An Marie von Frisch - Am 9. Dezember war in Wien das Ringtheater niedergebrannt. - Zürich, den 16. Dezember 1881.

Verehrte Frau Professorin!

Ich bin ungewiß, ob ich Ihnen in diesem Augenblick beiliegende leichte Ware auch zusenden soll und darf, da Sie durch die unerträgliche Katastrophe vom 9. Dezember ohne Zweifel mit den Ihrigen nicht minder in Aufregung und Trauer versetzt worden sind, als alle andern. Dazu steht die Unglücksstätte, wenn ich nicht irre, ziemlich in der Nähe der Josefstädterstraße.


Allein das Buch liegt so schon seit Wochen bereit, und wenn ich noch länger zögere, so verliert es noch sein bißchen Reiz der Neuheit, und für Sie ist es kein Zeichen freundlicher Aufmerksamkeit mehr.

Wenn Sie also irgend nicht gestimmt sind, dergleichen Zeug zu lesen, so lassen Sie es ruhig liegen, bis es besser kommt.

Ich hoffe indessen, Sie seien an dem Unglücke nicht durch Familien- oder Freundeskreise näher beteiligt. Auch sonst vermute ich, daß Sie, Herr Professor und die Knaben gesund und munter seien, und wünsche Euch allen jetzt schon ein glückliches Neujahr, da ich die Gratulationen auf den Tag abgeschafft habe, indem ich einem Verein zur Erleichterung der geplagten Postbeamten beigetreten bin.

Wie geht es Ihnen im übrigen? Meinerseits habe ich das Alter meiner Gesellschaftsfreunde um dreißig Jahre reduziert, lasse die Siebziger und Sechziger sitzen und gehe mit fünfunddreißigjährigen jungen Gelehrten und so weiter um, oder dulde höchstens etwa einen Vierziger darunter. Samstags nachts ist der Hauptsabbat, da wird bis zwei oder drei Uhr aufgeblieben und gelacht oder diskutiert, wobei ich das Neuste höre. Letzten Sommer ging ich immer in der Sonntagsfrühe mit dem Vögelgesang nach Hause, was sehr lustig war. Oft aber vergehen drei Tage, ohne daß ich vor die Türe komme. Ihre Herren Söhne, deren glaub ich zwei oder drei sind, werden vermutlich begonnen haben, das Aprikosenbäumchen im Garten zu besteigen; die Zeit vergeht doch rasch mit solch lebendigen Uhrmännchen. Drum muß man sich oben halten, sonst ist man verloren. Bleiben Sie nur recht frohherzig und lassen sich nichts abgehen. Wir wollen auch noch einmal an den Mondsee gehen, wo man das Geld kann im offenen Kasten liegen lassen, ohne daß es angerührt wird. Tausend Grüße also dem ›Herren und der Frau‹, wie man hierzulande sagt, von dem alten Mummelgreischen

Gottfried K.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe