Abschnitt 3

Augsburg


Noch muß ich dich, ehe ich von Konstanz abgehe, eines Mannes erinnern, der vor einigen Jahren in den Zeitungen soviel Lärmen machte. In dieser Gegend fing der berüchtigte Gaßner kath. Teufelsaustreiber, † 1779 , welcher in kurzer Zeit einige Millionen Teufel austrieb und einige hundert Gläubige heilte, sein Spiel an. Der Bischof von Konstanz verbat sich solche Wunder in seinem Sprengel, und nun flüchtete sich der Mann unter den Schutz des Prälaten von Salmannsweiler, der sich immer mit schwerem Gelde die Exemtion Befreiung von der bischöflichen Gewalt vom Papst erkauft. Aus Eifersucht auf den Herrn Bischof nahm der Prälat die Partei des Flüchtlings mit aller Hitze, und nun war sein Glück durch seine Verfolgung gemacht. Der Ökonom der Prälatur fournierte lieferte ihm einige Fässer verdorbenes Öl und ähnliche Sachen, die Gaßner zur Heilung der Menschen weihte und wobei der erstere seine Rechnung fand. Ich teile dir diese Anekdote mit, weil ich sie von guter Hand habe, sie wenig bekannt ist und ich dir ein neues Beispiel geben kann, daß Mahomet Mohammed, Begründer des Islam, † 632 und alle Propheten seiner Art ihren Ruhm der Hitze ihrer Verfolger und Patronen, die oft mit dem Prophetentum dieser Männer in gar keiner Verbindung steht, zu verdanken haben. Lebe wohl.


Nachdem ich die Gegenden des Bodensees in der Runde besichtigt, trat ich meine Reise von Lindau hieher an und kam durch einige verfallene Reichsstädte, die das Reich um Nachlaß ihres Kontingents bitten müssen und wirklich Dörfer geworden sind. Memmingen nimmt sich unter ihnen sehr aus. Es hat einige Manufakturen und sieht wirklich einer Stadt etwas ähnlich. Von diesem Städtchen kam mir der Auszug einer Chronik zuhanden, der so altweiberisch wie alle Chroniken kleiner Städte lautet, woraus ich dir aber einige Stellen mitteilen muß, weil sie den Charakter des Volks schildern.

Im Jahr 1448 ging in den Schenken der Stadt der Wein aus. Der Rat schickte eine feierliche Deputation an den Neckar, um dies dringende Bedürfnis seiner Untertanen zu verschaffen. Als die Wagen mit Wein im Anzug waren, ging ihnen die Bürgerschaft in einer Prozession, mit klingendem Spiel und fliegenden Fahnen, entgegen, und es wurde auch ein öffentliches Freudenfeuer angestellt ... Im Jahr 1449 entstand am St.-Gallen-Tage in der Martinskirche wegen den Betstühlen eine Uneinigkeit unter den Weibern, die in der Kirche selbst eine große Schlägerei unter denselben veranlaßte. Die Geistlichkeit meinte, man müsse nun die entheiligte Kirche von neuem einweihen; aber der Rat widersetzte sich mit allem Nachdruck: weil es nur Weiber gewesen wären... Beide Schilderungen haben noch ihren Wert; denn der Schwabe hat noch die nämliche Verehrung für den Wein und die nämliche Superiorität Überlegenheit, hier: Vorherrschaft über sein Weib.

Nebst diesen kam ich durch unzählige Graf- und Herrschaften, worunter die Güter der Grafen Truchsesse und Fugger die beträchtlichsten sind und wohl Fürstentümer sein könnten, wenn sie nicht unter so viele Nebenäste der Familie zerteilt wären.

Der ganze Strich vom Bodensee hieher ist lange nicht so schön gebaut als der untere Teil des Schwabenlandes. Auch in der sittlichen Kultur ist er weit unter diesem. In der Bildung der Menschen ist der Unterschied auffallend. Die Einwohner dieser Gegend haben soviel Eckichtes und Schiefes in ihren Gebärden, daß es einem ekelt. Die Natur hat aber selbst auch viel weniger für sie getan als für ihre Nachbarn. Der ganze Strich ist eine Ebene, die nur von einer Reihe waldichter Hügel zwischen Lindau und Leutkirch unterbrochen wird, und das Land ist also bloß zum Ackerbau bequem, dahingegen im Unterschwaben das Gemische der Berge, Hügel und Täler zu einer mannigfaltigern Kultur Anlaß gibt.

Was vollends zum Verderben dieser Gegend gereicht, ist die Zerstückung in so viele, gar zu kleine Herrschaften, und daß mehrere Besitzer derselben an großen Höfen leben und also das Geld aus dem Lande ziehen. Man hat nicht nötig zu fragen, ob der Herr des Gutes an Ort und Stelle residiert. Man sieht es augenscheinlich auf den Gesichtern der Untertanen und der Verwilderung des Landes. Während daß der Herr am Hofe mit der Beute seiner Untertanen glänzt, sind diese den Bedrückungen raubgieriger Beamten unterworfen, die gemeiniglich in wenigen Jahren so viel zusammenzubringen wissen, daß sie freiwillig abdanken und dann selbst Herren spielen können.

Wenn nicht so ungeheure Verschwendung und so lächerliche Titelsucht unter dem großen deutschen Adel Mode wäre, wenn er mehr Geschmack an Wissenschaften und Künsten hätte, wenn er ein besseres Vergnügen als das an Pferden, prächtigen Wagen, vielen Bedienten und dergleichen kennte, wenn er etwas mehr als einen steifen Rücken, gezwungene Stellung der Füße, eine gute Art, sein Geld zu verspielen, das elendeste Jargon und gewisse Krankheiten aus Frankreich zu holen wüßte, so könnte er die glücklichste Klasse von Erdensöhnen sein. Fast ganz unabhängig, wie er ist, könnte er im weitesten Verstande der Schöpfer des Glückes seiner Untertanen und von ihnen angebetet werden. Aber dafür scheint der große Haufen der Barons kein Gefühl zu haben. Die Natur rächet es. Durch ihre dumme Verschwendung an den Höfen werden ihre Güter verschuldet, und die Quellen versiegen nach und nach.

Das berühmte Augsburg ist das lange nicht mehr, was es war. Es gibt hier nun keine Fugger und Welser reiche Handelshäuser des 15. Jahrhunderts mehr, die den Kaisern Millionen vorschießen können. In dieser großen und schönen Stadt, die unter den deutschen Handelsstädten in der ersten Reihe steht, sind nicht über sechs Häuser zu finden, die über 200.000, und keine fünfzehn, die 100.000 Gulden Vermögen hätten. Der große Schwarm der hiesigen Kaufleute, wovon ein guter Teil Karossen haben muß, schleppt sich mit einem Kapitälchen von 30- bis 40.000 Gulden herum, macht den Krämer, Mäkler und Kommissär, und die nun einmal gängige Gewerbart macht ihn zur Anlegung von Fabriken zu träge. Einige wenige Häuser tun etwas in Wechselgeschäften, und der Weg durch Tirol und Graubünden veranlaßt hier einigen Gegenhandel zwischen Italien und Deutschland.

Nach diesen Krämern und Mäklern sind die Kupferstecher, Bilderschnitzer und Maler der ansehnlichste Teil der beschäftigten Einwohner. Ihre Produkten aber sind der Pendant zur Nürnberger Quincaillerie Spielzeug- und Kunstgewerbe. Es gab immer einige Leute von Talent unter ihnen; da sie aber bei den kleinen Versuchen für die Kunst nie ihre Rechnung fanden, so mußten sie bei den Kapuziner-Arbeiten bleiben, um nicht zu verhungern. Sie versehen fast das ganze katholische Deutschland mit Bilderchen für die Gebetbücher und zur Auszierung der Bürgerhäuser. Für die Kunst ist der hiesige Himmel sehr ungünstig. Der Baron füttert lieber Pferde und Hunde und einen Schwarm Bedienten, deren Narr er gemeiniglich ist, als Künstler, und wenn er auf Geheiß der Mode der Kunst ein Opfer bringen muß, so hat er keinen Glauben an das Talent seiner Landsleute. Da er selten selbst Geschmack und Einsichten hat, so folgt er gewöhnlich in seiner Wahl dem blinden Ruf fremder Künstler und läßt das Verdienst in seinem Vaterland darben. Es scheint in andern Gegenden Deutschlands hierin nicht viel besser zu sein; denn Mengs Raphael Mengs, ital. Maler, † 1779, Winckelmann Winckelmann - Begründer der klassischen Archäologie, † 1768, Gluck, Hasse Johann Adolf Hasse, Hofkapellmeister in Dresden, † 1783, Händel und viele andre mußten erst von Ausländern in Ruf gebracht werden, ehe man in Deutschland ihre Verdienste anerkannte.

Es hat sich zwar unter dem Schutz des Magistrates hier eine Künstlerakademie zusammengetan, die aber, so wie ihre Patronen, keinen höhern Zweck zu haben scheint, als unter dem Namen von Künstlern gute Handwerksleute zu bilden und die Manufakturen der Stadt im Gang zu erhalten. Der Rat geht seit einiger Zeit mit vielen ähnlichen Entwürfen zur Beförderung der Industrie schwanger, und wie ich an jeder patriotischen Empfindung teilnehme, so konnte ich denselben anfangs meinen Beifall nicht versagen. Aber wie ärgerlich war es mir zu sehen, daß diese Entwürfe, zum Teil von den Regenten der Stadt selbst, wieder vereitelt werden!

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland.