Briefe aus Hamburg - über Hamburger Verhältnisse

Aus: Deutsches Museum. Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben. Herausgegeben von Robert Prutz. 1ter Jahrgang 1851. Januar-Juni.
Autor: Wehl, Feodor von (1821-1890) Schriftsteller, Journalist und Theaterintendant, Erscheinungsjahr: 1851
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hamburg, Hansestadt, Theater, Kultur- und Kunst, Börse, Kurs,
Da Hamburg zu denjenigen großen Städten gehört, von deren politischem, sozialem und künstlerischem Leben im „Deutschen Museum“ in fortlaufender Korrespondenz Bericht erstattet werden soll, so glauben wir den Lesern einen Dienst zu erweisen, wenn wir als Einleitung dieses stehenden Artikels zunächst über alle jene Dinge im Allgemeinen sprechen. Um sich im Einzelnen zu orientieren, ist nötig, dass man das Ganze kenne. Und das große Ganze des hamburgischen Lebens ist in wenigen und raschen Zügen umrissen. Es gibt hier wenig Verwicklungen, wenig Konflikte dann. Die Verhältnisse sind meist sehr einfach und leicht zu übersehen.

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Fangen wir zunächst mit denen der Politik an, so ist dabei vor Allem zu bemerken, dass Hamburg durchaus keine Stadt ist, in welcher Politik gemacht wird, sondern eine, wo die Politik nur ihren Einfluss übt oder besser gesagt, wo sie zu Geld d. h. zum Kurse wird. Der Kurs ist der Pulsschlag von Hamburg, den man überall gewahr zu werden vermag. Im Theater, in Gesellschaft, beim Diner kann man ihn vernehmen. Er durchkreist alle Gespräche, alle Unterhaltungen, alle Beziehungen des Lebens. Er ist’s, der Regen und Sonnenschein in Hamburg macht, jenen Sonnenschein und jenen Regen, von dem die Geselligkeit, die Kunst, die Literatur und die öffentliche Stimmung leben. Das Leben dieser Dinge ist darum hier auch ein sehr prekäres und ewig wechselndes. Heute diniert, tanzt und jubelt man, morgen stellt man alle Festlichkeiten ein. Heute ist die Existenz in Hamburg en hausse und morgen ist sie en baisse. Eine Palmerston’sche Note kann alle Kreise, alle Schichten der hamburgischen Bevölkerung mit Freude, Hoffnung und Zutrauen erfüllen, eine Manteuffel’sche vermag das Lächeln von allen Gesichtern und die Freude aus allen Mienen zu verscheuchen. So eklatant wie Sebastian! von Warschau einst gesagt hat, dass die Ordnung, d. h. der Belagerungszustand darin herrsche (ohne welche Herrschaft man sich heut zu Tage schon fast gar keine Ordnung mehr scheint denken zu können), ebenso eklatant hat Heine von Hamburg gesagt, „dass darin nicht der schändliche Macbeth, sondern Banko herrsche, Banko der König, welcher mit Eisenbahnaktien, Feuerversicherungsscheinen und Lebensassekuranzpapieren regiert.“ Dass diese Regierung der Kunst nicht grade günstig ist, wird man leicht ermessen können. Die Kunst ist ein sehr untergeordnetes Element in Hamburg, ein Element, von dem man verlangt, dass es sich zum Kammerdiener des Reichtums hergebe. Es soll ihm aufwarten, ihm das Leben behaglich machen. Wie sich ein Millionär von seinem ersten Bedienten nach Tisch den Sessel zurechtrücken und die Zeitung vorlesen lässt, so lässt sich der reiche Hamburger z. B. Komödie vorspielen. Wir sagen mit Absicht: Komödie, denn Komödie im altfränkischen Sinne des Wortes ist dem Hamburger noch jetzt das Theater. Das Theater mag Shakespeare'sche Tragödien, Gutzkow’sche Dramen oder Meyerbeer’sche Opern bringen, dem Hamburger ist dies Alles Komödie. Ein literarisches, ein künstlerisches Motiv ist darin für ihn nicht eigentlich vorhanden. Deswegen bleibt es auch immer nur auf einer geringen Stufe artistischer Bildung, über die es hinaus zu bringen allen zu Zeiten aufgewendeten Anstrengungen nicht hat gelingen wollen und nicht hat gelingen können. Die geistige Witterung, das geistige Klima in Hamburg fehlt, die literarische und wissenschaftliche Atmosphäre mangelt. Zwar hat es Zeitungen und Journale genug, aber diese Zeitungen und Journale haben, einige wenige ausgenommen, keine Schriftsteller. Die Literatur wird darin ohne Literatoren betrieben, von ein paar Kommis, die statt in Kaffee-, Zucker- und Baumwollartikeln, in Artikeln der Literatur machen. Ihre Schreibweise ist banal-skurril und ohne jene stilistische Gewandtheit, wie man sie in literarisch angeregten Städten auch bei dem Gewöhnlichsten der sogenannten Literaten antrifft. Bisher hat man in Hamburg auch darauf noch wenig geachtet. Erst jetzt fängt man an, ein wenig Wert darauf zu legen und der Stadt einen eigentlich literarischen Herd zu bilden. Als dieser eigentlich literarische Herd Hamburgs kann und muss in diesem Augenblicke die neu errichtete Lesehalle gelten. So lange eine solche nur in der Börse bestand, war die Literatur und Journalistik abhängig und außer Stande, Selbstständigkeit zu gewinnen. Sie war da nur ein Acquisit, ein Regal der Handelswelt. Jetzt ist das anders, jetzt hat sie sich gleichsam von dem Kaufmannsstande emanzipiert und ihren eigenen Grund und Boden gewonnen. In dieser Lesehalle im Neß, die sehr komfortable eingerichtet ist und ein ganzes mehrstöckiges Haus umfasst, ist die Lektüre und die Beschäftigung mit den Zeitungen und der Literatur nun nicht mehr eine Nebenbeschäftigung, ein Lückenbüßer der Börsenleute, der Geldspekulanten und Handelsagenten, sondern eine Sache für sich. Und damit ist für erst schon viel gewonnen, denn diese Anstalt ist gleichsam ein Zugeständnis, eine Konzession, welche Hamburg an die Literatur und Journalistik gemacht. Von hier aus erzeugte sich nun auch schon ein gewisses literarisches Fluidum, eine geistige Strömung, die nicht mehr ganz von jenem Regen und jenem Sonnenschein abhängen, den der kaufmännische Kurs erzeugt. Mögen die Umstände ihnen günstig sein und guter Wille und Talent ihnen Vorschub leisten. Was wir selbst dazu beitragen können, ihnen zu nützen, das wird überall und auch in diesen Blättern geschehen. Damit für erst genug

08. Church in the emigrant village at Hamburg.

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04. The Steekelhorn, one of Hamburg’s ancient canals

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16. Loading a trainload of cable direct from cars into steamer.

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07. Pier cranes discharging cargo at Hamburg.

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