Geschichte der Stadt Schwerin des Jahres 1855

1855. Im Februar d. J., welcher sich durch eine sehr starke Kälte auszeichnete, bildete sich wiederum ein Unterstützungs-Komitee für hilfsbedürftige Einwohner, welches sich jedoch auf Verteilung und billigen Verkauf von Holz beschränkte. Im März ging der fürstliche Holzhof auf dem Hintenhofe ein und wurden die zu ihm gehörigen Gebäude, das Inspektorhaus (No. 2), das Torwärter- (23) und das Holzaufsetzer-Gehöft (5) verkauft.

Am 29. März wurde die Gaserleuchtung eröffnet. Es stellte sich indessen bald die Notwendigkeit ihrer Erweiterung heraus. Im September wurden die Einrichtungen zur Erleuchtung des Theaters mit Gas getroffen. Am 31. Juli wurde von der Bürgerrepräsentation ein Vertrag genehmigt, welchen der Magistrat zum Zwecke der Beleuchtung der noch nicht mit Gas versehenen Straßen mit der neuen Beleuchtungs-Gesellschaft in Hamburg und dem hiesigen Klempner Lieckefett auf 5 Jahre abgeschlossen hatte. Diese Straßen sollten mit Hydrocarbüre erleuchtet werden, wovon die Gesellschaft jährlich 5.000 Litres à 11 ßl frei ins Magazin der Kämmerei zu liefern hatte. Lieckefett sollte die Beleuchtung besorgen, das Gas zum Kostenpreise und ein Lokal zum Betriebe der Beleuchtung, sowie zur Lagerung der Essenz erhalten und sollte ihn für jede Flamme, zu der er Dochte und Gläser zu besorgen hatte, für die Stunde 5 ½ Pfenn. vergütet werden.


Am 4. April wurde der Verkauf des dem früheren heilg. Geist-Hospitale, jetzt der Waisenkasse gehörigen Hauses (Faule Grube 14) beschlossen.

Ende d. M. wurde in der neustädtischen Stadt- und Waisenschule eine 7. Klasse eröffnet, auch der Beschluss gefasst, dass das Gebäude der Realschule erweitert werden solle.

Auch wurde der Quai an dem Ufer des Pfaffenteiches aus einer auf Pfahlrosten ruhenden Graniteinfassung, von der jährlich ein Teil hergestellt werden sollte, nach längerer Unterbrechung von nun an fortgesetzt. Diese Arbeit, welche auf großherzogliche Kosten geschieht, leitete früher der Baurat Voß, jetzt der Landbaumeister Richter.

Im Mai wurde eine Gedenktafel, welche die Namen aller in Schleswig und Baden Gefallenen enthält, in der Nicolaikirche auf gehängt. Die Stadtkämmerei ließ i. d. M. den nur mit Brettern bedeckten Kanal zu Eingange der Bergstraße überwölben. Wegen der Herstellung einer Verbindungsstraße zwischen der Arsenal- und Lübschen Straße durch die damals „Katersteig“ genannte enge Gasse, welche den Namen Gadebuscher Straße erhielt, schloss der Magistrat mit dem Besitzer des Terrains, Kaufmann S. Seelig, folgenden Vergleich:

1) die Straße wird in gleicher Breite mit der Arsenalstraße der Stadt zum freien Eigentum überlassen; 2) die Abfindung der Servitutsberechtigten übernimmt der Kaufmann Seelig; 3) Pflasterung und Erleuchtung besorgt der Magistrat; 4) die Stadt zahlt 1.000 Thaler, sobald sie in den Besitz des Terrains kommt usw. Zur Herstellung dieser Straße gab die hiesige Ersparnis-Anstalt eine in kleinen Jahresraten zurückzuzahlende Anleihe von 4.000Thaler.

Im Juni bestellte der Magistrat aus einer Mitte eine aus drei Personen bestehende Finanzdeputation, um die Kämmerei- von der Kassen-Verwaltung der Stadt zu trennen.

Im Juli wurde durch eine Zirkularverordnung verfügt, dass von jetzt an nur dann auswärtige Kinder in Schwerin zur Konfirmation zugelassen werden sollten, wenn sie 2 Jahre vorher regelmäßig eine hiesige Schule besucht haben. Dies geschah, weil es bisher häufig vorgekommen war, dass Kinder, welche um Ostern noch nicht das Alter von 14 Jahren erreicht hatten, bis Michaelis hier auf die Schule gegeben und dann konfirmiert waren, gewöhnlich zum Nachteil der Kinder selbst, wie auch der Schulanstalten.

Vom 3. bis 10. September fanden die Herbstübungen der Mecklb. Schwerinschen Division in der Nähe von Schwerin statt. Zu Michaelis wurden drei neue Lehrerstellen an dem jetzt aus 7 Klassen bestehenden Gymnasium errichtet und vom Großherzoge dotiert.

Von dem verstorbenen Dr. Küetmeyer war an die Stadt eine Erbschaft gefallen, bestehend aus einem Hause, 7 Morgen Acker und verschiedenen Kapitalien, im Gesamtwert von 14.000 Thalern. Diese Erbschaft war annoch mit einem lebenslänglichen Nießbrauch belastet, nach dessen Aufhören die Stadt für dieselbe ein Haus erbauen oder ankaufen sollte, worin arme Waisenknaben, besonders solche, welche ihre Eltern plötzlich verloren haben, nach Anleitung des Armeninstituts untergebracht, verpflegt und beaufsichtigt werden sollten.

Im Laufe d. J. war ein großh. Domchor (Schlosschor) gebildet worden, welcher am 3. Oktober zuerst bei der Taufe des Prinzen Nicolaus († 23. Januar 1856) in Ludwigslust wirkte. Derselbe stand unter Leitung des Musikdirektors Schäffer.

Der Schlossbau beschränkte sich in d. J. wesentlich auf den inneren Ausbau. In Berlin wurde in der Maschinen-Anstalt von H. Runge (Chausseestraße) die große eiserne Treppe, welche durch 3 Stockwerke hindurchgeht, mit Stufen von grauem schlesischen Marmor und Treppenwangen von Zink, mit Schwänen, Greifen und Blumenarabesken geschmückt, ausgeführt. Diese Treppe sollte nach dem ursprünglichen, von Demmler entworfenen Plane eine übereinanderliegende Doppeltreppe mit entgegengesetzten An- und Austritt, sonst von gleicher Größe, wie die jetzige, werden. Auch sollten alle tragenden und schützenden Teile beider Treppen, die Pfeiler, Wangen, Geländer, aus feinem Sandstein mit reicher Bildhauerarbeit ausgeführt werden, wie die Sandsteinpfeiler sind, welche mit zu der von Stüler angelegten Treppe verwendet wurden. Vollendet wurden u. A. die Turmuhr des Hofuhrmachers Engel, einzelne Skulpturen von Genschow und Willgohs, namentlich das Reiterstandbild des Niclot von ersterem, allegorische Deckengemälde von Peters aus Berlin im Vorzimmer des Königssaales, der blasende Herold aus Sandstein an der Südseite des Schlosses vom Bildhauer Petters, die Wandmalereien von Pfannenschmidt aus Berlin, und zwei Glasgemälde von Gillmeister in den nördlichen Fenstern des Chors der Schlosskirche nach Entwürfen des Hofmalers G. Lenthe.

Im Herbste d. J. waren bis auf das Jagdzeughaus (s. d. J. 1860) die Gebäude des neuen Jägerhofes, rechts an der Berliner Chaussee vor dem Tore, vollendet worden. Zu ihnen hatte der Hofbaumeister Willebrand Anfangs 1852 den Auftrag erhalten, den Entwurf ausgearbeitet und leitete demnächst den Bau. Er bestand aus 5 einzelnen Gebäuden:

1) das Wohnhaus links für Hofjäger; 2) das Wohnhaus rechts ebenso, beide verbunden durch eine massive Befriedigung, die in der Mitte ein großes eisernes Gittertor und zu beiden Seiten kleine Eingangspforten hat; 3) das Stallgebäude links, 4) das Stallgebäude rechts mit Hundewärter-Wohnung und Küche für die Hunde und 5) das später erbaute Jagdzeughaus. – Die Bildhauerarbeiten zu diesen Gebäuden fertigten die Bildhauer Petters und Scholinus, die beiden Hunde auf den Torpfeilern der Bildhauer Schiele.

Am 14. Oktober war die Schlosskirche feierlich eingeweiht worden. Ein Festzug, an dessen Spitze die Geistlichkeit, welche die heiligen Gefäße, die Kanzel- und die Altarbibel trug, begab sich von den Zimmern an der Südseite des Schlosses über den inneren Schlosshof nach der Kirche, wo der Schlüssel derselben überreicht wurde. Die Weiherede hielt darauf der Oberkirchenrat Kliefoth, welcher als dann den neuen Hofprediger Jahn einführte, und darauf folgte ein Gemeindegottesdienst.

Im November war die Intendantur des großh. Hoftheaters dem als Komponisten berühmten Fr. von Flotow übertragen worden, während die technische Direktion desselben schon früher an den Direktor Steinert, bisher zu Dessau, übergeben war. Der Winter d. J. war wieder ein für die ärmeren Klassen sehr trauriger, da Korn und Kartoffeln nicht geraten waren. Es bildete sich deshalb wieder ein Hilfskomitee, welches sich die Errichtung einer Suppenanstalt, von der für billigen Preis nahrhafte Suppen ausgegeben werden sollten, zur Aufgabe stellte. Vom Magistrat sollten für billige Preise Brot, Mehl, Kartoffeln und Holz verkauft werden. Die Zahl der hilfsbedürftigen Personen in Schwerin war auf 8.000 (d. i. 40. Prozent der Bevölkerung) berechnet.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Chronik der Haupt- und Residenzstadt Schwerin