26. Februar bis 30. Dezember 1815

NW., den 26sten Februar 1815.

. . . Aus den großen Adquisitionen, die Preußen für alle seine Anstrengungen macht, wissen wir uns hier nicht so recht zu finden. Uns dünkt es so, als ob sie den Aufopferungen nicht gleich kommen, die Preußen gemacht hat. Indess auch dies zeugt von dem edlen Charakter Ihres Königes, der lieber Aufopferungen machen, als dem allgemeinen Weltfrieden und der Ruhe der Völker Hindernisse in den Weg legen wollte. Dass Sie, liebe Julie! hier in Rostock Urteile gehört haben, die nicht mit den Wünschen des eigentlichen Kerns der Nation übereinstimmen, das glaube ich gern. Nach dem engherzigen Rostockschen Krämer-Geist müssen Sie Mecklenburgs Einwohner nicht beurtheilen. Der bessere Teil wünscht noch in diesem Augenblick eine solche Wendung, dass Mecklenburg mit Pommern Preußen zufallen möge. . . .

NW., den 18ten März 1815.


. . . Aber wie sieht es am politischen Horizont noch immer so wunderbar aus! Der König von Sachsen verzichtet auf sein Königreich zu Gunsten seines Nachfolgers; wer ist der? - Napoleon schleicht sich mit 1.200 Garden und 3 Kanonen - erstere hat das Gerücht hier schon zu 40.000 Mann vermehrt! - von Elba weg und fängt den Spektakel von neuem wieder an. Was wird daraus? Was hofft? was fürchtet man? bei Ihnen. . .

NW., den 8ten April 1815.

. . . Aber wenden wir uns nun aus dem engen Kreise unsrer häuslichen Umgebungen und versetzen uns auf den Schauplatz der großen Welt, welche plötzliche und schreckliche Veränderungen in diesem einzigen Jahre! Damals versprach eine schönere Morgenröte wieder auflebendes Heil für die Menschheit; - itzt türmen sich aufs neue schwere Gewitterwolken am Horizont herauf, furchtbarer und drohender wie je, und - wenn die Vorsehung nicht auch dies mal mächtig über uns waltet, - schrecklicher in ihren Folgen. Hier ist allgemeines Missvergnügen, da die, von manchen befürchteten Ahndungen nur zu schnell zur Wirklichkeit geworden: dass alles vergossene Menschen-Blut, alle die bis zur Erschöpfung, gezwungen und freiwillig erpressten Anstrengungen zu gar nichts geführt haben. Man muss es freilich der Weisheit der höhern Mächte überlassen, dass sie solche Entschlüsse, die auf das Beste der Völker berechnet sind, fassen werden. Aber sollten sie gemissleitet werden, sollten sie nicht auf die Volks-Stimme, die Gottes Stimme ist, achten, so möchte des Schrecklichen nicht Ziel noch Maß sein, was daraus erfolgen könnte und alle unsere ausgestandenen Leiden wären vielleicht nur ein Vorspiel unendlich schrecklicher Gräuel-Szenen. Man mag die Lage der Dinge betrachten wie man will, so giebt sie uns eine schauderhafte Aussicht für die Zukunft. Soll der Welterstürmer vernichtet werden? welche Kräfte werden aufgeboten werden müssen! und wo sind die, da wir fast schon bis zur Ermattung erschöpft sind? - Will man ihm durch einen noch unglücklicheren Frieden seine Existenz wieder zugestehen, - wer sichert uns gegen die unendlich schrecklicheren Gräuel innerer Empörung!

Bei uns ist in so fern noch alles ruhig, bis auf die Stellung des gesetzmäßigen Kontingents. Ein Frei-Korps soll, wie es heißt, nicht wieder errichtet werden, - weil wir kein Geld haben! Die erste Kontribution, die augenblicklich und gleich bar bezahlt werden soll, ist schon ausgeschrieben, und bald werden mehrere folgen. Die Dienstgehalte stocken ganz.

. . . Es war uns sehr merkwürdig, dass der liebe Vater Rosenstiel eine Wanderung nach Wien machen müssen. Sollte es in diplomatischen Angelegenheiten sein, so erfahren wir ja wohl, wenn es mitteilbar ist, auch unseren Anteil von Ihrer Liebe. Beträfe sein Ruf andre Gegenstände, - so müsste uns das auch schon in der Hinsicht erfreulich sein, dass dies ein Beweis der fortdauernden freundschaftliches Verhältnisse zwischen Österreich und Preußen wäre, das man uns hier mit der grässlichen Nachricht trüben will, als wenn ersteres sich wieder zu Napoleon hin neigte. Die englischen Zeitungen sollen dies sagen; diese Schande für Deutschland ist doch wohl nicht gedenkbar?! - Gottes Güte mache dies empörende Gerücht zur Lüge, und sein guter Engel leite den lieben Vater Rosenstiel, damit auch diese herrliche Reise eine Veranlassung zur Stärkung seiner Gesundheit sein möge. . .

NW., den 3ten Mai 1815.

. . . In Hinsicht der politischen Ereignisse leben wir hier in großen Erwartungen und - Hoffnungen! ein Vorgeläute haben ja die Zeitungen schon angestimmt. Die Großherzog-Würde soll unsern Glanz erhöhen. Übrigens rüsten wir uns gewaltig, nur freilich, nach unserer angeborenen Art recht mit Gemächlichkeit, das heißt: dass wir uns völlig Zeit lassen. Es sollen schon ganz ansehnliche Nasen aus Wien an uns gelangt sein, die so viel bewürkt haben, dass am 1sten Juni der Ausmarsch unsrer Armee, 48.000 Mann stark, unsern Erb-Prinzen an der Spitze, zu ihrer Bestimmung abmarschieren wird. - Freilich ist dies kleine Häuflein nur wie ein Tropfen im Weltmeer, wenn man es mit den furchtbaren Anstrengungen Ihres Königes und der übrigen Mächte vergleicht. Welche schreckliche Opfer werden und müssen fallen! Aber wer vermag den Plan der ewigen Weltregierung zu meistern? wer darf es sich unterwinden zu sagen: warum musste einem einzigen bösen Menschen die Macht gegeben werden, dass er die ganze Welt verwirren, tausende zur Schlachtbank führen und die Ruhe und Zufriedenheit so vieler schuldlos leidenden Familien unwiederbringlich stürzen kann? Es muss, - oder es giebt keine Vorsehung! - es muss aus diesem uns scheinbarem Gewirre eine Ordnung hervorgehen, zum Heil und Segen für die spätsten Nachkommen. Dass grade wir diese Unglücksperiode tragen müssen, auch das muss in den Plan gehören, der schon von alle Ewigkeit für uns, für jedes Individuum unter uns, bereitet war. Wie wollte da der Staub wahnwitzig mit dem Schöpfer rechten! –

NW., den 28sten Juni 1815.

. . . . Am letzten Sonntage kam hier, mit der Hamburger Börsenhalle die Nachricht von dem glorreichen Siege, den Wellington und Blücher erfochten haben. Alles war voll Jubel, und vielleicht nur wenige dachten in diesem exaltierten Augenblick der Ströme des Bluts und des teuren Preises, mit welchem diese Siege erkauft werden. Wenn es endlich einmal zur Ruhe und zum Heil der Völker gereichen möchte, so wäre freilich diese nicht zu teuer erkauft; dies wäre dann die Saat einer fröhlichen Ernte für die Nachkommen. . . . .

NW., den 8ten Juli 1815.

. . . . Die großen Weltbegebenheiten scheinen sich doch nun zum Heil der Menschheit günstig zu entwickeln und wir müssen es von der Barmherzigkeit des erhabenen Welten-Regierers hoffen, dass auch diese abermaligen Ströme von Menschenblut nicht vergeblich werden vergossen sein. Gestern kam hier eine Stafette von unserm Groß-Herzog aus Doberan, der die Nachricht bestätigen sollte, dass das Untier wirklich eingefangen und an Blücher ausgeliefert worden. Gott gebe, dass dies Gerücht, das die Zeitungen uns schon hundertmal aufgetischt haben, endlich sich bestätigen möge. Unser großes Armee-Korps hat nun auch seinen Marsch bereits bis nach Lentzen zurück gelegt, wo es heute eintrifft. –

Und zum Schluss ein Schreiben vom 30. Dezember 1815,

in dem L. K. die Errichtung eines Denkmals für den Helden Blücher in seiner Geburtsstätte Rostock ankündigt. „Ihren braven Marschall Vorwärts“, sagt Lorenz Karsten, „müssen Sie ja noch nicht von der irdischen Schaubühne abtreten lassen. Er muss noch den frohen Tag erleben, dass das in seiner Vaterstadt ihm errichtete Denkmal in seiner Gegenwart eingeweiht wird. Wie ernstlich wir Mecklenburger es damit meinen, davon wird Ihnen die Anlage die Überzeugung geben. Wollen Sie sie durch Ihre Zeitungen weiter verbreiten lassen, so würde uns Mecklenburgern dadurch ein großes Kompliment gemacht. Dem alten biederen Kriegsheld würden doch die Gesinnungen seiner Landesleute nicht unwillkommen sein.“

Bezüglich der Dauerhaftigkeit des geschlossenen Friedens hegt das so oft getäuschte Herz des lebendig fühlenden und denkenden Briefschreibers Zweifel. Er fragt: „Was haben Sie dort für Ahndungen in Hinsicht des neuen Friedens?“ und fährt dann fort: „Hier ist man so wenig davon erbaut, dass Frankreich nicht noch mehr die Flügel beschnitten sind, dass man mit apodiktischer Gewissheit eine dritte Promenade der Alliierten nach Frankreich prophezeien will. In dieser sicheren Erwartung ist von unsrer, nun wieder in ihrer Heimat eingetroffenen Landwehr kein Mann entlassen. Es heißt: sie soll bloß beurlaubt werden, damit auf den ersten Wink gleich alles in Bereitschaft ist.“

Aber es blieb beim Frieden und Lorenz Karsten hat ihn noch über 13 Jahre (er starb am 28. Februar 1829) genießen können.

So liegt die ganze schwere, aber auch große Zeit in Briefen - freilich nur in Abrissen - vor uns. In den Schreiben spiegelt sich all das Fühlen, Denken und Hoffen der damals so schwer bedrückten Menschheit wieder. Interessant dürfte es insbesondere auch sein, wie sehr sich der groß veranlagte Geist des Professors Karsten aus den kleineren Verhältnissen des Mecklenburger Staatswesens in dieser Zeit von Deutschlands Tiefstand nach einem Anschluss an Preußen sehnte. Wir blicken mit Trauer auf die Tage zurück, in denen unsre Altvorderen so tief gebangt, so viel gelitten und gezagt haben, aber auch mit Stolz, denn die Zeit der Bedrückung und Zerrissenheit vor hundert Jahren war die große Lehrmeisterin, die uns für alle Zeiten ein unschätzbares Vermächtnis hinterlassen hat:

In unitate robur!


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus den Kriegsjahren 1812 - 1815