Die hochdeutsche Sprache ist sehr undeutsch geworden.

Die hochdeutsche Sprache ist sehr undeutsch geworden. Dieses Undeutsche liegt nicht in den s. g. Fremdwörtern. Das Englische besteht zur Hälfte aus Fremdwörtern und doch bleibt die Sprache echt englisch. Die Puristen welche im vorigen Jahrhundert bei uns mit lächerlicher Wut diese armen Eindringlinge verfolgten, hatten zwar das richtige Gefühl dass ein Feind sich eingeschlichen, aber wo er seine Festung, sein Lager aufgeschlagen das ahnten sie nicht. Der Sprachgeist ist im Englischen durch alles Fremde unberührt geblieben, der Sachse hat den Romanen innerlich besiegt, er ficht mit seinen Waffen, er braucht römische, keltische Ausdrücke mit deutschem Sinn.

Die deutsche Sprache kränkelt in ihrem inneren Wesen an Ausländerei, die Nachäfferei hat ihre Physiognomie verzerrt. Als die Deutschen am Schluss des Mittelalters mit der klassischen Literatur der Griechen und Römer bekannt wurden, da nahmen sie gerade den unseligen Cicero zum Hauptmuster ihrer Rede. Da kamen die langatmigen langbeinigen Perioden; die Länge und Schwerfälligkeit wäre noch zu verzeihen, aber die Geschmacklosigkeit riss ein, der Sinn für Schnörkel und Zierrat erstickte den für Natur und Schönheit, man tat dem Genius der Sprache Gewalt an, und es war seine Stärke und Schwäche zugleich dass er es leiden konnte und nicht ganz unterging.


Wenn man ein gut geschriebenes französisches Buch mit einem deutschen dem Stile nach vergleicht, so macht das französische immer den Eindruck des Ungekünstelten, es ist als wenn der schlichte gesunde Menschenverstand daraus spräche. Zwang und Müh sitzen immer mit dem Deutschen an seinem Schreibpult, seine Sprache ist nie ganz wie bloß gesprochen, seine Sätze reihen sich nicht leichthin aneinander, sie sind immer verkettet, verschlungen. Dies kommt äußerlich genommen von unserm Überfluss an logisch bestimmten Konjunktionen, und diese unseligen verdanken wir jener Periode erwachender Wissenschaft. Wir begründen vermitteln beschränken, wenigstens in unserer geschriebenen Rede auch wo kein Grund dazu vorhanden ist, „insofern obgleich dennoch freilich zumal wenn, es sei denn, unter der Bedingung dass” usw. — solche und hundert ähnliche Konjunktionen werden fast durchschnittlich unnötigerweise geschrieben, fordern heraus Gründe zu denken wo keine nötig oder vorhanden sind und machen Gedanke und Rede schwerfällig. Leider also können wir nicht einfach dadurch zur Natur zurückkehren dass wir jenen Periodenbau mit seinen Schnörkeln einfach aufgeben, denn die deutsche Sprache trägt Spuren seiner rohen Gewalt für ewig in ihrem Gliederbau.

Man hat von jeher die Fügsamkeit deutscher Zunge gelobt jede fremde Sprache nach deren Eigenheiten in sich wieder zu geben, Gewandtheit und Gelenkigkeit wird ihr besonders nachgerühmt. Es ist wahr dass ein Franzose sich vergebens bemühen würde die Sprache Homers, Pindars, Herodots wiederzugeben, einen griechischen Chor, ein Petrarkisches Sonett oder die Grandezza spanischer Prosa nachzuahmen. Dennoch ist jenes Lob ein zweideutiges. Unsere Übersetzungskünstler wie die Poeten welche griechische, persische, arabische, romanische Stoffe und Formen nach Deutschland gebracht, haben eben so sehr unserer schönen Muttersprache Gewalt angetan, sie aus den Fugen gerissen, unser Gefühl für ihr eigentümliches Wesen, für deutsche Schönheit der Rede abgestumpft. Unser Gesichtskreis hat sich erweitert, aber er hat an Bestimmtheit verloren, wir sind auch hier Kosmopoliten geworden auf Kosten unserer Nationalität. Der Vorteil mag größer sein, der Schaden ist groß. Ein Organismus kann auch Übergelenk werden, mir kommt die Sprache vor, wenn ich z. B. Rückerts Makamen lese, als hätte sie mehr Gelenke als Glieder, sie tanzt wie mit brüchigen Beinen.

Der Hauptgewinn dieser Bemühungen von Dichtern und Übersetzern besteht wohl in dem Erwerb des Hexameters für unsere Poesie; die Platenschen-Oden beweisen dass wir andere klassische Metren nur künstlich wie Treibhauspflanzen kultivieren können; das Sonett der Romanen ist ein zweifelhafter Gewinn den wir uns wollen gefallen lassen; das persische Ghasel wird in seiner Einförmigkeit gewiss bald nur ein langweiliges Kuriosum bleiben.

Was ich hier als Undeutsch in unserer heutigen Schriftsprache getadelt habe, betrifft also nicht einzelne Ausdrücke, französische oder lateinische, es betrifft die Konstruktion der Rede, das Gefüge des Satzes, die Wortstellung wenn man die Sache ganz äußerlich betrachten will. Aber dies trifft gerade den Nerv des Wesens einer Sprache. Wie muss ein Sprachgefühl zerrüttet sein das so denken kann:

Eine deutsche Stadt möcht ich erbauen
Unter Himmel einem ewig blauen.
(Rückert)

Denn die Satzbildung hängt mit dem Gedanken aufs engste zusammen, die Logik der Sprache selber wird angegriffen wenn der Satzbau verdirbt. Und dann greift das Übel weiter. Man lese einmal willkürlich herausgegriffen einige Sätze von Luther: sein Deutsch hat ein Gesicht, ein Männerantlitz, es ist nicht bloß das Luthersche, nicht bloß sein Geist und seine Größe, sondern die Physiognomie der Sprache seiner Zeit, mehr oder weniger vielen Schriften der Reformation gemeinsam. So sprechend hat selbst Lessing seine Prosa nicht wieder geschrieben. Die Sprache hatte noch Charakter und dieser war echt deutsch.

Vergleichen wir damit den Stil unserer Zeit, besonders gerade den gewandten fließenden, des wir uns rühmen: wie charakterlos ist er geworden, einförmig in seinen Wendungen, abstrakt und blass in Fleisch und Farbe.

Riehl z. B. ist gewiss mit unter die gewandten Prosaisten der Gegenwart zu rechnen, und er ist ein Mann, der sich um deutsches Volk und deutsche Sitte verdient gemacht hat wie wenige: sein deutscher Stil kränkelt aber mit an dem allgemeinen Verderbnis unserer Sprache. Wir können das hier nicht im Speziellen belegen, achten Sie aber vorläufig nur einmal auf seine unnötige Häufung von abstrakten Substantiven, so werden Sie schon Auge für andere Mängel gewinnen.

In seiner „Familie” lautet z. B. gleich der zweite Satz, Gott habe „die Ungleichheit und Abhängigkeit als eine Grundbedingung aller menschlichen Entwickelung gesetzt”, worin nicht weniger als vier Abstrakta vorkommen.
Nun gar unsere Zeitungen und Journale! Und von deren Undeutsch nimmt jeder Deutsche täglich sein Quantum zu sich; wo soll unser deutsches Sprachgefühl bleiben? In der Tat, die Sache ist ernst, wie soll man helfen und retten?
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch