Graf Moriz von Eilgut.

An einem dieser nebligen Novembertage war es. Ich saß vor meinem Kamin - eigentlich ist es ein ganz gemeiner Ofen, der zu den stärksten Rauchern gezählt werden darf - aber Kamin klingt unvergleichlich viel nobler und drückt zugleich die wohlhabende Elegie viel besser aus. Sagt doch auch Dante so rührend und unvergesslich: „Nel mezzo del cammin . . . In der Mitte des Kamins! . .“ Ich saß also recht träumerisch da, wie wenn mir Jemand zugesehen hätte. Und doch war ich allein. Da meldete mir mein Diener - ich habe tatsächlich keinen und sage das nur, um mir die Sympathien der vornehmen Leute im Sturm zu erobern - da meldete mir mein Diener Besuch. „Ich bin nicht zu sprechen . . . Lassen Sie ihn eintreten!“ sagte ich elegant, wie ich es in modernen Konversationsstücken gelernt hatte. Mein Diener verneigte sich ehrfurchtsvoll und verschwand so lautlos, wie wenn er wirklich dagewesen wäre. In den glänzendsten Häusern geht es nicht anders zu.

Gleich darauf öffnet sich die Tür, und mein Freund, der Graf Moriz von Eilgut, trat ein. Ich weiß nicht, ob sie den Grafen kennen. Er ist ein etwas schadhaft gewordener Kavalier; aber schon sein Urgroßvater war ein Taugenichts, und deshalb ist es für mich immerhin eine Ehre, wenn er über meine niedere Schwelle tritt. Ich führe immer eine seiner Visitenkarten bei mir und pflege dieselbe mit gutgespielter Gleichgültigkeit vorzuzeigen, wenn ich irgendwo zum Speisen eingeladen bin. So nobel vergelte ich die Gastfreundschaft. Er selbst ist gegen mich von hinreißender Liebenswürdigkeit und lässt mich seinen Stammbaum fast nie fühlen, obwohl beglaubigte Urkunden vorliegen, daß es schon zur Zeit der Kreuzzüge Eilgüter gegeben hat. Wir haben miteinander unsere besten Schulden gemacht. Wir glühen Beide für die edelsten Dinge: für Bargeld, Havannakraut und Soupers. Das knüpft Menschen aneinander.


„Störe ich Sie?“ fragte der Graf, indem er mit seinen nassen Stiefeln meinen Smyrnateppich aus echter Jute betrat.

„Ja,“ antwortete ich liebenswürdig. „Ich habe mich soeben mit einem der erhabensten Probleme befasst. Aber die erhabenen Probleme laufen Einem nicht davon. Sie können dableiben.“

„Das tut mir recht leid.“ sprach er und setzte sich mit weltmännischer Nachlässigkeit auf meinen Schreibtisch. „Darf man rauchen?“

„Wenn Sie eine Zigarre haben, Graf - ohne weiteres.“

Er hatte eine. Ich unterdrückte mühsam einen Schrei des Erstaunens.

„Ich habe sie bekommen,“ fügte er erläuternd hinzu, als er sie, entzückt nach der aufglimmenden Spitze schielend, anbrannte.

Hierauf herrschte minutenlang eine schwüle Stimmung, wie wenn sich Jemand Geld ausborgen will. Die Frage konnte nur noch sein, welcher von uns Beiden es war. In solchen Fällen pflege ich zum Angriff überzugehen.

„Graf Moriz,“ rief ich, „Sie fragen mich gar nicht, was für ein Problem mich beschäftigt hat?“

„Erstens bin ich nicht neugierig,“ meinte er. . . .

Ich sah Gefahr in seinem „Zweiten“, und erklärte daher schnell: „Das Problem, wie ein Fünfmarkstück wohl in der Wirklichkeit aussehe, und wie man auf annähernd ehrliche Weise dazu gelangen könne?“

Graf Moriz von Eilgut blieb einige Zeit sprachlos. Dann sagte er in einem Ton, aus dem man ungekünstelte Überzeugung heraushörte: „Das ist ein schönes Problem!“

Die Situation war geklärt . . . Der Edelmann rauchte, ich sah ihm zu. (Dieses anmutige kleine Bild des sozialen Lebens bitte ich nicht zu übersehen, weil es in schlechter Beleuchtung hängt.)

Nach einer kurzen Weile hatte der Graf jedoch seine sämtlichen Gedanken gesammelt, und er hielt mir folgende Ansprache: „Lieber Freund!“

(Ich verbeugte mich geschmeichelt.)

„Lieber Freund! wenn mich Ihre Mitteilung tief erschüttert hat, so ist das nicht lediglich auf mein Wohlwollen für Sie zurückzuführen. Ich selbst wäre in diesem Augenblick einer achtbaren Summe nicht abgeneigt.“

„Ein seltener Augenblick, Herr Graf!“

„Sie dürfen mir glauben. Ich will Ihnen auch die Erklärung nicht schuldig bleiben; Sie wissen, ich bin nie einem Menschen etwas schuldig geblieben, außer Geld . . . Hören Sie, was vorgeht! Ein Mann meines Ranges wird selbstverständlich von allerlei Geschäftsleuten in allerlei Kombinationen gezogen. Nun pflege ich freilich Anträge, aus denen mir nicht ein unmittelbarer Vorteil entgegenleuchtet, rund weg mit dem Hinweis auf die Standespflichten abzulehnen. Es wurden mir aber kürzlich zwei Unternehmungen vorgeschlagen, bei denen der Gewinn auf der Hand liegt. Nur war für beide ein gewisser Betriebsfonds erforderlich.“

„Es handelt sich also um kaufmännische Spekulationen?“

„Jawohl. Das eine Unternehmen war: Schwiegersohn einer südamerikanischen Republik zu werden. Dem dortigen Präsidenten gebrach es an einem Wilson für seine Tochter. Die Anstellung war sehr gut dotiert. Für einen Mann von meiner Erziehung ist ein solcher Posten wie geschaffen. Und wenn ich mich täglich rasieren lassen kann, so übe ich einen großen Zauber aus auf unerfahrene Mädchen. Die Tochter des .Präsidenten wäre nur also sicher gewesen. Allein ich bedurfte der Reisespesen nach Südamerika. Ich teilte meine Aussichten verschiedenen Leuten mit, aber fast Jeder war lieber ein Ungläubiger, als mein Gläubiger. Mit unsäglicher Anstrengung, die vielleicht nur Sie ganz würdigen können, lieh ich mir doch ein Sümmchen zusammen, indem ich meinen Geldgebern die unerhörten Missbrauche, die ich begehen würde, mit verführerischer Farbenpracht ausmalte. Unglücklicherweise wartete die öffentliche Entrüstung jenes Landes nicht auf mein Erscheinen: eben als ich mich zur Reise anschickte, wurde der Präsident davongejagt, weil er sich hatte bestechen lassen, wie wenn er sein eigener Schwiegersohn gewesen wäre. In meinem ersten Schmerz beging ich eine beklagenswerte Torheit.“

„Um Gotteswillen Graf, Sie haben das Geld zurückgegeben?“

„Wofür halten Sie mich? . . Nein, ich mied den Umgang aller Leute, die ich kenne weil ich mich gut unterhalten wollte. Dies geschah. Fftt - die Moneten sind verjubelt.“

„Das war keine Torheit! Die sieben weisen Griechenlands könnten nichts Intelligenteres tun!“

„Warten Sie! . . . Als ich so weit war kam - zu spät - der andere Vorschlag: ich sollte Fürst von Ätolien werden. Die Ätolier sehnten sich nämlich nach der mit einem schwachen Regenten verbundenen Selbstständigkeit. Ein in solchen Geschäften bewanderter Agent erbot sich, mir die Fürstenkrone um einen Spottpreis zu verschaffen. Ein Abgeordnetenmandat in England ist teurer. Aber wie sie vorhin nicht ohne Scharfsinn bemerkten, sind schon fünf Mark ein nachdenklich stimmender Betrag, wenn man dieselben nicht besitzt. Mein Gegenvorschlag, das nötige Kapital im Subskriptionswege für mich aufzubringen, fand keine Beachtung.“

„Schade!“ rief ich, „es hätte da ein wahrhaft moderner Staat gebildet werden können. Ein Staat, gegründet auf Nationalbewusstsein und Aktien.“

„Allerdings, meinte der Graf. „und sagen Sie selbst, hin ich nicht zum Herrscher eines kleinen Volkes wie geboren? Ich kann einem Bankett präsidieren. Ich kann Jedem auf die Schulter klopfen. Meine Namensunterschrift zu geben, habe ich in den Wechselfällen des Lebens gelernt. Ich kann einen Einzugsschimmel, wenn er fromm ist, besteigen. Ich kann leutselig mit der Hand winken. Hübschen Landestöchtern die Wange zu kneifen, bereitet mir keine unüberwindliche Schwierigkeit. Die Liebe zur Freiheit würde ich in meinem Volke durch harte Verordnungen rege erhalten haben. O einen solchen Fürsten werden die Ätolier nie bekommen! . . . Wenn ich nur das Geld hätte auftreiben können! Wie das klänge: Moriz I., durch den Willen des Volkes Fürst Ätolien!“

„Und was wäre Eurer Hoheit erste Regierungstat gewesen?“

„Staatsschuldverschreibungen auszugeben.“

„Und die zweite???

„Dieselben nicht einzulösen . . .“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Buch der Narrheit.