Die Verhältnisse in Schwerin in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts

Es war, wie wir schon häufig angedeutet haben, die glorreichste Periode unserer älteren Landesgeschichte, als der Herzog Johann Albrecht I. mit kräftiger und weiter Hand über Mecklenburg herrschte. Was er für Deutschlands durch den Kaiser gefährdete Freiheit und die reine Lehre des Evangeliums, mit umfassendem Blick die große Sache selbst, nicht die eigenen Interessen ergreifend, tat, konnte in einer Chronik der Stadt Schwerin nur angedeutet werden. Aber die Erfolge seiner Bemühungen strahlten auf das Land zurück und namentlich glänzten sie wieder von der Hauptstadt als dem Mittelpunkte desselben. Schwerin wurde damals wegen der großen Zahl gelehrter und begabter Männer, welche der Herzog um sich versammelt hatte, das „norddeutsche Florenz“ genannt. Hier weilten Dietrich Malzahn, Johann von Lucka, Andreas Mylius, Heinrich Husan, Dabercusius, Johann Caselius, Tilemann Stella, Wolfgang Leupold, Heinrich Siber, Hiob Magdeburg, der gelehrte Hofmarschall Heinrich Below u. a. m. um den Herzog und pflogen Verkehr mit Deutschlands und Italiens Koryphäen. Viele bedeutende Männer kamen damals nach Schwerin, um die Freundschaft jener zu erwerben oder ihren Rat einzuholen. Das Schloss war der Mittelpunkt ihres Kreises, in der Burgstraße wohnte die Mehrzahl von ihnen, und Alle knüpfte das Band einer durch die Pflege der Wissenschaften gehaltenen würdevollen Freundschaft. Aber nicht bloß jene, auch die Kunst in ihren verschiedenen Richtungen blühte am Hofe, gefördert durch des Herzogs Bauten und seinen eigenen künstlerischen Sinn.

Wie sehr der Herzog bei diesen Bestrebungen das Wohl seines Landes vor Augen hatte, beweisen die Anstalten zur Bildung des Volkes, welche er teils hervorrief, teils aufs Kräftigte stützte. Zu ersteren gehört die Schule, welche er in Schwerin stiftete, eine Erziehungsanstalt „zum gottseligen Leben, in welcher die Knaben sechs Jahre lang in Sprachen, Zucht und Tugend“ unterwiesen werden sollten. Wir haben ihrer im Voraufgehenden genügend gedacht, ebenso dessen, was Johann Albrecht für die Kirche und ihre Diener tat.


Auch das äußere Leben am Hofe war ein gehobenes und würdiges. Der Herzog vereinigte mit seinem Geschmacke für die Kunst einen hohen Sinn für Glanz und ritterliche Übungen. Wenn er in mancher stillen Nacht mit seinem Mathematiker und Astronomen Tilemann Stella auf dem Schweriner See umherfuhr, um den gestirnten Himmel zu betrachten, so nahm er bei Tage rüstig Teil an den damals üblichen ritterlichen Spielen auf dem Burggarten oder an den häufigen Jagden in den die Stadt Schwerin umringenden, damals sehr wildreichen Holzungen, wie er sich denn auch nebst einen herzoglichen Brüdern in seinen Kriegszügen als tapferen Helden zeigte.

Wie einfach sonst noch das äußere Leben am Hofe war, geht aus dem von uns (S. 97) mitgeteilten Inventarien-Verzeichnisse zur Genüge hervor. Die Kürze der Zeit hatte darin um so weniger Bedeutendes ändern können, als des Herzogs Sinn mehr auf die Hebung des inneren Lebens gerichtet war, doch kann man das Wesen dieser Zeit erkennen, wenn man sie mit derjenigen vergleicht, welche ihr folgte.

Man darf nun mit Recht schließen, dass auch die Verhältnisse der Stadt Schwerin sich durch den von Oben her gegebenen Anstoß vorteilhaft geändert haben. Zwar fehlt es zur Begründung dieses Schlusses an den genügenden direkten Mitteilungen, aber er wird nicht selten indirekt bestätigt, z. B. durch die Klagen, welche die Bürgerschaft bald nach Johann Albrechts I. Tode über den Verfall der Schule erhob, ferner durch manche einzelne Züge aus der Verwaltung der Stadt, welche wir hier zusammenstellen wollen.

Die Stadtverwaltung hatte sich offenbar gehoben; das beweisen schon die Bestrebungen, welche auf bessere Nutzung der Stadtgüter (Göhren, Lankow, der städtischen Feldmark) und auf Regelung der Gemeindeverhältnisse gerichtet waren.

An der Spitze der städtischen Gemeinde standen noch immer zwei Bürgermeister, unter welchen das Wort jährlich auf Lätare wechselte, und acht Ratsherren nebst einem Stadtschreiber. Neben ihnen gab es zur Mitwirkung in Verwaltungsangelegenheiten (seit wann?) 10 Männer, welche aus der Bürgerschaft erwählt wurden. Erst seit dem Jahre 1664 (1666?) bestand diese repräsentierende Bürgerschaft aus 24 Männern, 1699 aber wurde deren Zahl auf 16 beschränkt, wie überhaupt um die letzte Hälfte des 17. Jahrhunderts auch die Zahl der Ratsherren eine geringere war. Bald finden wir sechs, bald nur vier, ein Umstand, der wohl mit der durch den dreißigjährigen Krieg und eine Kalamitäten verringerten Anzahl der Bürger Schwerins im Zusammenhange steht. Als städtische Unterbeamte für die Handhabung der Polizei werden genannt 1 Stadtlieutenant, 2 Stadtfähndriche, 4 Stadtsergeanten und 4 Korporale. An der Spitze dieser stand einer der Ratsherren selbst als Stadthauptmann. Die Stadtsyndici wurden damals von den Fürsten bestellt.

Die Stadtkämmerei war auf die Einnahme aus den städtischen Gütern Zippendorf, Göhren und ihren Anteil in Lankow, sowie auf die städtischen Abgaben und sonstige Ergebnisse, ferner auf die Erhebungen an der Saline in Lüneburg angewiesen. - Die Gesamteinnahme war gewiss nur gering, wenigstens wird oft genug über die Verarmung der Stadt und ihre großen Schulden geklagt. Die Verwaltung der Stadtgüter wurde gegen das Ende des 16. Jahrhunderts nach einem zweckmäßigeren Systeme geordnet; ebenso erhielt die Stadt i. J. 1590 den Zehnten von ihrer Feldmark, welchen bis her die Fürsten erhoben hatten, zu Bauzwecken, wogegen sie der ihr ursprünglich daselbst zustehenden höheren Jagd entsagte und nur die niedere Jagd zur Ausübung behielt. An den Toren der Stadt wurde, wie es scheint, für die fürstliche Kasse von beladenen Wagen ein Torschilling erhoben (seit wann, ist ungewiss). An der Fähre wurde seit dem Jahre 1511 für die Kammer ein Dammgeld erhoben, seit dem Jahre 1640 daneben noch ein Brückengeld, welches viele Streitigkeiten veranlasste. Die Gemeindeweide wurde mit den städtischen Herden betrieben; eine Schweineburg lag bei Lankow, eine Kuhburg rechts vom Mühlentore, zwischen diesem und dem Schmiedetore neben der alten Zingel, und auch eine Schafburg gab es, deren Lage uns unbekannt geblieben ist. Es müssen auch die städtischen Pferde auf die Weide getrieben worden sein, denn in einem Stadtbuche findet sich zum Jahre 1662 die Nachricht, dass zwischen den städtischen Pferdejungen eine große Schlägerei mit blutigen Verwundungen stattgefunden habe. Die Ratsmitglieder besaßen auf der städtischen Feldmark einen Dienstacker, zu welchem im 16. Jahr hunderte folgende Ackerstücke gehörten: Im Rehwinkel auf dem Ostorfer Felde 2 Morgen, deren einer der „Blumenmorgen“ geheißen ist; im Gosewinkel 9 Morgen, deren einer stadtwärts beim Gerichte gelegen ist; im Thurower Felde 1/2. Morgen (s. d. J. 1669)

Die Anzahl der Bewohner Schwerins war während des 16. Jahrh. wahrscheinlich bedeutend gewachsen, es wurden am Schluss desselben durchschnittlich jährlich 24 bis 25 neue Bürger aufgenommen. Folgende Übersicht mag hierüber eine Nachweisung geben und zugleich zeigen, wie in der nächstfolgenden Zeit die Bürgeraufnahmen sich verminderten, teils wohl in Folge der durch den Krieg überhaupt gestörten Verhältnisse, teils auch vielleicht weil viele junge Leute unter die Fahne liefen. Es wurden nämlich neue Bürger auf genommen i. J. 1605: 21, 1606: 19, 1607: 39, 1608: 18, 1609: 32, 1610: 18, 1611: 26, 1612: 16, 1613: 19, 1614: 25, 1615: 13, 1616: 7, 1617: 17, 1618: 15, 1619: 16, 1620: 25, 1621: 13, 1622: 11, 1623: 18, 1624: 11, 1625: 6, 1626: 8, 1627: 5, 1628: 8, 1629: 3, 1630 Keiner, 1631: 10, 1632: 25, 1633: 25, 1634: 11, 1635: 9, 1636: 11, 1637: 11. Dass die Regierungszeit des Herzogs Johann Albrecht übrigens auch die materielle Lage Schwerins wesentlich verbessert haben muss, er sieht man daraus, dass diese Stadt zu Herzog Ullrichs Reise an den Reichstag nach Augsburg i. J. 1582 viel stärker zu Beiträgen herangezogen werden konnte, als sie früher bei ähnlichen Veranlassungen gegeben hatte. Wohltätig einerseits, wirkte diese materielle Verbesserung ihrer Lage doch auch andererseits wieder nachteilig auf die Bürger und ihre Sitten ein; Klagen über die um sich greifende Verschwendung und Schlemmerei der städtischen Bewohner werden schon zu Johann Albrechts Zeiten laut. Man benutzte damals überall im Lande jede Gelegenheit zu zerstörenden Gastereien und Schwelgereien; Hochzeiten, Kindtaufen und „Amtsköten“ junger Handwerksmeister wurden so überschwänglich gefeiert, dass nicht selten bei denselben 1.000 Menschen gespeist wurden, unter denen sich oft 300 geladene Gäste befanden. Der Herzog Ulrich erließ deshalb eine sehr scharfe Verordnung an die Magistrate der Städte und forderte sie bei einer Strafe bis zu 500 Thlrn. auf, darüber zu wachen, dass „alles schädliche, eigennützige und unordentliche Schlömen (Schwelgen) und übermütige Bankettieren, sonderlich bei Hochzeiten, Kindelbieren und den Rollen der Handwerker, sowie bei Handwerksköten und Pfingstbieren unter bleibe.“ Diese Verordnung wurde von der Kanzel verlesen (1578). Etwas besser wird es durch die wohl geworden sein, zumal Herzog Ulrich in diesem Punkte sehr strenge war und auf das Leben der städtischen Handwerker genau achtete. J. J. 1588 wurde der „blaue Montag“ verboten, natürlich erfolglos. Später traten Jahre der Teuerung ein, in denen Handel und Wandel darnieder lag, das Korn missriet und auch, worüber sehr viel geklagt wird, der Hopfen außerordentlich gelitten hatte*), welcher für den damals sehr schwunghaften Brauereibetrieb der Städte von großer Wichtigkeit war. Durch alle diese Umstände sank die kurze Blüte der Wohlhabenheit schnell. Es kam noch hinzu, dass sich überall auf dem Lande bei Gutsbesitzern, Pächtern und Brauern Leute einfanden, welche das Korn auf dem Halme, den Hopfen an der Stange kauften, die Ernten alsdann ins Ausland führten und dadurch den Städten die Zufuhr abschnitten. Im J. 1590 wurde hiergegen das strenge Verbot der Polizei-Ordnung erneuert, jedoch unter dem Widerspruche der Ritterschaft, welcher sich vornämlich dagegen richtete, dass man nun einen bestimmten Preis für das Korn festgesetzt hatte, der sich selbstverständlich nicht inne halten ließ. Endlich machte sich auch die Verschlechterung des Geldes, als eine natürliche Folge der anhaltenden Teuerung sehr fühlbar. Schon seit 1583 hatten die städtischen Handwerker die Preise für ihre Erzeugnisse erhöhen müssen, „weil sie jetzt 6 und wohl gar 7 Schillinge für dasjenige gebrauchten, was sie früher für 5 Schillinge hatten kaufen können.“

Alle diese Verhältnisse drückten auf die Sitten des Volkes; Rohheit und Verwilderung rissen ein, wie in solchen Fällen meistens zu geschehen pflegt. Die Gefängnisse Schwerins finden wir deshalb sehr viel benutzt, doch nicht häufig wegen schwererer Vergehen, ob gleich auch diese nicht ausblieben, sondern meistens wegen nächtlicher Ruhestörungen, wegen des „verdammlichen Raufens, Tobens, Grassatengehens **) und Rebellierens.“

*) Die Schweriner Bürger hatten auf dem Binnenfelde an der Lankower Scheide „Hopfenkuhlen“ und ein „Hopfenbruch“ lag ebendaselbst.

**) Ein Grassator, von dem lat. grassare abgeleitet, ist ein nächtlicher Straßenräuber und Mörder, sodann auch ein Zechbruder, mit dem Nebenbegriffe des Gewohnheitsmäßigen. Grassatengehen bedeutet also das gewohnheitsmäßige, nächtliche Umherstreifen zum Begehen allerlei Unfugs (v. S. 39)


Die städtischen Gefängnisse waren damals Respektsorte für die Bürger Schwerins, schlechte dumpfe Löcher, welche nicht geheizt werden konnten, wahre Folterkammern für die Gefangenen, wie die Akten selbst besagen. Sie blieben in diesem Zustande noch sehr lange und waren so verrufen, dass die Bürger es später aufs Äußerste scheuten, sie zu frequentieren, weshalb sie denn aus der Not eine Tugend machten und z. B. in der ersten Hälfte des 18. Jahrh. sich so wacker betrugen, dass die Gefängnisse auf dem Rathause, der eigentliche „Bürgergehorsam“, Jahrelang leer gestanden hatten. Übrigens waren auch in den festen Toren Gefängnisse eingerichtet, namentlich für Landstreicher und Vagabunden, und die Frohnerei enthielt die Frongefängnisse für Kriminalgefangene. Hinrichtungen waren aber auch in Schwerin häufig, obgleich die Quellen über sie nicht viel Aufschluss geben. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts wurde auch die Folter sehr oft angewandt; der locus torturae (die Folterkammer) befand sich auf dem Boden des altstädtischen Rathauses, auf welchem auch die notwendigen Gerätschaften aufbewahrt wurden. Er war noch im Jahre 1763, obgleich lange nicht gebraucht, in gutem Zustande und wurde damals auch den Richtern der Neustadt, welche niemals einen solchen Ort gehabt hat, bereitwillig zur Verfügung gestellt.

Die Einführung der lutherischen Lehre hatte ohne Zweifel dem religiösen Leben des Volkes einen neuen, sehr heilsamen Aufschwung gegeben. Herzog Johann Albrechts Begeisterung für die reine Lehre des Evangeliums war eine reine und wahre; die Prediger Schwerins besaßen den rechten reformatorischen Geist. Wohl trat dieser zuweilen mit dem Geiste des Volkes in Konflikt und letzterer ließ sich oft nur durch strenge kirchliche Strafen bändigen. Wir sehen aus den Protokollen, dass diese hier nicht gefehlt haben, können aber nicht tadeln, was als notwendig erscheint. Eine Notwendigkeit war die Armensünderbank in der Kirche, waren die Bußstrafen dem ordnungswidrigen Geiste jener Zeit gegenüber. Zwar gingen manche Geistliche vielleicht zu weit, indem sie auf der Kanzel Privatangelegenheiten, wohl ohne die richtig erkannt zu haben, zur Sprache brachten und wir werden bald sehen (s. d. J. 1622), wie der gerechte Herzog Adolf Friedrich solche Überschreitungen an dem Prediger Mag. Wetter durch Absetzung strafte. Doch lässt sich das Verfahren der Prediger im Allgemeinen sehr wohl dadurch erklären, dass die Kanzel überhaupt in dieser, wie in der früheren Zeit sehr viel zur Mitteilung von städtischen und Privatangelegenheiten an die Gemeinde gebraucht wurde, sowie man die Kirche noch über die Mitte des 17. Jahrh. hinaus als Versammlungsort zur Besprechung weltlicher Gegenstände benutzte.

Wir sehen, dass die von Johann Albrecht ausgestreute reiche Saat leider nur geringe Früchte brachte; Schwerin befand sich in einem sinkenden Zustande, als das Feuer des dreißigjährigen Krieges diese Stadt ergriff. Ob es ihr ein Läuterungsfeuer wurde, werden wir später erforschen müssen; jetzt wenden wir uns wieder den chronologischen Aufzeichnungen zu.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Chronik der Haupt- und Residenzstadt Schwerin