An Theodor Storm - Storm hatte Keller brieflich seine Freude über die ›Züricher Novellen‹ ausgedrückt und ihm seine Freundschaft angetragen. Von Angesicht gesehen haben sich die beiden Dichter niemals. - Zürich, 30. März 1877.

Sie haben mir das schönste Ostergeschenk gemacht, das ich je in meinem Leben bekommen; es ist freilich seit der Kinderzeit lange her; aber um so mehr braucht es, um jene durch das Ferneblau vergrößerten Wunder in den Schatten zu stellen. Ich ergreife mit Dank und Freuden Ihre Hand und Ihr Geschenk und will trachten zu erwidern, was an meinem geringen Orte möglich ist. Denn es ist mir nun ja alles Liebe und Schöne, was ich von Ihnen kenne, zum zweiten Male und gewissermaßen speziell wieder geschenkt.

Die treuliche und freundliche Vermahnung, die Sie mir wegen Hadlaub und Fides geben, befremdet mich nicht, weil die Geschichte gegen den Schluß wirklich überhastet und nicht recht ausgewachsen ist. Das Liebeswesen jedoch für sich betrachtet, so halte ich es für das vorgerücktere Alter nicht mehr recht angemessen, auf dergleichen eingehend zu verweilen, und jene Form der Novelle für besser, wo die Dinge herbeigeführt und alsdann sich selbst überlassen werden, vorausgesetzt, daß dann genugsam zwischen den Zeilen zu lesen sei. Immerhin will ich den Handel noch überlegen; denn die Tatsache, daß ein lutherischer Richter in Husum, der erwachsene Söhne hat, einen alten Kanzellaren helvetischer Konfession zu größerem Fleiß in erotischer Schilderei auffordert, und zwar auf dem Wege der kaiserlichen Reichspost, ist gewiß bedeutsam genug! Im Herbst werde ich Ihnen die Separatausgabe der Züricher Novellen schicken, wo Sie dann auch das Fähnlein der sieben Aufrechten wiederfinden wer« den ...


Jetzt will ich aber für diesmal schließen, da die Nachmittagssonne und Amsel, Finken und andere Musikanten auf den Bäumen vor dem Fenster mich Hinausrufen, wo der Winter gottsjämmerlich abgemörd't wird.

Bald hoffe ich Ihnen in der Rundschau oder so wo wieder zu begegnen und mich dort mit Ihnen zu unterhalten; man ist da immer sicher, gute Musik zu hören und seine Weinlein zu trinken.

Ihr dankbar ergebener
Gottfr. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe