Dialekte und Mundarten sind die Sprechweisen und die Spracharten.

Diesen objektiven Sachgehalt könnte man vorläufig so bestimmen: Dialekte und Mundarten sind die Sprechweisen und die Spracharten. Also der toskanische, der römische Dialekt wären die Sprechweisen, in denen das Italienische von Toskanern, von Römern gesprochen wird; die attische, die dorische Mundart wären Arten der altgriechischen Sprache. Danach hätten wir eine Reihe deutscher Dialekte, Arten der Aussprache des Hochdeutschen: den holsteinischen, den sächsischen, den schwäbischen; eine Reihe deutscher Mundarten: die holsteinische, die westfälische, die bayrische, die österreichische. Die Dialekte unterscheiden sich hauptsächlich durch die verschiedene Aussprache desselben Wortstoffs, die Mundarten mehr durch die Verschiedenheit des Wortstoffes selbst. Auf eine wissenschaftliche Definition macht diese Unterscheidung keinen Anspruch, sie genügt uns aber zur vorläufigen Umgrenzung der Begriffe. In diesem Sinne nun lassen wir die Dialekte auf sich beruhen, wir haben es nur zu tun mit den deutschen Mundarten. Über ihren Charakter, ihren Wert, ihre Stellung zu einander wissen wir damit noch gar nichts, alles das müsste erst untersucht werden. Und das muss es in der Tat, alle Arbeit ist noch zu tun, man weiß noch so gut wie nichts, man raisonniert bloß darüber, es spricht sich einfach Neigung und Abneigung aus, oft ohne die geringste Einsicht, wenn man sich über dieses Thema auslässt.

Wir können für diese Untersuchung hier nur die Gesichtspunkte feststellen. – Zunächst ist klar, dass eine Mundart Mundart bleibt, mag sie geschrieben werden oder bloß gesprochen. Niemand leugnet, dass das Griechische mehrere Mundarten hatte, die doch sämtlich in Schriften ausgeprägt waren. Die Holländer nennen das Flämische eine Mundart, sie taten dies bis 1829, als das Flämische noch ohne Literatur war, sie tun es nach 1830, seitdem es in mehr als 3.000 Schriften vorliegt, sie taten es ehe es eine Flämische Grammatik gab, und noch jetzt, da es in 30 Jahren deren 60 und mehr besitzt. Das Holländische ist die nächstverwandte Mundart. Es wäre lächerlich das Holländische nicht Mundart zu nennen, weil es einige hundert Jahr früher geschrieben und gedruckt worden. Es ist uns gleichgültig, ob der Hochmut des Holländers sich dagegen sträubt, wir haben es nicht mit blindem Volksdünkel zu tun, sondern suchen klare Einsicht. Ein anderes ist die Frage, wie weit es eine Mundart ändert, wenn sie geschrieben und gedruckt wird, wenn sie eine Literatur bekommt, wenn ihre Literatur Jahrhunderte alt wird. Aber diese Frage soll erst beantwortet werden. Sie zu beantworten, dazu gehört mehr als eine bloße Behauptung mit Ja oder Nein. Ist es nicht wiederum lächerlich unbesehen vorauszusetzen: eine Mundart werde vornehmer, besser, schöner oder dergleichen, wenn sie eine recht alte Literatur besitzt? Sind das nicht Adelsvorurteile bloß in anderer Gestalt? Könnte die Mundart nicht auch durch Schrift und Druck leiden und entarten? Diesen Punkt den wir schon früher berührt haben, wollen wir nachdem noch des näheren betrachten.


Die holsteinische Mundart ist dem Flämischen und Holländischen so verwandt, dass die Flämänder dem Verfasser des Quickborn schrieben: seine Sprache sei ihre teure Muttersprache sei ihre teure Muttersprache (dier bare Modersprak). Alle drei sind also deutsche Mundarten. Will man die holsteinische plattdeutsch nennen, so gut. Aber Plattdeutsch heißt nicht Gemein- oder Pöbeldeutsch, sondern das Deutsch des flachen Landes im Gegensatz gegen das Oberdeutsche des Gebirgslandes. Dann sind aber auch das Flämische und Holländische plattdeutsche Mundarten. Zieht man den Namen niederdeutsch oder niedersächsisch vor, so gilt er wieder von allen dreien. Das Westfälische, das Pommersche sind ganz in der selben Lage. Ob nun eine dieser Mundarten oder alle roh oder gemein oder schön oder edel seien, das folgt durchaus nicht aus dem Namen oder daraus, ob sie Schriften und wie alte sie besitzen, das kann erst gründliche Einsicht entscheiden. Wer aber wird diese Einsicht besitzen, diese Entscheidung sprechen? Hochdeutsche Lehrer, die kaum ein Wort Niederdeutsch gehört haben und noch in der Tradition stehen, der schlechte meißnerische Dialekt sei das einzige wahre Deutsch im Lande? oder hochdeutsche Kritiker, die bloß wegen des Namens hoch von ihrem Standpunkte auf plattdeutsche Verse herabblicken? oder ängstliche hochdeutsche Patrioten, welche fürchten dass die deutsche Einheit, die da kommen soll, durch einige plattdeutsche Bücher verscheucht werde, da doch Millionen täglich plattdeutsch sprechen? Ich meine, zu einer solchen sogar schwierigen und verwickelten Entscheidung gehöre Kenntnis und Unparteilichkeit soweit sie möglich sind. Kenntnis kann nur ein Plattdeutscher haben, und warum sollte er nicht unparteiisch sein können, der im Plattdeutschen wohl die Sprache seiner Spiele, im Hochdeutschen aber die seiner wissenschaftlichen Bildung zu lieben versteht? Das Gerede in unseren Journalen geht uns also kaum etwas an, denn es ist bekannt, dass fast alle Schreibfedern Deutschlands für den Tagesbedarf von Nichtplattdeutschen geführt werden. — Wir aber haben hier einen zweiten Punkt, auf den wir später zurückkommen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe über Hochdeutsch und Plattdeutsch