Geschichte der Stadt Schwerin von 1820 bis 1823

1820. Seit dem Beginne d. J. hielt eine Deputation der Landstände, unter dem Vorsitze fürstlicher Kommissarien, ihre Sitzungen in Schwerin, um Vorschläge zu denjenigen gesetzlichen Bestimmungen zu entwerfen, welche durch das Ostern d. J. eintretende Aufhören der bisherigen Leibeigenschaft notwendig geworden waren. Die Verhandlungen, welche bis zum 13. Januar dauerten, bezogen sich auf die Einrichtung des Patrimonial, des Armen- und Schulwesens, auf die Bestimmungen über Verleihung von Grundeigentum auf dem Lande und auf die bäuerlichen Verhältnisse.

Im Januar d. J. bildeten sich zwei Gesellschaften in Schwerin, der Gesangverein, dessen Mitglieder alle 14 Tage Sonnabends ein Abonnement-Konzert im Kirchneri’schen Saale veranstalteten, und ein Liebhaber-Konzert, welches jede Woche am Mittwoch im Saale des deutschen Hauses stattfand. Die erstere Gesellschaft wurde für die Stadt sehr bedeutungsvoll, indem die Mitglieder später häufig Konzerte veranstalteten, deren Reinertrag zu wohltätigen Unternehmungen bestimmt wurde. Manche solcher Unternehmungen, z. B. die Stiftung von Freischulen, treten uns nun bald entgegen und bestanden zum großen Teile durch die Mittel, welche in dieser Weise aufgebracht wurden.


Am 17. Januar wurde für alle Schüler des Gymnasiums, welche zum Besuche der Universität Rostock abgingen, die Abhaltung einer Prüfung zur Feststellung ihrer Reife (Abiturienten-Examen) angeordnet.

Am 7. April wurde eine ältere Verordnung vom 26. März 1813 wiederholt, nach welcher alle geborene und naturalisierte Mecklenburger oder wer sich sonst häuslich im Lande niedergelassen habe, vom 19. Jahre an eine Kokarde mit den Landesfarben tragen sollen. Dies geschah, damit sie sich gleich als Einheimische legitimieren konnten, denn noch immer wimmelte das Land und besonders die größeren Städte von fremdem und verdächtigem Gesindel aller Art, welches nun strenge verfolgt und aufgegriffen werden sollte. Das unberechtigte Tragen einer solchen Kokarde zog natürlich Strafe nach sich, deshalb durften auch Alle, welche sich eine unehrenhafte Handlung hatten zu Schulden kommen lassen, die nicht tragen. Die Kokarden, welche man damals trug, waren etwa von der Größe eines Markstückes, in der Mitte dunkelblau, dann mit einem roten, blau eingefassten, und zuletzt mit einem goldgelben ebenfalls blau eingefassten Ringe.

Im September begann der Abbruch des alten Schmiedetors und der neben ihm stehenden Pförtnerwohnung, an deren Stelle im folgenden Jahre durch den damaligen Kaufmann, später Kommerzienrat Lembcke das jetzige Eckhaus der Schmiede- und Fließgrabenstraße (Bärensprung & Ehlers) erbaut wurde.

In diesem Winter wurde auch der Damm am Ostorfer See hinter dem Püsserkruge erhöht und mit Sand befahren.

Im Oktober und November tagte in Schwerin wieder eine ständische Deputation, welche in Verbindung mit landesherrlichen Kommissarien die Kriegserleidungen der einzelnen Kommunen des Landes ausmitteln und Vorschläge zu deren Berichtigung entwerfen sollte. Auf dem diesjährigen Landtage wurde diese Angelegenheit auf Grundlage der kommissarischen Ermittlungen und Entwürfe erledigt. Nach ersteren hatte Schwerin an Kriegserleidungen die Summe von 213.410 Thaler N 2/3 zu fordern. Nach den kommissarischen Vorschlägen wurde nun aus der Gesamtsumme aller Kriegsschäden des ganzen Landes für jede Kommune das Mittel berechnet, welches man die „pflichtmäßige Kriegserleidung“ nannte; sie betrug das 50fache Simplum der außerordentlichen Kontribution. Diese Summe wurde nicht entschädigt, vielmehr nur dasjenige, was jede Kommune mehr getragen hatte. Da nun die pflichtmäßige Erleidung für Schwerin 132.500 Thaler N 2/3 betragen sollte, so hatte die Stadt 80.910 Thaler N 2/3 zu viel getragen, um deren Entschädigung es sich handelte. Die zu Gebote stehenden Mittel, betrugen für sämtliche Städte, mit Ausnahme der Seestädte, nur 138.000 Thaler N 2/3 bei einem Entschädigungs-Guthaben von 642.178 Thaler N 2/3, so dass jede Stadt von dem wirklichen Mehrverluste nur 22 1/4 Prozent, Schwerin demnach statt jener 80.910 Thaler nur 17.200 Thaler N 2/3 bekam. Diese Summe erhielt die Stadt in Staatsschuldscheinen mit einem jährlichen Kapital-Abtrag von 3 und einer jährlichen Verzinsung von 2 Prozent auf 23 Jahre verteilt; es wurden ihr also jährlich 860 Thaler N 2/3 überwiesen.

1821. Der Service-Beitrag der Bewohner Schwerins betrug seit 1810 bei einer Garnison von fast 200 Mann: der Real-Service-Beitrag von jedem der 538 vollen Häuser auf der Alt- und Neustadt und in der Vorstadt à 7 Thaler im Ganzen 3.766 Thaler, der Personalbeitrag aller Bürger nach ihrem Gewerbe, die seien Hausbesitzer oder nicht, wechselte von 2 bis 9 Thaler jährlich. Außerdem erhielt jedes volle Haus auf der Neustadt jeden dritten Monat 2 bis 3 Mann Einquartierung, und wurde für jeden Mann aus der Service-Kaffe täglich 1 ßl. Entschädigung bezahlt.

Am 8. Mai, Nachmittags gegen 4 Uhr, starb der seit dem 6. Juni 1820 auf dem hiesigen Schloss wohnende Herzog Adolf Friedwich, jüngster Sohn des Großherzogs Friedrich Franz I. an den Folgen zurückgetretener Masern. Seine Leiche wurde zunächst in der Kapelle des altstädtischen Kirchhofes beigesetzt, später aber nach Ludwigslust gebracht, wo sie in der katholischen Kirche ihre Ruhestätte fand.

Seit dem Beginn d. M. hatte man die Errichtung einer Ersparnis-Anstalt (Sparkasse) in Schwerin unternommen. Die Seele dieses Unternehmens und der eigentliche Gründer dieser Anstalt war der Justizrat, später Vizedirektor der Justizkanzlei von Schack; das Präsidium des Vereins hatte vorläufig der Herzog Adolf übernommen, dessen Tod es aber sofort aufhob. Die Verwaltungskosten wurden durch freiwillige Beiträge bestritten; der Großherzog hatte die Anstalt auf 6 Jahre mit jährlich 150 Thaler dotiert, Herzog Adolf 500 Thaler geschenkt. Durch Aktien war ein Sicherheits-Kapital von 6.000 Thaler aufgebracht. Ein Lokal hatte der Großherzog der Anstalt im Hofmarschallamts-Gebäude in der Schlossstraße angewiesen, und 20 Männer aus den höheren Ständen führten die Aufsicht und übten die Revision der Bücher aus. Am 5. Juni wurde die Anstalt eröffnet, welche seitdem auf das Seegensreichste gewirkt hat, indem sie nicht nur die Sparsamkeit, sondern auch unter der umsichtigen Leitung des Geh. Kanzleirates Faull mancherlei gemeinnützige Bestrebungen gefördert hat.

Im September d. J. wurde der Steindamm durch die Vorstadt bis zum Siechenbaume gelegt.

Um diese Zeit finden wir folgende Fleischpreise in Schwerin: Kalbfleisch, nüchtern ¾ – 1 ßl., sehr fett 4 ßl., fettes Rindfleisch 3 ßl., sehr fettes Hammelfleisch 3 ßl., fettes Schweinefleisch 3 ßl. pro Pfund. In teuren Jahren stiegen diese Preise auf 4 ßl. für die letzteren Fleischarten und auf 6 ßl. für fettes Kalbfleisch.

