Geschichte der Stadt Schwerin von 1771 bis 1776

1771 war gleichfalls ein sehr unfruchtbares Jahr, da es während der Erntezeit fast 6 Wochen lang täglich geregnet hatte, so dass der Roggen erst kurz vor Michaelis eingefahren werden konnte. Alles Korn war in den Garben ausgewachsen, welche wie grüne Büschel auf dem Felde standen, und, was besonders bemerkenswert ist, es zeigte sich in diesem Jahre eine der jetzigen ganz ähnliche Kartoffelkrankheit, nachdem schon im vorigen diese Frucht, und zwar zum ersten Male seit ihrem Anbau (zwischen 1740 und 50), gänzlich missraten war. In Folge dieses Missratens der Feldfrüchte drang der Hungertyphus, welcher im übrigen Deutschland herrschte, auch in das ganze mecklenburgische Land und wütete bis zum Jahre 1773. Viele Menschen, besonders aus den ärmeren Volksklassen, wurden ergriffen, wenn auch der sVerlauf dieser Krankheit nur wenige tötete. Schon im vorigen Jahre hatte deshalb der Herzog verordnet, dass keine Hausierer, Bettler und Polen im Lande geduldet werden sollten, wenn sie aus infizierten Gegenden kämen.

Der Magistrat bat in diesem Jahre, dass es ihm erlaubt werden möge, längs der Gaffe zum Bischofshofe, „vom Köhn’schen Hause bis zum Kreuzgange an der Mauer des Kirchhofes“ ein Schauer für die städtischen Löschanstalten zu errichten, und dass er zu diesem Zwecke „die 17 Linden, welche zur Verschönerung der Stadt neben der Mauer“ angepflanzt seien, wegnehmen dürfe. Da die Straße nur schmal war, wurde ihm diese Bitte abgeschlagen. Die 3 Spritzen standen damals unter dem Rathause in einem Zimmer nach vorn, die Leitern hingen hinten am Rathause unter einem Schauer. Das Gebäude nordwärts neben dem Kirchturm worin der Magistrat früher die Löschanstalten aufbewahrt hatte, war schon lange verfallen; i. J. 1754 diente es nur noch zur Aufbewahrung der Karren, Besen und Schaufeln, welche zur Reinigung des Marktes gebraucht wurden. Später war es nach längeren Streitigkeiten, da der Magistrat es nicht hergeben wollte, an die Kirche, welcher der Platz gehörte, zurückgefallen und abgebrochen. (s. d. J. 1700)


1772 und 1773 herrschte der Typhus in Schwerin sehr stark, auch ein hitziges ansteckendes Fieber grassierte, an welchem Viele starben. Nach herzoglicher Verordnung mussten alle Gestorbenen spätestens am dritten Tage beerdigt sein. An der Krankheit starb nun auch die Frau eines Scharfrichterknechts, welche man nicht in Schwerin beerdigen lassen, auch Niemand zu Grabe tragen wollte, weil es bisher Gebrauch gewesen sei, die verstorbenen Scharfrichterknechte in der Nacht still auf die Scharfrichterei nach Hohen Viecheln zu bringen und dort zu beerdigen, überhaupt auch diese Leute noch unehrlich seien, da sie in der Patent-Verordnung vom 18. August 1753 (s. d. J.) nicht mitgenannt wären.

Obwohl die Beerdigung der Verstorbenen mehrfach anbefohlen wurde, war sie doch nicht durchzusetzen; nachdem die Leiche 5 Tage gestanden, mussten Scharfrichterknechte aus Grabow zu Hilfe geholt werden, welche sie in der Nacht über den See nach Viecheln brachten. Überhaupt war eine böse Zeit; die große Not, die Teuerung und die schweren Krankheiten hatten die Menschen in der Stadt verwildert und entsittlicht. Besonders auf der Neustadt wurden viele Diebereien und nächtlicher Unfug verübt; die Leute gingen oft des Abends verkappt auf den Straßen und trieben Mutwillen. Der Magistrat setzte deshalb den Nachtwächtern für jeden ertappten Dieb „zur Ermunterung ihrer Aufmerksamkeit“ eine Belohnung von 20 Gld. aus. Es gab nun diese Zeit „2 Sing- und 2 Räthel-Nachtwächter“ auf der Altstadt und eben so viele auf der Neustadt, von denen bisher immer abwechselnd in jeder Nacht nur die Hälfte im Dienste gewesen war. Jetzt mussten aber allnächtlich alle 8 wachen und dazu hatte noch der Herzog auf Bitten des Magistrats (1773) verordnet, dass jede Nacht Patrouillen durch die Straßen zogen. Nach 11 Uhr Abends durfte Niemand mehr ohne Leuchte auf der Straße sein oder er musste einen Bedienten bei sich haben.

Schon am 29. April 1771 hatte Herzog Friedrich allen Ortsvorständen des Landes aufgegeben, sie möchten die Verlegung der Kirchhöfe, namentlich aus den Städten in Betracht ziehen und wegen einer solchen Vorschläge machen. Die Sache war überall vernachlässigt, bis nun die herrschende Seuche den Herzog zu neuen dringenderen Ermahnungen veranlasste. Geistlichkeit, Rat und Bürgerschaft Schwerins hielten deshalb Besprechungen, konnten sich jedoch nicht einigen. Die Sitte des Beerdigens in der Kirche wollten von vorneherein alle nicht fallen lassen; die Geistlichkeit wünschte ferner, dass der Begräbnisplatz beim Dome bleiben möge und nur für die Armen, die Soldaten, die Dorfbewohner und die Katholiken ein neuer Kirchhof auf dem Schelffelde angelegt werde. Die Bürgerschaft war mit der Verlegung des Kirchhofes einverstanden, konnte aber einen passenden Platz nicht finden. Ein Teil wünschte, dass der Kirchhof auf dem „Timmermann’schen Felde nahe beim Galgen und der Schinderkuhle“ (beim jetzigen Lübschen Tore) angelegt werde, die 16 Männer aber schlugen einen Platz in der Nähe des Armenkirchhofes (Hofs Gasthaus am Marienplatz) vor. Wegen dieser und ähnlicher Meinungsverschiedenheiten kam es zu einer Vereinbarung nicht; im
J. 1776 nahm der Herzog die Sache selbst in die Hand, „weil der Magistrat keinen passenden Platz finden könne“, erwarb am 6. April den Acker des Müllers Röper auf dem Bunkenberge beim Pfaffenteich und erklärte sich bereit, wenn die Stadt dareinwillige, denselben „auf seine Kosten mit Mauer, Gittertür und Kuhlengräberhaus“ versehen zu lassen. Es fand sich aber, dass auch dieser Platz nicht passend war und so blieb die ganze Angelegenheit noch mehrere Jahre ruhen (s. d. J. 1779)

Auf der Schelfe war man indessen weiter gekommen; hier hatte man schon i. J. 1773 einen Teil des jetzigen Kirchhofes, den südwestlichen, erworben und ließ ihn nun herrichten. Langsam ging es freilich auch hiermit; erst i. J. 1778 wurde der neue Schelfkirchhof vom Konsistorialrat Martini eingeweiht. Nun wurde die niedrige Mauer, welche den Kirchhof bei der Schelfkirche umgab, niedergerissen, der Platz geebnet und fanden dort keine Beerdigungen mehr statt.

1774. Während der Zeit der vorgedachten Epidemien hatten sich in Schwerin unter dem Namen von Leichengesellschaften 5 verschiedene Totenkassen neu gebildet, welche neben den Totenkassen der Schützenzünfte, des Schneider, Schuster und Weber-Amtes, sowie der großen Totenbeliebung bestanden. Die erste und zweite Leichengesellschaft war 1770, die dritte 1771, die vierte und fünfte 1772 gebildet. Sie beruhten auf gänzlich unhaltbaren Grundsätzen, machten im ersten Jahre Schulden und bald Bankerott. Jenes zeigt sich schon darin, dass die erste Leichengesellschaft bei 204 Mitgliedern und 24 ßl. jährlichem Beitrag 100 Gld., die zweite bei 204 Mitgliedern und 12 ßl. jährlichen Beitrag 50 Gld., die dritte bei 304 Mitgliedern und 4 ßl. jährlichem Beitrag gar 25 Gld. Leichengelder zahlen wollten. 1774 wollte sich nun noch eine neue Gesellschaft bilden; aber das war dem Magistrate doch zu viel. Er wandte sich deshalb bittend an den Herzog, dass derselbe jene nicht bestätigen möge; sie kam nicht zu Stande. Die Gesellschaften riefen alle später viele Zahlungsquerelen hervor, die unwichtig sind und sich aus dem Gesagten von selbst ergeben.

1776 ereignete sich eine Begebenheit, welche die letzte ihrer Art in Schwerin war. Am 26. November war nämlich der Torschreiber Lüders am Mühlentor gestorben, und da derselbe seines Amtes wegen für anrüchig gehalten wurde, so weigerten sich die Leichenzünfte wieder, ihn zu Grabe zu tragen, auch die Handwerker waren nicht zu bewegen, wollten auch weder ein Laken noch eine Bahre hergeben. Die Witwe wandte sich, da der Rat nichts machen konnte, beschwerend an den Herzog, welcher ein scharfes Reskript an den Rat erließ (3. Dezember) er solle die Ältesten der Zunftgenossen zum Tragen auffordern. Als dies ruchbar wurde, kamen die Schützenzünfte schnell zusammen und beschlossen, hinfort gar keine Leichen mehr für Geld tragen zu wollen, da man hierzu schon seit einiger Zeit sehr häufig Unteroffiziere und Handwerksburschen gebraucht habe und nichts mehr damit zu verdienen sei. Als nun der Rat sie gemäß dem herzoglichen Reskripte aufforderte, erwiderten sie, sie trügen gar keine Leichen mehr für Geld; die übrigen Genossenschaften hatten dies überhaupt nie getan (s. d. J. 1750), so dass jetzt Niemand da war, den der Magistrat hätte zwingen können, als die Schuster und Schneider. Diese gerieten in Furcht, dass sie allein requiriert werden möchten und suchten sich durch die übrigen Ämter zu decken. Sämtliche Zunftämter der Stadt versammelten sich demnach und beschlossen am 6. Dezember, die Leiche auf gemeinschaftliche Kosten tragen zu lassen, jedoch nicht durch Zunftgenossen, damit diese nicht an ihrer Ehre litten, sondern durch gedungene Tagelöhner. Das war nun wieder der Witwe nicht recht, welche sich abermals beim Herzoge beschwerte, der nun ein Reskript voll derber Kraftausdrücke an den Magistrat erließ. Er befahl, dass die Ältesten der Zünfte, allenfalls auch der Totenbeliebung, die Leiche selbst tragen oder durch Zunftgenossen tragen lassen, und ohne Ausnahme und Unterschied der Leiche folgen sollten. Auch gewärtige der Herzog, dass der Rat in corpore folge, wozu auch die gesamte hiesige Steuerstube aufgefordert sei, damit der verdammliche Wahn der Anrüchigkeit endlich aufhöre. Zugleich setzte er die Beerdigung auf den nächsten Tag fest. Die Witwe hatte ihre Wohnung schon räumen müssen, der Feldscher Morien, welcher die Leiche in einem Hause gehabt, sie hinaustragen lassen und nun stand sie schon seit mehreren Tagen im Torfstall. – Am 7. Dezember Morgens ließ der General von Both beim Bürgermeister Brandt anfragen, wie es mit der Beerdigung werde? Dieser entgegnete, er habe die Ältesten der Zünfte zu heute aufs Rathaus berufen. Als diese erschienen, weigerten sie sich zuerst, wurden aber geschmeidiger, als der General ihnen mitteilen ließ, er werde „6 Unteroffiziere nebst den Soldaten zur Aufrechterhaltung der Ordnung“ mit zum Leichenkondukt schicken. Dennoch fand die Beerdigung erst am 8. Dezember statt, nun aber wurde die Leiche auch getragen von je 3 Ältesten beider Schützenzünfte und der Ämter der Schuster und Schneider, also von 12 Personen, und es folgten der ganze Magistrat, die Steuerbeamten, die Ältesten der Totenbeliebung und zwei Geistliche, während die halbe Schule sang und die Glocken läuteten. Es hatte sich aber viel Volk umher gesammelt, welches dermaßen tumultuierte und schrie, dass vom Gesange nichts zu hören war. Die ganze Gesellschaft wurde im Torschreiberhause mit Wein, Kringel und Zwieback bewirtet, jeder Träger erhielt, wie es in einem Berichte über diese Angelegenheit heißt „pro studio et labore“ 1 Gld. Tragelohn.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Chronik der Haupt- und Residenzstadt Schwerin