An Theodor Storm - Zürich, den 31. Dezember 1877.

Ich wollte Ihnen, lieber Freund, am morgigen Neujahrstag schreiben, um Ihnen durch die gewählte Stunde eine rechte Ehre zu erweisen; zu rechter Zeit fällt mir aber ein, daß mich die Silvesternacht und das germanische Laster entweder untauglich machen oder mit schnöden Jammerpossen anfüllen könnten à la Johann Jakob Wendehals von Mörike, und da wollen wirs lieber heute noch vornehmen.

Die Züricher Novellen‹ werden Ihnen durch den Verleger zukommen... Um nochmals auf jene ???FiguraLeu zurückzukommen, so hat sie wohl unverheiratet bleiben können; denn ich habe erst seither in Ihrem ›Sonnenschein‹ gesehen an der dortigen Fränzchen, wie man ein lustiges und liebliches Rokokofräulein machen muß, und die hat ja auch ledig sterben müssen. Es ist mir übrigens, wenn ich von dergleichen an Sie schreibe, nicht zu Mute, als ob ich von literarischen Dingen spräche, sondern eher wie einem ältlichen Klosterherrn, der einem Freunde in einer anderen Abtei von den gesprenkelten Nelkenstöcken schreibt, die sie jeder an seinem Orte züchten. Und Sie sind ja wieder rüstig dabei an Ihrem Orte; ich habs zwar noch nicht gelesen, sondern warte auf die Buchausgaben. Also ich wünsche Ihnen alles Beste zum neuen Jahre, hochgeachteter Landvogt von Husum, sowie Ihrem ganzen Hause ...


Ihr getreuer
G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe