Reformationszeit - Entwicklung der Kultur-Verhältnisse in Schwerin

Die Bauart der Stadt zuvörderst hatte sich nicht wesentlich verändert, doch ergibt sich für Schwerin aus einer Andeutung Hederichs, dass gegen das Ende des 15. Jahrh. schon ein Teil der Scheunen in die Vorstadt nahe bei dem St. Georgs-Hospitale verlegt worden sei. Dies war unverhältnismäßig früh, ist aber wahrscheinlich der fürstlichen Fürsorge für die Residenz zuzuschreiben; in anderen Mecklenburgischen Landstädten lagen noch lange nach dieser Zeit fast alle Scheunen, in der Stadt, und erst seit dem Jahre 1516 nahm in Folge vieler großen Feuersbrünste die Gesetzgebung überhaupt auf die Beseitigung dieses Übelstandes Bedacht. Gleicherweise wurde erst um diese Zeit dafür gesorgt, dass die Häuser nach und nach mit Ziegeln gedeckt werden sollten, und es ist wohl glaublich, dass nach dem großen Brande von 1531 wenigstens eine sehr große Zahl der neu erbauten Häuser mit Ziegelbedachung versehen wurde. Freilich machte diese den Baukünstlern jener Zeit viel zu schaffen; selbst bei den Häusern auf der fürstlichen Burg fielen nach kurzen Zwischenräumen immer wieder die Dächer ein, was Lisch dem Umstande zu schreibt, dass man an diesen damals zu viele Erker und Giebel anzubringen pflegte. Auch die ältere Bauart mit „geklehmten“ Wänden machte bei den Wohnhäusern allmählich dem Fachbau mit Ziegelsteinen Platz; dabei pflegte man straßenwärts neben der Tür einen kleinen Vorbau anzubringen mit einem Fenster nicht nach vorn, sondern nach der Seite hin, gerade wie wir es noch heute an den ältesten Giebelhäusern unserer Landstädte sehen können.*)

*) Gewiss waren diese Häuser der Landstädte auch in ihrem Innern stets in einem ähnlichen Zustande, wie sie jetzt noch sind. Die Diele ist eng und klein, ebenso die Wohnstube, zu welcher eine Stufe führt, da sie etwas erhöht ist, und in deren Hintergrunde eine Abteilung den mit einem Himmelbette versehenen, jetzt gewöhnlich durch eine Glastür verschlossenen Alkoven bildet. Eine Tür neben diesem führt entweder durch eine Kammer, wenn solche vorhanden, oder direkt in die kleine enge Küche. Im oberen Teile des Hauses, zu welchem eine enge steile Treppe (scherzhaft „Hühnerstiege“) führt, sind noch mehrere Kammern. Auf der Diele fanden früher, damit man sie bei Feuergefahr zuerst retten konnte, die Laden mit Leinzeug. In der mit Kalk getünchten Wohnstube befand sich ein Kachelofen, häufig aus gut verzierten Kacheln erbaut, ein großer Tisch, an der Straßenseite eine hölzerne Bank, meistens braun bemalt, von Eichenholz und zum Aufklappen eingerichtet. Stühle und Sofas waren unbekannt, wer bequem sitzen wollte, bedeckte die Bank mit einem Kissen. An den Wänden hatte man Riegeln aus Brettern, kleine Hängeschränke und Hakenriegeln zum Anhängen des Zeuges. Die großen und unförmlich hohen Betten reichten bis nahe unter die niedrige Decke. Die Küche enthielt hölzerne (teils bemalte) und metallene Gerätschaften, letztere aus Kupfer, Zinn, Messing oder Grapeneisen bestehend, je nachdem die Bewohner größere oder geringere „Ansprüche ans Leben“ machten.


Schwerin mag zu Anfange des 16. Jahrh. höchstens 4–5.000 Einwohner gehabt haben. Die Straßen, welche die damalige Stadt bildeten, haben jetzt etwa 300 Häuser. Früher waren die Häuser allerdings kleiner und standen oft enger zusammen; dafür waren sie gewöhnlich nur von einer Familie bewohnt. Nehmen wir also für die Stadt ums Jahr 1500 in runder Zahl 450 Häuser an, so mag sich mit den Geistlichen die Zahl von ca. 5.000 Einwohnern ergeben. Die Hauptbeschäftigung der Bürger bildeten sicherlich das Gewerbe und der Ackerbau. Große Wohlhabenheit aber herrschte wahrscheinlich nicht und konnte auch nicht wohl aufkommen, so lange die zahlreiche Geistlichkeit größtenteils auf Kosten der Bürger genährt werden musste. Folgendes wird die Bedeutung dieses Umstandes erklären. Der schon früher erwähnte Rostocker Prediger Gryse nämlich gibt an, dass die katholische Geistlichkeit in Mecklenburg zur Zeit der Reformation 14.000 Köpfe betragen habe, eine freilich unglaubliche Angabe, da sich alsdann bei einer Bevölkerung von 300.000 Seelen (E. Boll berechnet die Bevölkerung, welche Mecklenburg um das Jahr 1500 hatte, nur auf 285.000 Seelen, mit Einschluss der Geistlichkeit) auf je ca. 20 Bewohner des Landes ein Geistlicher ergeben würde. Nehmen wir deren aber auch nur 6.000 im Ganzen an – und diese gab es gewiss – so fällt auf je 50 Bewohner oder 10 Familien ein Geistlicher. Von diesen nun kam ein nicht geringer Teil auf Schwerin, wo sich nicht weniger als 48 Altäre (in Dome allein 42) befanden. Wenn wir auch nicht bestimmt wissen, wie groß die Zahl der an diesen Altären fungierenden Priester gewesen ist, so kann man doch ohne Übertreibung und Berücksichtigung obiger Rechnung wohl behaupten, dass es in Schwerin 120–150 Geistliche werde gegeben haben, welche größtenteils der Bevölkerung sowohl der Stadt wie ihrer Umgegend zur Last fielen. Denn diese Geistlichen wollten nicht bloß leben, sondern auch gut leben. Gryse sagt: „Se hebben nicht alleine mit eren Geldstricken und Dalernetten de armen trostlosen Seelen gefangen, sondern ock mit eren Fallstricken und Angeln de schönen und grönen Wische (Wiesen) und herlyken Höltinge, Heyde und Weyde, Acker, Seen, Land- und Stadtgöder tho sick gefischet und praktischer Wyse an sick gebracht.“ Die Schenkungen und Zehnten an die Geistlichkeit entzogen der Bürgerschaft einen großen Teil ihres besten Verdienstes; der Handel aber, welcher damals eine Hauptquelle des Wohlstandes war, kann in Schwerin nicht von großer Bedeutung gewesen sein, da die Haupthandelsstraßen damals die Seewege, die Haupthandelsorte also die Seestädte waren, welche auch den größten Teil des Binnenhandels betrieben, und dadurch den Handel und der Wohlhabenheit der Landstädte großen Abbruch taten.

In ihrem äußeren Umfange erweiterte sich Schwerin auf einigen Anbau der Moore, des großen und kleinen Moores, welche man damals auch „die Neustadt“ nannte. Auch eine Vorstadt hatte sich wahrscheinlich vor dem Mühlentor um das St. Georgs-Hospital angebaut; es wird um die Zeit, wo Martin der Oberländer zuerst das Evangelium predigte, ein Gärtner in der Vorstadt erwähnt, bei welchem jener gewohnt haben soll. Die Schelfe war nicht weiter bebaut, als wir schon früher erwähnt haben, wenn auch angenommen werden muss, dass hier wie in der Altstadt sich allmählich die Zahl der Wohnhäuser in der Weise vermehrt hatte, wie sich die Einwohnerzahl vergrößerte. Nach einer Musterrolle von 1506, in welchem Jahre die ganze mecklenburgische Heeresmacht aufgeboten wurde, hatte die Altstadt Schwerin die unverhältnismäßig geringe Zahl von 50 Mann Fußsoldaten (Rostock lieferte 500 M) zu stellen, während das ganze Kontingent damals 6.414 Mann, nämlich 1.364 Reiter und 5.050 Fußsoldaten, wovon das Bistum Schwerin 200 Mann lieferte, betrug. Wahrscheinlich ist dies ein Beweis dafür, dass die Bürgerschaft Schwerins damals nicht sehr wohlhabend und ihre Zahl nicht bedeutend gewesen ist, wenn sich auch immerhin aus dem Verhältnisse jener Zahlen allein das Verhältnis des Reichtums und der Größe beider Städte nicht ohne Weiteres bestimmen lässt.

Das Leben der Bürger erhielt sich im Allgemeinen, wie es schon geschildert worden ist. Nachdem meistenteils im 13. und 14. Jahrh. sich die Zünfte der Städte gebildet und durch das regere Leben, welches die Korporation im Mittelalter stets veranlasste, eine große Bedeutung in den Städten gewonnen hatten, welche dann noch dadurch vermehrt wurde, dass sie sich wiederholt und tapfer gegen äußere Feinde gewehrt, so strebten sie nach einer Anerkennung ihrer Bedeutung in der Teilnahme an der Regierung der Städte. Sie erhielten diese – in den Seestädten sicher und nicht ohne Kämpfe – in der Weise, dass der Magistrat, indem er mit den Hauptleuten und Wiekmännern verhandelte, bei wichtigen Angelegenheiten ihren Beirat erforderte, ohne solchen aber weder neue städtische Lasten auferlegen, noch auch vom städtischen Vermögen größere Ausgaben bestreiten durfte. Die jährlichen Bürgertage und das Verlesen der Bürgersprache fanden noch immer statt, bis im Laufe des 16. Jahrh. für das ganze Land gültige Polizeiordnungen erlassen wurden, deren sich, obwohl widerstrebend, auch die Städte fügen mussten, worauf denn statt der ursprünglichen Bürgersprachen die städtischen besonderen Vorschriften entstanden, welche jenen Polizeiordnungen entnommen wurden. Noch im 14. Jahrh. zeugte der tapfere Widerstand, welchen die Stadt Schwerin gegen Angriffe von Außen leistete, von einer regen inneren Kraft, wie überhaupt sich während desselben die mecklenburgischen Städte energisch entfalteten; im 15. Jahrh. sanken aber Kraft und Energie allmählich, wovon vorzugsweise das Beispiel der unsittlichen und genusssüchtigen katholischen Geistlichen und die geistige Versumpfung, in welche sie die Bürger verfallen ließen, neben dem oben gedachten Sinken des Wohlstandes die Veranlassungen waren. Wie das böse Beispiel der Geistlichkeit nicht ohne nachteilige Wirkung auf die Sitten des Volkes bleiben konnte, so schien der ganze Gottesdienst damals auf dessen geistige Versumpfung berechnet zu sein. Stundenlang währten oft die den Laien unverständlichen, in lateinischer Sprache abgehaltenen Messen, welche man zur Unterhaltung der Zuhörer nicht selten mit allerlei Possenreißereien ausschmückte (s. E. Boll, Geschichte Mecklenburgs a. o. O.); zahlreich waren die Dienste, welche der Kultus der Heiligen und Reliquien erforderte, unglaublich für die Gegenwart die Menge der abergläubischen Gebräuche. Auch Prozessionen feierte man, z. B. die Palmesel-Prozession am Palmsonntage zum Andenken an den Einzug des Herrn in Jerusalem. In Wismar (wahrscheinlich auch in den übrigen Städten) hatte man dazu einen hölzernen, auf Rollen stehenden Esel, auf welchem ein aus Holz geschnitzter Christus saß. Mit ihm zog man in Prozession durch die Straßen und zuletzt in die Kirche, wobei dann die anstößigsten Possen ausgeübt wurden. Vielleicht führte man auch zu bestimmten Zeiten, wie es in den pommerschen Städten geschah, dramatische Passionsspiele auf, in welchen Szenen aus der Leidensgeschichte Christi dargestellt wurden. Rechnet man hierzu nun noch die Wallfahrten bei Krankheiten und in Folge von Gelöbnissen, so muss man zugeben, dass das Leben jener Zeit durch die Ausübung des Kultus sehr stark in Anspruch genommen war. Da dieser selbst aber nicht im rechten Glauben, nicht im klaren Verständnisse begangen wurde, also auch den Geist nicht befreite von seinen irdischen Fesseln, so konnte er auch die Menschen nur unfrei machen im Dienste des Aberglaubens und Unverstandes,

