Die Hanse und ihre Handelstätigkeit

So wie in dem Verband der preußischen Stände, so herrschte auch in dem Bunde der deutschen Hansa, welchem Danzig seit zwei Jahrhunderten angehörte, unter den einzelnen Gliedern für die Zwecke der Gesamtheit nur geringer Eifer; jede Stadt beteiligte sich vornehmlich nur an denjenigen Beziehungen des Bundes, aus denen sie sich besonderen Vorteil versprach. Dieser Mangel an einheitlichem Zusammenhange musste der Hansa doppelt gefährlich werden in dieser von Weinreich geschilderten Zeit, wo nicht nur mehre nordische Reiche, namentlich England und Dänemark geradezu darauf ausgingen, die Vorrechte der deutschen Kaufleute zu vernichten, sondern auch wegen der zahlreichen inneren und auswärtigen Kriege, die damals die Staaten des nördlichen Europas zerrütteten, der Handelsverkehr selbst neutraler Völker fortwährenden Belästigungen ausgesetzt war. Denn abgesehen von den vielen Fällen, wo die von den Kriegführenden ausgeschickten Kaper („Ausleger“) sich gar nicht einmal die Mühe gaben nach einem Rechtsgrunde zu suchen, so entzog schon eine von jenen erlassene „Warnung“ („warschauwing“) den Neutralen das Recht mit der Gegend, vor welcher gewarnt worden war, in Verkehr zu bleiben; dazu wurden die Grundsätze, dass feindliches Schiff feindlichen Boden und feindlicher Boden feindliches Schiff mache, in aller Strenge gehandhabt, und für die Hanseaten insbesondere herrschte die verderbliche Praxis, dass nicht nur die mit einer einzelnen hanseatischen Stadt in Fehde stehende Macht die Güter sämtlicher Hanseaten als feindliche behandelte, sondern sämtliche Hanseaten auch für diejenigen Feindseligkeiten verantwortlich gemacht wurden, welche einzelne hanseatische Bürger als Seeräuber oder Söldner im Dienste eines fremden Staates verübt hatten. Bei solchen Gefahren durfte eine Hansastadt kaum es wagen an dem damaligen Welthandel teilzunehmen, wenn sie nicht zunächst über eine Seemacht gebot, mit der sie ihrer Flagge Achtung zu verschaffen im Stande war, und wenn ihre Handelstätigkeit nicht so bedeutend und wichtig für die Handelswelt überhaupt war, dass die fremden Staaten die Unterbrechung des Verkehrs mit ihr im eigenen Interesse zu scheuen hatten.

Die in diesem Buche mitgeteilten Berichte der Zeitgenossen lassen keinen Zweifel, dass Danzig in dieser Periode, wenn auch noch nicht, wie fälschlich angenommen wird, unter dem amtlichen Namen und mit den späteren Befugnissen einer Quartierstadt, zu den ersten Städten des Bundes gehörte, und nicht nur in Preußen die früher mit ihm wetteifernden Städte Thorn, Elbing und Königsberg in dem Maße überflügelt hatte, dass diese damals kaum noch im Seehandel genannt wurden, sondern auch in der gesamten hanseatischen Welt neben dem alle überragenden Lübeck etwa nur Hamburg, Köln und Bremen als Nebenbuhlerinnen zählte.


Überblicken wir die Reihe der auswärtigen Staaten, mit welchen die Stadt damals durch ihren Handel in Verbindung stand, so wurde das damals äußerste westliche Ziel hanseatischer Schifffahrt, Portugal, von Danziger Kaufleuten diese ganze Zeit hindurch besucht, welche Holz dorthin führten und hauptsächlich Salz zurückbrachten; besonders aufmunternd mochte für sie eine an alle Hanseaten gerichtete Aufforderung König Joaos II. sein, in welcher er 1494 das von ihnen in Portugal während der nächsten zehn Jahre einzuführende Schiffbauholz von jedem Zolle befreite.

In Spanien verkehrte der Danziger Kaufmann unmittelbar mit der galizischen Küste, wo neben dem Handelsgewinn auch die geistlichen Gnadengaben in S. Jago de Compostella aufgesucht wurden. Der Absatz Danziger Handelsartikel nach Spanien wurde außerdem durch die in Brügge residierende spanische Faktorei („die spanische Nation“) vermittelt, deren „Konsuln“ wir 1483 angelegentlichst bemüht sehen, die über die Beraubung ihres Schiffes Veronica durch den Seeräuber Vincenz Daldowyn aus S. Sebastian erbitterten Danziger Kaufleute zu besänftigen.

Bedeutender war der Verkehr mit der Westküste von Frankreich. Man kannte in Danzig neben den größeren Handelsplätzen von Burdegala (Bordeaux) und Rupell?? (Rochelle) eine große Zahl der kleinen Buchten und Häfen der Bretagne und Poitou’s; doch wandten sich die Handelsunternehmungen, wie in der Ordenszeit so auch in diesem Zeitabschnitte, hauptsächlich nach dem Hafen von Brouage (der „Browasie“) und nach dem in der jetzigen Bucht von Bourgneuf gelegenen Orte „Baie“, nicht nur weil man hier das im Osten sehr geschätzte grobkörnige, auf den Inseln und an den Ufern des Festlandes ringsumher reichlich gewonnene Meersalz einkaufte, welches zum Unterschiede von dem feineren in Lüneburg gesottenen und über Lübeck ausgeführten „Travensalz“, „Baiesalz“ hieß, sondern auch weil man hier Gelegenheit fand, bei den Bretonen und den Kaufleuten des Südens die Erzeugnisse des südlichen Europas und der neu entdeckten Länder am atlantischen Ozean einzutauschen. Zu großen Flotten vereinigt ziehen die an diesem Handel Beteiligten alljährlich von Danzig aus; 1475 kehren, wie aus den Danziger Hafenregistern (den „Pfahlgeldsbüchern“) dieser Jahre zu ersehen ist, von 28 Schiffen, die an demselben Tage dorthin ausliefen, 22 zusammen nach Danzig zurück; 1474, wo zu verschiedenen Zeiten 72 Schiffe jene Gegenden aufsuchen, laufen 51 derselben auf einmal in Weichselmünde ein; sie bringen außer dem Salze hauptsächlich Öl, Hopfen, Wallnüsse und Mandeln; einmal (1486) wird einer von einem Bretonen aus Madeira geholten Zuckerladung erwähnt. Ungeachtet der von Alters her zwischen den Hanseaten und der Bretagne bestehenden Handelsverträge wurden diese Fahrten selten gefahrlos zurückgelegt. Neben den Seeräubern, welche in diesen Gegenden am tätigsten waren, störten in dieser Zeit die Könige von Frankreich selbst gar oft den friedlichen Verkehr. König Ludwig XI. insbesondere gebrauchte seine häufigen Verwicklungen mit seinen Lehnsträgern, den Herzogen von Burgund und der Bretagne, sowie die Parteistellung, welche er während der englischen Bürgerkriege für die Gemahlin Heinrichs VI. und die Warwicks gegen das Haus York eingenommen hatte, zum Vorwande, um die Hanseaten, als vorgebliche Bundesgenossen seiner Feinde, auf der See feindlich zu behandeln; um 1472 ward sein großes Raubschiff, die „Columbe“, ein Schrecken der deutschen Kauffahrer. Erst als 1473 in Utrecht die Hansa mit König Eduard IV. von England einen Handelsvertrag abzuschließen im Begriff war, wandte sich des französischen Herrschers Gunst, zunächst in der Hoffnung, dadurch das Friedenswerk zu stören, den Hanseaten zu; er entließ die Danziger Schiffer, die zu ihm nach Mont S. Michel kamen, mit kostbaren Geschenken und gab ihnen den Entwurf eines auf zehn Jahre ausgestellten Vertrages mit, dem er selbst sofortige Gesetzeskraft zu geben verhieß. Dieser Stillstand, von dem Nachfolger Ludwigs, Carl VIII., 1483 verlängert und 10. August 1489 in einen festen Frieden umgewandelt, hielt die Franzosen jedoch nicht ab, bis 1492, so oft sie mit Erzherzog Maximilian, sei’s wegen ihrer Ansprüche auf Burgund, sei’s wegen seiner Bewerbung um die Hand der Erbin von Bretagne, in feindlicher Berührung gerieten, alle mit Flandern handeltreibenden Hanseaten als Freunde ihres „rebellischen Untertanen“ feindselig zu behandeln — Ursache genug für die Hanseaten, die Aufeinanderfolge dieser politischen Verwickelungen mit gespannter Aufmerksamkeit zu beobachten.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Caspar Weinreichs Danziger Chronik - Einführung