Die Christliche Kunst – 2. Jahrgang 1905/1906

Monatsschrift für alle Gebiete der christlichen Kunst und Kunstwissenschaft, sowie für das gesamte Kunstleben
Autor: Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst, Erscheinungsjahr: 1905
Themenbereiche
Enthaltene Themen: christliche Kunst, Kulturfaktor, Barcelona, christliche Lebensideale, Bildungselemente, Malerei, Albrecht Dürer, Architektur, Kunstfreunde, Kunstgeschichte, Plastik
Inhaltsverzeichnis
Kunsthistorische Wanderungen durch Katelonien

Fäh, Adolf Dr. (1858-1932) schweizer katholischer Priester, Kunsthistoriker, Dozent für Kunstgeschichte, Publizist und Schriftsteller

III. Barcelona

Für die Fahrt von Gerona nach Barcelona eröffnen sich zwei Wege. Wir wählen die Linie dem Meere entlang. Die malerischen Städtchen erinnern in ihrer reizenden Lage am Fuße von weichen Hügeln an Perlen, welche die salzigen Fluten ans Ufer gespült, nicht selten thronen sie auf grünen Höhen, Leuchttürmen gleich, die mit ihren schimmernden Fassaden den Fischer auf hoher See orientieren. Bald nimmt indessen eine Beobachtung unsere Aufmerksamkeit ganz in Anspruch. In Tordera, Blanès, Calella etc. sitzen Frauen und Mädchen vor den Fischerhütten und Häusern. Auf ihren Knien ruht ein Kissen, emsig regen sich die Hände und bewegen in eiliger Hast die Klöppel. Wir sind im Mutterlande der echten Spitzen angelangt, glauben uns nach Böhmen oder ins sächsische Erzgebirge versetzt, würden nicht das rauschende Meer und die Pinienwäldchen deutlich südliche Pfade weisen.

Darf in einer Zeitschrift, die sich der christlichen Kunst widmet, die Spitze, dieses duftige Frühlingskind der Renaissance, auch nur erwähnt werden? Lange genug verblieb sie das Aschenbrödel unseres Kunstgewerbes. Noch Can. Dr. Fr. Bock spricht sein Bedauern aus, dass man diese „leichte flitterhafte Garnierung unglücklicherweise auf den äußersten Saum des ernsten kirchlichen Gewandes“ übertrug. Seither hat sich auf diesem Gebiete ein gründlicher Wandel vollzogen. Die Blüte des Kunstgewerbes überhaupt, wurde die Spitze genannt (Semper) „als Blüte der Renaissance“ wurde sie mit Recht neuestens gepriesen (Dreger). Die diesbezügliche Literatur Frankreichs und Deutschlands zeigt, dass ein neues Glied sich in die Geschichte des Kunstgewerbes eingedrängt hat, dessen Geburtsland noch nicht einmal aus dem Gebiete der Hypothese herausgetreten ist.

Die italienischen Spitzenbücher des 16. Jahrhunderts sprechen von „Merli a redicella alla Spagnola“, heute noch bezeichnet der Italiener die alte Nähspitze als „punto di Spagna“. Dennoch soll Italien im Vordergrunde stehen, einzig weil Spanien, so viel bisher bekannt ist, kaum ein derartiges Werk (Spitzenbuch) aufzuweisen hat (Dreger). Man darf dem künftigen Forscher nur gratulieren. Die Glanzzeit der Entwicklung der Spitze wird seine Domäne bilden, rühmt doch schon Cervantes die Frau seines Landes, die mit zwölf Klöppeln zu operieren verstehe. Die Epoche der Barockzeit dürfte ihn weniger beschäftigen. Hingegen kennt die Gegenwart eine Renaissance auf diesem textilen Gebiete. Ihr Pionier ist José Fiter, der nicht bloß die Vergangenheit, wenn auch nicht frei von Einseitigkeit, beleuchtete, sondern auch der Gegenwart scharfsinnig ihre Perspektive eröffnete, leider ohne sein Ziel zu erreichen.

Unterdessen sind wir in Barcelona, der wichtigsten Hafenstadt Spaniens, angelangt. Die Dichter haben ihre Lage in farbenschillernden Dithyramben besungen. Mit Recht, denn anmutige Höhenzüge umziehen zarten Naturgobelins gleich die Halbmillionenstadt, vor deren Thron sich teppichartig das stolze Meer ausdehnt. Eine echt südliche via triumphalis führt uns durch die Palmenallee des Paseo Colón zur kühn emporragenden Kolumbussäule, hinauf nach dem Montjuich. Zu unsern Füßen dehnt sich die Stadt aus, der man gleich Florenz den Namen la fiorente vindizieren dürfte. Das dicht gedrängte Häusermeer kennzeichnet sich noch als die einst vom Festungsgürtel umschlossene Altstadt mit ihren schmalen Gässchen, vom Platanenhain der Rambla durchschnitten. Der trauten Muhme nahte sich die Neuzeit mit ihrer originellen Frische und kühnen Unternehmungslust. Sie legte die Ringmauern nieder und umschloss die Schöpfungen der Vergangenheit mit breiten, baumbepflanzten Straßen, an denen sich mächtige Paläste erheben.

Der freundliche Leser wird entschuldigen, wenn wir ihn ungewohnte Wege führen. Die kühnen Werke der spanischen Gotik in Barcelona hat uns Graus kurz, dennoch treffend geschildert. Über die Kathedrale orientieren uns sogar zwei umfangreiche Monographien. Die Societat Fotografica Catalana veröffentlichte in Bild und Wort dieses Hauptwerk der spanischen Architektur. Das groß angelegte Werk von Soler und Pedrosa hat bereits einen französischen Übersetzer gefunden. Wo auch die Neuzeit ihr künstlerisches Lied laut und vernehmlich erklingen lässt, da darf man seinen Tönen lauschen.

Weder das Provinzialmuseum mit seinem dickleibigen Kataloge zieht uns an, noch die Akademie der schönen Künste, wenn auch dort dem Fremdling so mancher liebe Bekannte von den Münchener internationalen Kunstausstellungen begegnet. Die Neuzeit, selbst in ihrem modernen Stile, wenn man diesen nicht richtiger als moderne Dekorationsweise bezeichnen will, fordert die Aufmerksamkeit des Wanderers. In reiche Privatsammlungen führten uns zwei Freunde, denen wir zu innigem Danke verpflichtet sind, ein Deutscher, der in Spanien seine zweite Heimat gefunden hat: P. Agusto Hupfeld S. J., und ein begeisterter Katalonier: Jose Rafael Carreras y Bulbena, der als Musikschriftsteller bekannte Autor.

Zur Kathedrale lenken wir die Schritte, nicht um das Heiligtum der Schutzpatronin der Stadt, der Heiligen Eulalia, und dessen herrlichen Kreuzgang zu bewundern. Der Fassade einzig schenken wir unsere Aufmerksamkeit, denn sie ist ein Werk der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts (Abb. S. 2). Bezeichnend übernahm ein einzelner Kunstmäzen, der Bankier D. Manuel Girona die Kosten dieses Werkes. Don José O. Mestres war der Architekt.

In ihrer Hauptgliederung klingt wenigstens die Teilung der Kathedralschiffe deutlich durch. Zwei kräftige Pfeiler flankieren das Marmorprunkstück, die beiden etwas kleinlich dekorierten Strebepfeiler markieren die Trennung des Hauptschiffes von den Seitenschiffen, Soweit äußert sich einige Selbständigkeit des Architekten. Sofort aber zeigt sich allzu klar der Einfluss der nahen Kirche Santa Maria del Mar. Das ganze Mittelstück der Fassade ist in ein dominierendes, fast schreiendes Hauptportal aufgelöst. Bitter rächte sich das Bestreben, die dort berechtigte Disposition der genannten Kirche zu überbieten. Kühn steigt der Wimperg über dem Portale empor, in voller Rücksichtslosigkeit gegen das scheu hervorblickende Hauptfenster, dessen Aufgabe der Lichtspende die Fensterrose und das darüber wuchernde Maßwerk übernimmt und gleichzeitig beeinträchtigt. Willig unverständlich bleibt es, warum man in den dekorativen Details einer kümmerlichen Spätgotik folgte. Auch der segnende Christus am Hauptpfeiler mit seinem Gefolge der Apostel zu beiden Seiten, die Engelfiguren unter den Baldachinen der Schrägungen vermögen den ungünstigen Gesamteindruck nicht zu verwischen.

An den hohen Norden und seine Backsteinarchitektur erinnert die Kirche der Salesianerinnen. Die Frühgotik verstand es mit den denkbar einfachsten Mitteln, ein prächtiges Werk zu schaffen, das die ganze Baugruppe des Klosters beherrscht, ohne diese in ihrer Gesamtwirkung zu beeinträchtigen (Abb. S. 3). Im Innern beobachtet man, wie der Architekt Martorell Motive der Frührenaissance reizvoll der Architektur einzuverleiben wusste. Der schlanke Turm mit seinem vom Kreuze bekrönten Abschluss erscheint wie ein Fremdling unter den sämtlichen Kirchenbauten der Großstadt, aber als Fremdling, dem das Auge so gerne das volle Bürgerrecht verleihen möchte.

Der nämliche Architekt ist der Schöpfer der Herz Jesu-Kirche der Jesuiten. Die Wirkung nach außen ist nicht bedeutend, da die Fassade nicht über die Häuserflucht der Straße hervortritt, allein das Innere ist von großräumiger, edler Wirkung (Abb. S. 9). Um die Kuppel gliedern sich die tonnenüberwölbten Arme des griechischen Kreuzes. Den Hauptaltar umziehen offene Arkaden. Über diesen nähern sich die Verehrer des göttlichen Herzens dem Mittelbilde. Diese sind, wie die Kuppelbilder, liebliche Schöpfungen des Bruders Juan Canudas, eines viel beschäftigten Mitgliedes der Gesellschaft Jesu. In den architektonischen Details beachtet man, dass Martorell mit voller Freiheit unter den historischen Stilen wählt, um einem völlig eigenartigen Byzantinismus zu huldigen.

Wir wenden Alt-Barcelona den Rücken, um sehnsuchtsvoll nach einer der Vorstädte zu eilen. Gilt es doch, die viel geschmähte und gleichzeitig als neue architektonische Offenbarung gepriesene Kirche der Sagrada Familia zu besuchen. Seit 1882, so belehrt eine Inschrift, wird an diesem Baue gearbeitet. Vollendet ist die für Kultzwecke benützte romanische Krypta, die wir nicht weiter berücksichtigen, ein Stück Chormauer und zum größten Teile eines der Hauptportale. Diese beiden letztern sind Werke des bedeutendsten Architekten Barcelonas, des D. A. Gaudi. Der Bruch mit der Vergangenheit ist hier vollständig durchgeführt, die modernste Gotik tritt vor des Nahenden Auge (Abb S. 4 u. 5). Mächtig, Türmen gleich, ragen die in den Bau halb eingezogenen Strebepfeiler empor, die Wimperge der oberen Fensterreihe sind, auflodernden Flammen nicht unähnlich, vom nämlichen Vertikalismus ergriffen. Die Gliederung der Fenster verrät mit dem Gesimse über demselben die Tendenz, auch der Horizontale gerecht zu werden. Die drei Portale des einen Einganges wirken geradezu überwältigend. Ruhige Flächen fehlen gänzlich. Dekoration und figuraler Schmuck äußern sich um so lebhafter. Die Jugendgeschichte Jesu ist hier behandelt. Ruhig thront das Jesuskind in der Mitte, sei es in der Krippe, wie im mittleren Portale, oder sitzend im Tempel. Rings grüßen uns die Zeugen der Szene, teils in stiller Bewunderung, teils als frohe Verkünder des Gnadengeheimnisses an die Menschheit. Die einzelnen Figuren sind wenig detailliert, aber von einer wunderbaren Schärfe der Charakteristik. Auflallend sind die aus den überhängenden Eisbildungen sich flüchtenden Vögel. In dem kleinen Claustro del Rosario bewundert man die Zartheit und Eigenartigkeit der Dekoration.

Immer wieder zog es uns hin zur originellen Anlage. Berühren die Schlangengewinde und mächtigen Eidechsenformen der Wasserspeier auch nicht sehr einladend, mag man die Portale eine in architektonische Formen übersetzte wuchtige Malerei schelten, es ruht ein Geheimnis in dieser Schöpfung Gaudis. Man muss die Architektur als eine moderne Übertragung nüchterner mathematischer Lehrsätze, die mit voller Klarheit zutage treten, abwägend vergleichen, mag sich in den plastischen Schmuck versenken er ist von einem großen Gedanken beseelt, der bis in die zartesten Details vibriert. Endlich erkennt man nach allen wechselvollen Wiederholungen unserer historischen Stile im genialen Wagnis der Lösung einer solchen Aufgabe doch einen Markstein, der für die Kunstgeschichte als Wegweiser in eine neue Zeit sich offenbart.

Dem Fernstehenden mag es auffallend erscheinen, dass man einfach solche Stückwerke hinstellt, ohne an die Vollendung des Ganzen zu denken. Man darf nicht vergessen, dass der Fortgang der Arbeiten an dieser Kirche ganz von freiwilligen edlen Spenden abhängig ist. Fließen diese reichlich, schreitet der Bau rascher vorwärts, während er wieder ruht, wenn spärliche Mittel zur Verfügung stehen. An eine Gefährdung des bereits Geschaffenen ist nicht zu denken. Die Milde des Klimas und die Solidität des Baumaterials, das der nahe Montjuich in trefflicher, unerschöpflicher Fülle birgt, verleihen hinreichende Sicherheit.

Ergreifend ist die Verehrung des ganzen Volkes für dieses Werk. Wie ein Wunder staunt der einfache Mann die kühne Neuerung an. Der Gebildete wird zum Propheten; ist einst Gaudis genialer Plan realisiert, dann wird sein Heiligtum einen Hymnus der ganzen Schöpfung an den dreieinigen Gott singen, wie er aus keinem zweiten Bauwerke uns entgegenklingt.

Der Name des Architekten Gaudi begegnet uns auch im bedeutsamsten Profanbau Barcelonas, im Palaste Excm. Sr. D. Güell y Bacigalupi. Den Kerker aus Marmor und Eisen nennt spottend das Volk diesen Bau, dessen Fassade allerdings in der schmalen Straße sich nicht Geltung zu schaffen vermag. Die Repräsentationsräume und Gemächer gruppieren sich im Innern um einen hohen Mittelraum. Gesteltzte Bogen in launischen Formen machen sich allenthalben bemerkbar, malerische Durchblicke fesseln das Auge in diesen Salons, welche exquisites Kunstverständnis, von reichsten Mitteln unterstützt, ausgestattet hat. Der Archäologe tritt hier dem Freund der modernen Kunst ernst entgegen, hat er doch ein erlesenes Privatmuseum betreten.

In einem der Korridore erblicken wir auf einer Marmorsäule eine antike Bronze (Abb. S. l0). Sie wird als hellenisches Werk, das aus Emporium stamme, uns bezeichnet. Schon die Haartracht sagt jedoch deutlich, dass es sich um eine römische Arbeit handelt. Immerhin wird eine intakt erhaltene, echte römische Bronze wie dieser aufblickende Frauenkopf diesseits der Pyrenäen in Prixatbesitz selten zu treffen sein. Die Öffnung der Kapelle, die in keinem vornehmen Hause fehlt, fesselt das Auge des Hintretenden. Kostbare Emailbilder des 12. und 13. Jahrhunderts machen sich am kleinen Flügelaltare bemerkbar. Getriebene Reliquiarien, Kreuze und wertvolle liturgische Utensilien vollenden die Ausstattung, in welcher Cimelien der seltensten Art das Bedauern wachrufen, nicht mehr in die Details eintreten zu dürfen.

Bei einem ferneren Besuche im Palais Güell überraschte uns eine Aufmerksamkeit des Spaniers gegen den eingeführten Fremden, deren dankschuldiger Zeuge wir in der Folge wiederholt waren. Man erkundigt sich nach dessen Vorliebe und bereitet eine Ausstellung vor, die sein Interesse erregt. Im vorliegenden Falle waren es Stickereien. Wir nahern uns damit jenem textilen Felde, auf dem, ähnlich wie bei der Spitze, Spanien der ihm gebührende Rang noch zugewiesen werden muss. Neuestens noch hat man der pyrenäischen Halbinsel eine stete Vorliebe für „besonders schwere und prunkvolle Wirkungen“ in ihren Stickereien zugeschrieben (Dreger, 1904). Die älteren Stücke dieser Sammlung zeigen eine zarte Verwendung des „or noué“, jenes Lasurstiches, der mit verschiedenfarbiger Seide auf gespannten Goldfäden einen eigenartigen Farbenglanz hervorzuzaubern versteht, wie ihn die italienischen Stücke in Sakristeien Sammlungen besser aufweisen. Heute bezeichnen wir die eigentlichen Stickerei-Pretiosen mit Vorliebe als spanische und flandrische Arbeiten.

Sie sind ein gesuchter Handelsartikel geworden. Es gelang uns, eine Reihe wertvoller Objekte für einen kunstsinnigen Privatsammler zu erwerben, deren Reproduktionen allerdings den diskreten Farbenschimmer nicht wiedergeben kann. Die Cappa eines Pluviales (Abb.S.6) zeigt den Auferstandenen zwischen vier Wächtern. Dereine derselben genielßt noch den friedlichen Schlummer, sein vis-ä-vis ist eben aufgewacht, und halb erschrocken hat der Dritte seine Hellebarde erfasst und blickt kampfbereit nach dem Heilande, der segnend sich aus dem Grabe erhebt, wahrend ein vierter Krieger der ganzen Szene den Rücken wendet. Man wird zugeben müssen, dass die Komposition den Stift einer Künstlerhand voraussetzt. Auch die Umrahnumg ist nicht ohne Interesse. Die gewellte Verbindungslinie zwischen den beiden etwas derben viereckigen Säulen erinnert an sarazenische Bogenformen, welche auch der Architekt des Kreuzganges von San Pablo del Campo in Barcelona kopierte.

Diesem Prunkstücke gegenüber erscheint der hl. Sebastian in einem Caselstabe als einfaches, schlichtes Werk (Abb. s. oben). Die stehende, ganz bekleidete Figur trägt in der Rechten ihre Pfeile, die linke Hand fasst das Buch. Ganz vorzüglich ist die technische Behandlung. Die Seide tritt beinahe in Konkurrenz zur Malfarbe. Sie trennt klar und deutlich die Figur vom Hintergrunde, kennzeichnet die Stoffunterschiede, ahmt im Besatze des Mantels selbst die Haarbildung des Pelzes nach. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wahrte Spanien diese Feinheit der Technik, wie dies der hl. Jakobus beweist, der mit seinem durch die Gewandung schimmernden Beine sich als Spätling dieser Zeit offenbart. (Abb. s. oben.)

Im Palais der Condesa del Val des Marlés erwarten uns neue Überraschungen. Die spanische Klöppelspitze des 18. Jahrhunderts ist dort in den erlesensten Mustern, in wahren Museumsstücken von 3 m Länge und 1 ½ m Breite vertreten. Kostümstücke mit Einsätzen in 30 cm breiten Gold- und Silberspitzen, die den Seidengrund gleich duftigen Gespinsten überziehen, finden sich in großer Zahl. Hohe Bewunderung verdient ein Duplikat, dessen Original auf der Ausstellung in Rom (1888) das Staunen aller Spitzenfreunde erregte. In der Zeichnung nicht einwandfrei, da der Realismus allzusehr vorherrscht, kennzeichnet diese Leistung des katalonischen Kunstgewerbes, was die Gegenwart unter der Ägide José Fiters hätte leisten können.

Ein Besuch in den Privatsammlungen, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, macht mit Überraschungen der verschiedensten Art vertraut. Wie groß war unser Staunen, als im Palais des Marquis de Dou ein prächtig erhaltener Gobelin, eine flandrische Perle dieser Technik, sich zeigte. Auf einem Löwengespann steht die von Kindern umspielte, von einem reizenden Puttenreigen umschlossene Hauptfigur. Der ganzen Komposition liegt, das zeigt sich auf den ersten Blick, eine Rubens-Zeichnung zugrunde. Dem glücklichen Besitzer war diese Kunde hoch willkommen.

Unser freundlicher Führer, Herr Carreras y Bulbena, war nicht bloß unermüdlicher Cicerone zu immer neuen Schätzen, sondern verfügte selbst über so manches archäologisch und künstlerisch bedeutsame Objekt. Erwähnen wir aus der romanischen Epoche das interessante Ende eines Bischofsstabes in Elfenbein mit den Kämpfen der Bestien gegen den das Kreuz tragenden Vogel (Abb. S. I). Zu diesem seltenen Stücke gesellt sich ein Vortragekreuz in Kupfer und Email. Wie leuchtet doch aus der schlichten Auffassung die Wiedergabe des Regnans de cruce dem Beschauer hoheitsvoll entgegen! Die Gotik ist in einer ganzen Reihe von Werken vertreten. Das Fragment einer Bischofsstatuette in weißem Marmor mit den mild freundlichen Zügen ist ein lieblich Gebilde der gotischen Kleinplastik. Unter den zierlichen Elfenbeinarbeiten gedenken wir der tiefempfundenen, von Realismus nicht freien Kreuzabnahme. In dem bescheidenen Bildchen spielen kindliche Liebe, Wehmut und herber Schmerz in ergreifenden Arkorden. Die gotische Madonna beweist, dass auch die spanischen Malerschulen dieser Epoche wie ihre Zeitgenossen in Italien und Deutschland den Nimbus und dekorative Zutaten mit Vorliebe plastisch wiedergaben. Der milde Ernst der ganzen Auffassung scheint weniger individuelle Eigentümlichkeit des Künstlers als Eigenart der Stilperiode zu sein.

Wir wollen Barcelona nicht verlassen, ohne noch einen Blick nach der Deputacion, dem Ständehaus der Provinz, geworten zuhaben. Von der Höhe der Balustrade an einer der Fassaden (Abb S, I) grüßt das Bild des ritterlichen Beschützers von Katalonien, des hl. Georg. In der Umrahmung, an den Fialen der Brüstung schwellen die Krabben der Spätgotik in solch feiner Zartheit und kräftiger Lebensfülle, als wären es nicht Werke, die des Menschen Hand in hart Gestein eingemeißelt, vielmehr Gebilde, die an der Brust der südlichen Natur erwärmt, jugendfrisch sich entwickelten. Hier erblickt das Volk oft den genannten Architekten Gaudi, so wurde erzählt. Hier empfange er die Inspirationen für seine grandiosen Neuschöpfungen. Der Gedanke mag paradox klingen, aber er beweist, dass auch die modernste Richtung den Werken der Vergangenheit mit den Gefühlen edler Pietät begegnet, sich aber jenen nicht gefangen gibt mit dem Opfer der Selbständigkeit. Solche Hinweise sind hedeutungsvoll, selbst für den Furchtsamen beruhigend.

Ein zweites Werk ist der vollständig erhaltene Prachtornat der Kapelle der Deputacion. Das Antependium des Altars, Gasula, Levitenkleider und Pluviale (Abb. S. 8) sind noch vorhanden. All diese paramentalen Kleinodien schildern in zahlreichen Szenen Episoden aus dem Leben des hl. Georg. Die Stickkunst offenbart sich hier als ebenbürtige Schwester der Miniaturmalerei. Sie behandelt das Nackte mit voller Sicherheit und weiß das Wesentliche mit spärlichen Mitteln, in wenigen Figuren klar und deutlich festzuhalten. Ein lichtes Abendrot leuchtet aus diesem textilen Werke, die scheidende Sonne vergoldet jene glückliche Epoche, in welcher Kunst und Gewerbe als freundlich Zwillingspaar blumige Pfade durchwandelten. In der Fülle solcher Anregungen liegt auch die Garantie für eine glückverheißende Zukunft.

(Fortsetzung folgt)

000 Der Heilige Ludwig bringt die Dornenkrone nach Paris – Martin Feuerstein

000 Der Heilige Ludwig bringt die Dornenkrone nach Paris – Martin Feuerstein

001 Barcelona – Balustrade an der Deputacion

001 Barcelona – Balustrade an der Deputacion

003 Barcelona – Bischofsstab aus der Sammlung Carreras

003 Barcelona – Bischofsstab aus der Sammlung Carreras

004 Barcelona – Fassade der Kathedrale

004 Barcelona – Fassade der Kathedrale

005 Barcelona – Kirche der Salesianerinnen (Architekt Martorell)

005 Barcelona – Kirche der Salesianerinnen (Architekt Martorell)

006 Barcelona – Detail von der Kirche der Sagrada-Familia

006 Barcelona – Detail von der Kirche der Sagrada-Familia

007 Barcelona – Kirche der Sagrada-Familia

007 Barcelona – Kirche der Sagrada-Familia

008 Barcelona – Hl. Jakobus, Detail einer Casula, 17. Jahrhundert - Sammlung L. Iklé, St.

008 Barcelona – Hl. Jakobus, Detail einer Casula, 17. Jahrhundert - Sammlung L. Iklé, St.

009 Barcelona – Heiliger Sebastian, Ende des 16. Jahrhunderts - Sammlung L. Iklé, St. Gallen Gallen

009 Barcelona – Heiliger Sebastian, Ende des 16. Jahrhunderts - Sammlung L. Iklé, St. Gallen Gallen

010 Barcelona – Hl. Sebastian, Detail einer Casula, 17. Jahrhundert - Sammlung L. Iklé, St. Gallen

010 Barcelona – Hl. Sebastian, Detail einer Casula, 17. Jahrhundert - Sammlung L. Iklé, St. Gallen

012 Barcelona – Herz Jesu-Kirche (Architekt Martorell)

012 Barcelona – Herz Jesu-Kirche (Architekt Martorell)

013 Barcelona – Aus San Pablo

013 Barcelona – Aus San Pablo

014 Barcelona – Römische Bronze – Sammlung Güell y Bacigalupi

014 Barcelona – Römische Bronze – Sammlung Güell y Bacigalupi