube ihres Mannes, um ihm das vermuthliche Mislingen ihres Planes mitzutheilen; die ernste, schlanke Clementine auf ihr Zimmer, um den Sturm, den diese Unterhaltung in ihr erregt hatte, ruhig austoben zu lassen.
Clementine und Marie Frei waren die Töchter eines hochgestellten preußischen Beamten. Sie hatten früh ihre Mutter verloren und eine Tante, Frau von Alven, eine kluge, feinfühlende Frau, die Witwe, und deren einziges Kind früh gestorben war, hatte die Erziehung der beiden Mädchen im Frei’schen Hause übernommen. Nichts konnte aber verschiedener sein, als der Charakter dieser beiden Schwestern: Clementine, heftig, geistreich und zu tiefem Fühlen geneigt, wurde schnell von plötzlichen Eindrücken gefesselt, die sich dauernd ihrer Seele einprägten; was sie einmal ergriffen hatte, was ihr lieb geworden war, das konnte keine Macht ihr entreißen, das hielt sie fest für’s Leben. Aus diesem Gefühl entsprangen die treue Anhänglichkeit für Frau von Alven, die innige Liebe für ihren Vater und die fast mütterliche Zärtlichkeit für die um sechs Jahre jüngere Marie; aber zugleich auch eine leidenschaftliche, unwandelbare Liebe für Robert Thalberg, einen jungen Mann, mit dem sie in ihrer ersten Jugend in allen befreundeten Familien zusammengetroffen war...