An Marie von Frisch - Zürich, den 21. November 1880.

Verehrte Frau Professorin!

Mit einer Zigarre bewaffnet, am dunkelsten Sonntagmorgen, mache ich mich endlich daran, Ihre große Freundlichkeit, die gar nie daneben trifft, mit einem schwachen Versuch der Dankbarkeit zu beantworten. Es ist sehr schön von Ihnen, daß Sie sich durch meine Schreibfaulheit nicht davon abhalten lassen, meiner zu gedenken, und Sie können sicher sein, daß ich es im stillen stets verdiene, soweit ein alter Schlingel, der noch allwöchentlich einmal die Nacht durchkneipt, überhaupt etwas verdienen kann. Die Blümchen, die Sie mir letzte Weihnachten gesandt, standen den ganzen Januar auf meinem Schreibtische, und das grüne Regenbogenkrügelchen beherbergte seither einmal drei schöne Narzissen, ein ander Mal eine Levkoje und so weiter. Ich danke Ihnen auch schönstens für die zierliche Photographie Ihrer Vermummung mit dem allerliebsten Läusemützchen; das Profil ist noch ganz so sein wie vor acht oder weiß Gott wieviel Jahren, beinah noch jünger; es tut aber nichts, der Totenkopf wird schon noch kommen, eh wirs uns versehen ...


Es tut mir sänftlich wohl, daß Ihnen der ›Grüne Heinrich‹ nicht mißfällt in seiner jetzigen Gestalt, nachdem ich ihn mühsam genug gestriegelt und gewaschen habe. Sonst scheint mir nicht viel Vergnügen daraus zu erwachsen, denn nun kommen die sogenannten Kritiker, und, anstatt das jetzige Buch aus sich heraus zu beurteilen, vergleichen sie es in philologischer Weise mit dem alten, um ihre Methode zu zeigen und zerren so das Abgestorbene herum und lassen das Lebendige liegen; denn das verstehen sie ja einmal. Es ist ungefähr die Situation, wie wenn man im Garten einen alten Mops begräbt, und es kommen nächtlicherweile die Nachbarn, graben ihn wieder aus und legen das arme Scheusal einem vor die Haustür und so weiter.

Dagegen entnehme ich mit Vergnügen Ihrem Briefe, daß der Herr Professor und die Kinder gesund und frisch sind. Ich gebe den Gedanken nicht auf, nochmals im Sommer einen Gebirgsaufenthalt mit Euch zu machen. Jagen kann ich zwar immer noch nicht; auch das Kegelschieben geht nicht besser. Ich bin aber inzwischen Ehrenmitglied einer uralten Gesellschaft von Artillerieoffizieren geworden, die jeden Sommer ein feierliches Bombenschießen abhalten. Da muß ich auch meinen Schuß tun, den Mörser ausputzen, Pulver hinein und dann die Bombe wie ein Kindskopf draufsetzen und anzünden. Das erste Mal, wo sie mir das Geschütz sorgfältig richteten, gewann ich die erste Ehrengabe; das zweite Mal, wo ich meinen Mörser, den ›Iltis‹, selbst richtete, bekam ich nichts als einen Katzenjammer vom nachfolgenden Bankett! So wickelt sich das Leben in verschiedentlich dankbarer Tätigkeit ab, wobei wir es bis auf weiteres wollen bewenden lassen. Leben Sie recht froh und gesund mit allen Ihrigen, die ich herzlich grüße, und bleiben Sie stets gewogen

Ihrem
G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe