Geschichte der Stadt Schwerin von 1701 bis 1705

1701. Außer dem regierenden Herzoge Friedrich Wilhelm und seinen 2 Brüdern Carl Leopold und Christian Ludwig II. lebte noch der Vaterbruder Adolf Friedrich II, welcher die Ämter Strelitz, Wanzka, Feldberg und Mirow besaß und in Strelitz (Alt) residierte. Der Herzog Gustav Adolf von Güstrow nämlich war schon am 26. Oktober 1695 kinderlos gestorben, und seit dieser Zeit hatten Friedrich Wilhelm sowohl wie Adolf Friedrich II. Erbansprüche an das Herz. Güstrow erhoben. Es entstanden darüber mehrjährige Zwistigkeiten zwischen beiden Prätendenten, welche wir hier nicht genauer verfolgen können. Am 8. März 1701 aber wurde zu Hamburg ein Vergleich abgeschlossen, nach welchem Herz. Adolf Friedrich das jetzige Mecklenburg-Strelitz und Ratzeburg erhielt, das ganze übrige Land aber zum Herzogtum Mecklenburg-Schwerin vereinigt wurde. Nachdem dies erledigt, wurden auch die Streitfragen, welche bisher zwischen den Herzogen und den Ständen obgewaltet hatten, durch einen zu Schwerin geschlossenen Vergleich beendigt.

Von jetzt an wandte der Herzog Friedrich Wilhelm namentlich seiner Residenzstadt Schwerin eine große Aufmerksamkeit zu. Er suchte dieselbe zu vergrößern und deshalb die Schelfe zu erweitern. Seit 1701 ließ er mit der Bebauung der Palaistraße beginnen, errichtete auf dem Bischofshofe eine Oberjägermeisterei, welche dort bis 1720 blieb, und begann auch einige Bauten am Residenzschloss (s. u. 1713)


In demselben Jahre wurde die s. g. große oder älteste Leichenzunft gestiftet und ihre Statuten nebst ihrer Totenlade konfirmiert. Das in den städtischen Akten sehr dunkle Verhältnis der älteren Leichen- und Schützenzünfte ist folgendes:

1638 war die älteste oder s. g. kleine Schützenzunft gestiftet. Diese Zunft bestand bis zum 12. Februar 1679. Eine eigenhändige Aufzeichnung vom Bürgermeister Simon Stemmwede, die sich unter diesem Datum im Stadtbuche befindet, lautet:
„Die kleinere Schützenzunft mit Totenbeliebung hat über 50 Jahre bestanden. Als ihr aber vom Hofe her immer zugemutet werden sollte, die verstorbenen Holzvögte, Landreiter, Pförtner und ähnliche Leute, die sich „mit Schließen beschäftigen,“ zu Grabe zu tragen, wovon sie viele Anfechtung und Ungelegenheit hatte, hat sich die Leichenzunft, dies zu vermeiden, selbst aufgelöst, und ihre Konfirmation mit 8 Artikeln an den Rat zurückgegeben. So geschehen den 12. Februar 1697.“
Die Schützenzunft bestand natürlich fort, aber auch eine neue Leichenzunft bildete sich gleich darauf wieder, welche wegen der vermehrten Zahl ihrer Mitglieder die „große, auch die älteste Zunft“ genannt wurde. Diese Zunft konstituierte ihre Totenlade i. J. 1701. Die Bedingungen des Beitritts waren nicht ganz dieselben; denn während die Statuten von 1638 ein einmaliges Aufnahmegeld von 4 Tal. und nur einen jährlichen Beitrag von 3 ½ ßl. forderten und alle Mitglieder dieser Totenlade zur Schützenzunft gehörten, welche erst später konstituiert wurde, so traten nun aus der Schützenzunft einzelne Mitglieder zu einer neuen Totenlade freiwillig zusammen, ohne dass sich die Schützenzunft als solche beteiligte, und die Mitglieder mussten statutenmäßig monatlich 4 ßl. Beitrag zahlen, wogegen das Eintrittsgeld aufhörte. Später, nämlich i. J. 1721 (s. d. J.) bildete sich in der Neustadt eine zweite Schützenzunft mit Totenlade, die zum Unterschiede von jener die „jüngste Zunft“ genannt wurde. Beide Schützenzünfte erweiterten später (wann?) ihre Totenladen zu allgemeinen Leichenkassen, und zwar geschah dies von der jüngsten Schützenzunft zuerst. Daher kam es, dass die älteste Schützenzunft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. die „jüngste“ die jüngste Schützenzunft aber die älteste „Leichengesellschaft“ genannt wurde. Wir kommen auf diesen Gegenstand wieder zurück i. d. J. 1731 und 1781.

Es wurden in dieser Zeit viele Klagen über die Wege in der Vorstadt laut. Zwischen den Scheunen und Gärten vor dem Tore nach Lübeck hin waren die Wege „so schändlich und voll so tiefer Gruften und Schlenken, dass sich Niemand mehr auf die Post wagen wollte.“ Auf Befehl des Herzogs begann nun die Reparierung der Dämme in der Vorstadt (die vorstädtischen Wege waren also gedämmt). Dazu sollten die Zippendorfer Bauern die Steine anfahren, weigerten sich aber durchaus und waren auf gütliche Weise nicht zum Gehorsam zu bringen. Der Magistrat schickte deshalb seinen „Exequirer Jochim Busche“ nach Zippendorf, welcher sich der Reihe nach den Bauern ins Haus legen musste, um sie mürbe zu machen. Er erhielt dafür von dem Bauern, bei welchem er sich einlegte, freie Beköstigung und Logis, dazu 3 ßl. täglich an Exekutionsbrüchen. 6 Wochen lag er im Dorfe und schon sollte ihm ein Gehilfe nachgeschickt werden, als die Bauern sich eines Besseren besannen, worauf denn die Anfuhr der Steine und die Reparierung der Dämme vor sich ging.

1702 verlegte Friedrich Wilhelm eine Residenz nach Rostock, um dieser Stadt, welche sehr heruntergekommen war, wieder etwas aufzuhelfen. Da er aber wegen der Ausübung der kriminellen Gerichtsbarkeit mit ihr in Streit geriet, kehrte er schon i. J. 1704 wieder nach Schwerin zurück und behielt hier ferner seine Residenz.

1703. Der Herzog hatte jetzt eine Wildbahnen um Schwerin in gute Ordnung gebracht, auch im Schlossgarten (auf der Burginsel, denn der jetzige Schlossgarten wurde erst später angelegt s. d. J. 1708) ein großes Fasanengehege eingerichtet. Schon früher hatte er befohlen, dass die Hunde in der Stadt und Umgegend, überhaupt an allen Orten, wo sich herzogliche Wildbahnen befänden, Knitteln tragen sollten, damit sie dem Wilde nicht nachstellen könnten. Da diese Verordnung aber ihren Zweck nicht erreichte, so befahl er jetzt, dass in allen neben seinen Wildbahnen gelegenen Ortschaften allen Hunden bei 10 Gld. Strafe das erste Gelenk des einen Vorderfußes abgehauen werden solle.

Am 8. Dezember d. J., am Sonnabend vor dem II. Advent, herrschte ein sehr starker Sturm, welcher den Knopf von der Domkirche niederwarf und den Kirchturm auf der Schelfe umwehte.

1704. Bei der Schützenzunft war es schon seit langer Zeit Sitte geworden, dass ein armer Bürger, welcher König geworden war, seinen Königsschuss an einen reichen Bürger verkaufen konnte, da er selbst nur geringen Gewinn, aber manche Kosten davon würde gehabt haben. Gewöhnlich hatten deshalb ärmere Bürger ihren Schuss an einen Brauer verkauft, der große Nahrung hatte; denn da mit der Königswürde ein ganzes Jahr lang Freiheit von allen Abgaben verbunden war, so konnte ein solcher Bürger diese allerdings am besten benutzen. Dem Herzoge missfiel aber diese Sitte, weshalb er sie untersagte, jedoch verordnete, dass jeder König in Zukunft soviel an barem Gelde erhalten solle, wie der Gewinn für einen Brauer etwa betragen haben würde. Nach angestellter Berechnung betrug solcher außer der Metzenfreiheit in der Mühle, welche auf 30 Gld. veranschlagt wurde, im Ganzen 72 Gld., die nun den Königen in barem Gelde verabreicht wurden. Diese Einrichtung blieb aber nur bis zum Jahre 1739 bei Bestand, denn auf ihre Bitten erhielt die Schützenzunft alsdann wieder die Erlaubnis, dass jeder Schützenkönig die Akziesefreiheit und Freiheit von Abgaben nach seinem Belieben benutzen solle, sei es, dass er sie selbst gebrauchen oder an den Höchstbietenden verkaufen werde. Der alte Gebrauch wurde also wieder eingeführt.

1705. Dies Jahr war sehr wichtig für Schwerin, weil nun die Neustadt, die Schelfe, zu deren Bebauung bis an den Ziegelsee hinunter ein ausführlicher Plan entworfen war, von ihrem bisherigen Verhältnisse zur Altstadt gelöst und zu einer besonderen Stadt erhoben wurde. Am 26. Juni d. J. veröffentlichte der Herzog ein Patent zur Erweiterung und Anbauung der Schelfe worin er erklärt, dass es eine Absicht sei, den Gottesdienst auf der Schelfe zu ordnen und eine eigene Obrigkeit und eigene Polizei einzurichten. Sein Wunsch ging hauptsächlich dahin, dass sich Handwerker und Kaufleute auf der Schelfe niederlassen sollten, und um solche zum Anbau geneigter zu machen, versprach er ihnen ganz bedeutende Vorteile. Er verordnete nämlich, dass alle Baulustigen nach ihrem Belieben freie Bauplätze erhalten sollten; für Fremde sollten herzogliche Kommissarien die Materialien und Handwerker zu billigen Preisen besorgen. Jedem Bauenden sollte ein Vierteil der aufgewandten Kosten, nach seinem Wunsche entweder bar oder in Materialien, erstattet werden. Diese Wohltat soll vorzugsweise Handwerkern, namentlich Bauhandwerkern zu Teil werden.

Damit aber auch solche Handwerker auf der Schelfe sich niederlassen können, denen zum eigenen Hausbau die Mittel fehlen, so will der Herzog selbst Häuser erbauen lassen, in denen sie gegen eine sehr geringe Miete wohnen können; ihnen sollen dann hauptsächlich die bei den Bauten erforderlichen Arbeiten übertragen werden. Manufakturhandwerker dürfen gleichfalls für billige Miete in den herzoglichen Häusern wohnen und sollen alle Arbeiten für den Hofstaat und das Militär erhalten. Krämern, Apothekern, Brauern, Bäckern, Schlachtern und Weinhändlern verspricht der Herzog außer gedachten Wohltaten stattliche Privilegien. Für die Kauf- und Handelsleute bleiben die besten Stellen an dem neu anzulegenden Markte reserviert. Diejenigen Kaufleute, welche sich zuerst zur Niederlassung melden, sollen den Verlag für den gesamten Hofstaat und die Dienerschaft erhalten und vornehmlich bei der Besetzung bürgerlicher Ehrenämter und des künftigen Magistrats berücksichtigt werden.

Damit mm die Bauenden gleich bereite Hände finden möchten, so wurde schon in diesem Jahre mit der Anlegung einiger kleinerer, für Handwerker und Arbeitsleute bestimmter Gassen der Anfang gemacht. Daraus sollten die bereits angelegten Straßen nach dem Schelfkirchhofe, dem Hintenhofe und dem Bauhofe (welcher am jetzigen Schelfmarkte lag) hin gerade gelegt und bis zum Spielturm hin erweitert werden. Zu diesem Zwecke wollte man den vorn auf dem Schelffelde liegenden Berg durchschneiden und einen Steindamm bis zum Wismarschen, nach der Bischofsmühle hingehenden Landwege anlegen. An der Kirche sollte ein geräumiger Platz zum Markte bestimmt bleiben, auf diesem das neue Rathaus erbaut, der im Wege stehende Bauhofs zur Seite geschafft und die Gärten auf der Schelfe nebst allen wüsten Plätzen zu beiden Seiten mit Häusern bebaut werden.

Die Besitzer von Bauplätzen sollen, gemäß älterer herzoglichen Verordnungen, sich erklären, ob sie ihre Plätze binnen Jahresfrist bebauen wollen, wo nicht, ihre Plätze an Baulustige abtreten müssen, anderenfalls jedoch alle obgedachten Wohltaten mit genießen.

Alle Hauptstraßen aber dürfen nur mit Häusern von 2 und mehr Etagen bebaut werden; für die Nebenstraßen bleibt die Höhe der Häuser dem Belieben der Bauenden überlassen, vorausgesetzt jedoch, dass sie sich in allen übrigen Dingen noch den Anordnungen des herzoglichen Ingenieur-Kapitäns richten werden. Wenn sich Ackerbauer anbauen wollen, so sollen sie das zum fürstlichen Bauhofe gehörige Land gegen eine billige Kaufsumme in Erbpacht haben, Handwerker aber sollen, damit sie ihr Geschäft nicht vernachlässigen, kein Ackerland erhalten. Wollen sich Adelige und Kapitalisten auf der Schelfe niederlassen, so sollen sie auf ihren Wunsch an den verheißenen Wohltaten Teil nehmen dürfen.

Die Schelfe selbst erhält nach ihrer Bebauung Stadtgerechtigkeit, einen Magistrat, ein Rathaus, eigene Prediger (s. d. J. 1754), Vieh- und Jahrmärkte. Auch verspricht der Herzog, die verfallene Kirche baldmöglichst restaurieren und nach den Bedürfnissen der Gemeinde erweitern zu wollen. Dagegen sollte der alte Weg über die Bischofsmühle gesperrt und ein neuer Weg über den Spielturm eröffnet werden, welchen der Herzog mit Steinen pflastern und zu dem Ende den vorliegenden Berg (auf welchem die Mühle vor der Ecke der jetzigen Mühlenstraße stand) durchschneiden lassen wollte.

Diese herzogliche Verordnung, aus welcher wir der Kürze halber nur das Wesentliche herausgenommen haben, veranlasste nun, wie zu erwarten stand, ein schnelles Steigen der neuen Stadt, welche gleichwohl mit der Altstadt stets in sehr inniger Beziehung blieb. Des Herzogs Minister Graf Horn (nach welchem noch das neben dem alten Hofmarschallamtshause in der Schlossstraße No. 8 gelegene Haus das „Hornische Haus“ genannt wird) nahm sich mit Vorliebe der neuen Bauten an. An der Spitze der Baubehörde standen der Ingenieur-Kapitän von Hammerstein, der Kapitän Renz, der Kammerrat Varenius
und der Landrentmeister Sturm, welcher letztere selbst ein großes Haus in der Münz-, damals Fischerstraße, an Stelle der späteren Münze erbaute.

Im städtischen Bruchregister finden wir um diese Zeit folgende Strafen verzeichnet: Wegen zu leichten Brotes wurden in diesen Jahre sämtliche 9 Bäcker der Stadt, jeder in 8 Gld. Strafe genommen; wegen Entheiligung des Sabbaths wurden 10–20 Gld., propter stuprum 6–16 Gld., propter adulterium 16 Gld., wegen Wucher 6 Gld., wegen Schlägereien 6–20 Gld., für den Verkauf eines Glases Branntwein unter der Kirche 10 Gld., wegen Diebstahls 20 Gld, wegen Ruchlosigkeit mit Feuer 6 Gld. erlegt. Es richtete sich die Abmessung der Strafe nach der Größe des Vergehens, des angerichteten Schadens usw. Im Ganzen waren die Strafgelder aber sehr unerheblich; um 1720 gaben sie fast gar keinen Ertrag mehr, weshalb man sich nach 1740 daran gewöhnte, die Strafgelder in Gefängnis- und andere körperliche Strafen umzuändern. In den 90ger Jahren wurden erstere gar nicht mehr erhoben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Chronik der Haupt- und Residenzstadt Schwerin