Es zeugt für die Kraft des mecklenburgischen Volkes, dass es, wie alle nordischen Völker, in das Dunkel dieses Zustandes nicht so völlig versank, um nicht sofort bei einem Anbruche die Helle des Lichtes der Wahrheit erkennen zu können. Ja, schon vor der Reformation herrschte ein Zustand großer Unzufriedenheit gegen die Geistlichen in Mecklenburg, der sich darin zeigte, dass ein großer Teil der niederen Stände dieselbe verachtete, verhöhnte und verspottete. Wir haben z. B. noch Volksvereine aus jener Zeit, in denen dies genugsam angedeutet wird. – Oder ist es nicht ein sicheres Zeichen, dass die Bürger Schwerins das Bedürfnis einer Reformation des Gottesdienstes empfanden, da schon zwei Jahre nach dem Beginne der evangelischen Predigt eine ziemlich starke lutherische Gemeinde in dieser Stadt sich befand, welche fast vier Jahrhunderte hindurch ein Bischofssitz gewesen und noch war? Freilich gingen die oberen Stände mit dem Beispiel voran. Wenn man einer Äußerung Hederichs unbedingt trauen könnte, so hätte der Rat der Stadt den Neubau der lutherischen Kirche 1531 mit Eifer betrieben, zu dieser Zeit also wohl mindestens in der Mehrzahl seiner Mitglieder schon aus Anhängern Luthers bestanden. Fest und eifrig aber schritt Herzog Heinrich V. vor, obwohl er in Folge seines friedfertigen Sinnes überall Zwistigkeiten möglichst zu vermeiden suchte. Nicht immer zwar gelang ihm dies, doch wunderbar ruhig machte die Reformation ihre Fortschritte in Schwerin, obgleich die Geistlichkeit mehrmals geneigt war, dieselben gewaltsam zu hemmen. Freilich waren auch unter dieser selbst Männer, welche den Verfall des Kultus tief empfanden. Der Bischof Conrad Loste und manche seiner Vorgänger hatten alles Mögliche getan, um die Verhältnisse des Bistums nach allen Richtungen hin zu reformieren; der Herzog Magnus hatte schon den Verfall der Kirche erkannt und gegen ihn Rat gesucht, wie ein Brief des Mönchs Vicke Dessin vom Jahre 1477 beweist, worin er dem Herzog sagt, dass nur der Glaube an den Heiland den Christen gerecht mache; dass nur ein rechter christlicher Lebenswandel und wahrhaft gute Werke in Arbeit, Rechtschaffenheit und Demut Gott wohlgefällig seien; dass man sich nicht von der heiligen Schrift und der Wahrheit wenden dürfe, welche Gott selber sei; dass die Klöster im Lande zurecht gesetzt und reformiert werden müssten, was ein größeres Verdienst sein würde, als Beten, Fasten, Opfer bringen usw. Es waren sogar geistliche Anstalten, welche die Reformation in Mecklenburg vorbereiten halfen: das Kartäuserkloster Marienehe bei Rostock, das Augustiner-Eremitenkloster zu Sternberg und die Brüder vom gemeinsamen Leben zu Rostock. Die Franziskaner zu Schwerin scheinen ihr keinen großen Widerstand geleistet zu haben; der Bischofssitz war in der Hand des Herzogs Heinrich V. und seines begabten, im Herzen schon seit längerer Zeit der Reformation zugeneigten Sohnes Magnus, und auch dies war jedenfalls ein günstiges Ereignis für die neue Lehre.

Sobald Herzog Heinrich V. öffentlich sich zur lutherischen Lehre bekannt hatte, musste diese natürlich schnelle Fortschritte in seiner Residenz machen. Das Bistum wurde bald nachher aufgehoben (die katholisch gebliebenen Domherren und sonstigen Geistlichen ließ man ruhig absterben), obwohl es als reformiertes Stift noch bis zum Jahre 1648 fortbestand; die Klöster verschwanden auch bald. Am frühesten wurde wohl das Beguinenkloster aufgehoben, dessen Insassen in ganz besonders schlechtem Rufe standen. Diese Schwesternschaft nämlich hatte, obwohl sie in klosterartiger Gemeinschaft lebte, keine bestimmte Ordensregel, also bedeutende Freiheit, und widmete sich anfänglich der Krankenpflege, wobei sie sich stets an die Mönche der Franziskanerklöster anzuschließen pflegte. Die öffentlichen Badestuben, welche unter ihrer Aufsicht standen, da sie zur Gesundheitspflege jener Zeit benutzt wurden, gaben ihnen Gelegenheit zur Einrichtung der s. g. Seelbäder für Verstorbene, von denen der Aberglaube ganz besondere Vorteile für das Seelenheil jener erwartete. Die Beguinen hatten aber bald überall, wo sie sich aufhielten (in Wismar, Rostock, Schwerin, Parchim und Neubrandenburg) mit ihrer Tätigkeit in den Badestuben einen so ausgebreiteten Kultus der Venus verbunden, dass ihr Ruf der allerschlechteste wurde und sie deshalb schwerlich noch lange in Schwerin geduldet sein werden. –
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Chronik der Haupt- und Residenzstadt Schwerin