1. September bis 14. Dezember 1813

Den 1sten September 1813.

Ich habe es versucht, herzensliebe Julie! Ihnen in der Anlage einige Nachricht von den Bedrängnissen mitzuteilen, in welchen wir die vorige Woche hindurch hier gelebt haben. Die Unruhen waren zu groß, als dass ich etwas Zusammenhängendes zu Papier bringen könnte. Jeden Augenblick kamen Rüstungen und vom Morgen bis zum Abend war es so voll bei mir, wie im Jahrmarkt, denn ich hatte alles aus der ersten Hand. Seit gestern nur wird es etwas ruhiger, da Freunde und Feinde nun schon 9 Meilen von uns entfernt sind. Nehmen Sie daher mit diesem Geschreibsel vorlieb. Wenigstens enthält es sichere Nachrichten und ich habe bei der Gelegenheit es wohl gelernt, wie schwer es hält, sichere Nachrichten zu erhalten. Da wir doch dem Schauplatz so nahe waren und doch so oft durch widersprechende Berichte irre geführt sind, wie kann man denn aus der Ferne authentische Nachrichten erhalten. Haben Sie nun eine Karte von Mecklenburg zur Hand, so werden Sie die Positionen, wie die Korps in diesem Augenblick stehen, leicht übersehen. Aber wahrscheinlich ists morgen schon anders, da es zu erwarten ist, dass der einarmigte la Grange sich vielleicht noch heute mit Eckmühl, der bei Mecklenburg - 2 Meilen von Wismar - stehen soll, vereinigen und dann, wie zu vermuten ist, seinen Marsch über Grevismühlen nach Lübeck hinauf ziehen wird, wenn nämlich unsre Alliierten zu schwach sind, ihn daran zu hindern. Dass der Feind uns an Zahl überlegen ist, das ist gewiss. Aber wie stark er ist, hab ich nicht erfahren können und es weiß es hier auch Niemand. Diese Rückbewegung und das ängstliche Vermeiden einer Schlacht, so oft sie auch von Vegesack angeboten ist, scheint übrigens die glorreichen Nachrichten zu bestätigen, die wir hier von großen Siegen des Kronprinzen hören, wovon uns aber die Zeitungen noch nichts gesagt haben. Desto sehnlicher erwarten wir sie.


So wäre denn der neue Herzog von Mecklenburg für diesmal schimpflich zurückgejagt; denn man behauptet hier, dass Eckmühl sich in Schwerin feierlich zum Herzog von Mecklenburg proklamieren lassen. Nachstehendes von ihm ist authentisch (vgl. Jahrb. 65, 300):

Er hat den Herzog samt seiner Regierung zur Rückkehr und demütigen Unterwerfung unter Napoleons Scepter eingeladen, mit der Drohung, im Weigerungsfalle würde er einem Husaren das Regiment übergeben, der so regieren sollte, dass die Nachkommen nach hundert Jahren noch davon erzählen sollten. . . . . . . Den 25sten ist Heinrich ein Paar Stunden in Malchow, gewesen. Sein Korps stand in Plau. Wo itzt? weiß Gott! -“

Nachdem die aufregenden Tage für Rostocks Bewohner verronnen sind, schreibt L. K. am 15. September 1813:

„Empfangen Sie, liebe, vortreffliche Julie! unser aller herzlichsten Dank für die interessanten Nachrichten, die Sie uns mitgeteilt haben, zugleich auch insonderheit für die Beruhigung, die Sie mir dadurch verschafft haben, dass ich nun meinen Brief, der mich so besorgt machte, doch in Ihren Händen weiß. Die vielen höchst erfreulichen Sieges-Nachrichten scheinen sich doch auch bei uns immer mehr zu bestätigen, aber leider! auch die unglückliche Nachricht von dem Tode des edlen Moreau. 1) Es muss doch wohl nur ein seltener Fall sein, dass Wunden der Art wieder geheilt werden können, denn mehrere von unsern schwedischen Kanoniers, die zum Theil nur einen, zum Theil beide Beine verloren hatten, sind alle nach Verlauf von einigen Tagen gestorben. Einem unserer Mecklenburger Jäger hatte eine matte 3pfündige Kugel in der Lende getroffen, wo sie fest saß. Sie ward glücklich herausgeschnitten, aber am 5ten Tage erfolgte der Tod. Itzt sind wir, in Hinsicht eigentlich kriegerischer Auftritte Gottlob! hier ruhig; die verschiedenen Korps haben noch immer ihre genommenen Positionen, außer dass die Dänen sich der schändlichen Mordbrennung schuldig gemacht, das Städtchen Schöneberg bei Lübeck um nichts und wieder nichts anzuzünden, welches sie auch dem armen Lübeck gedroht haben, wenn sie von den Bundes-Truppen daraus vertrieben werden sollten. - Unser Land-Sturm ist in zwei großen Heer-Haufen, der eine nach Schwerin, der andre nach Wismar abgegangen. Gott verhüte! dass Eckmühl nicht siegreich wieder zu uns zurück kehrt. So human und schonend er bei seiner letzten Anwesenheit in Schwerin war, so gewiss müßten wir fürchten, dass er seine Drohung: falls er bewaffnete Landwehr vorfinden würde, alles dem Erdboden gleich zu machen, in Erfüllung bringen würde. Dieses gewaltsame Zusammentreiben der Landwehr, - da alles, von 18 bis 30 Jahren fort muss, - versetzt das Land in große Not. Es fehlt aller Orten so sehr an Menschen, dass in einigen Gegenden der Rest der Ernte noch draußen ist und man kaum absehen kann, wie die Saat beschickt werden soll. - Doch, bei dieser Gelegenheit eine Bitte, liebe Julie! aus meinem letzten Briefe hatte sich wohl etwas in die dortige Zeitung verirrt. Dies hat hier eine so große Sensation gemacht, dass nach Berlin geschrieben werden soll, um sich nach dem Berichterstatter zu erkundigen. Verhüten Sie es daher in der Folge, dass so etwas nicht publici juris wird, sondern bloß im Kreise unsrer Freunde bleibt. Man ist hier bei Verbreitung solcher Nachrichten gewaltig furchtsam. -

1) Der französische General Jean Victor Moreau (geb. 11. Aug. 1761 zu Morlaix) wurde während der Schlacht bei Dresden (27. August 1813) schwer verwundet. Eine Kanonenkugel zerschmetterte ihm beide Beine. Er starb an den Folgen der notwendig gewordenen Amputation am 2. September 1813 in Laun (Böhmen).

. . . . Heinrich stand vor 8 Tagen bei Lübtheen; - 4 Meilen von Schwerin; Poststation von dort nach Berlin. Weiter haben wir von ihm nichts, in Schwerin ist er nicht gewesen.

Unser Landesherr, unsre Regierung und Kabinet, haben sich vor der Hand bei uns häuslich niedergelassen - um, im Fall der Not, wo Gott für sei, näher an der Grenze zu sein.

Vegesacks herrliche Proklamation finde ich in den Berliner Zeitungen nicht; vielleicht hat Sie Interesse für Sie.“

Die Proklamation, wie sie der eingelegte Zeitungsausschnitt wiedergibt, hat folgenden Wortlaut:

Nachstehendes Schreiben des Königl. Schwedischen General Lieutenants, Baron von Vegesack an den kommandierenden General in Lübeck wird auf Verlangen bekannt gemacht:

Herr General!

Es sind nach den, von dem kommandierenden Offizier meiner Vorposten mir gemachten Rapporten, von den vereintgewesenen Französischen und Dänischen Truppen bei ihrem Rückzuge durch die Stadt Schönberg am 4ten dieses Monats in dieser Stadt 20 Wohnhäuser angesteckt und durch deren Verbrennung gegen 50 Familien unglücklich gemacht worden.

Die französischen Kriegsvölker haben sich bisher dergleichen Handlungen gegen friedliche Einwohner nicht erlaubt; man muss daher vermuten, dass diese Szene von einem Militär verübt worden, welches mit den unter zivilisierten Völkern allgemein eingeführten Kriegsgebräuchen noch nicht ganz erfahren gewesen ist.

Sind die Königl. Dänischen Truppen gewilligt, einen Krieg, der von den verbündeten Europäischen Nationen gegen den Kayser der Franzosen, nicht, um zu verheeren, sondern für das höchste Interesse der Menschheit, die Freiheit und Unabhängigkeit unternommen ist, auf eine barbarische Art zu führen, um das Eigenthum schuldloser Einwohner den Flammen Preis zu geben, so wird es nur eines Befehls des Generalissimus der combinirten Norddeutschen Armeen, meines gnädigsten Herrn Sr. Königlichen Hoheit des Kronprinzen von Schweden bedürfen, um völlige Repressalien eintreten zu lassen.

