An Wilhelm Petersen - Regierungsrat in Schleswig; begeisterter Verehrer Kellers. - Zürich, den 21. Oktober 1880.

Verehrter Freund!

Ich gebe heut endlich den ›Grünen‹ auf die Post und wünsche ihm glückliche Reise und nachsichtigen Empfang. Daß die Judith am Schlusse noch jung genug auftritt, statt als Matrone, wie beabsichtigt war, hat sie Ihren derselben so gewogenen Worten zu danken. Ich wollte mich selbst am Jugendglanz dieses unschuldigen, von keiner Wirklichkeit getrübten Phantasiegebildes erlustieren. Gern hätte ich sie noch einige Szenen hindurch leben lassen; allein es drängte zum Ende, und das Buch wäre allzu dick geworden. Jetzt mach ich Novellen, die im Januarheft der ›Deutschen Rundschau‹ beginnen sollen. Auf den i. April 1881 habe ich die jetzige Wohnung gekündigt und werde Sie in einer andern empfangen müssen, die noch nicht gewählt ist. Die Lage war meiner Schwester zu beschwerlich, und ich selbst habe manches versäumt, da ich mich immer nur ungern zum Gange in die Stadt entschloß. Es hat etwas Unbequemes, in diesen Jahren so herumwandern zu müssen; allein das Ganze ist ja doch nur ein Bummel, und am Ende kommt die Ruhe. Ich habe mich einem Leichenverbrennungsverein angeschlossen; es will aber nichts daraus werden. Ich glaube, die Lumpen fürchten am Ende, es mache zu heiß, daß sie's noch verspüren könnten!


Leben Sie mit den Ihrigen einen guten Winter, wozu ich hübsche Morgenröte und warme Abendstunden wünsche! Was mich betrifft, so gedenke ich etliche vergnügte Schoppen bei biederem Gespräche auszustechen!

Paul Heyse ist jüngst mit seiner schönen und feinen Frau zweimal durchgereist; wir brachten jedesmal einige Stunden miteinander zu und gedachten auch eines gewissen Regierungsrates im Norden. Seien Sie herzlichst gegrüßt und bleiben gewogen

Ihrem ergebenen
Gottfr. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe