Danzig, die Hanse und die Niederlande

Unter den von den Herzogen von Burgund zu einem Staate vereinigten niederländischen Gebieten hatten für Danzig die Provinzen Flandern und Holland am meisten kaufmännische Bedeutung. In Flandern war Brügge mit seinem Hafen t’Zwin noch immer der Mittelpunkt der europäischen Handelswelt, wo Kaufleute aus Nord und Süd nach „Nationen“ gesondert ihre Faktoreien unterhielten und die Erzeugnisse ihrer Länder gegen einander oder gegen die Waren der belgischen Städte austauschten; vor Allem war es der Stapelplatz für alle von den Hanseaten in jene Gegenden geschickten Waren, und wenngleich in dieser Zeit die wendischen Städte unter den Deutschen hier die bedeutendste Rolle spielten, so lassen doch schon die sorgfältigen Berichte, die die Alderleute des Brüggischen Kontors über ihr Walten dem Rate von Danzig mittheilen, den hohen Wert erkennen, den man in Brügge dieser Stadt beilegte. In gleicher Weise beweisen die geschäftigen Kaufleute und Schiffer der Provinz Holland, obgleich sie selbst als Nebenbuhler in der Frachtschifffahrt und als Beeinträchtiger des skandinavischen Verkehrs von den Hanseaten gern gemieden wurden, schon wegen des Kornmangels, an welchem ihre Heimat während dieser 30 Jahre häufig litt, das lebhafteste Verlangen, Geschäftsfreunde Danzigs zu verbleiben. Man hatte in Danzig von der wichtigen Stellung, die man in jenen Ländern einnahm, eine ziemlich starke Empfindung; nicht ohne inneres Behagen erzählt der Ratmann Bernt Pawest von dem ehrenvollen Empfange, der ihm 1472 von dem Rate von Brügge bereitet worden, und fürchtet nur darin, dass er sich, um nicht durch unmodische Tracht, aufzufallen, geliehener Kleider bediente, die Ehre der Stadt nicht genug gewahrt zu haben. In der Tat konnte der Verlauf der politischen Ereignisse den hanseatischen Kaufmann nur in der Überzeugung bestärken, dass man hier zu sehr seiner bedürfe, um ihn ernstlich durch feindselige Behandlung reizen zu wollen, und diese Überzeugung gab ihm den Mut, den schweren Gefahren, die ihn hier bedrohten, Trotz zu bieten.

Herzog Carl der Kühne hielt sich, seitdem er 1465 durch die Entfernung der Croys vom Hofe seines Vaters die Leitung der burgundischen Politik an sich gerissen hatte, mehre Jahre, mit den französischen Händeln beschäftigt und mit Rücksicht auf seine Handelsstädte, in dem zwischen England und der Hansa ausgebrochenen Kriege ebenso wie in den Kämpfen der roten und weißen Rose durchaus parteilos. Während das hanseatische Kontor 1470 im t’Zwin Schiffe gegen England rüstet, lagern in demselben Hafen hanseatische, bretonische und englische Kauffahrer unter sicherem Geleite neben einander. Erst seitdem Ludwig XI. den Lancasters offenen Beistand gewährte und Eduard IV. als Flüchtling an den burgundischen Hof gekommen war, nimmt Carl für diesen Partei, und nachdem er durch seinen Statthalter auf Seeland, Heinrich v. d. Vere, die Wiedereinsetzung Eduards auf den englischen Thron unterstützt hatte, wendet er auch in dem englisch-hanseatischen Seekriege den Engländern in so weit seine Gunst zu. dass er den Hanseaten verbietet, ihre von England aufgebrachten Prisen in den Niederlanden zu verkaufen, und das steigert sich so weit, dass er einmal 1473 aufgebracht über den Raub der unter seiner Flagge nach England ausgesandten reichen Galeere durch die Danziger, alle hanseatischen Güter in Flandern in Beschlag nehmen lässt. Aber die flandrischen Stände treten da sogleich ins Mittel und bewirken, dass nicht bloß die Güter freigegeben werden, sondern auch der hanseatische Verkehr keine weitere Unterbrechung erleidet. Selbst Danzig, welches bei dem mächtigen Einfluss, den die Eigentümer der Galeere am burgundischen Hofe genossen, am meisten Ursache zu fürchten hatte, verlor diese Besorgnisse, seitdem man den ehrgeizigen Herzog in Unternehmungen sich stürzen sah, die seinen Sinn ganz und gar nach dem Süden ablenkten. Mit besonderer Aufmerksamkeit folgt daher der Danziger Chronist dem tollkühnen Herzoge auf seinen Kriegstaten, zunächst nach Geldern, dann den Rhein hinauf in die Kölner Fehde, nach Lothringen und in die Schweiz; mit sichtlicher Befriedigung erzählt er von der glorreichen Verteidigung der Stadt Neusz, deren Entsatz nach elfmonatlicher Belagerung durch ein deutsches Reichsheer, zu dem auch Lübeck ein ansehnliches Kontingent gestellt hatte, unter Anführung des Kaisers bewirkt wurde; dass der Herzog ungehindert habe abziehen dürfen, scheint ihm nur durch Verrat möglich gewesen zu sein.


Mit dem Tode Carls des Kühnen vor Nancy löste sich für mehre Jahre das Band, welches die verschiedenartigen Teile des burgundischen Reiches bis daher zusammengehalten hatte; wilde Parteikämpfe zerrütteten darauf die einzelnen Landschaften, bis Maximilian von Österreich nach vielen Mühen um 1492 die Einheit wiederherstellte.

Die Danziger Angelegenheiten berührten in dieser unruhigen Zeit zunächst die seit 1479 in Holland und Utrecht wiederausgebrochenen Parteikämpfe der Hoeks und Kabeljaus; die Nachricht von den Plünderungen, welche der Pöbel im Haag, in Utrecht und andern Orten verübte, wobei auch das Eigentum der Fremden nicht verschont wurde, beunruhigte die Danziger Kaufmannschaft, welche im J. 1479 1.100 Schiffsladungen Getreide nach den Niederlanden geschickt hatte, und veranlassten die Danziger Regierung 1480, für den Augenblick die Kornausfuhr in jene aufrührerischen Provinzen zu verbieten. — Noch schlimmer stand es mit dem Verkehr nach Flandern, als auch hier 1488 eine allgemeine Empörung gegen Maximilian von Österreich, den die Genter gefangen hielten, ausbrach und ein deutsches Reichsheer zu seiner Befreiung ins Land rückte. Da Brügge ein Hauptherd des Aufruhrs war, so sah sich das deutsche Kontor genötigt seinen Sitz nach Antwerpen zu verlegen; der Zwangsstapel in Brügge, der seither dem deutschen Handel seine feste Regel gegeben hatte, hörte für immer auf. Auch die Freilassung Maximilians und die Siege seines Statthalters, des Herzogs Albrecht von Sachsen, brachten dem deutschen Kaufmanne keine Erleichterung; denn der Hafen von Sluys, dessen sich der von den Anhängern Maximilians in die Reihen seiner Feinde übergetretene Philipp von Cleve (bei den Hanseaten Philipp Monsior genannt) 1490 bemächtigt hatte, wurde jetzt der Sammelplatz der aus dem Norden flüchtigen Hoeks, der flandrischen Aufrührer sowie allerlei frechen Raubgesindels, welches in ihren Dienst trat. Von dem Könige von Frankreich unterstützt, bekämpfte Philipp von hier aus drei Jahre lang mit aller Hartnäckigkeit die Bundesgenossen Maximilians, den Kaiser, England und den König von Dänemark, während welcher Zeit die Hanseaten, da alle kriegführenden Mächte den Neutralen den Verkehr mit ihren Gegnern durch „Warnung“ verboten, bei jeder westlichen Unternehmung die schwerste Gefahr liefen. Auch als zuletzt Philipp von Cleve 13. Oktober 1492 durch einen Vertrag Sluys an Herzog Albrecht von Sachsen übergab und nach Frankreich abzog, blieben die schlecht bezahlten Söldner, mit denen Albrecht den Sieg gewonnen hatte „die schwarze Garde“, eine schwere Plage der belgischen Städte, die nicht eher beseitigt wurde, als bis die fremden Kaufleute in Antwerpen zur Abwehr der Plünderung, mit der sie bedroht wurden, ein schweres Lösegeld aufgebracht hatten. Doch fehlte es auch unter so schwierigen Verhältnissen den Hanseaten nicht an Aufmunterung zum mutigen Ausharren, wie denn z. B. Herzog Albrecht, als er jene Schatzung den fremden Nationen auferlegte, deutlich zu verstehen gab, dass er es auf die Deutschen dabei nicht abgesehen habe.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Caspar Weinreichs Danziger Chronik - Einführung