Ich erwarte daher von Ihnen mein Herr General darüber eine bestimmte Anzeige: aus welcher Ursache, - auf wessen Befehl - und durch welche Truppen jenes Opfer in Schönberg gebracht worden, ein Opfer das zur Deckung eines nicht abgeschnitten gewesenen Rückzuges, durchaus nicht erforderlich sein konnte, um darnach meine weiteren Maßregeln zu nehmen.

Mein Hauptquartier Wismar, den 8. Sept. 1813.
von Vegesack.


Hören wir weiter den eifrigen Berichterstatter. Unter dem 25. September 1813 schreibt er:

„Diesmal wird Ihnen, teuerste Julie! unser Brief wohl eben so überraschend sein als uns die Erscheinung des schwarzen Heinrichs war. Die Veranlassung zu diesem unerwarteten Besuch wird er wohl selbst darlegen; - vielleicht mag er Ihnen in Berlin bald selbst Rapport abstatten. Ich kann zu allen seinen Entwürfen nichts sagen; er will der großen Angelegenheit sich so lange widmen, bis die Sache der Menschheit entschieden ist. Aber wie? und auf welchem Wege? Das ist die Aufgabe, die gelöset werden muss! –

Wir leben in unserm kleinen Winkel itzt sehr ruhig; haben in mehreren Wochen gar kein Militär mehr um uns gehabt, bis gestern, - damit wir doch mit allen Nationen bekannt werden - 600 National-Engländer sich von Stralsund her bei uns einfanden. Vortreffliche Leute und herrlich . . . . (Wort nicht zu lesen). Es heißt: es sollen noch mehr, auch Berg-Schotten nachkommen. Übrigens sind wir für einen neuen Besuch von unsern Feinden, wenn er auch nur kurz sein könnte, nicht sicher. Am 18ten oder 19ten ist das mehr als einmal stärkere feindliche Korps durch unsere Vorposten beim Schallsee gedrungen, hat sie zurückgeschlagen und wieder bis Wittenburg zurückgedrängt. In Schwerin ist wenigstens am letzten Sonntage alles voll Angst und Schrecken gewesen, indem man jeden Augenblick den Einmarsch der Franzosen und Dänen vermutet hat. Diesmal sind wir mit dem bloßen Schreck davon gekommen. Auch ist unsre Landwehr nunmehr in völlig aktiven Dienst; die wird schon alle Sorgen von uns abwenden.

. . . . . . Wir glaubten und hofften, es würde sich alles so bald wenden, aber - das Ende entfernt sich ja immer weiter und alles lässt sich zur traurigen, Menschen und Tiere tötenden Winter-Kampagne an.

Wie sieht es in Ihren Gegenden mit der diesjährigen Ernte aus? Unsre war gesegnet, aber an vielen Orten steht zur Stunde noch Getreide, das nicht gemäht ist, die Anspannung nahmen die Krieger und die Menschen die Landwehr weg. Mit der Saatbestellung sieht es eben so übel aus, da das fortwährende Regenwetter noch hinzu kommt. Wir müssen dem großen Hausvater, der schon Jahrtausende seine Wirtschaft ohne Tadel betrieben, allein vertrauen, der wird auch itzt, wenn es Zeit sein wird, unsre Not zu kehren wissen! -“

Eins der schönsten Schreiben ist das vom 13. Oktober. In ihm offenbart sich eine große, von erhabenen Gedanken erfüllte Seele, ein tief gläubiges Herz, das in jenen schweren Tagen als ein unschätzbares Gut erscheinen musste. Ich will es deshalb bis auf einige - lediglich persönliche Angelegenheiten betreffende Stellen - vollständig wiedergeben.

„NW (Neuenwerder), den 13ten Okt. 1813.

Wenn Sie, meine teuerste, so innigst geliebte Julie! das alles so sehen, - doch nicht bloß sehen, sondern alles so mitfühlen könnten, - was ich beständig um mich habe, so würde Ihr liebevolles Herz es mir gewiss nicht als eine Verschuldung anrechnen, dass ich so oft mit meinen Antworten in Ihrer Schuld bleibe. Ich habe freilich nur einen eng umgegrenzten Wirkungskreis, mit dem anscheinend eine sehr gemächliche Ruhe verbunden sein müsste, aber das ist wahrlich! nicht so. Das die immer fort dauernden Zeitereignisse, von welchen noch das Ende nicht abzusehen ist, einen großen Anteil daran haben, das ist sehr natürlich. Tragen Sie also mit, mit Ihrer gewohnten schonenden Nachsicht, das, was ich selbst so gern anders haben möchte.

Ihr letzter Brief hat mich besonders in solche Gefühle versetzt, denen ich keinen Namen zu geben weiß. Es ist eine Art Schwermut, die sich so gern zu höheren Ansichten empor heben möchte, die sich aber, gleichsam bestürmt durch die täglichen Begebenheiten dieses Erden-Lebens, die fast jedes lebende Individuum so gewaltsam ergreifen, mächtig herab gezogen fühlt. Es ist wirklich nicht so ganz wahr, dass wir in den Leiden anderer für unsre eigenen Widerwärtigkeiten Linderung finden. So lange wir bloß das Allgemeine im Gesicht behalten, kann es wahr sein; sehen wir aber auf die, mit welchen wir uns so eng verbunden wissen, so ists als ob das, was ihnen widerfährt, mit doppelter Kraft auf uns zurück wirkt. Wenigstens habe ich bei mir diese Erfahrung schon gar zu oft gemacht. Ich will daher diesen Theil Ihres Briefes nur leise berühren; ich möchte zu leicht in solche Erinnerungen hineinkommen, wodurch auch Ihnen zu wehmütige Empfindungen wieder erweckt würden. Nur einen Gedanken kann ich nicht unterdrücken, der mir itzt lebendiger wird, wie je. Alles was der Menschheit ohne ihr Zutun wiederfährt, ist ausdrückliche Anordnung einer höheren Vorsehung, die, es mag für Einzelne oder fürs Ganze so beugend oder so schrecklich sein, wie es will, doch immer Plan einer überschwenglich erhabenen Weisheit sein muss, die, sei es auf welche Art es wolle, gewiss zu etwas Gutem führen muss. Wenn die, die wir liebten, und die nach unsrer Überzeugung noch so nützlich, ja! für die Hinterbliebenen unentbehrlich waren, nach dem Laufe der Natur, wenn gleich für unsre Ansichten zu früh, uns von der Seite gerissen werden, so müssen wir schweigen und anbeten. Es ist Plan einer väterlich waltenden Vorsehung, es muss gut sein. Wenn fürchterliche Naturbegebenheiten ganze Länder verwüsten, so ist dies Plan des Welten-Regierers, es muss gut sein. Wenn aber diese herrliche, schöne Erde, die im kleinsten Wurm, im Grase, das wir mit Füßen treten, die Allmacht und die Liebe des erhabenen, alles, vom Menschen bis zum Infusionstierchen herab, erhaltenden und versorgenden Schöpfers ausspricht, wenn dieser hehre, heilige Tempel der Natur, den der Mensch zum paradiesischen Aufenthalt seiner Bewohner schaffen kann und soll, durch eben diesen Menschen, der das Bild der schaffenden, erhaltenden und all liebenden Gottheit trägt, in eine Mördergrube verwandelt wird, - da möchte doch fast der Glaube an eine Vorsehung wanken! –

Wir genießen freilich itzt hier in unserm kleinen Winkel einer vollkommenen Ruhe, aber nur wenige Meilen von uns, ist es nicht mehr so. Dort fließt Blut im Kleinen so wie es weiter hinauf in Strömen vergossen wird, und wir sind nicht sicher, ob wir nicht, wer weiß wie bald, wieder mitten drunter sind. Der überlegene Feind ist noch immer an unsrer Grenze und die unsrigen werden oft zurückgedrängt. Man schätzt Eckmühl auf 30.000 Mann, die unsrigen sind kaum 20.000. Kleine Neckereien fallen täglich vor, wo die unsrigen nicht eben Ursache haben zu triumphieren. Am 4ten ist ein allgemeiner Angriff auf Eckmühl beschlossen. Um seine Stärke zu erfahren, werden 500 von unsern Fußjägern zum Angriff der Avantgarde kommandiert. Diese Menschen stürzen sich, wie immer, wie Rasende ins Feuer, und im Nu sind 120 Mann teils niedergehauen, - 90 an der Zahl, - teils als schwer verwundete gefangen. Mit welcher Erbitterung diese Menschen kämpfen nur ein Beispiel von vielen. Diese 500 treiben in der ersten Wut 2.000 Dänen zurück, sind aber plötzlich in einem französischen Quarré. Einer dieser Jäger kämpft, da er nicht Pardon nehmen will, mit 4 Franzosen. Als er von Arbeit und Wunden ermattet, nichts mehr kann, stößt er sich seinen Säbel ins Herz. Was ließe sich mit solchen Leuten ausrichten, wenn sie zweckmäßig angeführt würden! - Diese Seite mag ich gar nicht berühren; dies möchte, im Kleinen so wohl als im Großen zu weit führen. - Genug! das Resultat dieser Geschichte ist die Entdeckung, dass Eckmühl, mit Einschluss des Holsteinschen Land-Sturms eine Armee von 100.000 Mann Dänen im Rücken hat. - Ich verzage dem ohngeachtet noch nicht für den guten Ausgang des Ganzen, aber ob Mecklenburg nicht darüber zur Einöde wird, und seine Einwohner, grade so wie im dreißigjährigen Kriege, wie Bettler auswandern müssen! - das steht noch dahin! - Die braven Husaren von Schill haben den Rest unsrer Jäger gerettet, sonst wäre kein Mann davon gekommen. - So, wie es mit unsern Jägern geht, so geht es auch mit den Lützowern, welches Carl Engel, der ebenfalls vor einigen Tagen bei uns anlangte, uns ausführlich referiert hat. Acht dieser gefangenen Jäger hat Eckmühl vor sich kommen lassen, ihnen große Lobeserhebungen gemacht und auf ihr Ehrenwort entlassen. Der eine davon ist Peters, der Bruder-Sohn eines meiner vormaligen Kollegen.

Unser Landsturm, etwa 8.000 Mann, ohne die Reserve, die stärker ist, steht, den Erb-Printzen an der Spitze, bei Wismar und Schwerin. Sie ist schon zum größten Theil militärisch armiert und wird täglich geübt. Auch mit diesen Menschen, besonders mit den Bauerknechten und vielen aus dem Mittelstande, würde man viel ausrichten können, wenn die Chefs darnach wären. Aber Lakaien, Schüler, Schuhflicker, wohl gar Jungens, sind zum Theil Compagnie-Chefs und gebildete Menschen stehen in Reihe und Glied. Obs bei den höheren Stabsoffizieren besser ist? - Davon schweige ich. Einige sind gewiss gut, aber viele!! –

Wir haben uns versündigt, wenn wir bisher über Druck und Leiden klagten. Itzt ist die Zeit der Leiden für uns. Ein großer Theil unsrer schönen Güter, von Rostock nach Wismar, die Schweriner Gegend, und so bis Lübeck hinauf ist kahl weggefressen, wie von Heuschrecken-Zügen. Bei Wismar und Schwerin herum stehen hie und da noch Reste von ungeerntetem Getreide, und man kann wohl sagen, dass im vierten Teil Mecklenburgs nicht zu rechter Zeit, und an manchen Orten gar nicht, die Wintersaat beschickt werden wird. Dabei täglich neue Lieferungen an Viktualien, Schlachtvieh, Fourage und Pferden. Kontributionen und Abgaben fast mit jedem Tage neue. Niemand erhält Zinsen und die Gehalte, die bisher doch noch teilweise bezahlt wurden, bleiben nun ganz aus. Dauert dies alles zusammen genommen nur noch ein volles Jahr so fort, so ist Meckl. eine Wüste! -“

Vom 22. Oktober 1813 datiert,

liegt mir ein Brief des Sohnes meiner Großmutter aus ihrer ersten Ehe mit dem am 24. März 1804 zu Breslau verstorbenen Ober-Bergmeister Pochhammer, Ernst Friedrich Pochhammer, vor. Dieser, geboren am 21. Juni 1802 zu Tarnowitz, war bei Lorenz Karsten in Neuenwerder als Pensionär untergebracht. In dem Briefe schreibt der Elfjährige an seine Mutter: „Von politischen Angelegenheiten weis ich Dir eben nichts zu schreiben als dass unserer Landsturm am Montag hier wieder eingetroffen ist. Von der Schlacht die am 18ten dieses Monats geliefert sein soll wirst Du wohl schon nähere Nachrichten haben als wir sie hier haben. Die Dänen sollen ja die Friedenserklärung gegen Schweden gemacht haben, welche auch angenommen sein soll und man sagt hier das die Dänen sich auch schon gegen Frankreich erklärt haben sollen und mit für die deutsche Freiheit fechten wollen.“

Dann enthält erst wieder ein Schreiben von L. K., das er am 1. Dezember 1813 zu Papier gebracht hat, für die weitere Entwickelung der Kriegsereignisse einiges Interessantes. Es heißt darin:

„Neuigkeiten weiß ich Ihnen von hier nicht mitzuteilen, als nur die, dass der langbärtige Schwarz-Heinrich bereits zu seinem Korps abgegangen ist. Bis Schwerin ist er wohlbehalten gekommen. Wo er itzt sein mag, weiß Gott!

Der Kron-Prinz soll mit 60.000 Mann im Anmarsch sein und bereits in Boitzenburg sein Hauptquartier haben. So viel ist gewiss, dass die von den Unsrigen bei Dömitz geschlagene Schiffsbrücke über die Elbe, in diesen Tagen nach Boitzenburg transportiert ist. Auch kam am 24sten ein Österreichischer Gesandter bei uns in Rostock, der sogleich am folgenden Tage, den 26sten, sich zu Warnemünde einschiffte, um nach Kopenhagen zu gehen, wo er, nach dem Urteil unsrer Schiffer, längst angekommen sein soll. - Übrigens haben die Dänen Lübeck besetzt, das von Franzosen verlassen war. Das arme Hamburg wird aber noch von beiderseits Peinigern schrecklich gequält.

Eine Seeschlacht, zwar en miniature, die aber doch den Biedersinn und die Bravheit unsrer Warnemünder stempelt, trug sich vor einigen Tagen auf unsrer Rhede zu. Einem dänischen Kaper, der ganz eiserne und, - um zu imponieren, - 10 hölzerne Kanonen führte, gelüstete es, aber mal wieder einen Fang zu machen und ein Schiff von unsrer Rhede wegzuhohlen. Er hatte es schon in seinen Klauen, als plötzlich der Geist des Heroismus in die Warnemünder fuhr, die, ohne irgend eine Aufforderung im Nu, mit 200 Leuten in See stachen und dem Raub-Lümmel richtig seinen Fang wieder abjagten. Wäre er nicht im Segeln ihnen überlegen gewesen, so hätten sie den dreisten Patron zur Prise gemacht. Aber auch so war dies, für ganz wehrlose Menschen, die nichts als ihre Matrosen-Messer hatten, schon genug!

Die Sachen der Unsrigen gehen ja itzt so, dass die Fortschritte fast alle Erwartung übertreffen. Von nun an muss jeder Tag schwanger an großen Begebenheiten sein. Es ist doch unbegreiflich, dass N. sich unter solchen Umständen noch nach Paris wagen kann! Itzt, dünkt mich, können ja auch dort die wahren, bisher von Lügen entstellten Begebenheiten, wohl kein Geheimnis mehr sein.

Bei uns wird die Last des Drucks mit jedem Tage größer. Sie haben freilich, bei allen den ungeheuren Anstrengungen, auch Lasten genug, aber, glauben Sie es mir, liebe Julie! es ist Nichts gegen dem was wir tragen. Denn bei Ihnen herrscht Ordnung und Energie; bei uns Unordnung und Schlaffheit! - Hier herrscht nur eine einzige Stimme; ach dass wir Preußisch würden! -“

Weiter berichtet ein Brief vom 14. Dezember:

„. . . . Von dem österreich. Gesandten, der letzt hier durch nach Kopenhagen ging, hört man nichts. Nach den Zeitungen soll ja der . . . . . Dänen-König nach Kiel gehen, und nach gestrigen Gerüchten, die sich hier verbreiteten, soll Kiel schon erstürmt sein. Die Zeit wird lehren, wie sich diese Nachrichten vereinigen werden. Es geht in Holstein böse! böse! Ich hätte nicht geglaubt, dass das dortige Volk so verblendet wäre. Aber der Kronprinz handelt mit Energie. Gott gebe nur, dass dieser Winter so anhält, sonst wirds den Unsrigen dort sauer werden. Von Heinrich habe ich nun keine weitere Nachricht, als dass er als Lieutenant bestätigt ist. Und Sie wissen auch noch nichts von dem guten Gustav? 1) Wie manche Familie wird itzt mit Kummer belastet! Wenn denn doch nur endlich die Tyrannen unterliegen! erleben auch wir dann die goldene Zeit der Freiheit und Ruhe nicht, so haben wir doch den Trost, dass unsre Kinder sie sich mit ihrem Blute erkämpft haben.“

1) Gustav Rosenstiel, Student der Rechte und Freiwilliger im Jägerkorps geriet in der Schlacht bei Groß-Görschen in französische Gefangenschaft.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Briefe aus den Kriegsjahren 1812 - 1815