Ist Sprache ein Adelstitel?

Diesmal will ich Ihnen eine Frage vorlegen. Ist Sprache ein Adelstitel? Welche lächerliche Frage, antworten Sie. Und doch, gestehen Sie, gerieren sich unsere Journalisten nicht wie ein Adelskapitel, wenn sie vornehm behaupten, das Plattdeutsche sei gar keine Sprache, habe gar kein Recht Sprache tituliert zu werden, sondern sei nur eine Mundart? Ist es nicht so absurd als wenn man streitet ob ein Mensch Mensch genannt werden dürfe? — Oder man macht mit einem epitheton ornans einen Unterschied zwischen wirklicher Sprache und den andern, wie etwa der preußische Staatskalender zwischen Geheimeräten und wirklichen Geheimeräten. Wo Sie Sprache und Mundart in solcher Weise angewandt finden (und das ist bis jetzt fast ohne Ausnahme in allem, was darüber geschrieben worden), da suchen Sie keine Belehrung, dort spricht nicht Einsicht und Urteil, sondern der Kastengeist derer die sich liberal nennen, und Sie wissen, dass der blinder ist als irgend einer. Wenn das Hochdeutsche allein und ausschließlich den Namen einer Sprache führen darf, so wird der Name deutsche Sprache bedeutungslos, da eine Sprache doch nicht aus einer Sprache und einer Menge Mundarten bestehen kann. Halten Sie diese meine Genauigkeit nicht für Pedanterie! Die Gegner haben die Vieldeutigkeit der Begriffe als Hauptmittel benutzt, um über uns mit Hochmut Gericht zu halten; dagegen gibt's keine andere Waffe als ihre falschen Mittel aufzudecken. — Wenn wir aber das was deutsche Zunge spricht, sei es platt oder hoch, gedruckt oder ungedruckt, deutsche Sprache nennen, so fasst diese Gesamtheit zwei Hauptgruppen unter sich, die wir als Plattdeutsch und Hochdeutsch oder als Niederdeutsch und Oberdeutsch bezeichnen können. Der Baum deutscher Sprache besteht aus zwei Stämmen, einem hochdeutschen und einem plattdeutschen Sprachstamme, die beide wieder in eine Menge Zweige geteilt sind, und diese Zweige sind die Mundarten.
Wollen wir jetzt die Stellung der hochdeutschen Schriftsprache in dem ganzen deutschen Sprachgebiete angeben, so können wir sagen, um im Bilde zu bleiben, die Schriftsprache ist nicht etwa der Stamm der deutschen Sprache, wovon die Mundarten die mehr oder weniger fastvollen Zweige sind; sie hat eine eminente Stellung, natürlich, - als Trägerin der edelsten Früchte der Wissenschaft und der Poesie, mag man sie als das Edelreis betrachten; aber ein Zweig ist sie unter den Zweigen, vom wissenschaftlichen Standpunkte aus ist auch sie nur eine Mundart.

Dadurch wird das Hochdeutsche nicht herabgesetzt, kann es nicht einmal, es bleibt immer die Sprache der Gebildeten, der Kirche, der Bibel, die Sprache vor der man von selbst Respekt hat durch eigne Kunde und Einsicht, die das Maß ihres Wertes in sich selbst trägt und keines Vergleiches bedarf um gehoben zu werden. Wir betonen diese Stellung der Schriftsprache zu den anderen Mundarten nur um ein Vorurteil abzuwehren. Der Stamm ist eher da als die Zweige. So ist nicht die Schriftsprache vor den Mundarten da gewesen. Diese sind nicht aus ihr durch Degeneration und Verderbnis wie Wasserreiser und Auswüchse entstanden, insofern wird das Bild falsch; die Mundarten sind vielmehr die Wurzeln, wenn man die Schriftsprache als den Stamm ansehen will, diese wird verdorren, wenn man die Mundarten abschneidet die ihr den Lebenssaft zuführen, wie das z. B. beim Französischen der Fall ist. Die Mundarten sind durchaus nicht ein verschlechtertes, verderbtes Hochdeutsch, sondern die gesunde Grundlage desselben, nicht eine Karikatur der gebildeten Sprache, sondern der Marmor aus dem ihr Bild gemeißelt ist. Mundarten in jenem schlechten Sinn würden erst entstehen, wenn das Hochdeutsche alleinige Sprache Deutschlands würde, wovor uns Gott behüte, denn dann würden die niederen Stände daraus ein Patois machen, in jeder Stadt Deutschlands, in jeder Provinz je nach der Eigentümlichkeit des Volkscharakters ein anderes; denn das Volk wird nie davon abzuhalten sein, sich seine Sprache zurecht zu schneiden, weil man es nie wird anhalten können vollständig die hochdeutsche Grammatik zu bewältigen. Wir würden alsdann wieder eben so viele Mundarten haben wie jetzt, aber nicht als lebendige Wurzeln der gesunden Volksanschauung, sondern als Wasserreiser einer halb assimilierten Bildung. Ach leider geben schon mehrere norddeutsche Städte, wo sich der Handwerker bemüht seine schöne Muttersprache zu verleugnen, in einem wahrhaften Gräuelhochdeutsch dazu den Beleg her. Schon daraus sehen Sie, wie notwendig es ist die natürlichen Mundarten Deutschlands zu pflegen, zu erziehen, sie nicht herabzuwürdigen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch