An Ida Freiligrath - Zürich, den 9. August 1887.

Hochverehrte Frau und Gönnerin!

Vor Jahr und Tag hab ich in schmählicher Weise Ihren freundlichen Brief unbeantwortet gelassen, obgleich er bis neulich auf dem Tische bei andern Leidensgefährten lag. Ich danke Ihnen für die nichtsdestoweniger am 19. Juli dieses Jahres eingetroffene Freundlichkeit Ihres guten Herzens nun doppelt heftig und erwidere alle Ihre wohltuenden Wünsche mit dem Ausdrucke meiner Hoffnung, daß Sie Ihren Kindern und Enkeln noch lange mögen so frisch und beweglich, die alte See befahrend, erhalten bleiben! Amen!


Meine Schwester läßt Sie vielmals grüßen. Sie ist immer gleich schwächlich und doch immer auf den langsamen Beinen. Ich selbst kann ihr freilich auch keine Tänze vormachen, da ich durch den langen Winter wieder steif geworden bin. Ich bin eben im Begriff, nach Ragaz ins Bad zu gehen, und lese nun, daß zwei Maharadjas mit je fünfzig Personen Gefolge dort angekommen sind und sonst eine unendliche Krapüle versammelt ist, namentlich auch aus Frankfurt und Berlin. Da ist mir nun der Spaß versalzen und heißt es warten oder anderswo hingehen, wo es vielleicht nicht besser ist. Am Ende versuche ich wieder einmal die alte Methode und lasse das Übel sich langweilen durch Nichtbeachtung, Frühaufstehen und dergleichen Schnurrpfeifereien, bis es von selbst abzieht. Jedenfalls kann es nicht ausgehen mit mir, wie das Hornberger Schießen, da ich noch Vorrat habe aus besseren Jahren, der aufgearbeitet werden sollte.

Meinen sogenannten Roman ??? [Fußnote]Mattin Salander. habe ich Ihrer Fräulein Schwester geschickt. Es ist freilich mehr ein trockenes Predigtbuch als ein Roman und zudem leider nicht fertig. In meinem Lande ist es wohl verstanden und unter großem Gebrumme gelesen worden. Draußen aber haben nur wenige gemerkt, was es sein soll und daß es sie auch etwas angeht. So geht es, wenn man tendenziös und lehrhaft sein will. Ich bin froh, mich wieder an die ›zwecklose Kunst‹ halten zu können, wenn es eine gibt.

Noch habe ich ein Anliegen, welches an obigen Begriff erinnert. Als Sie mit dem bewußten Verewigten im Jahr 1846 von Zürich nach England reisten, schenkte mir Ferdinand unter anderem eine hübsche Radierung, Klemens Brentano darstellend, und ein von dem berühmten Kupferstecher Keller gestochenes Bild von Immermann. Beide hatten in seinem Studierzimmer gehangen und sind an sich beide von innerem Wert und jetzt seltene Blätter geworden oder gar nicht mehr zu bekommen. Da dünkte es mich nun artig, wenn sie, da ich nur noch beschränkte Zeit zu leben habe, wieder den Rhein hinunterzögen, wo sie herkamen, und wo sie geschätzt würden. Ich werde sie gelegentlich hinter den alten Gläsern hervornehmen und ein Poströllchen daraus machen. Mit tausend Grüßen

Ihr ergebener
G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe