Danzig, die Hanse und England

Noch größere Aufmerksamkeit widmete man in Danzig aus ebendiesem kaufmännischen Interesse den politischen Ereignissen, welche damals England erschütterten. Der schon seit der Mitte des 14. Jahrhunderts blühende Verkehr zwischen Danzig und England hatte in der Weinreich’schen Zeit eine ganz besondere Ausdehnung gewonnen. Den Engländern genügte es von jeher nicht, dass die Danziger ihre wichtigen Handelsartikel, Getreide und Holz, unter dem Schutze der in London bestehenden deutschen Faktorei des Stahlhofes ihnen zuführten und englische Wollzeuge und Metalle dagegen eintauschten, sondern sie suchten diesen Handel für sich dadurch gewinnreicher zu machen, dass sie selbst in Danzig als Handelsgäste sich einnisteten und von dort ihre Waren im Größen und im Einzelverkauf in der Stadt und auf dem platten Lande absetzten. Nur ungern und nur weil man die mächtigen Nebenbuhler nicht zu noch empfindlicher n Gegenmaßregeln reizen mochte, hatte man in Danzig stillschweigend den Eindringlingen diese Anmaßung bürgerlicher Vorrechte nachgesehen; so wie daher — und das fand in diesem Jahrhunderte zu wiederholten Malen statt — die Engländer sich in ihrer Heimat Verletzung der hanseatischen Privilegien zu Schulden kommen ließen, so schritt man in Danzig sogleich zur Gegenwehr, und die nächste Maßregel war die, dass man den Handel der Engländer in Preußen nach Befinden der Umstände verbot oder in die engsten Fesseln schlug. In der Weinreich’schen Zeit hatte diese Abneigung gegen England eine Kampflust erweckt, die vor den kühnsten Unternehmungen nicht zurückschreckte.

Die friedlichen Beziehungen, welche seit 1461 zwischen England und der Hansa eingetreten und durch die besonderen Bemühungen König Eduards IV. mehre Jahre leidlich aufrecht erhalten waren, wurden 1467 durch einen ärgerlichen Zwischenfall unterbrochen. Englische Freibeuter aus Lynn und Boston hatten 1467 eine Raubfahrt nach Island unternommen, den dänischen Vogt daselbst erschlagen und andere Frevel verübt; die Dänen rächten sich, indem sie Danziger Schiffer und Söldner, welche seit dem Thorner Frieden keine Beschäftigung in der Heimat fanden, in ihren Dienst zogen und mit ihrer Hilfe den Engländern auf der See großen Schaden zufügten. König Eduard IV., der nach der Ansicht unsere Chronisten in seinem damaligen Kampfe gegen die Lancastrier in der Bedrückung der Deutschen ein geeignetes Mittel sah, sich in der Gunst des englischen Volkes zu heben, nahm dies zum Vorwande, um 1468 plötzlich sämtliche deutschen Kaufleute des Londoner Stahlhofes gefangen zu setzen und ihre Güter mit Beschlag zu belegen; nur die Kölner, welche sich von den übrigen Hanseaten losgesagt hatten, wurden verschont. Der Städtetag in Lübeck beschränkte sich darauf (23. April 1469), den Handel mit englischen Tüchern zu verbieten und zu unterhandeln; Danzig behielt sich’s vor, auch Gewaltmittel anwenden zu dürfen; 2 Danziger Schiffer, Paul Beneke und Merten Bardewig, von den deutschen Kaufleuten in Brügge ausgerüstet, eröffneten den Kampf am Neujahrstage 1470 mit der Eroberung des großen englischen Kauffahrteischiffes John von Newcastle, welches sie alsbald in ein Kriegsschiff umwandelten; auch der Danziger Rat teilte Kaperbriefe aus; um Himmelfahrt ward an der Maßmündung heiß gestritten; zwar wurden 2 Danziger Schiffe, welche (31. Mai) mit 11 englischen den Kampf aufnahmen, in den Grund gesegelt; dagegen brachten andere „köstliches Gut“, das sie den Feinden abgenommen, im Herbste nach Campen zum Verkaufe. Die in den Jahren 1470 und 1471 in England eingetretenen Thronveränderungen, die Vertreibung König Eduard’s, die kurze Zwischenregierung Warwick’s und der Lancastrier, so wie die zum Teil durch hanseatische Hilfe bewirkte Wiedereinsetzung Eduards IV. hatten auf den Gang jenes Handelskrieges nur geringen Einfluss, da die große Menge in England unter jeder Regierung die Verfolgung der Hanseaten verlangte und durchsetzte. Um so eifriger betrieb Danzig, schon von andern Hanseaten unterstützt, den Seekrieg. Nachdem Paul Beneke schon im Frühjahre 1471 mit Glück gegen die Engländer und Franzosen gestritten und 2 Schiffe, in der m einem sich der Mayor von London befand, erobert hatte, erschien im August das große Krawel: Peter von Danzig, vom Danziger Ratsmann Bernt Pawest geführt, in den westlichen Gewässern und verbreitete, als es in Begleitung kleiner Kaperschiffe 9 Wochen (Januar bis März 1472) im Kanale kreuzte, Furcht und Schrecken über die englischen Hafenstädte, so dass kein Kauffahrer sich herauswagte, wurde aber zuletzt durch ein gefährliches Leck zur Rückkehr nach Sluys gezwungen. Während es hier ausgebessert wurde, erlitt die hauptsächlich aus Lübeckischen Schiffen bestehende Flotte der Hanseaten in den niederländischen Gewässern (4. Juni) bei Nieuport durch einen Überfall französischer und englischer Schiffe eine empfindliche Niederlage, in Folge deren die Engländer eine Zeit lang die westlichen Meere beherrschten, so dass kein hanseatisches Schiff die dortigen Häfen zu verlassen wagte. Endlich übernahm es Paul Beneke im Herbste 1472 mit dem wiederhergestellten „Peter von Danzig“ die vereinigten deutschen Handelsschiffe von Flandern nach der Elbe zu geleiten. Die glückliche Ausführung dieses Unternehmens so wie der Fang einer reichen unter burgundischer Flagge fahrenden Galeere mit kostbaren, meistens den Engländern zugehörigen Schiffsgütern, welcher demselben kühnen Admirale 27. April 1473 gelang; beugten in Verbindung mit den Nachteilen der Handelssperre den Sinn der Engländer in dem Maße, dass sie durch nachgiebiges Eingehen auf die Forderungen der Hanseaten den Abschluss eines Friedens beschleunigten, der 28. Februar 1474 zu Utrecht unterzeichnet wurde. Er lautete im Wesentlichen auf Bestätigung und Erweiterung der Privilegien der Hanseaten und auf Genugtuung und Schadenersatz für dieselben; von den ihnen bewilligten 10.484 Gld. St. Entschädigungsgeldern fielen 2.230 Gld. der Danziger Kaufmannschaft zu.


Nach diesem Frieden nahm der Handel Danzigs mit England alsbald einen glänzenden Aufschwung. Wir hören nach 20 Jahren aus dem Munde Lübecker Magistrate die Behauptung,') dass die Londoner Faktorei hauptsächlich den Angelegenheiten Danzigs diene, dass es in Lübeck kaum 5 Kaufleute gebe, welche mit den Danzigern in England konkurrierten; doch gab es auch für Danzig zwischenein empfindliche Störungen; zunächst in Folge der in England nach dem Tode Eduards IV. ausgebrochenen politischen Wirren. Da nämlich König Heinrich VII. sowohl in dem Kriege gegen Richard III. von York, der ihm 1485 die Krone verschaffte, als auch später (1487 und 1494) im Kampfe gegen die Anhänger Lambert Simnels und Perkin Warbeks den König von Frankreich zum Bundesgenossen hatte, während seine Gegner bei der Witwe Herzog Carls des Kühnen, Margarethe von Burgund und dem Erzherzoge Maximilian Hilfe fanden, so wurden während jener Jahre die westlichen Meere von den Freibeutern aller jener am Kriege beteiligten Staaten heimgesucht. Dazu kamen eine Zeit lang besondere kaufmännische Verwickelungen. Der vierte Artikel des Utrechter Friedens (1474) hatte den Engländern diejenigen Handelsrechte, deren sie bis zum letzten Kriege in Preußen genossen, auf’s Neue zugesichert. Da aber nicht ausdrücklich gesagt war, worin sie bestanden, so erhoben sich darüber in Danzig bald ernstliche Streitigkeiten zwischen beiden Nationen, die zu Gewalttätigkeiten ausarteten; seit 1488 verübten die Huller gegen Danzig zur See offene Feindseligkeiten; die Londoner folgten mit Handelsbeschränkungen und Verletzung der hanseatischen Privilegien; 1490 durfte der deutsche Kaufmann in London nicht wagen sich auf der Straße zu zeigen; die Hanseaten rüsteten gleichfalls Kaperschiffe aus. Aber König Heinrich VII. fand es in seinem Interesse, mit der Hansa in Frieden zu bleiben, drang seit 1488 darauf, dass eine Versammlung von Abgeordneten beider Parteien die gegenseitigen Klagen höre und auf gütlichem Wege entscheide, und brachte es auch dazu, dass eine solche Versammlung Ende Juni 1491 in Antwerpen eröffnet wurde. Hier bildete die Feststellung der Handelsrechte der Engländer in den preußischen Städten den Hauptgegenstand der Verhandlungen; man einigte sich darin soweit, dass der Besuch des Artushofes und die Erlaubnis während des Dominiks-Jahrmarktes mit den Fremden Handel zu treiben von Danzig als alte den Engländern in dieser Stadt zustehende Rechte anerkannt wurden. Obgleich der Kongress wegen der nicht auszugleichenden Entschädigungsforderungen statt eines festen Friedens schließlich nur einen einjährigen Waffenstillstand zu Stande brachte, so genügte doch die immer nur für ein Jahr erfolgte Verlängerung desselben für lange Zeit die alten günstigen Verhältnisse in Danzig wiederherzustellen.

Dass auch die Verbindung mit Schottland für Danzig nicht ohne Bedeutung war, kann man außer der Tatsache, dass zwischen den Jahren 1474 bis 1476 24 schottische Schiffe in den Danziger Hafen einliefen, auch aus dem Interesse schließen, das Weinreich den gegen den bösen König Jacob III. zuerst 1482 unter dem Herzog von Albany und sodann 1488 unter dem eigenen Sohne des Königs ausgebrochenen Aufständen zuwendet; es berührten allerdings diese inneren Zustände auch die Hansa, teils weil in Folge derselben die Zahl und Macht der schottischen Seeräuber wuchs, teils weil die schlechte Münze, das Schwarzgeld, welches König Jacob III. in diesen Zeiten schlagen ließ, auch in den schottischen Handel große Verwirrung brachte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Caspar Weinreichs Danziger Chronik - Einführung