Heidelberg, d. 24. Juli 1849

Liebe Mutter und Schwester!

Der inliegende Brief, welchen ich an seine Adresse zu besorgen bitte, veranlaßt mich, endlich wieder einige Zeilen an Euch zu schreiben. Ich habe nämlich an den Staatsrat Sulzer wegen dem nächsten Herbst und Winter geschrieben, um zu erfahren, was dann geschehen soll, da die Zeit, welche ich hier zuzubringen habe, bald um ist. Im September gedenke ich heim zu kommen. Die badische Revolution, welche im Mai ausbrach und bis in den Juli gewährt hat, hat auch meine Finanzverhältnisse abermals verwirrt, denn der Verkehr gegen Norden ist die ganze Zeit über unterbrochen gewesen. In zwei Wochen werde ich etwa zweihundert Gulden für ein Heft Gedichte erhalten, welche ich herausgebe, und damit will ich dann, da ich sonst im Sinne hatte, von hier aus noch eine Tour zu machen, selbst mich auf den Weg verfügen und mein Geld einkassieren. Denn ich möchte in keinem Falle nach Zürich kommen, ohne meine Schulden bezahlen zu können. Ich weiß nicht mehr, ob ich Dir, liebe Mutter, den Empfang der fünfzig Gulden angezeigt habe? Wenn es nicht geschehen ist, so habe ich es über dem Kriegslärm vergessen, welcher sich lange in Heidelberg herumzog. Es wurde in der Nähe von zwei Stunden kanoniert und gepulvert, und ein paarmal kamen die Feinde bis vor die Stadt, daß wir sie auf dem Berg herumlaufen sahen. Sie schossen in unsere Gassen hinein, über zweitausend Schritt weit, und ein Soldat fiel tot um, nicht weit von mir, auf der Brücke. Hierauf fanden wir, die nichts da zu tun hatten, für gut, uns ein wenig zurückzuziehen. Die Preußen haben halt auch Scharfschützen. Ich verfügte mich auf mein Zimmer, aber da war es noch ärger. Die Hausleute flüchteten ihre Habe, weil das Haus am Wasser steht, es waren Kanonen dicht unter meinem Fenster aufgefahren, welche über den Neckar den Feind abhalten sollten, welcher im Fall er ernsthaft angegriffen hätte, wahrscheinlich diese Kanonen samt dem Haus, vor welchem sie standen, auch ein wenig berücksichtigt haben würde. Die badischen Soldaten mußten indes die Stadt verlassen, weil im Rücken eine Schlacht verloren war, und am anderen Morgen rückten die Preußen vor Sonnenaufgang ein. Ihr habt übrigens die ganze Bescherung jetzt selbst auf dem Hals. Wenn man nur ordentlich umgeht bei Euch mit den badischen Soldaten; denn es sind sehr brave Kerle. Besonders die badenschen Kanoniere haben sich heldenmäßig gehalten. Sie arbeiteten, da es sehr heiß war, im bloßen Hemd, wie die Bäcker vor dem Backofen, bei ihren Kanonen, und waren noch forsch und wohlgemut dabei. Ihre Verwundeten haben sie selbst völlig tot geschossen, damit sie den Preußen nicht in die Hände geraten.


Die Freiheit ist den Deutschen für einmal wieder eingesalzen worden; doch wird es nicht lange so bleiben, und der König von Preußen wird sich wohl hüten, mit der Schweiz anzufangen. Wahrscheinlich werden nächstens die deutschen Fürsten selbst einander bei den Köpfen nehmen. Das Volk haben sie gemeinschaftlich abgetan, aber nun setzt es beim Leichenmahl Händel ab...

Doch es wird dunkel, und der Brief muß heute noch auf die Post. Was die Hemden betrifft, so muß ich es doch noch machen diesen Sommer, und wenn es etwa noch zu heiß wird im August, wo man mehr braucht, so kann ich in einem Laden ein paar gemachte baumwollene kaufen. Es gibt hier große Magazine von dergleichen Zeug, welches ganz wohlfeil ist...

Doch jetzt sehe ich keinen Stich mehr. Bis auf weiteres grüße ich Euch tausendmal, sowie alle im Hause und übrige Bekannte.

Euer Sohn und Bruder
G. Keller.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe