Abschnitt 2

Hamburg (Mecklenburg)


Der erste Anblick des Innern der Reichs- und Hansestadt Hamburg ist sehr ekelhaft und abschreckend. Die meisten Straßen sind eng, dumpficht und schwarz, und das gemeine Volk, welches sie durchwühlt, ist grob, wild und im ganzen auch nicht sehr reinlich. Sobald man aber in einigen der bessern Häuser bekannt ist, bekömmt man einen vorteilhaftern Begriff von der Stadt. In den Häusern der reichern Kaufleute herrscht Gemächlichkeit, Reinlichkeit, Pracht und zum Teil auch Verschwendung. Die Hamburger sind die ersten Protestanten, die ich sah, welche im Essen und Trinken gut deutsch-katholisch geblieben sind. Ihre Tafeln übertreffen noch jene der Wiener, Grazer, Prager und Münchner, und vielleicht wird nirgends in der Welt so viel auf den sinnlichen Geschmack raffiniert als hier. Die Gärtnerei ist in wenig Städten Deutschlands so blühend als hier, und doch begnügt man sich nicht mit den vortrefflichen Zugemüsen, welche der vaterländische Boden liefert, sondern beschreibt sich manche Gattungen derselben aus England, Holland und einigen Gegenden Deutschlands, bloß weil die Mode den ausländischen Gewächsen einen Vorzug beigelegt hat. Aus Norden, Osten, Süden und Westen treibt man alles zusammen, was nur jedes Land Eigenes und Kostbares für den Tisch hat. Es würde deinen Glauben übersteigen, wenn ich dir ein vollständiges und getreues Gemälde von der hiesigen häuslichen Lebensart machte. Du kannst dir einigen Begriff davon machen, wenn ich dir sage daß man in den guten Häusern hier zu jeder Speise einen besondern Wein gibt. Nach der hier allgemein herrschenden Grundlehre des Essens und Trinkens hat der Burgunder, der Champagner, der Malaga-, Porto-, Madeira-, Rhein- und Moselwein jeder seine besonders angewiesene Speise, auf welche er paßt, und so wie die Tracht kömmt, für welche die Natur nach dem Ausspruch des weisen Hamburgers diese oder jene Gattung Wein geschaffen hat, so werden frische Gläser mit der gehörigen Sorte gekredenzt. Zu jungen grünen Bohnen, die Schüssel oft für einen Dukaten, mit neuen Heringen, das Stück oft um einen Gulden, trinkt der Hamburger gewiß keinen andern als Malagawein, und zu neuen grünen Erbsen ist der Burgunder das anständige Vehikulum. Austern müssen notwendigerweise im Champagner schwimmen, und ihre köstlichen gesalzenen Fleische werden bloß mit Porto- oder Madeirawein konvoyiert. begleitet Du mußt nicht glauben, dies geschehe bloß bei Feierlichkeiten. Nein, es ist die alltägliche Art der hiesigen Reichen. Die ganze übrige Lebensart stimmt mit diesem Geschmack überein. Ich mußte schon einige Besuche in den Landhäusern vor der Stadt machen, die unzählig sind. Equipage, Möbeln, Spieltische, kurz, alles entsprach dem Reichtum der Tafel. Eine gewöhnliche Gesellschaft von Leuten von Stand zu Paris ist selten glänzender, als die hiesigen Partien in den Sommerhäusern sind, und schwerlich wird in Paris im ganzen so hoch gespielt als hier. Häuser, die jährlich 20- bis 30.000 Livres verzehren, gehören noch unter die mittelmäßigen, und wenn sich gleich die Familien bloß durch ihre Industrie erhalten müssen und fast gar kein Adel hier ist, der seine gewissen Revenuen von liegenden Gründen hat, so sind doch der Häuser, die 40-, 50- bis 60.000 Livres zu ihrer Wirtschaft brauchen, sehr viele.


Bei dem Hang zur Sinnlichkeit vernachlässigt man aber hier doch den Geist nicht wie in Süddeutschland. Die Hamburger von der höhern Klasse sind noch munterer, geselliger, gesprächiger und witziger als die Sachsen. Man findet hier viele Gelehrte vom ersten Rang. Besonders steht hier die Naturgeschichte Naturkunde in großer Achtung, wie denn auch ein Hamburger dem Ritter Linné die Grundidee zu seinem Natursystem gegeben hat. Da viele der hiesigen jungen Leute meistens des Handels wegen auf einige Zeit nach London, Petersburg, Bordeaux, Cadiz und nach andern Seeplätzen gehn, wo sich Äste von hiesigen Handelshäusern angepflanzt haben, so trifft jeder Fremde hier Leute an, die mit seinem Vaterland bekannt sind. Überhaupt reisen die Hamburger viel, welches die hiesigen Gesellschaften besonders lebhaft und unterhaltend macht.

Das hiesige Frauenzimmer ist schön, artig und freier im Umgang, als es in protestantischen Städten gemeiniglich zu sein pflegt. Überhaupt herrscht hier eine Lebhaftigkeit, die man so tief in Norden nicht suchen sollte und welche mit den holländischen Handelsplätzen stark absticht. Ohne Zweifel trägt die gute Tafel das meiste dazu bei. Eine dieser Stadt ganz eigne Belustigungsart bietet der Alsterfluß dar. Er fließt von Norden fast mitten durch die Stadt und bildet in derselben einen See, der wohl seine 1000 Schritte im Umfang haben mag. An den jetzigen schönen Sommerabenden ist dieser See fast ganz mit einer Art Gondeln bedeckt, die aber nicht so traurig aussehn als die venezianischen. Man speist, familien- und partienweise fahrend, in diesen Gondeln mit der gewöhnlichen Niedlichkeit der Hamburger zu Nacht, und ein mit Musik besetztes Fahrzeug schlängelt sich öfters durch die gedrängten Reihen dieser Gondeln durch. Das Ganze hat eine unbeschreiblich gute Wirkung, besonders da nahe bei dem See ein öffentlicher, stark besuchter Spazierplatz ist, dessen Lebhaftigkeit jene des Sees noch sehr erhebt.

Nahe über der Stadt liegen an der Elbe einige Dörfer, die Vierlande genannt, die im Sommer auch ein besonderer Tummelplatz des öffentlichen Vergnügens sind. Die Bauern dieser Dörfer sind sehr wohlhabend und ziehn durch ihre vortrefflichen Gemüse, besonders ihre berühmten grünen Erbsen, eine unglaubliche Summe Geldes aus der so leckerhaften Stadt. Täglich findet man im Sommer Lustpartien von Stadtleuten in diesen Dörfern, wo ebensoviel Reinlichkeit als Überfluß im Essen und Trinken herrscht. Die unvergleichlich schönen Baurenmädchen, deren Kleidung die schönste ist, die ich je unter Landmädchen gesehn, locken, auf Kosten ihrer Unschuld, die jungen Herren schwarmweise aus der Stadt, von denen sich mancher auch auf einige Wochen unter dem Vorwand einer Milchkur in einem der Dörfer einquartiert, um seiner Liebe nachhängen zu können. Läßt dieselbe sichtbare Spuren zurück, so haben die Bordells und die Zuchthäuser der Stadt eine neue Akquisition gemacht, die sie immer wechselsweis einander abtreten, bis die Ware ins Hospital muß. Diese sogenannten Vierlande liefern der Stadt nebst den Zugemüsen, der Butter, Milch, dem Heu und dergleichen mehr auch die meisten Freudenmädchen und die meisten öffentlichen Spinnerinnen. - Das hart an der Stadt gelegene Altona bietet den Hamburgern noch unzählige Gelegenheiten, sich zu belustigen, dar. Der König von Dänemark, welcher diesen Ort aus Eifersucht auf Hamburg auf alle Art blühend zu machen sucht, scheint den Bordells und Wirtshäusern dieser Stadt ebensoviel Abbruch als der Handlung derselben tun zu wollen. Durch seine Bemühungen ist Altona wirklich in kurzer Zeit aus einem Dorf eine Stadt von ohngefähr 35.000 Einwohnern geworden, unter denen aber freilich sehr viel Gesindel ist.

Die Gegend um Hamburg ist sehr reizend, ob sie schon eben ist. Der mannigfaltige und fleißige Anbau gibt sehr viel Leben. Das meiste trägt aber das Gewässer zu ihrer Schönheit bei. Der Fluß, welcher der Stadt unsägliche Vorteile verschafft und den sie als die äußerste Zollstadt größtenteils beherrscht, hat vor derselben 7/4 Stunden in der Breite und bildet verschiedene Inseln, auf welche man auch häufige Lustpartien macht. Der Anblick dieses mächtigen, stark beschifften und zum Teil mit schattichten Inseln bedeckten Stromes hat viel Majestät.

Ungeachtet des vielen Gewässers und der tiefen Lage der Stadt ist die Luft hier doch sehr gut, weil sie immerfort und von allen Seiten von starken Winden gereinigt wird. Der Nordwestwind ist der Stadt sehr gefährlich. Er hemmt den Ausflug des Stromes und verursacht ungeheure Überschwemmungen, welche oft den untern Teil der meisten Häuser mit Wasser anfüllen und auf dem Lande umher unbeschreibliche Verheerungen anrichten.

Hamburg ist ohne Vergleich die blühendste Handelsstadt in Deutschland. Außer London und Amsterdam ist schwerlich ein Handelsplatz in Europa, wo man immerfort so viele Schiffe sieht als hier. Das hiesige Gewerbe beruht freilich größtenteils nur auf Kommissionen und Speditionen, allein der eigentümliche und solide Handel der Einwohner ist daneben doch auch sehr beträchtlich. Spanien und Frankreich sind für den hiesigen Handel die wichtigsten Länder, besonders ist das Verkehr mit dem ersten Reiche sehr vorteilhaft für die hiesigen Kaufleute. Hamburg versah Spanien bis hieher größtenteils mit Leinwand und lieferte ihm auch eine ungeheure Menge Eisen, Kupfer und andre nordische Artikel. Die Preußen, Dänen, Schweden und Russen geben sich zwar alle Mühe, ihre Produkten selbst den Spaniern zuführen zu können, allein es hält schwer, die Handlung aus einem alten Gang zu bringen, und viele Kaufleute in Norden finden den Zwischenhandel der Hamburger zu gemächlich und zum Teil auch zu vorteilhaft für sich, als daß diese in Gefahr stünden, diesen Handlungskanal ganz zu verlieren. Die Remessen Rimessen - Geld oder Wertpapiere zur Bezahlung gelieferter Waren bleiben zu lange aus Cadiz aus, und wenn eine Nation nicht durch den Warentausch sich immerfort bezahlt macht, so ist der Handel mit Spanien sehr beschwerlich. Nun ist aber Hamburg immerfort an Spanien schuldig, oder es bezieht allzeit mehr Waren aus diesem Reich, als es demselben liefern kann (die Kriegszeiten ausgenommen, wo die Schiffsbaumaterialien, Munition und dergleichen mehr einen Unterschied machen). Es ist also sehr natürlich, daß ein Teil der nordischen Ausfuhr leichter durch die Hände der Hamburger geht, die ordentlich und geschwinde bezahlen können, dahingegen das Abwarten der Schiffe von Havanna, welche die Seele des ganzen spanischen Handels sind, oft den nordischen Kaufmann in Verlegenheit setzt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.