1822. Im April wurde das alte, in der Apothekerstraße gelegene Zeughaus meistbietend auf Abbruch, verkauft. Die seit dem März d. J. vermehrte Artillerie erforderte ein größeres Gebäude. Es wurde auch jetzt auf den Betrieb des Majors von Martius eine Schule gestiftet, in welcher die Unteroffiziere und Feuerwerker der Artillerie Unterricht in der Mathematik, im Zeichnen und in der Artillerie-Wissenschaft, die Gemeinen im Rechnen, Schreiben und Lesen erhielten.

Am 14. Mai starb der Regierungsrat Dr. Friedrich August von Rudloff, 72 Jahre alt, der Verfasser einer mecklenburgischen Geschichte und seit 1776 Begründer, sowie Herausgeber des bis auf die Gegenwart fortgesetzten großherzoglich Mecklenburg-Schwerinschen Staatskalenders. Er wurde auf seinem Gute Moifall beigesetzt.

Der Magistrat hatte in letzterer Zeit für die Verbesserung des sehr schlechten Steinpflasters zu sorgen begonnen. Seine Bestrebungen konnten aber nicht gehörig durchgreifend sein, so lange, wie bisher, den einzelnen Hausbesitzern die Verbindlichkeit oblag, das Steinpflaster vor ihren Häusern selbst im Stande zu erhalten. Er vereinbarte deshalb mit den Bürgerrepräsentanten und Deputierten der Eximierten eine Erhebung von Steindammgeld von allen Bürgern der Stadt, wogegen er die Erhaltung des Steinpflasters von nun an selbst übernahm. Am 30. Mai erschien die landesherrlich bestätigte Verordnung, nach welcher für jedes volle Haus eine jährliche Abgabe von 1 Thaler 16 ßl zu diesem Zwecke erhoben werden sollte, von ¾, ½, ¼ Häusern im Verhältniss. Ferner sollten von 100 Thaler Miete und mehr gleichfalls jährlich 1 Thaler 16 ßl. erlegt werden und so im Verhältnisse von 75–99, 50–74, 25–49 Thaler. Mietseinwohner, welche weniger als 25 Thaler an Miete zahlten, sollten frei sein. Diese Erhebung wurde vom 1. Januar 1822 an in Quartal raten postnumerando berechnet.

Am 25. Mai d. J. hatte sich der Erbgroßherzog Paul Friedrich, geb. am 15. September 1800, ältester Sohn des am 29. November 1819 zu Ludwigslust verstorbenen Erbgroßherzogs Friedrich Ludwig, zu Berlin mit der Prinzessin Friederike Wilhelmine Alexandrine Marie Helene von Preußen, Tochter des Königs Friedrich Wilhelm III. vermählt. Am 15. Juni hielten die Neuvermählten ihren feierlichen Einzug in das geschmückte Schwerin. Am Mühlentor und auf dem altstädtischen Markte waren Ehrenpforten errichtet; neben der letzteren stand der die Herrschaften bewillkommende Magistrat. Vom Tore bis zum Alten Garten bildeten die Bürgerschaft, die Schützenzunft und die Gewerke, auf dem Alten Garten das Militär Spalier. Abends fand ein Fackelzug der Primaner des Gymnasiums statt.

In d. J. wurde der dem Mühlentore gegenüber gelegene Zwinger, der Bädelturm, abgebrochen.

Das Schauspielhaus befand sich dermalen in einem so verfallenen Zustande, dass dem Schauspieldirektor Lyser befohlen wurde, sich bei heftigem Unwetter der Vorstellungen zu enthalten, weil das Dach des Hauses sich in sehr bedenklichen Umstanden befinde.

Neu errichtet wurde die Tierarzneischule in der Amtsstraße, und der über den Hals nach Zippendorf führende Weg wurde gerade gelegt und weiter gemacht.

Der Sommer d. J. war sehr warm und fruchtbar. Die Erdbeeren und die Reben blühten zweimal, letztere hatten auch schon wieder kleine Beeren angesetzt, als in der Mitte des Oktobers kältere Witterung eintrat. Das Schweriner Armen-Institut war in dieser Zeit so herabgekommen, dass es keine Zahlungen mehr leisten und eine Rückstände nicht berichtigen konnte. Das Armen-Kollegium hatte bei der Regierung von diesem Zustande seiner Kassen Anzeige machen und um Abhilfe bitten müssen. Da die freiwilligen Beiträge, welche früher das Institut allein erhalten hatten, nicht mehr fließen wollten, so wurde nun eine zwangsweise Erhebung von Beiträgen angeordnet. Diese war um so notwendiger, als die Gründung eines Arbeitshauses dringendes Bedürfnis geworden. Ein solches Haus erwarb das Armen-Institut in der Vorstadt (Rostocker-Straße. Nr. 16) wo es noch jetzt ist, richtete es ein und verband damit zugleich ein Krankenhaus für Arme. Diese Anstalt, welche den Zweck hat, armen Alten Verdienst, Müßiggängern und Bettlern aber Zwangsarbeit zu geben, wurde im Anfange des Jahres

1823 eröffnet. In dem zum Arbeitshause bestimmten Vorderhause befinden sich unten die Wohnung des Werkmeisters und 3 Stuben für Arbeiter, oben zwei große Arbeitssäle und 2 große Webstuben zu Woll- oder Flachs-Webereien nebst 3 anderen geräumigen Zimmern. Das durch einen Hof und kleinen Kanal von jenem getrennte Hintergebäude ist zum Krankenhaus bestimmt, enthält 9 Krankenzimmer, ein Badegemach und eine Leichenkammer. Dahinter liegen ein geräumiger Garten und eine Wiese am Burgsee.

Trotz aller Verordnungen und Maßregeln hatte man noch immer dem Treiben heimatloser Vagabunden kein Ziel setzen können. Es wird geklagt, dass der Andrang solcher Personen gerade nach Schwerin hin sehr stark sei. Häufige Diebstähle, Bettelei, Droh- und s. g. Wunderbriefe waren die Folgen solchen Unwesens. Auch i. d. J. wurden wieder Schritte zu dessen Beseitigung getan. Am 25. April wurde verordnet, dass sich nur Solche hier niederlassen dürfen, welche einen Rezeptionsschein vom Magistrate erhalten haben, ausgenommen großherzogliche Zivildiener und Militärpersonen im Dienst, welchen die Aufnahme nicht verweigert werden darf, sowie die Heimatberechtigten. Sie soll ferner nicht versagt werden Allen, welche ein Vermögen nachweisen, von dem sie 12 Jahre lang ohne weiteren Erwerb würden leben können, Solchen, welche ein Wohnhaus gekauft und die Hälfte des Kaufgeldes ausbezahlt haben, Solchen, welche ein Gewerbe treiben, dass sie voraussichtlich ernährt, und die Mittel zu einer Einrichtung haben. Um nun dem nächtlichen Unfug zu steuern, wurden, außer den gewöhnlichen Nachtwächtern noch Schleichwächter, welche mit einer Pfeife, Knarre und Blendlaterne versehen waren, ausgerüstet, um auf alle Personen Acht zu geben, die nach 11 Uhr sich auf den Straßen befinden, sie auch erforderlichen Falles anzuhalten. Im September wurde endlich noch die Verordnung wieder eingeschärft, dass alle Fremden, welche in die Stadt ziehen wollen, ohne Ausnahme beim Magistrat angemeldet werden müssen.

Nun wurde auch mit der Verbesserung der Straßenbeleuchtung begonnen. Die Hälfte der Münzstraße, einige Nebenstraßen derselben, und die Königsstraße vom Anfange der Neustadt bis zum altstädtischen Markte erhielten Hängelaternen mit Strahlenbrechern statt der früheren sehr dunklen Pfahllaternen an den Straßenseiten.

Sodann begann man mit einer neuen Straßenpflasterung vom altstädtischen Markte bis zur Fischerstraße, wobei der Raum zwischen der Alt- und Neustadt, welcher bisher wegen seiner Lage für Wagen schwer zu passieren war, geebnet wurde. Bei dieser Gelegenheit wurden die Brotbuden (der Brotschaaren) vom Markte fortgeräumt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Chronik der Haupt- und Residenzstadt Schwerin