15. Januar bis 19. Dezember 1812

Am 15. Januar 1812 ist die Auffassung über die politischen Dinge schon anders geworden. Ein Brief von diesem Tage lässt sich, wie folgt, aus:

„ . . . Wir fürchten hier alles, besonders seitdem unser General Friant 1) bei unserem Herzoge um ein Observations-Kommando an der preußischen Grentze nachgesucht hat: „weil es dort so unruhig zu werden schiene, und er nicht gerne wünschte, dass man glauben möchte, diese Vorsichtsmaßregel rühre von ihm her.“ Es sind also sogleich ganz verschiedene Kommandos Mecklenburger Truppen detaschiert. Im Grunde kann es uns alles einerlei sein, denn die Lage, in der wir itzt sind, ist nicht besser, als wären wir mitten im Kriege! -“


1) Friant, Louis, Graf, franz. General, der sich 1812 an der Spitze einer Division bei Smolensk und in der Schlacht an der Moskova hervortat.

Und bald darauf, am 29. Januar 1812, schreibt L. K.:

„Mit Angst und großer Erwartung beten wir itzt:

„Der hohe Himmel röthet sich,
Ein Wetter Gottes dräut.“


Dass die Wolke nicht sich verteilen wird, das ist wohl gewiss; aber ob sie sich weiter verbreiten wird, als itzt ihre Direktion zu sein scheint? Wer kann das wissen? Bald werden Sie dort (Berlin) wohl mehr erfahren. Gottes barmherzige Güte leite alles zum Besten und nehme Sie und uns alle in seinen väterlichen Schutz. . . .“

Weiter heißt es in einem Briefe aus dem Februar 1812:

„In diesem Augenblick, da ich dies schreibe (den 8. Februar Abends um 8), erwarten wir mit Sehnsucht die Ankunft des großen Prinzen Eckmühl, 1) alle unsre noch hier befindliche Truppen sind, mit Einschluss unsrer siegreichen Mecklenburger, auf einen Fleck konzentriert, und alles gespannt, wie sich dies große Problem auflösen wird. Gott leite alles zum Besten!“

Im Mai und Juni 1812 ist es wieder ruhiger im Mecklenburgischen geworden. Der Briefschreiber lässt sich unter dem 6. Mai dahin verlauten:

„In politischer Rücksicht leben wir itzt in tiefer Ruhe und wir würden itzt uns glücklich nennen können, da selbst die permanenten Einquartierungen leidlich und sehr erträglich sind, wenn nur nicht die fortdauernden Kontributionen und Abgaben so manchen mutlos, manchen ganz arm machten; denn es ist dies nichts Temporäres, sondern es ist abzusehen, dass sie, bei jeder, selbst bei einer nicht zu hoffenden, Wendung unsers Schicksals, nicht nur nicht aufhören, sondern wohl gar immer mehr anwachsen werden“,

und unter dem 25. Juni schreibt er:

„Wir leben übrigens hier in tiefer Ruhe, lassen uns das, was unsre entfernteren Brüder leiden, - und was vielleicht auch schrecklich noch über uns kommen kann, - nicht anfechten. Seufzet freilich der größere Haufe unter erdrückenden Lasten, so genießt dafür der kleinere glücklichere Theil die Freuden des Lebens, - wenn sie auch gleich durch Begünstigung der Zeitumstände nicht grade durch moralisch gute Hilfsmittel geschafft werden, - desto reichlicher. Unser froh gelaunter Landesherr geht nachahmungswürdig mit gutem Beispiele vor, wie man die Trübsale und Kümmernisse verscheuchen muss. Er hat sich zu seiner bevorstehenden Sommerfreude in Doberan 50.000 Thaler erbeten, die auch wohl geschafft werden müssen. Es ist doch eine schöne Sache, souveräner Herr zu sein! - Übrigens stehen die Getreidepreise hier schlecht; der Landmann wird fortwährend auf alle Art gepeinigt, und die Hoffnung zu unsrer Ernte ist wieder sehr mittelmäßig. Der gute Hausvater dort oben, der nun so viele Jahrtausende gewirtschaftet hat, wird wissen, wie lange dies alles der Menschheit nützlich und gedeihlich ist!“

1) Marschall Davout, der von Napoleon zum Fürsten von Eckmühl ernannt wurde.

Unter dem 9. September 1812 findet sich in einem Briefe folgende Stelle:

„Es erschallt uns ja hier so ganz plötzlich und auf einmal eine Stimme des Friedens. Ein französischer Oberster soll an seine hiesige Gemahlin geschrieben haben, der Friede mit Russland sei abgeschlossen. Das werden Sie ja dort besser wissen, als wir. Übrigens sind gestern die Avant-Garden von einem Armee-Korps von 10, nach anderen 15.000 Mann, in Güstrow eingerückt, wo das Hauptquartier des Marschalls Augereau ist. Es heißt aber, dies Korps soll nur 14 Tage hier weilen, sich hier satt essen, und dann weiter. Keine Deutungen auf Frieden!“

Nachdem L. K. am 8. Oktober Nachstehendes vermerkt hat:

„Sie sind wenigstens doch darum glücklich, dass es bei Ihnen nicht kriegerische Auftritte, nicht Durchmärsche, nicht Einquartierungen giebt. Sie sind also wenigstens in der Hinsicht ruhig. Die Siegesfeste werden übrigens dort ja wohl eben so feierlich begangen, als hier! Sind gleich diese Erquickungen für uns nicht so recht genießbar, so muss unser Magen sich auch hieran schon gewöhnen. - Heute kommt hier die Bestätigung eines Gerüchts, das man bisher nicht glauben wollte. Nach einem 36stündigen Bombardement hat Kopenhagen sich der alliierten schwedischen, englischen und russischen Armee ergeben. Was weiter folgen wird, müssen wir abwarten! Unsre Garnison mit aller Artillerie marschiert ab; wir sind uns wieder ganz selbst überlassen. Am 1ten Oktober ist ein Konvoi von mehreren 100 Schiffen bei Kopenhagen signalisiert. Ob sie Kaffe und Zucker oder neue Landungstruppen geladen, das wird sich bald zeigen“ -, schließt er den Briefwechsel des Jahres 1812 in einem

Schreiben vom 19. Dezember mit der Frage ab:

„Wird dies kommende Jahr uns endlich den ersehnten Frieden bringen?“.

Die ersten Briefe aus dem Jahre 1813, die sich mit den kriegerischen Ereignissen beschäftigen, stammen aus dem Februar und beziehen sich offenbar auf den Anschluss des Sohnes Heinrich (s. oben) an das Lützow'sche Freikorps. Es spricht aus ihnen viel väterliche Sorge und Liebe, tiefer Groll gegen den Bedrücker und Opferfreudigkeit, falls es gelte, der guten Sache zu helfen. Dem Anfange des zweiten Briefes könnte man entnehmen, dass die groß veranlagte Frauennatur meiner Altvorderin den damals schon fast 62jährigen zur Begeisterung für die gemeinsame Sache angefacht hat.

In dem ersten Schreiben heißt es:

„Was sagt denn Heinrich zu dem allen? er ließ mal in einem Briefe entfernt einen Brocken fallen, seitdem haben wir nichts weiter gehört. Junge Leute sind freilich bald enthusiasmirt; hier kommts nur darauf an, ob die Sache wirklich Sache der Menschheit ist. Ein Ritterzug ad modum Oels (Herzog von Braunschweig-Oels), Schill etc., das wäre freilich Torheit; gilts aber Zerbrechung der Tyrannenfesseln, Freiheit der lebenden und kommenden Generation, Befreiung von Blutigeln, die uns das Mark aus den Gebeinen zehren, Erlösung vom schimpflichen Sklavenjoche, unter welchem wir verkauft sind, um unsre Söhne, die wir mit Kummer und Tränen groß gezogen, dem Würger hinzugeben, um mit ihrem Blute seine Herrschsucht zu mästen und mit ihren Leichnamen Raubtiere zu füttern, - stände die Sache so, nun! so wird er ja als vernünftiger und nicht ganz ungebildeter Mensch den Rath vernünftigerer Menschen, als er ist, aufsuchen, ihn gewiss finden und dann als vernünftiger Mensch mit Besonnenheit entscheiden! -“

Die zweite Zuschrift aber lautet:

„Unter so manchen widerstrebenden Gefühlen schreibe ich noch diese Zeilen hinzu, meine teuerste, herzliche Julie! die Ihnen die Feder nicht darlegen kann. Aus Ihrem letzten Briefe kenne ich Sie erst ganz in Ihrer edlen, erhabenen Größe. Sie schreiben als Mutter. Was eine Mutter thun kann, die ihr Kind unter ihrem Herzen getragen, die es mit Schmerzen und Todesgefahr zum Dasein geholfen, das sollte dem Vater doch noch weniger schwer werden. Auch war mein Entschluss im ersten Augenblick bestimmt. Nur um einen entusiasmierten Jüngling nicht zu sehr zu exaltieren, musste ich einige Bedenklichkeiten äußern. Gilt es, Vaterland und Zertrümmerung der Sklavenketten, so würde ich, wenn es sein müsste, mich selbst nicht zurückziehen. Ich kenne meine Söhne und sie denken alle so. So musste es kommen, wenn Rettung gedenkbar war, dies habe ich längst gepredigt.

Ohne Schmerz kann eine solche Trennung nicht sein; aber der Gedanke muss beruhigen: es gilt für eine gute Sache. Wer weiß, was wir hier für Auftritte erleben können, die vielleicht entgegengesetzter Art sind, und dann müsste ich mich glücklich preisen, dass die Vorsehung es so gefügt. - Wird Ihr dortiger Enthusiasmus nur allgemein, so ist das Spiel bald aus. Aber, wehe uns! wenn die übrigen Großen in ihrem Sklavensinn, in ihrer trägen Indolenz fortfahren, Gut und Blut ihrer Völker zu erpressen, um mit einem Theil den Sieger zu besänftigen, damit sie den andern Theil desto sorgloser verprassen können. Die Völker selbst müssen ihre Fürsten witzigen . . . . Also hier sehen Sie in meinen Entschluss. Die Mutter muss sich wohl ergeben, sie wird itzt schon vorbereitet. Gern hätte ich es gesehen, wenn mein Schwager Engel die Paar Meilen weiter zu mir gereiset wäre. Der hätte durch Darlegung aller Details viel auf das Mutterherz wirken können. - Heute erwarte ich unseren Wilhelm. Nach seiner sonstigen Gesinnung glaube ich schon seinen Entschluss bestimmen zu können. - Einen Sohn hat Gott mir nun erst vom Rande des Grabes zurückgerissen und wiedergegeben. War diese Erhaltung vielleicht Ersatz für den, der nun der Todesgefahr entgegen geht? - So sei auch dafür sein Name gepriesen! Liebe, teure Julie! geben Sie dem guten, biederen Jungen den letzten Segenskuss, so, als geben Sie ihn im Namen der Mutter. Er betritt eine gefährliche Bahn, auch in sittlicher Rücksicht. Ihr, Ihrer lieben Eltern und aller Geschwister Segen wird das bleibend und dauernd machen, was Vatersegen und Muttertränen in seinem Herzen Gutes zu erwecken suchten. Komme es nun, wie es wolle, wir müssen auf alles gefaßt sein.
Wie ungern reiße ich mich von Ihnen los! aber die Zeit ist dahin. Ist denn nun an Ihre Reise nicht zu denken? oder war dies nur ein schöner Traum? Es ist nicht Affektation, wenn ich Ihnen die Versicherung gebe: meine Frau freute sich unaussprechlich . . . . Ihr nächster Brief wird uns Aufschluss geben. Schreiben Sie nur grade zu; dann muss Heinrichs Angelegenheit kein Geheimnis mehr sein. Leben Sie wohl, liebe, mir so innigst teure Julie! Mit der reinsten Vaterliebe drücke ich Sie, meine Tochter! meine liebe Tochter! an dies klopfende Vaterherz. So entlassen Sie auch meinen Heinrich als Bruder, der sich Ihrer Schwesterliebe nicht unwert gemacht hat; dieser Abschiedskuss wird das Andenken an alle die herrlichen Menschen versiegeln, die ihm Muster der Nachahmung waren; nie wird er diese Umgebungen vergessen und die leiseste Zurückerinnerung wird ihm Festigkeit geben, wenn im Taumel ihm bisher ganz fremder Umgebungen, die seiner itzt warten, seine guten Grundsätze wanken wollen. Gottes guter, schützender Engel walte über Sie und über uns alle; Amen!“

Man merkt es diesen Zeilen an, wie hoch das Vaterherz ging, das ein geliebtes Kind einer großen Gefahr entgegen ziehen sah.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus den Kriegsjahren 1812 - 1815