26. Januar bis 2. Oktober 1814

Wir kommen nun in das Jahr 1814.

Inzwischen ist heftiger Winter eingetreten. L. K. schreibt darüber in einem Brief vom 26. Januar:


„Meine Frau ist diesen Winter kümmerlicher wie sonst; besonders hat sie in dieser heftigen Kälte - 16 ° R - der sie sich exponiert, viel auszustehen. Wir sind im Schnee rund umher so tief begraben, dass unsre Wohnung einer Samojeden Hütte gleicht. In vielen Wintern haben wir so tiefen Schnee nicht gehabt. Wenn es bei den Armeen auch so ist, wie werden sie itzt gegen die verdorbenen Wege und nachmals gegen die Überschwemmungen ankämpfen müssen! Man sagt uns hier viel vom allgemeinen Frieden. Die hohen Mächte werden ihn ja ehrenvoll zu machen und auf einem sichern Grund zu bauen wissen, damit die Ströme von Menschenblut nicht vergebens geflossen sein mögen. - Außer den fortdauernden Kontributionen wissen wir hier von keinem Krieg. Militär haben wir gar nicht. Um uns gegen unsre eigene Landwehr, die uns ärger plagt, als vormals die Feinde, zu sichern, müssen unsre Bürger-Fahnen aufziehen. . . . . Von Heinrich hatten wir lange keine Nachricht und wir waren schon sehr besorgt. Vor acht Tagen erhielten wir endlich einen Brief vom 8ten Jan. aus der Gegend von Glückstadt. Nach abgeschlossenem Frieden mit Dänemark meint er, würde es mit seinem Korps wohl am Rhein gehen. Wahrscheinlich ist er itzt also dahin unterwegs. . . .

Ich lege Ihnen ein kleines gedrucktes Blatt bei, wenn Sie es möglich machen könnten, dass es dort in irgend einem viel gelesenen Journal eingerückt werden könnte, damit man doch im Auslande bessere Begriffe von den Leistungen erhält, die Mecklenburg hat thun müssen. Wir sind zu sehr bei einem großen Feldherrn in den bösen Ruf, dass wir zu wenig geleistet haben, und daher der noch immer fortdauernde Druck, der uns zuletzt alle ohne Unterschied zum Bankrott bringt. Bisher wurden die Gehalte noch nach und nach zur Hälfte bezahlt, itzt kommen sie in Viertel- und Achtel-Tantiemen, länger als 9 Monate nach der Zahlzeit. Nicht lange wirds dauern, so hören sie ganz auf! - Könnten Sie dies Blatt, wenn es bei Ihnen irgendwo ein Unterkommen gefunden, auch nach Breslau zu gleichem Zweck befördern, so hätten Sie ein Verdienst um Mecklenburg“

Am Schlusse dieses Briefes berichtet L. K. von einer Viehpest in Mecklenburg, der schon über 1.200 Häupter zum Opfer gefallen waren.

Das nächste Schreiben von einiger Wichtigkeit für die Kriegsereignisse ist vom 26. Februar 1814 datiert. Es heißt darin:

„Von Heinrich wissen wir seit dem 8ten Jan. nichts; gar nichts! Auch weiß ich nicht, ob ein einziger unsrer Briefe zu ihm gelangt ist. Ein Theil des Korps ist, nach den Zeitungs-Nachrichten, nun wohl in Holland. Vermutlich ist er, wenn er noch lebt, auch dort. Es scheint überhaupt, dass es in Holland wohl schärfer her geht, als in Frankreich selbst. Wann wird endlich dem Menschen-Morden ein Ziel gesetzt werden? - So lange das Ungeheuer lebt, gewiss nie. Musste der gute Ludwig XVI. ein Opfer der Raserei werden, warum könnte denn diesem eingefleischten Teufel nicht der Prozess gemacht werden? - doch! wer kann es wissen, was im Rath der hohen Mächte alles schon beschlossen ist, und ob die Akten, die Moreau im heiligen Verwahrsam gegeben, nicht nachgerade Spruchreif sind. So glänzend auch die Fortschritte unsrer Verbündeten sind, so wird es doch gewiss noch einmal einen sehr harten Kampf kosten, ehe das große Tagewerk vollbracht sein wird.

Wir leben übrigens hier wie im tiefen Frieden. Nur die Escadron terrible unsrer reitenden Jäger, - diesen Namen haben sie sich in der Affaire bei Seestädt erworben, wo sie ohne Nutzen ins Kartätschenfeuer geschickt wurden und von 172 Mann 28 übrig blieben; die Schillschen Husaren und eine Schwedische Eskadron hatten vorher den Angriff vollführt - ist hier bei uns, um sich zu rekrutieren. Alles übrige, was von uns Militär heißt, ist schon fort gegen den Rhein, bis auf die Landwehr. - Mein Sohn, der hier auf der Nähe wohnt, den Sie vielleicht unter den Namen Christian kennen, kommt in diesen Tagen von Hannover und bringt die Bestätigung mit: dass keine Nation so vom deutschen Patrotismus enthusiasmirt wäre, als Preußen und Mecklenburger. In Hannover und ganz Westpfalen soll das gemeine Volk seinen Unwillen oft laut äußern. Sollte man glauben, dass das möglich wäre!! –

Was wird Wilhelm 1) uns alles erzählen können, wenn die Vorsehung ihn ferner erhält! Gewiss ein seltenes Glück; Gefährte aller der mörderischen Schlachten gewesen zu sein, ohne eine Wunde! - Mein Georg schreibt mir auch, dass das Bataillon Preußischen Landsturms, bei welchem er steht, itzt mobil gemacht wird. Welche Kraftanstrengungen! Wie lange werden wir, auch in der ruhigsten Ruhe vollauf zu thun haben, um alle die schmerzenden Nachwehen zu heilen.“

1) Bruder meiner Großmutter.

Das Kriegstheater ist nach dem Westen verlegt. Der Briefschreiber ergeht sich jetzt meist nur in kurzen Betrachtungen über die politischen Begebenheiten. Soweit diese Erörterungen von allgemeinem Interesse sind oder eine besondere Bedeutung für die mecklenburgischen Lande haben, will ich sie hier in der zeitlichen Aufeinanderfolge der Zuschriften wiedergeben.

NW., den 30sten März 1814.

. . . . . Von Heinrich haben wir noch überall keine Nachrichten; durch Berichte unsrer Jäger, die in Aeben stehen, erfahren wir, dass sein Korps vor Jülich steht. Wir hofften, nach den Zeitungsberichten und nach anderen Nachrichten, die man uns freigebig mitteilte, dass der Friede dem Abschluß nahe oder gar schon abgeschlossen sei, aber itzt lauten die Berichte wieder anders. In jeder Hinsicht ist der Kampf wohl schwerer, als wir es geglaubt haben. Der allerärgste und allerunüberwindlichste aller Feinde, der Hunger, soll mehr Elend machen als alle Feuerschlünde und Bajonette. Wenn dieser nur bezwungen wird und es bleibt Einigkeit unter den hohen Alliierten, so können wir doch hoffen, dass die Sachen nach Wunsch gehen werden, wenigstens, dass alles Blut nicht vergeblich geflossen sein wird. Aber vor einiger Zeit sprach man hier sehr rätselhaft von Österreich; wenigstens schrieb man Schwartzenberg die Schuld des Missgeschicks zu, das dem braven Blücher wiederfuhr. - Dass Blücher ein geborner Rostocker ist, darauf sind alle Rostocker itzt sehr stolz. - Unser Durchl. Erb-Prinz, der als Generalissimus der Mecklenburger Armee ausmarschierte, kehrt, - auf Anraten eines größeren Feldherrn, des Kronprinzen von Schweden, weil er der Armee nur lästig wäre, - wieder heim. Er mag nun mit seiner Landwehr, die er zur Geißel des Landes gemacht hat, das Soldatenspiel hier, wo kein Feind zu fürchten ist, fortsetzen. Das arme Hamburg leidet endlos und ist von seinen eigentümlichen Einwohnern schon fast entvölkert. Allenthalben gehen die armen Vertriebenen einher und suchen Brod und Obdach.

. . . . Haben Sie denn auch einen solchen desperaten Winter? Der behauptet dies Jahr das Feld eben so hartnäckig, wie die Franzosen! Bleibt die Witterung noch länger so, so siehts, wenigstens in unsren Gegenden, traurig für die Winterfelder aus . . . . .

NW., den 16sten Juni 1814.

. . . . . Meine Scheune, mein Pferdestall, Holzstall pp., kurz! alles was einem Stalle ähnlich sieht, ist gepfropft voll Pferde und im Hause ist noch ein Veterinär-Arzt mit Bedienten und 4 Artilleristen von der Brigade des berühmten Cardell. So ist seit 8 Tagen Rostock und die umliegende Gegend mit der rückkehrenden Schwedischen Armee angefüllt, die zum Theil hier, zum Theil in Stralsund eingeschifft werden soll. Wie lange dies dauern wird? - Das hängt von den Elementen ab! Indessen wir tragen dies geduldig und gern, weil es uns die frohe Aussicht zur endlichen baldigen Ruhe eröffnet.

. . . . Am 9ten dieses erhielten wir einen Brief von Heinrich aus Audenarde in Flandern, vom 16ten May . . . .

NW., den 14ten September 14.

. . . . Aber wie mag es wohl kommen, dass er (der Sohn Heinrich, der Lützower) seinen Abschied noch nicht hat? Allerlei Gerüchte, mit welchen man sich hier herum trägt, wollen uns fast bedenklich machen. Es heißt: es soll Niemand entlassen werden. Wenn dies wahr wäre, so könnte dies doch nicht auf etwas Gutes deuten; das wird Gott verhüten! - Unsre Freikorps sind alle entlassen.

Mit Norwegen ist auch alles so nicht, als es uns die Zeitungen erzählen. Die Schweden haben tüchtige Schlappen gekriegt, und haben notgedrungen um Waffenstillstand bitten müssen. Haben die Normänner nur vollauf zu essen, so stehen dort gewiss die Sachen für Schweden schlimm, es wäre dann dass England sie, die Normänner, aushungerte; - und das scheint fast nicht so ! –

Der Ratsherr empfiehlt sich Ihrer Gewogenheit und bittet demütig um Entschuldigung, dass er so selten schreibt. Er hat es, als diesjähriger Gerichts-Präsident täglich mit Abhörung von Mördern und Dieben und Tollen zu thun. Unter letzteren befindet sich ein König der Juden und ein Emissär Napoleons. . . .

NW., den 2ten November 1814.

. . . . . Das Neuste von politischen Dingen, womit man uns hier unterhält, ist die Sage: dass Mecklenburg an Preußen oder an Hannover kommt. Tragen Sie nur alles dazu bei, dass das erste geschieht, damit wir doch Landsleute werden. Auch möchte ich dies kleine Ländchen, das, ohngeachtet es so sehr heimgesucht ist, doch noch viele unbenutzte Hilfsquellen hat, Ihrem großen Könige, der hier allgemein eben so, wie von seinen eigenen Untertanen, verehrt wird, doch am liebsten gönnen. . . . .


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus den Kriegsjahren 1812 - 1815