München, den 9. September 1841.

Liebe Mutter!

Ich melde Dir hiermit den Empfang des Geldes sowohl, als Deines werten Briefes, und muß Dir gestehn, daß ich das Paket nur mit Angst eröffnete, weil ich wußte, daß nur durch liebevolle Aufopferung und Entbehrung von Deiner Seite die Sendung dieses Geldes möglich geworden war. Desto unerwarteter und befremdender mußten mich Deine Berichte von Herrn Vogel und Frau Schinz berühren, und wirklich sind solche Aussprüche von Leuten, die sonst mehr Kenntnis besitzen, hart zu verdauen. Daß Hr. Vogel ungern in die Sache einging, sie sogar ablehnte, mag daher kommen, daß Du zu ihm gegangen bist, ohne daß er etwas von mir gesehen hat. Er urteilte halt nur nach Steiger etc. und vermutet wahrscheinlich in mir einen der gewöhnlichen Koloristenlehrjungen, welche derselbe sonst zu halten pflegt. Daß er sich meiner nicht erinnerte, ist merkwürdig, indem er mich doch durch Kaspar Rordorf in seinem letzten Briefe grüßen ließ. Die Gründe und Ansichten des Herrn Vogel, das schwere Auskommen, die nötigen Talente usw. betreffend sind mir ebenso oft schon von Anfang an von allen Leuten vorgeleiert worden und werden jedem jungen Menschen gesagt, daß es eigentlich gar keine Künstler mehr gäbe, wenn jeder darauf horchen wollte. Es ist nur die Frage, welche auch Du mir stellst und welche ich deswegen jetzt frisch wieder reiflich überdenke, ob ich wirklich zum Maler geschaffen sei und die nötigen Talente habe oder nicht. Hier muß ich nun bemerken, daß mir von allen Leuten, Kennern und Nichtkennern, weder in Zürich noch hier gesagt worden ist, ich tauge nichts dazu. Frau Dekan Schinz selbst hat mich nur immer aufgemuntert und gelobt, wenn ich zu ihr kam; und worauf sie nun ihren jetzigen Ausspruch gründet, ist mir nicht recht klar. Wenn man in Zürich nun sagt, ich werde nichts, so kann ich wiederum die Stimme meiner jetzigen Umgebung, die eben nicht aus Mistfinken besteht, auch nicht verachten, und welche mich nur aufmuntert. Wenn ich nun meinen Eifer und die einzige Neigung zur Landschaftsmalerei dazu rechne, welche ich immer gehegt, und daß ich mir gar keinen Beruf denken kann, bei dem ich mich besser finden würde, so denke ich, die Frage ist nicht schwer zu entscheiden. Daß Herr Vogel sagt, er könnte mit seinem Verdienst seine Familie nicht ernähren, benimmt mir eben das Zutrauen an seine anderen Aussagen; denn, wenn er wollte, so konnte er sechs Familien, wie seine, ernähren. Daß er sich nicht nach anderen Leuten zu richten braucht und seine Gemälde selbst zu behalten vermag, ist kein Grund zu seinen Ansichten.


Dem sei nun, wie es will, ich werd in den nächsten Wochen zwei entworfene und leicht gemalte Landschaften heimschicken und dem Ausspruche unterwerfen; Herrn Vogel werde ich natürlich seinem Wunsche gemäß nicht schreiben; wenn Du meinst, er werde einige Augenblicke zum Ansehen der Bilder verwenden, so kannst Du ihn ja dazu noch bitten. Hingegen werde ich einen Brief an Herrn Ulrich mitschicken und ihn bitten, die Sachen anzusehen.

Indessen würde ich mich, selbst in dem Falle, daß man mir Talent nicht abspräche, nicht besinnen, etwas anderes zu ergreifen, wenn sich Gelegenheit zu einer schicklichen Stelle finden würde. Daß ich kein eigentliches Handwerk mehr erlernen könnte, oder etwa in einer Handlung als Postbub einstehen würde, wirst Du selbst begreifen; und es möchte daher schwer sein, irgend einen ordentlichen Platz zu kriegen, wo ich nicht zu lang umsonst schaffen müßte. Hätte ich Vermögen oder Unterstützung, so würde ich vielleicht nicht ungern die Rechte studieren; aber so wird es am besten sein, ich bleibe bei meinem Leisten, und werde in diesem Entschluß durch das Beispiel von tausend andern bestärkt, die nur durch Not und Erfahrungen aller Art auf einen grünen Zweig gekommen sind. Diese Beispiele sind etwa nicht aus alten Zeiten und Geschichten, sondern sie bewähren sich noch täglich. Daß ich einstweilen nicht zu kolorieren vermag, habe ich folgende Gründe: erstens will ich es so lange vermeiden, solange noch irgend ein anderer Ausweg ist; denn es ist doch gewiß besser, wenn man sich durch ein momentanes Opfer in kürzerer Zeit eine gute Existenz verschaffen kann, als durch solche langweilige Hülfsmittel sich Jahre lang durchzuschleppen. Denn während ich koloriere, lerne ich nicht nur nichts, sondern vergesse noch das Gelernte. Zweitens gibt es hier nicht so hübsche Kolorierarbeit, wie in der Schweiz, sondern nur Sachen, die jede Jungfer machen kann, und werden meistens auch nur von Jungfern gemacht. Fischer hat nun genug zu kolorieren, aber er denkt nicht weiter. Er hat auch Spinner und Kündig hieher zitiert, welche auch zu tun haben werden. Allein ich mag nun einmal nicht, denn ich bin zu gewiß, daß ich in weniger Zeit der Entsagung mehr verdienen kann, als diese Schmierhänse. Ich kenne hier zu Dutzenden junge Künstler von drei-, vier- bis fünfundzwanzig Jahren, welche alle im Anfang die gleiche Geschichte und Not hatten, wie ich, und die nun sehr gut stehen. Wir wollen es also einstweilen getrost darauf ankommen lassen; denn, wenn mir etwas anderes bestimmt wäre, so wären gewiß meine Gedanken etwa schon darauf gefallen, und ich habe bis jetzt keine Ursache, an der Vorsehung zu zweifeln.

Der Frau Dekan Schinz wirst Du schon das Nötige für mich sagen zur Danksagung; es ist mir nicht sehr lieb, etwas von Leuten annehmen zu müssen, welche doch glauben, es sei schlecht angewendet. Was meinen neuen Rock betrifft, so war derselbe schon notwendig; denn der andere war nur ein ganz geringer grüner Rock und wurde nun fast ein Jahr lang alle Tage, Sonn- und Werktag, getragen. Jedoch ist er noch gut, nur konnte ich ihn nicht mehr brauchen am Sonntag oder bei sonstigen Anlässen, denn ich gehe mit ordentlichen und gut gekleideten Leuten und kann einmal nicht den Kniffer spielen ... Herr Vogel mag wohl sechs Jahre lang in einem abgeschabten Rock umhergegangen sein. Es war wahrscheinlich unter den damaligen Künstlern so Mode. Hier geht es einmal nicht; denn München ist noch ziemlich kleinstädtisch, wo man auf dergleichen Sachen so gut sieht, wie in Zürich ...

Einstweilen kann ich nur in wenigen Worten für Deine Güte danken; jedoch versteht sich's, daß Du, im Falle Du meinem Plane entsprechen wirst, die vier Louisdor sogleich an dem Gelde, so Du für mich borgst, abziehen wirst, damit Du in Deiner häuslichen Rechnung nicht zu kurz kömmst; denn meine Sache muß getrennt sein von Euren Angelegenheiten, damit ich später alles richtig wieder in Ordnung bringen kann. - Bis dahin muß ich Dich nur wieder bitten, die Sache nicht so schwer aufzunehmen: die Not ist gar nicht so groß, und wenn ich denken muß, daß Du meinetwegen immer in Sorgen seist, so verbittert und verleidet mir dies alle Arbeit. Tausend Grüße an alle.

Dein Sohn.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe