Abschnitt 4

Salzburg


Einer meiner Lieblingsplätze ist der nur zwei Stunden von hier entlegene Untersberg. Gegen die Stadt zu stellt er eine ungeheure Pyramide dar, aber rückwärts zieht sich sein holperichter und kahler Felsenrücken wohl auf zwei Stunden in die Länge, und man braucht gegen sechs bis sieben Stunden, um ihn an seinem Fuß zu umgehen. Auf dem gewöhnlichen Weg kann man ihn von seinem Fuß an in fünf Stunden ersteigen, aber ein geübter Gemsjäger, der wie eine Katze klettern kann, braucht nicht gar drei Stunden dazu. Auf demselben hat man eine grenzenlose Aussicht auf das flache Land von Bayern. Auf den Türmen von München, welches siebzehn Meilen entlegen ist, sieht man seinen Gipfel sehr deutlich. Man zählt gegen neun Seen in dem Gesichtskreis umher. Die schönste Partie der Aussicht ist das Fürstentum Berchtesgaden, welches dem Berg gegen Süden liegt und in einem waldichten Tal besteht, das von den abenteuerlichsten Granitgipfeln ringsum eingeschlossen ist. Unter diesen nimmt sich der Watzmann durch seine vollkommene Kegelform vorzüglich aus. Mitten durch die finstere Waldung dieses Tales leuchten einige Seen hervor, die eine unbeschreiblich schöne Wirkung machen. Die Aussicht in einige benachbarte salzburgische Täler ist nicht weniger schön.


Auch dieser Berg scheint Buffons frz. Naturforscher, † 1788 Bergsystern zu bestätigen. Er ist eine in den Urstoff der Erde eingewurzelte Granitmasse, auf deren tiefern Abhängen und Einbiegungen hie und da Sand- und Kalchsteine wie vom Wasser angeschwemmt liegen. - Die unterste Gegend desselben ist mit Wald bewachsen und hat einige schöne Brüche von rötlichtem und weißem Marmor. Auf dem Schutt eines dieser Brüche hat man eine herrliche Aussicht nach der Stadt zu. In einiger Entfernung von demselben ist in einer wilden Kluft des Berges ein merkwürdiger Wasserfall. Ein starker Bach, der aber im Frühling, wenn der Schnee zu schmelzen beginnt, viel beträchtlicher sein soll, als er jetzt ist, bricht aus einer Felsenritze hervor, in dessen Mündung man vermittelst einer durch Kunst gehauenen Treppe kommen kann. In dem Ritz, worin man für Kälte schauert, hört man im Innern des Berges ein dumpfes Getöse, wie einen weit entfernten Donner. Wahrscheinlich enthält der Berg in seinem Eingeweide einen See, in den das Schnee- und Regenwasser von außen eindringt und dessen Fall das Getöse verursacht. Ohne Zweifel wird dieses innere Gewässer mit der Zeit dem Berge verderblich sein. Das Volk in der Gegend erzählt sich, Kaiser Karl der Große sei mit seiner ganzen Armee in diesen Berg bis an den jüngsten Tag eingeschlossen und mache bis dahin zu seinem Zeitvertreib das schauerliche Gepolter. An einem gewissen Tag des Jahres sieht man ihn nachts um 12 Uhr mit dem Gefolge von seinen Ministern und Generälen in einer Prozession in die Domkirche zu Salzburg ziehen. Von Zauberern, deren weiße Bärte in der Länge der Zeit zehn- und zwanzigmal um die Tische herumgewachsen sind, an denen sie im Berge schlafend liegen, von tausendjährigen Eremiten, die verirrte Gemsjäger in das Innere des Berges geführt und ihnen darin Feenpaläste von Gold und Edelgesteinen gezeigt haben, wollte ich dir eine Menge erzählen, wenn du nicht schon die Wunderdinge kenntest, die in der Sierra Morena beim Ursprung des Guadiana Fluß in Spanien zu finden sind. Ich könnte dir ein Manuskript mitteilen, worin diese Geschichten aktenmäßig bescheinigt und vom Gerichte bestätigt sind. Aus der Spalte, worin man den großen Karl spuken hört, stürzt der Bach mit einem starken Geräusche und in den mannigfaltigsten Kaskaden durch einen tiefen und engen Schlund hinab, den er in den harten Marmor selbst gegraben zu haben scheint. Hie und da hat er sich in seinem Fall Marmorbecken ausgehöhlt, die keine Kunst schöner glätten und runden könnte. Ein Liebhaber von Altertümern in der Nachbarschaft ist sogar versucht worden, einige derselben für altrömische Bäder anzusehen. Ganz unten am Fuß des Berges, hinter einer Mühle, bietet der Wasserfall einen sehr angenehmen Anblick dar. Der Sturz ist hier zwar nicht hoch, aber doch sehr merkwürdig, weil sich das Wasser in unzählige Fäden zerteilt, die durch hingewälzte Felsenstücke sich so mannigfaltig und seltsam kreuzen, daß keine Phantasie die Kaskade eigensinniger anlegen könnte. Auf den abgerissenen Steinen stehn hie und da kleine Fichten, die das Launichte dieses Naturauftrittes unendlich vermehren. Das Wasser dieses Baches ist so kalt, daß du deine Hand keine zehn Sekunden darin halten kannst, und doch kannst du ohne die geringste Gefahr im größten Schweiß so viel davon trinken, als du willst. Du verdauest und verdünstest es so leicht wie Luft. In der größten Ermüdung wüßte ich kein besseres Erquickungsmittel als dies Wasser. - Ihr armen Leute zu Paris mit euern Diarrhöen und Verstopfungen, die euch das leimichte Seinewasser wechselweise verursacht! Könnte euch doch eure allmächtige Polizei dieses Wasser verschaffen, das sich hier ungenutzt in den Salzachfluß verliert!

Der Teil des Fürstentums Salzburg, welcher der Hauptstadt gegen Norden liegt, enthält zwar auch viele Berge, trägt aber doch zum Unterhalt seiner Bewohner Getreide genug. Allein sechs Stunden von der Stadt gegen Süden fängt ein langes und enges Tal an, welches sich erst auf einige Meilen gegen Süden fort und hierauf gegen Westen herum zieht, von ungeheuerm Gebirge eingeschlossen ist, von der Salzach durchströmt wird, den größten Teil des Fürstentums ausmacht und kaum den dritten Teil des nötigen Getreides trägt. Der Eingang in dieses Tal ist der sogenannte Paß Lueg oder Luk, welches im Plattdeutschen und Englischen soviel als Sehen heißt und die nämliche Bedeutung als eine sogenannte Warte in verschiedenen Gebieten von Reichsstädten hat. Dieser Paß ist ein tiefer, enger Schlund zwischen nackten Granitfelsen, die über die Wolken emporragen, senkrecht abgehauen sind und durch welche sich die Salzach wütend drängt. Über dem Fluß hat man einen Weg in den Fels gehauen, der durch ein Tor geht, welches kaum Raum genug für einen Wagen hat und von einer Batterie bedeckt wird, so daß hier wenige Leute eine große Armee aufhalten können. Die andern Zugänge dieses Tales sind ebenso wohlverwahrt, und die Natur hat es so gut befestigt als das Walliserland schweizerisches Kanton.

Außer diesem großen Tal gehören noch einige anstoßende kleinere zu diesem Fürstentum. Sie sind von der nämlichen Beschaffenheit wie jenes, und die Nahrung der Einwohner besteht hauptsächlich in der Viehzucht. Man findt an vielen Orten sehr reiche Bauern, die sechzig bis achtzig Stücke großes Vieh besitzen. Es wird etwas Käs und Butter ausgeführt, aber lange nicht so viel, als es sein könnte, wenn die Einwohner so fleißig, sparsam und zur Handlung so aufgelegt wären als die Schweizer Bauern. Nebst dem Hornvieh ist auch die Pferdezucht sehr beträchtlich. Diese sind vom stärksten Schlag und werden als schwere Last- und Zugpferde weit ausgeführt. Von Gestalt sind sie nicht schön. Sie haben zu dicke Köpfe, und ihr Hintergestelle ist zu hoch; aber ich erinnere mich, in einigen Städten am Rhein Salzburger Pferde gesehen zu haben, deren eines auf einem schweren Karren mit zwei Rädern gegen vierzig Zentner vom Schiffe weg durch die Stadt ziehen mußte. Die Bauern brauchen sie schon im dritten Jahr zu ihrer schweren Arbeit, und dies ist Ursache, daß sie gar bald steif werden und nicht wohl zu Kutschenpferden zu brauchen sind. Der Kaiser kauft für seine Artillerie eines um 120 Gulden. - Die Besitzungen des Fürsten in Kärnten sind in Rücksicht auf ihren natürlichen Zustand dem übrigen Lande ziemlich gleich, und das, was er in Österreich besitzt, ist zu unbeträchtlich, als daß es hier in Anschlag kommen sollte. Im ganzen muß dieses Land beinahe die Hälfte seines nötigen Getreides aus Bayern beziehen.

Der hiesige Bauer kann sich nicht, wie der Bergschweizer, mit Käs oder Erdäpfeln behelfen. Durchaus muß er zu seinem Fleisch, welches er bei der Mahlzeit, so fett es auch sein mag, immer noch bissenweis in zerlassenes Schmalz zu tunken pflegt, gutes Brot und Bier und Branntewein in Überfluß haben. Diese für seine natürliche Lage zu kostbare Lebensart müßte das Land zu dem ärmsten in Europa machen, wenn er diesen Aufwand nicht durch eine kluge und bewundernswürdige Sparsamkeit in den andern Teilen seiner Wirtschaft ersetzte. Er kleidet sich selbst von Kopf bis zu Fuß. Jede Familie webt aus ihrer eignen und von ihr selbst zubereiteten Wolle eine Art von grobem dunkelgrauem Tuch, woraus sie sich selbst die Hauptstücke der nötigen Kleidung verfertigt. Leinenzeug, Schuhe und Strümpfe, alles macht sich der Bauer selbst. Seine Kleidung ist dabei reinlich, einfach, bequem und schön. - Das Gleichgewicht zwischen der Einnahme und Ausgabe des Landes wird aber hauptsächlich durch die Ausbeute der Bergwerke hergestellt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.