Geschichte der Stadt Schwerin von 1383 bis 1431

1383. Die Verehrung des heiligen Blutes zu Schwerin hatte während der ganzen vorausgehenden Zeit ununterbrochen fortgedauert; die Zahl der Wallfahrer war eine beträchtliche und die Menge der Opfergaben stand mit ihr im Verhältnisse, zumal auch die päpstlichen Ablassbullen für die Verehrung des heiligen Blutes von Zeit zu Zeit erneuert und den Gläubigen durch sie immer größere Vorteile verheißen waren. Weit und breit wurde das heilige Blut zu Schwerin als das größte Heiligtum betrachtet; denn wenn es auch schon seit dem Jahre 1201 in Doberan ebenfalls ein heiliges Blut gab (eine Hostie, welche ein Hirte zu Steffenshagen im Munde mit nach Hause genommen, in seinen Stock verwahrt und mit ihr seine Herde geschützt hatte), so beeinträchtigte dasselbe jenes doch nicht, da es ihm fern lag und das heilige Blut zu Schwerin vorzugsweise von den Bewohnern des südlich gelegenen Landes besucht wurde. In diesem Jahre aber entstand auch zu Wilsnack in der Priegnitz ein heiliges Blut, welches man auf dem Altare der Kirche an drei geweihten Hostien gefunden haben wollte, die teilweise mit verbrannt worden waren, als kirchenschänderische Frevler die Kirche daselbst niedergebrannt hatten. Dies heilige Blut zu Wilsnack begann bald ebenfalls viele Wallfahrer an sich zu ziehen und dem heiligen Blute zu Schwerin nachteilige Konkurrenz zu machen. Vielleicht stellte sich in Folge dessen jetzt die Notwendigkeit ein, dass die Opfer der Verehrer bestimmter geregelt würden, und dies erreichte man auf folgende eigentümliche Weise: Man errichtete nämlich eine große Waage, auf welcher sich die Kranken (aus solchen bestand wohl die Mehrzahl der Besuchenden), welche die wundertätige Hilfe des heiligen Bluts nachzusuchen kamen, wägen lassen mussten. Nach der Schwere ihres Leibes wurde alsdann die Schwere ihrer Sünden ermittelt und das Opfer bestimmt, welches teils aus Gold und Silber (Geld), teils aus Naturalien aller Art, Getreide, Flachs, Butter, Speck u. dgl. bestehen musste, je nach den Vermögensverhältnissen der Sünder. Leider ist es ungewiss, ob diese Sündenwaage eine Erfindung der Schweriner oder der Wilsnacker Geistlichen gewesen ist, doch lässt sich Ersteres als das Wahrscheinliche annehmen, da der lutherische Prediger Egidius Faber zu Schwerin, welcher im Jahre 1553 von ihr Nachricht gibt, vorzugsweise gegen das heilige Blut zu Schwerin und die Art und Weise eifert, wie hier die Geistlichen den Aberglauben des Volkes auszubeuten suchten (in seiner Schrift: „Vom falschen „Blut und Abgott im Turm zu Schwerin mit einer schönen Vorrede Dr. Martin Luthers, widder die lugen prediger, so mit erlogenem Heiligen Blute und erdichteten Mirakeln das volk verfüren von Gottes worte.“) Übrigens kam es wegen des heiligen Blutes zu Wilsnack noch zu vielem Streit, da ein großer Teil der katholischen Geistlichen selbst es nicht anerkennen wollte. Aus dem Streit, der zuerst längere Zeit hindurch nur mit Bann und Interdikt geführt worden, entstand später sogar ein Krieg, an dem sich die mecklenburgischen Herzoge zu Gunsten des heiligen Blutes beteiligten (1452), und aus welchem letzteres natürlich siegreich hervorging.

1379–1384 herrschte in Mecklenburg Heinrich III, Albrechts II. Sohn, „der Henker“ genannt, weil er, dem herrschenden Unwesen der Wegelagerei und Räuberei zu wehren, manchen gefangenen Räuber eigenhändig aufgeknüpft hatte. Sein Bruder und Nachfolger Albrecht III., König von Schweden, verbündete sich


1385 mit den See- und mehreren Landstädten, um mit ihrer Hilfe die gefährlichsten Raubburgen zu brechen. Viele Bürger der Städte beteiligten sich an diesem Zuge, auf welchem gegen 20 Burgen zerstört wurden (u. A. Schorssow, Preensberg, Raden, Prüzen), ohne dass jedoch in dem Unwesen selbst eine Änderung erreicht wurde.

1390 wurde Rudolf III, ein Herzog von Mecklenburg-Stargard, welcher (1382) zu Prag geistliches Recht studiert hatte, Bischof zu Schwerin. Er veruneinigte sich aber einige Jahre nach seinem Regierungsantritte (1397 ?), wahrscheinlich weil er die Stiftsgüter mit übermäßigen Schulden belastet hatte, mit dem Domkapitel, so dass ihm die Domherren, angestiftet durch einen der Ihrigen, den Dom-Senior Johann Berchteheile, alle Häuser und Güter des Stiftes wegnahmen und ihm nur den Domhof zu Schwerin ließen. Sie wollten ihn in Zukunft nur noch als Pfründner unterhalten. Von ihrem Verfahren aber erlitt das Stift sehr großen Schaden, weil die mecklenburg-stargardschen Fürsten sich des nahe verwandten Bischofs mit Gewalt annahmen, nach der Sitte der Zeit die Güter des Stiftes überzogen, in ihnen plünderten, raubten und engten und die Bewohner derselben wegführten. Es war damals eben und noch lange nachher eine Zeit, in welcher gegenseitige Fehde, Raub und Brand im Lande überall und bei allen Veranlassungen herrschten und so um sich gegriffen hatten, dass nicht nur die Fürsten und der Adel, sondern auch manche Bürger der Städte von ihnen Gewerbe machten.

Die mecklenburg-schwerinschen Fürsten vermittelten im folgenden Jahre einen Vergleich (1398), wonach die Stiftsherren den Bischof Rudolf nicht nur anerkennen, sondern ihm auch zur Wiedereinlösung der verpfändeten Güter behilflich sein mussten. Johann Berchteheile war schon vor Beilegung des Streites nach Schweden geflüchtet, wo er ergriffen und zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt wurde. Er saß jedoch nur wenige Jahre gefangen, da es ihm gelang, aus seinem Kerker auszubrechen, verschwand aber darauf, ohne eine Spur zu hinterlassen. Er war einem angesehenen Bürgergeschlechte der Stadt Schwerin entstammt; sein Vater, welcher gleichfalls Johann hieß, besaß mehrere Güter bei Schwerin zu Pfande (u. A. den kleinen See bei Düben, den Döpe-See), seine Mutter Mechthild schenkte 1373 der Kirche zu Schwerin ihren Hof Sülten.

1392 ließ Bernhard von Plessen, der damalige Schatzmeister des Domes, das „Speisehaus“ oder das Refektorium am Donne erbauen. Es ist dies der östliche Teil des Kreuzganges, welcher jetzt die Lehrzimmer des Gymnasiums enthält. Kurz vorher war das „Schlafhaus“ erbaut, der westliche Teil des Kreuzganges, in welchem sich jetzt der Hörsaal des Gymnasiums und die Dienerwohnungen befinden. Über dem Eingangstore zum Refektorium, dessen Gewölbe bei einer neuen Einrichtung der Lehrzimmer des Gymnasiums (1834) ausgenommen wurde, stand an der inneren Seite die Inschrift: Anno 1392 praesens Refectorium per Dominum Bernhardum de Plessen est formatum. Der Erbauer liegt in der nordwestlichen Kapelle des Chorumganges, neben den Refektorium, begraben († 1414); sein Leichenstein musste i. J. 1592 entfernt werden, als Herzog Christof von Mecklenburg an derselben Stelle beigesetzt wurde.

1396 fand zu Schwerin eine große Zusammenkunft vieler Fürsten und Fürstinnen mit ansehnlichen Gefolgen statt. Herzog Albrecht III. nämlich vermählte sich im Februar (in der Fastnacht) mit feiner zweiten Gemahlin Agnes, Prinzessin von Braunschweig, welche später die Fürstenkapelle zu Gadebusch erbaute (1423), in der sie nebst ihrem Gemahl († 1412) beigesetzt wurde. Zu gleicher Zeit vermählte sich auch Erich, Herzog Albrechts III. ältester Sohn mit Margarethe, des Herzogs Bogislav von Pommern-Wolgast Tochter. Wie Hederich schreibt, fanden zur Feier der Beilager in Schwerin große Festlichkeiten statt; das Jahr endigte aber traurig, indem der schwarze Tod wieder in sehr verheerender Weise auftrat und viele Menschen „in den Drosen“ (an den Drüsen) wegraffte, besonders Weiber, welche während dieser Zeit entbunden wurden.

In demselben Jahre schenkte der Erzbischof Johann V. von Riga, auf die Bitte des Schweriner Domherrn Dietrich von Fünfhausen, dem Dom ein Stück von dem heiligen Holze, d. h. vom Kreuze Christi, welches zu Riga verehrt wurde. Mit diesem Geschenke wurde dem Dom zugleich ein vierzigtägiger Ablass für Alle, welche es zu verehren kamen, bewilligt. Beide Begebenheiten deuten zugleich auf einen großen Bau an der Kirche hin und machen es deshalb wahrscheinlich, dass im gleichen Jahre mit dem Bau der Kreuzflügel begonnen wurde, über welchen jedoch anderweitige genauere Nachrichten fehlen.

1400. Um diese Zeit wurde, unter der Leitung des obgedachten Domschatzmeisters Bernhard von Plessen, die Kapelle des heiligen Blutes mit 8 lebensgroßen Gemälden geziert. Es waren dies die Bilder der sechs Grafen von Schwerin: Guncelin I., Guncelin II, Heinrich I., Guncelin III, Helmold II, Heinrich III, welche die vorzüglichsten Wohltäter der Kapelle und der Kirche gewesen waren. Zugleich wurden dort die beiden zur Zeit der Ausschmückung in Mecklenburg regierenden Herzoge Albrecht III. und Johann II. abgebildet. Alle Bilder waren mit den Wappen der Personen und mit Unterschriften versehen, welche ihre Verdienste um die Kirche und die Kapelle darlegten. In späteren Zeiten hatte man die ganze Kapelle nebst den Bildern übertüncht; erst i. J. 1839 sind letztere durch Lisch unter der Tünche wieder aufgefunden worden. 1841 ließ der Großherzog Paul Friedrich sie restaurieren; 1847 aber, nachdem die heiligen Bluts-Kapelle zur großherzoglichen Begräbnisstätte eingerichtet worden, mussten die Bilder, nachdem sie vorher durch Schumacher kopiert und die Kopien im Archive niedergelegt waren, abgeschlagen werden. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die weiße Marmortafel mit goldener Inschrift, welche bei Johann Albrechts I. Beisetzung (s. d. J. 1576) in die Hinterwand der Kapelle eingesetzt war, abgenommen und fand man hinter dieser, gleichfalls mit Kalk übertüncht, noch vier andere Bilder zweier Grafen von Schwerin und zweier Herzöge von Mecklenburg, welche die ältesten aller Bilder gewesen zu sein scheinen.

1403. Aus diesen Jahre finden wir erwähnt, dass der Ritterhof, welcher neben der Burgfreiheit (dem heutigen Alten Garten) nahe beim jetzigen Theater dort lag, wo die Privatwohnungen beginnen, sich im Besitze der Ritterfamilie Split befand und der „Splitshof“ genannt wurde. Im 14. Jahrh. gehörte er den Raven auf Stück, nach welchen er den Namen „Ravensburg“ erhielt.

1407 ereignete sich in der dem Bischöflich-Schwerin'schen Stuhle untergebenen Stadt Stralsund eine Begebenheit, welche auf die Stadt Schwerin später von Einfluss wurde und deshalb hier mitgeteilt werden muss. Es war nämlich zu Stralsund Sitte geworden, dass die Bürger, mit einander wetteifernd, für geistliche Handlungen (Taufen, Begräbnis u. s. w) ein übermäßig großes Opfergeld am Altare niederlegten. Da dies den Ärmeren sehr schwer fiel, so ließ der Rat der Stadt für diese eine geringe Münze schlagen und wünschte, dass sie mit dieser das Opfer für geistliche Handlungen in Zukunft entrichten sollten. Die Geistlichkeit aber, an deren Spitze damals der Priester Conrad von Bonow stand, wurde darüber sehr zornig, da sie gerade aus dem Betrage dieser Opfer den größten Teil ihres Unterhalts bezog. Conrad verließ deshalb im Zorn die Stadt, sammelte seine Freunde und kehrte alsdann an der Spitze von 300 gerüsteten Reitern zurück. Er fing die gerade außerhalb der Mauern sich auf haltenden Bürger, verstümmelte sie an Händen und Füßen, verheerte die Dörfer und brannte sie nieder und zog dann mit reicher Beute fort. Darüber ergrimmte nun aber auch der Pöbel der Stadt, ergriff 16 Priester, sperrte sie in ein Haus und machte Anstalt, die zu verbrennen. Mit Mühe rettete der Rat 13 von ihnen, 3 aber wurden wirklich auf dem Markt verbrannt. Sobald dies Bischof Rudolf III. von Schwerin erfuhr, forderte er den Rat vor ein Gericht nach Bützow, wo er residierte, tat, als jener nicht erschien, am 26. Oktober sämtliche Mitglieder in den Bann und belegte die Stadt mit dem Interdikt. Alle Kirchen wurden nun geschlossen und keine gottesdienstliche Handlung fand mehr statt. Zwar protestierte der Rat beim Papst Gregor XII. und dieser hob

1409 Bann und Interdikt auf, doch Bischof Rudolf kehrte sich hieran um so weniger, als er dem Gegenpapst Gregors XII., Alexander V. zugetan war. Die benachbarten weltlichen Fürsten suchten zwar gleichfalls den Streit zu vermitteln, aber der Bischof verlangte von der Stadt eine so übermäßig große Sühne, dass der Rat sich nicht fügen wollte. So zog sich denn die Sache hin, bis endlich, da der Zustand in ihr unerträglich geworden,

1410 die Stadt dennoch nachgeben und alle Sühneforderungen Rudolfs bewilligen musste. Conrad von Bonow kam ohne alle Strafe davon, die Stadt musste aber außer anderen Bußen eine sehr große Geldsumme erlegen, für welche später das Schiff des Domes zu Schwerin überwölbt wurde.

1412 nämlich begann wahrscheinlich, da in diesem Jahre die auf dem Kirchhof neben dem Dom gelegene Marien-Kapelle einen Ablass erhielt, der Ausbau des großen Schiffes der Kirche, welcher i. J. 1430 vollendet wurde. Der Bischof Rudolf erlebte diese Vollendung nicht, da er schon

1415 starb und in Doberan begraben wurde. Auch ein Nachfolger Heinrich II. (von Nauen), welcher schon, wie aus einem noch vorhandenen Briefe von ihm an den Papst Martin V. erhellt, mit dem Plane umging, eine Universität zu Rostock zu gründen, starb nach kurzer Regierung. Ihm folgte

1418–1429. Heinrich III. (von Wangelin), welcher mit dem Herzog Albrecht V. von Mecklenburg (regiert 1412–1423) die Stiftung der Universität zu Rostock ausführte (1419). Beständiger Kanzler der Universität, an welcher anfangs jedoch keine theologische Vorlesungen gehalten werden durften, wurde der Bischof von Schwerin, seit 1427 in dieser Würde vom Papst Martin V. bestätigt.

1429 bestieg Bischof Hermann III. (Köppen), ein sehr tüchtiger Mann, den Bischofsstuhl. Unter ihm wurde das Schiff des Domes 1430 in seiner Überwölbung fertig. Zum Andenken an die Sühne der Stralsunder befanden sich früher am Ende des Gewölbes über der Orgel nach dem Glockenturm hin die Worte: „Jesus Maria. Die Welsste ist vollenbracht worden von den pennigen der Sundischen tho der Sühne der dreyer Prester halven, de se unschuldigen up ehren Marck vorbrennen lehten“. Erst im Jahre 1560 sind diese Worte übermalt worden. Wahrscheinlich bezog sich die Sühne der Stralsunder nicht bloß auf die Erlegung einer Geldsumme, sondern wurde die Wölbung des Schiffes auch durch stralsundische Bauleute ausgeführt; denn, wie Lisch sagt, zeigt ihr Bau den Stralsundischen Stil dieser Zeit, indem nämlich die Fenster nicht im Spitzbogen, sondern im flachen Dreieck überwölbt worden sind, in der unschönen Weise, welche in Mecklenburg nicht weiter, wohl aber in der Jacobi- und der Marienkirche zu Stralsund vorkommt. An den Ringmauern selbst bauten die Stralsunder dagegen nicht; diese waren vielmehr schon früher ganz fertig, passten aber wahrscheinlich nicht zu dem Stil der Wölbung, so dass die ältere Überwölbung der Fenster eingebrochen werden musste und nun in der Stralsunder Weise so konstruiert wurde, wie sie noch heute steht. Ein Beweis hierfür liegt darin, dass die Wulste, welche die Fenster des Schiffes, gleich wie alle anderen Fenster der Seitenschiffe, einfassen, beim Beginn der Wölbung plötzlich aufhören und die dreiseitige Wölbung nur einfach glatt überputzt ist.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Chronik der Haupt- und Residenzstadt Schwerin