Wir sind Plattdeutsche und wollen es bleiben, aber Deutsche sind wir vor allen Dingen.

Wenngleich nun die plattdeutsche Sprache zu jeder sprachlichen Anwendung fähig ist, so wollen wir trotzdem nicht, dass sie zu jeder Anwendung gelange, wir wollen sie nur in ihrem natürlichen Platz erhalten, wir wollen sie nicht aufgeben, wir wollen überhaupt den Vorteil zweier Sprachen haben und ausbeuten. Wir sind Plattdeutsche und wollen es bleiben, aber Deutsche sind wir vor allen Dingen. Mag noch so wenig Trost und Ehre darin liegen, noch so wenig Vorteil darin stecken: was dieser rechtliche Titel uns einmal bietet, das wollen wir uns nicht nehmen lassen. Luther, Lessing, Goethe, Schiller sind unser, Kant und Hegel dazu. Wir lassen sie uns nicht nehmen, wir geben sie nicht hin für einige rohe Produkte einer unkultivierten Sprache, nenne die sich schwäbisch oder mecklenburg-vorpommersch. Aber wenn der Quickborn oder ein Anderer uns etwas besonderes bieten, was Klopstock, Schiller, Goethe uns nicht gewähren können, nun so nehmen wir auch das als unser Eigentum und fürchten nicht, dass unsere Schultern zu schwach seien für so viel Gaben, unser Gehirn zu weich für zwei Literaturen auf einmal, unsere Zunge zu ungelenk zwei Sprachen zu sprechen.

Es steckt kein Gift im Plattdeutschen, auch nicht einmal das Gift wodurch die norddeutschen Glieder so derbe werden. Wir lassen die Hochdeutschen reden, die da klagen, dass wir nicht völlig werden wollen wie ihrer einer. Unsere Muttersprache wird uns nicht salonfähig machen, aber fähig wird sie unsere Herzen erhalten für Einfalt und Treue, und hoffentlich wird die Zeit nicht mehr fern sein, wo man die reden lässt, die uns nicht verstehen, aber Schande über den spricht, der die Sprache verleugnet, die an seiner Wiege geklungen.
Dies ist für die und im Namen Derer gesprochen, die selbst reden könnten ja müssten, wenn sie denken wollten, die Gebildeten der plattdeutschen Lande: für die Armen, denen wir Vormund sein müssen, lautet die Sache noch ganz anders. Für sie ist Lessing, Schiller, Goethe gar nicht vorhanden, für sie ist die Literatur der Schriftsprache doch nicht, selbst wenn sie nicht Plattdeutsch sprächen. Oder lesen die Winzer des Rheins und der Mosel etwa mehr als die Kornbauern der Nord- und Ostsee? Keineswegs. Im Gegenteil wenn noch im Volke die Bibel d. h. hier der Luther gelesen wird, der die Einheit deutschen Geistes soll herbeigeführt haben, so ist es nicht da, wo jeder Pfaffe auf ihn schimpft. Wollt ihr von Volksbildung reden, so habt ihr für euch noch ganz was anderes auszurotten als unsere Muttersprache. Aber eine Sünde ist es und eine Lüge dazu, wenn ihr den plattdeutschen Armen einreden wollt, alles was aus ihrem Munde gehe, sei eitel Schmutz und Rohheit, sie müssten sich verkriechen und ihre Sprache nicht laut werden lassen. Rist sagt in seiner Biographie Schönborns: „Wie hilflos das Landvolk, wie innerlich arm und zerrüttet, dem man eine Sprache untergeschoben hätte, die nicht aus seinem Boden gewachsen, dem man auch das bindende Element seiner geselligen Abgeschlossenheit, seines unversiegbaren Scherzes genommen hätte, mit dem es die harte Speise würzt. Ein Volk ohne Scherz ist unheimlich wie ein Wald ohne Gesang. Und es würden Generationen vergehen ehe man wieder hochdeutsche Scherze in unseren Dörfern vernähme.”
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch