An Ferdinand Weibert - Kellers Stuttgarter Verleger. - Zürich, den 12. Februar 1884.

Hochgeehrter Herr!

... Die Idee einer illustrierten Ausgabe von ›Romeo und Julie‹ trifft merkwürdig mit einem ganz gleichen Angebote des Friedrich Bruckmannschen Verlags in München zusammen, welches mir neulich gemacht wurde, eventuell mit dem Ersuchen um meine Vermittlung Ihrer Einwilligung. Ein Künstler, hieß es, sei bereits für die Sache gewonnen. Ich habe jedoch für meinen Teil die Zusage abgelehnt, um meine Vertragsverhältnisse nicht zu sehr zu komplizieren; wie ich denn überhaupt für die Zeitrichtung, die Literatur immer mehr an das Schlepptau der Illustration zu hängen, nicht gerade begeistert bin. Ich fürchte, das große Lesepublikum werde zuletzt das selbsttätige innere Anschauen poetischer Gestaltung ganz verlernen und nichts mehr zu sehen imstande sein, wenn nicht ein Holzschnitt daneben gedruckt ist ...


Mit vorzüglichster Hochachtung

Ihr ergebenster
G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe