Abschnitt 9

Salzburg


Für einen Mineralogen und Botaniker wäre dieses Land äußerst interessant; es hat aber das Unglück, wenig bekannt zu sein, wenn das Geräuschmachen zum Glück der Menschen unumgänglich nötig ist. Dieser Schatz ist der Zukunft aufbehalten, wenn einmal das Land ein Genie erzeugt, das seine Aufmerksamkeit auf diese Gegenstände wendet, oder der Schwarm der müßigen Reisenden, welcher wechselsweise die Alpen, die Apenninen, den Ätna, die Pyrenäen usw. gleich den Heuschrecken überzogen hat, endlich einmal auch seinen Flug in dies Gebirge nimmt und durch sein Geschrei ein ausländisches Genie zur Untersuchung reizt. Das Zillertal ist besonders reich an verschiedenen Steinarten, und in verschiedenen Gegenden des Gebirges findet man von den seltensten europäischen Pflanzen. Über den Bau der Berge, über die Wirkungen und Produkten des Wassers in denselben und über ihre zu erwartende Revolutionen ließen sich hier herrliche Hypothesen spinnen.


Ich muß dir noch von einem Fürstentum des Heiligen Römischen Reichs Nachricht geben, von dessen Dasein schwerlich ein Geograph bei uns etwas weiß. Es ist das Fürstentum Berchtesgaden, welches ich dir auf der Spitze des Unterberges, der seine nördliche Grenze ist, zu einem flüchtigen Überblick schon gezeigt habe. Es besteht in einem kleinen, engen, mit den steilsten Felsen ringsum vermaurten Tale, welches kaum 3.000 Seelen enthält. Einige Seen nehmen den Boden des Tales ein, und eine ungeheure Waldung bedeckt die niedern Abhänge der Berge. Auf einer Insel des größten Sees hielten wir vor einigen Tagen ein herrliches Mahl mit Fischen aus demselben, einigen niedlichen Fleischgerichten und kostbarem Tiroler Wein. In den tiefsten Schlünden und Klüften fehlt es hier an guten Köchen nicht. Die Natur des Landes ist weder dem Ackerbau noch einer einträglichen Viehzucht sehr günstig. Die Einwohner haben daher ihre Zuflucht zum Kunstfleiß genommen, der die Menschen in keinem Winkel der Erde darben läßt und sinnreich und mächtig genug ist, alles, auch die härtesten Steine, in Brot zu verwandeln. In diesem unbekannten Tale, Bruder, wird der größte Teil der Quincaillerie verfertigt, womit Nürnberg und Augsburg einen so ausgebreiteten Handel treiben. Die Steckenpferde, Raspeln, Kuckuck, hölzerne Männchen, Weibchen, Ratten, Mäuse und all das Spielwerk für kleine Kinder, die Kruzifixchen, beinerne Spielzeichen in den so niedlichen Strohkästchen, die Puder- und Pomadebüchsen und all das Spielzeug für die großen Kinder und, kurz, der größte Teil der Artikel, die man bei uns unter dem Titel der deutschen Ware begreift, kömmt aus diesem verborgenen Schlund. Es ist ein angenehmes Schauspiel, zwei bis drei Familien, von den fast unmündigen Kindern an bis zu den Greisen, in einer engen Hütte mit so seltsamen Produkten beschäftigt und die kleinsten Arbeiten von den plumpsten Bauernhänden verfertigen zu sehen. Wegen des erstaunlich geringen Preises ihrer Waren können sie zwar keine Reichtümer sammeln, aber sie nähren sich alle redlich und haben genug. Die guten Leute wissen nicht, daß ihre Produkten bis zu uns und mit großem Gewinn von den Spaniern nach Amerika und den Engländern nach Ostindien geführt werden. Ein kleiner Teil derselben beschäftigt sich mit dem Salzsieden; aber da sie diesen Artikel bloß durch Bayern ausführen können und dieses Land so überflüssig damit versehen ist, so müssen sie es um einen Spottpreis weggeben. Auch empfinden sie den Druck eines mächtigern Nachbars von der salzburgischen Seite. Salzburg soll seine Salzminen schon weit über die Berchtesgadner Grenze fortgesetzt haben, ohne daß man auf die Klagen dieses bedrängten Fürstentümchens achtet. Außer diesem Tal, welches die unmittelbaren Reichs- und Kreislande der gefürsteten Propstei ausmacht, besitzt sie noch einige Güter in Österreich und Bayern, und ihre sämtlichen Einkünfte mögen sich auf ohngefähr 60.000 Gulden belaufen. Durch die Verschwendung einiger ehemaligen Pröpste ist sie in drückende Schulden geraten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.