An Wilhelm Petersen - Zürich, den 21. November 1881.

Verehrter Freund!

Jetzt wird Ihr geliebter Winter bald da sein, wo Sie mit den Kindern die Abenteuer in dem Schneewald wieder aufnehmen können. Hier haben wir schon mehrere Wochen jeden Tag Nebel und Sonnenschein und warmes Wetter; ich selbst aber war lange von Katarrh und fliegenden Rheumatismen geplagt, so daß ich beinah ängstlich geworden wäre, da die alten Kerle bei solchen Gelegenheiten gern etwa eine tödliche Lungenentzündung und dergleichen erwischen. Allein gerade die sehen es ja nie kommen und wissen kaum, wie sie dazu gelangten, und so hat sich die Sache unversehens verzogen.


Ihre Fischlein sind seinerzeit schönstens angelangt und wir danken Ihnen, die Schwester und ich, neuerdings herzlichst für die unerschöpfliche Güte und Freundlichkeit ...

Bei den neulichen Nachrichten von der Wassersnot in Schleswig-Holstein habe ich sogleich an Sie und Storm gedacht. Sie werden jedenfalls amtlich zu tun bekommen haben ...

Das ›Geteilte Herz‹ hat mir auch sehr gefallen; es ist eine sehr gute Novelle in ihrer Art, obgleich ich für das Problem derselben nicht gerade schwärme. Indessen verstehe ich als ›lediger Geist‹ davon nichts. Ich war immer nur einspännig und ausschließlich verliebt in jungen Jahren und kann durchaus nicht sagen, wie es gegangen wäre im Falle einer Verheiratung.

Ob ich noch einmal Berlin besuche, weiß ich nicht, so sehr es lockt. Wenn man nur nicht das Handwerk dort grüßen müßte, welches zum Teil von einem albernen Weltstadtdünkel erfüllt ist, obgleich die einzelnen die alten Kleinbürger sind, die sie vorher gewesen. Die Menge tuts eben nicht immer.

Empfehlen Sie mich freundlich der Frau Gemahlin und leben Sie recht con amore, wenn die Geschäfte vorbei sind!

Ihr getreuer
G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe